Jahr: 2023

21. Dezember

Ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Hesekiel 37,14

Es ist wahrscheinlich einer der bekanntesten Texte des Ezechielbuches, aus dem heute zitiert ist. Der Geist der Lebendigen, die Ruach, wird den toten Gebeinen zu Leben verhelfen. Gerne will ich einfach die Vision auf mich wirken lassen, um sie zu bedenken. Da ist die Rede von der Ruach, die zu neuem Leben verhilft. Und zwar in ihrem Land. Gemeint ist die Vereinigung des Nordreichs mit dem Südreich, also die Wiederherstellung Israels. Der Text Ezechiels kann auch als erste Auferstehungsgeschichte verstanden werden. Aber die Ruach, die neues Leben bringt, ist nicht an die Geschichte, wie sie der Prophet erlebt und erzählt, gebunden. Sie wirkt auch heute. Ich bin überzeugt, dass sie dort wirkt, wo Leben bedroht ist, wo Hunger, Durst, Krieg herrschen. Das verbinde ich mit der Hoffnung. Mit der Hoffnung, dass die Lebendige ein Leben in Würde wiederherstellt. Im Text der Propheten ist die Rede davon, dass der Wind aus allen vier Himmelsrichtungen kommt, die Ruach also für alle weht. Das stärkt meine Hoffnung darauf, dass gerade dort, wo Leben besonders gefährdet ist, Gott, die Lebendige, da ist und hilft.

Schenke du den Geist des Friedens und der Gerechtigkeit.

von: Madeleine Strub-Jaccoud

20. Dezember

Lobe den HERRN, der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen. Psalm 103,2.3

In der Losung fehlt ein Satz. So müsste es vollständig heissen:
«Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen.» Das Ausgelassene ist wichtig. Es macht klar, wer hier wen anspricht. Es ist ein «Ich», das mit seiner «Seele» redet. Das «Ich» mahnt die Seele und erinnert sie daran, wer sie ist. Die «Seele», Gegenpart zum «Ich», ist die innere, lebendige und bedürftige Person. Im Lob wird sie zum «Du». Dieses innere «Du» wird vom «Ich» wachgerüttelt und freundlich, aber bestimmt angehalten, das zu tun, was seine Bestimmung ist, nämlich Gott zu loben: «Gott ist Dein Licht, Seele, vergiss es ja nicht!» (Joachim Neander).
Es gibt Theologien, die das Innere des Menschen ins dunkelste Schwarz tauchen, um derart verdunkelt Gottes Licht umso heller aufleuchten zu lassen. Nicht so die Theologie dieses grandiosen Psalms. Hier ist die Seele schon licht und verklärt – als ob das «Ich» sich selbst mit den Augen Gottes schauen darf. Warum vergessen wir das ständig? Ich bin versucht zu sagen, weil wir uns selbst im Licht stehen. Und was hilft? Ein erhellendes Selbstgespräch. Falls Sie es vergessen haben – es beginnt so: «Lobe den HERRN, meine Seele und alles, was in mir ist, lobe den HERRN.» Und was sagen wir dazu? Amen!

von: Ralph Kunz

19. Dezember

Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Römer 12,12

Paulus liebt die Dreizahl. Glaube, Hoffnung und Liebe ist die bekannteste. Und für jede dieser «Kardinaltugenden» gibt es wieder eine Dreifaltigkeit. Die Liebe will als Liebe zu Gott und zum Nächsten auch Selbstliebe sein, der Glaube lebt von der Treue Gottes, die meinem Vertrauen in der Gemeinschaft der Gläubigen Tragkraft verleiht. Für die Hoffnung hat der Apostel einen Teil Zumutung, einen Teil Ermutigung und meinen Teil Ermunterung vereint. Was für ein Cocktail! Wenn ich ihn selbst zusammenstellen könnte, würde ich den Anteil fröhlicher Hoffnung maximieren und die Trübsal minimieren. Das beharrliche Beten fiele mir dann wesentlich leichter. Geduldig sein war nie meine Stärke.
Doch leider gehört die verflixte Trübsal dazu! Das schmeckt zwar bitter, aber vielleicht sind es die trüben Aussichten, die mich beharrlich um Aufklärung bitten lassen? Paulus legt nicht fest, welches Beten er meint. Dank? Lob? Klage? Fürbitte? Kein Tag ist wie der andere. Nicht immer sind wir fröhlich in der Hoffnung. Manchmal blasen wir Trübsal. Dann hilft der Gedanke, dass der Geist weht und andere beharrlich im Gebet sind. So wie Sie für mich und ich für Sie! Und Christus für uns alle. Also sind wir schon zu dritt. Grund zur Hoffnung. Wünsche einen fröhlichen Tag!

