Autor: Ralph Kunz

23. September

Schäme dich nicht, denn du sollst nicht
zum Spott werden.
Jesaja 54,4

So geht göttliche Seelsorge! Das stolze Israel ist am Boden
zerstört, entehrt und verlassen. Die Unfruchtbare, die von
ihrem Mann verstossen wurde, die Witwe oder die untreu
gewordene Ehefrau – sind Bilder für Israel als «Braut Gottes».
Sie nehmen das Gerichtswort auf, dass sich Gott von seinem
Volk «scheidet», und wenden sie in eine Liebes- und Treueerklärung.
«Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann […]
Denn Gott hat dich zu sich gerufen wie eine verlassene und
von Herzen betrübte Frau; und die Frau der Jugendzeit, wie
könnte sie verstossen bleiben!, spricht dein Gott.» (Vers 5 f.)
So geht göttliche Seelsorge!
Gott beschämt nicht, Gott schützt vor Spott und Hohn
und erinnert an sein Ja zu Israel. Ist es verwegen, bei diesen
Worten auch an die Kirche zu denken? Fast täglich lesen
wir von den unsäglichen Missbräuchen, die es in der Kirche
gegeben hat und die von den Verantwortlichen vertuscht
wurden. Es ist beschämend. Aber das Verrückte an diesen
Verbrechen ist, dass sich die Opfer schämen. Also sind sie es,
die zuerst das Gotteswort hören sollen. Sie wurden entehrt.
Sie sind es, denen Gerechtigkeit widerfahren muss. Dann,
aber wirklich erst dann, hören auch die reuigen Täter das
Wort der Gnade. Es muss ein Ende der Beschämung geben
– auf beiden Seiten. Aber es muss klar sein, wie der Prozess
der Heilung beginnt.

Von: Ralph Kunz

22. September

Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und
Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen
um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen
Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Jesaja 55,5

Meine Kirche nennt sich Volkskirche. Der Name erinnert an
andere Volksverbindungen: Volksbank, Volksbibliothek oder
Volksschule. Man kennt das. Am liebsten ist mir die Volksmusik.
Mit anderen zusammen einen lüpfigen «Ländler»
zu spielen, ist eine schöne Sache. Zum Reiz der Volksmusik
gehört auch der Wechsel in die musikalischen Klangwelten
anderer Völker. Es gibt nicht nur Appenzeller! Die Iren oder
die Schweden haben es auch drauf. Die «neue Volksmusik»
wagt Überkreuzungen und Begegnungen. Wenn ich es recht
bedenke, bin ein Völkermusikfan …
Und Gott? Gott ist ein Völkerkirchenfan. So steht es
geschrieben und so haben es die Propheten kundgetan.
«Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe,
spricht der HERR; ich will sie heilen.» (Jesaja 57,19) Gott
weitet die Erwählung des Volkes zur Erwählung der Völker.
Er kreuzt die Nationen. Wie modern das ist! Und ich denke,
wie antiquiert «Volkskirchen» sind, wenn sie das Volk mit
der eigenen Nation verwechseln.
Wenn es das Ziel ist, mehr Völkerkirche zu werden, hat
die Volkskirche noch einen weiten Weg vor sich. Wollen wir
ihn gehen? Wollen wir neue Musik spielen? Ich bin sicher, es
würde lüpfiger in der Kirche.