von: Ralph Kunz

18. Dezember

Er stösst die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Lukas 1,52

Elisabeth und Maria: Zwei Frauen sind schwanger, die eine nach der Zeit, die andere vorzeitig, beide überraschend, unverhofft, aber nicht unerwünscht. Sie ahnen das Grosse, das ihnen geschieht. Die Freude bricht förmlich aus ihnen heraus. «Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter, denn hingesehen hat er auf die Niedrigkeit seiner Magd», jubelt Maria.
Was sie am eigenen Leib erfährt, geht himmelweit, erdenweit über sie hinaus. «Gewaltiges hat er vollbracht mit seinem Arm, zerstreut hat er, die hochmütig sind in ihrem Herzen, Mächtige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht, Hungrige hat er gesättigt mit Gutem und Reiche leer ausgehen lassen.» (Lukas 1,51–53)
Dieses Staunen, dass Gott die Machtverhältnisse umdreht, nicht auf den Kopf stellt, sondern endlich auf die Füsse. Grosses wird klein, Kleines wird gross, «underobsi», das Untere wird nach oben gekehrt. Der König der Könige wird in einem Stall geboren, der Meister wäscht seinen Jüngern die Füsse, die Letzten werden Erste sein und die Ersten Letzte.

Und was macht das mit mir? Juble ich mit, wenn Hungrige
satt werden? Zähle ich mich zu den Reichen, die leer ausgehen? Lasse ich mich ein auf diese neue Welt- und Werteordnung?

von: Dorothee Degen-Zimmermann

17. Dezember

Paulus schreibt: Bei der Treue Gottes, unser Wort an euch ist nicht Ja und Nein zugleich. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern das Ja war in ihm. 2. Korinther 1,18–19

Nicht Ja und Nein zugleich. Nicht Naja. Nicht Jein. Sondern: Ja. Was steckt in diesem Wörtchen Ja? Mehr als Entschiedenheit. Mehr als Optimismus. Mehr als positives Denken. Das Ja, von dem hier die Rede ist, meint unbedingte Annahme. Das Ja, das in Christus ist und uns in ihm begegnet, ist das Ja Gottes zum Menschen. Zu allen Menschen und zu jedem einzelnen Menschen.
Das Ja Gottes ist nicht an Bedingungen geknüpft, nicht an Fähigkeiten, nicht an Leistungen, nicht an Wohlverhalten. Es ist ein Ja zu uns Menschen in all unserer Zerrissenheit, Verletzlichkeit, Sündhaftigkeit. Das Ja Gottes müssen wir uns weder verdienen, noch können wir es uns verdienen. Es wird uns geschenkt. Zugesprochen.
Weil Gott Ja zu uns sagt, können wir Ja sagen: zu anderen, zu uns selber, zum Leben mit seinen schönen und seinen schweren Seiten, und Ja auch zu leidvollen Herausforderungen. In Gottes Ja angenommen und geborgen, leben wir aus Hoffnung heraus. Und Hoffnung heisst nicht, zu glauben, dass alles gut wird. Hoffnung heisst, die Zukunft nicht der Verzweiflung zu überlassen. Ja zu sagen zum Leben. Trotz allem. Wir können das, weil Gott Ja zu uns sagt. Hoffnung braucht ein Ja.

von: Maria Moser

16. Dezember

Der HERR sprach zu seinem Volk: Siehe, ich will euch Getreide, Wein und Öl die Fülle schicken, dass ihr genug daran haben sollt. Joel 2,19

Es gibt Tage, da drehe ich gar nicht das Radio auf. Die Nachrichten, die wir uns anhören müssen, machen uns oft Angst: drohende Inflation, Rückgang der Energieressourcen, steigende Arbeitslosigkeit, Hungersnot, Flüchtlingselend,
Unwetter- und Naturkatastrophen. Oft fragen wir Menschen uns dann: In welcher Welt leben wir eigentlich? Wie soll das alles weitergehen? Was wird aus unserem Ersparten? Wie können wir dennoch weiterleben? Was will Gott uns in diesen dunklen Zeiten sagen?

Das Volk Israel hat viele Jahrhunderte vor uns ähnliche trostlose Situationen erlebt. Joel erinnert daran. Er berichtet darüber, dass das Volk Gottes sich von ihm entfernt hat und geradezu gottlos lebt. Gott aber ruft seine Leute zur Umkehr und Reue auf. Er hat Mitleid mit seinem Volk. Er lässt sein Volk nicht fallen. Er schenkt wieder viel Getreide, Wein und Öl. Gott reagiert hier ganz praktisch und existenziell. Er verspricht gute Ernten und in der Folge dann auch Arbeit, Einkommen, Essen und Trinken, Kleidung und ein Dach über dem Kopf.
Gerade in unsicheren Zeiten sind diese Zeilen für mich tröstende, adventliche Worte. Gott will umfassend für uns sorgen. Diese Zusage gilt auch für mich. Das schenkt mir Kraft, Mut und Hoffnung und ich darf dankbar dafür sein.

von: Carsten Marx

15. Dezember

Die mit Schiffen auf dem Meere fuhren und des HERRN Werke erfahren haben und seine Wunder im Meer: Die sollen dem HERRN danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut. Psalm 107,23.24.31

Heute haben wir mit dieser Losung ein schönes und einleuchtendes Beispiel dafür, dass es gut ist, auf Gott zu vertrauen; dass es sich lohnt, ihn um Hilfe anzurufen, wenn man in Not gerät, dass wir Menschen den Naturgewalten nicht hilflos ausgeliefert sind. Denn das haben Kaufleute und Seeleute erfahren, von denen der Psalm erzählt. Sie sind mit Schiffen übers Meer gefahren, um Handel zu treiben. Dort sind sie in einen Sturm geraten. In der totalen Ratlosigkeit schrien die Schiffsinsassen zu Gott um Hilfe. Gott half ihnen. Er stillte das Unwetter und führte das Schiff, und die auf ihm waren, in den ersehnten Hafen. Der Psalmist fordert nun die Geretteten auf, Gott dafür zu danken. So soll es sein, dass wir Gott in der Not anrufen und ihm anschliessend an die Errettung für seine Hilfe danken.
Aber es gibt auch Fälle, in denen Schiffbrüchige nicht gerettet werden, sondern – wie so viele Bootsflüchtlinge mit ihren Schlauchbooten – im Meer ertrinken. Das alles ist
schwer zu verstehen und es macht uns vielleicht unsicher in unserem Vertrauen auf Gott. Dennoch fordert der Psalmist auf: Lasst euch nicht verunsichern. Gott ist gütig, er steht uns bei. Zum Glauben an Gott gehört auch viel Geduld. Gottes Hilfe geht oft unterschiedliche Wege.

von: Carsten Marx

14. Dezember

Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen und Freude den aufrichtigen Herzen. Psalm 97,11