Von: Ralph Kunz

20. August

Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 1. Mose 1,3

Licht ist geschaffen! Die Einsicht ist erhellend und lässt doch
im Dunkeln, woher es kam. Die Antwort auf diese simple
Frage verschwindet in einem schwarzen Loch. Erst zwei simple
Aussagen bringen Licht ins Dunkel. «Gott sprach, es
werde Licht» und das hat zur Folge, dass «Licht ward». Also
ist Gott die Lichtquelle oder wissenschaftlich gesprochen die
ultimative Energiequelle, der Ursprung der Lebensexplosion
oder des sich ausdehnenden Alls.
Ob teleskopisch oder mikroskopisch unterwegs, auf Galaxien
wandernd oder in Viren bewandert – es braucht auch
die aufgeklärte Wissenschaft eine Lichtquelle. Was sagt denn
die Bibel anderes? Sie sagt es anders. Gott spricht Licht. Man
kann das als Mythos abtun oder als naives menschenförmiges
Gottesbild. Und hätte eine wichtige Lektion nicht verstanden.
Als die Welt das Lebenslicht erblickte, hat es sozusagen
Klick gemacht. Der Lichtschöpfer hat auch Lichtempfänger
geschaffen. Wir sind die angestrahlte, angeleuchtete und aufgeklärte
Welt. Wir sind auch für die Verdunkelung mitverantwortlich,
die zur Sprache und ans Licht gebracht werden
muss. Es ist diese andere, nichtphysikalische Erleuchtung,
die wir dringend nötig haben, wenn wir nicht im schwarzen
Loch verschwinden wollen. Denn die Frucht dieses Lichtes
ist «Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit» (Epheser 5,9).

Von: Ralph Kunz

19. August

Du, HERR, du kennst mich, du siehst mich und prüfst,
ob mein Herz bei dir ist.
Jeremia 12,3

Gott prüft, ob sein Prophet mit dem Herzen ganz bei ihm
ist. Wie geht das? Gott kann das einfach, meint der Prophet.
Jeremia weiss sich erkannt und gesehen. Für viele ist diese
Vorstellung irgendwie gruselig. Der göttliche Röntgenblick
lässt wenig Spielraum für Privacy. Big Brother lässt grüssen,
der Datenschutz auf sich warten. Dem Propheten stellt sich
diese Frage gar nicht. Ihm geht es um die Prüfung des inneren
Menschen, darum, dass keiner verborgen bleibt, der Böses
redet (Weisheit 1,8). Wer meint, sich vor Gott verstecken zu
können, ist schlicht und einfach ein Tor oder eine Närrin.
Gott sieht ins Verborgene (Matthäus 6,6). Und was Gott
sieht, ist durchschaut. Die Redewendung «auf Herz und Nieren
prüfen» kommt dem ziemlich nahe. Sie stammt übrigens
auch von Jeremia (11,20) und meint, dass mein Geist (Herz)
und meine Gefühle (Nieren) Gott nicht verborgen bleiben.
Wäre denn ein Big Brother, eine Big Mother, Big Father oder
Big Sister so schlimm? Ja, das wäre es. Das «Big» muss uns
misstrauisch machen. Es ist ein menschliches Missverständnis,
dass Gott ein Kontrollfreak ist. Die Bibel sagt etwas anderes.
Sie lobt die Macht, die sich so klein macht, dass sie uns
verborgen bleibt. Wie komme ich zur Gewissheit, dass sie
es gut mit mir meint? Jesus hat Gott erkannt, gesehen und
geprüft. Sein Herz ist bei Gott.
Das genügt.

Von: Ralph Kunz

23. Juli

Wer aus Gott geboren ist, den bewahrt er
und der Böse tastet ihn nicht an.
1. Johannes 5,18