Das kennt man doch: Jetzt geht mir ein Licht auf! Das heisst, ich habe etwas für mich erkannt! Ist das «Lichtaufgehen» auch im heutigen Losungswort gemeint? In gewissem Sinne schon! Der 97. Psalm preist Gott als höchsten König, als mächtigen Herrn über die ganze Welt. Wer mit ihm im Einklang lebt, der lebt auch mit der ganzen Schöpfung in Harmonie. Also, wer nach dem Willen Gottes, dem Schöpfungsrecht lebt, der ist mit jenen Gerechten und Frommen gemeint, denen ein Licht und Freude im Herzen aufgehen. Im Text steht aber: «immer wieder!». Also geht es doch nicht um einen plötzlichen Geistesblitz! Denn nur wenn ich mich immer wieder der Erkenntnis stelle, was die Gerechtigkeit Gottes von mir erwartet, kann mir jenes erwähnte Licht aufgehen. Es beleuchtet den Raum, in dem die Gerechten wandeln, sagt der Psalm. Es erhellt ein an Gott ausgerichtetes Leben, wie die Thora und dann die Evangelien es uns mit auf den Weg gegeben haben. Faktisch ist es uns Beleuchtung, um der Gerechtigkeit Gottes zu dienen. Die Adventszeit hat viel mit Licht zu tun. Viel davon verweist auf «Gemütlichkeit». Aber es lohnt sich, im Zugehen auf den Heiligen Abend, an das Licht der Gerechtigkeit und die Freude des frommen Herzens zu denken. Ein Licht, das jene spüren mögen, die sich dem Licht und Anspruch von Gottes Gerechtigkeit immer neu zu stellen wagen. Wagen auch wir es!

von: Gert Rüppell

13. Dezember

Siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest. Psalm 139,4

Was für ein Gebet, dieser 139. Psalm! Welche Allmacht wird hier über Gott ausgesagt! Da kann ich nur mit den Worten des 6. Verses sagen: «Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar, zu hoch, ich kann sie nicht begreifen!» Noch in der Formulierung, also «auf der Zunge», weiss Gott um meine Absichten.
Dabei geht es nicht um vorschnelle Kontrolle, sondern um Gottes schützende Funktion. Eine, die die Hand über uns hält. Dass diese Wirkkraft, diese allgegenwärtige Schöpfungsmacht, so detailliert auf mich, meine Gedanken, mein Sein achtet, ist zu wunderbar, als dass ich es wirklich verstehen könnte. Hier bedarf es der Kontemplation, des Insichgehens, des dieser Fürsorge Nachspürens. Ein Ertasten, dass Gott mich von allen Seiten umgibt und so mein Sein göttlich gestaltet ist. Es bedarf also nicht der Vergottung des Menschen, wie es gern gemacht wird, weil der Mensch als Gottes Geschöpf ja bereits Teilhaber Gottes ist! Wir sind göttliche Partikel im Kosmos, dies kann der Psalmist gar nicht genug beschreiben. Alles, was in und mit uns passiert, geschieht bereits in Gott. Nichts können wir äussern, worum Gott nicht schon weiss. Und doch ist nicht alles, was wir äussern, zugleich gottgemäss. Darum bittet der Psalmist auch am Schluss: «Erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine, und sieh, ob ich auf bösem Wege bin.» Dafür bedarf es bei uns der Kontemplation und des beständigen Gebets.

von: Gert Rüppell

12. Dezember

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Philipper 4,7

Vernunft – da denken wir an die Aufklärung und ihre Entgegensetzung von Vernunft und Glauben. Sie hat beide in ein spannungsvolles Verhältnis, in eine dialektische Beziehung gesetzt. Die französische Aufklärung jedoch hat daraus einen unversöhnlichen Gegensatz gemacht, bis hin zu einer personifizierten «Göttin» der Vernunft in der Zeit der Revolution. Das hat in der Folgezeit zu einem negativen Beigeschmack im religiösen Kontext geführt. Im Lehrtext ist es so nicht gemeint. Das griechische Wort geben wir heute besser mit «Verstehen», «Erkennen» wieder. So ist es von den Begriffen am Schluss nicht weit entfernt: Herzen und Sinne sind am Erkennen und Verstehen ja beteiligt. Alle drei sind überragt vom Frieden Gottes, der sie umgreift und sie einbettet in eine andere Dimension. Die Widersprüche unseres Erkennens und unseres Lebens sind versöhnt in Christus. In ihm ist der grösste überhaupt denkbare Widerstreit aufgehoben, «der grosse Streit geschlichtet», jener zwischen Tod und Leben.
Darum ist es mehr als eine blosse Formel, wenn in lutherischer Tradition mit diesem Satz die Predigt abgeschlossen wird. Alles Gesagte in seiner Unfertigkeit, seinen ungelösten Fragen und unauflösbaren Widersprüchen ist aufgehoben in diesem alles umgreifenden Frieden.

von: Andreas Marti