Ich lese in der Wochenendbeilage der Zeitung einen Artikel
über gute Taten. Offensichtlich fühlte sich die Autorin
bemüssigt, etwas Spirituelles zum Thema beizusteuern.
Unter dem Titel «Karma» belehrt sie mich, dass ich durch
gute Taten auf meinem transzendenten Konto Punkte sammeln
könne. Je mehr Punkte, desto höher der Schutz vor
bösen Einflüssen. Wow! Es fehlte nur noch der Hinweis, dass
man sich Sonderpunkte holen kann, wenn für Auslagen im
Zusammenhang mit guten Taten eine Cumulus-Karte verwendet
wird. Ich habe die Zeitung zum Altpapier getan, weil
solide Abfallentsorgung gutes Karma macht! Spotte ich? Ich
bekenne mich schuldig! Aber mir ist auch klar, dass die heutige
Losung säkularen Mitmenschen genauso esoterisch vorkommen
muss wie mir das Karma-Konto (dessen Punktestand
durch den Spott ins Minus gerutscht ist …). Wie kann
man aus Gott geboren werden? Wie muss man sich das
vorstellen? Und warum bringt mir eine solche Geburt Schutz
vor dem Bösen? Vielleicht ist das die entscheidende Pointe
des Gottvertrauens. Gott ist mir als Gebärerin meiner Seele
näher als die Vorstellung, für die Ewigkeit zu punkten. Meine
Beilage zum sonntäglichen Wochenanfang – fragen Sie sich:
Bin ich aus Gott geboren? Antworten Sie mit einem kräftigen
Ja. Wer glaubt, wird bewahrt.

Von: Ralph Kunz

22. Juli

Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns
jubeln und fröhlich sein über sein Heil.
Jesaja 25,9

Der heutigen Losung gehen sechs Wörter voraus: «Zu der
Zeit wird man sagen.» Das ist zweimal wichtig für das Verständnis:
Erstens geht es um die Zukunft und zweitens um
die Sprechenden. Der Prophet stellt sich vor, es kommt der
Tag, an dem eine Gruppe sagen wird: «Jetzt ist eingetreten,
was wir uns erhofft haben, heute ist es wahr geworden,
was uns prophezeit wurde.» Das ist schon ein starkes Stück
und ziemlich dreist. Eigentlich prophezeit der Prophet die
Erfüllung seiner Prophetie! Warum aber bleibt er so allgemein?
Wer ist «man»? Jetzt wird’s noch dreister. Im Gesicht
des Propheten sind es alle Völker, die so reden. Alle sind zu
einem Mahl von «reinem Wein und fetten Speisen» eingeladen
– ein Graus für gesundheitsbewusste Diät-Freaks.
Aber zur dreisten Prophetie passt das feiste Menü. Geladen
sind alle Menschen, also alle Ethnien und Kulturen– auch
diejenigen, die altertümlich «Heiden» genannt werden. Sie
feiern an dieser Multikulti-Party zusammen mit Israel, als
ein Volk, weil die «Hülle, mit der alle Völker verhüllt sind»,
von ihnen weggenommen sein wird. Was sagen wir heute zu
dieser dreist-feisten Vision? Glauben wir daran? Wir warten
auf ihre Erfüllung.
Es ist der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft,
und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Hebräer 11,1

Von: Ralph Kunz

20. Juni

Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen
lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung
vor Gott kundwerden!
Philipper 4,6


Menschen beten dann, wenn sie Sorgen haben – falls sie
überhaupt noch beten! Und erst recht gilt das für das Bitten –
die elementarste Form des Betens. Warum beten, wenn
man ausgesorgt hat? Warum (Gott) bitten, wenn man (vom
Staat) Leistungen einfordern kann, für die man schliesslich
seinen Obolus entrichtet hat? Das ist natürlich plakativ und
aus einer privilegierten wirtschaftlichen Situation gesagt.
Aber «Sorgen», die im Gebet zur Sprache kommen, sind
in unserer Wohlstandsgesellschaft möglicherweise all jene
Lebensbereiche, die nicht in unserer Macht stehen, z. B.
dass wir bewahrt werden oder dass wir Vergebung erlangen.
Wenn Paulus ziemlich absolut fordert «sorgt euch um
nichts», geht es ihm um die Haltung der Betenden und
um Halt, den sie in Gott finden. Wir bleiben Bittsteller –
ob privilegiert oder benachteiligt! So oder so, wir sollen,
wenn wir beten, Gott unsere Bitten mit Dank vorbringen.
Einfacher gesagt als getan … Und doch: Darum geht es bei
der wichtigsten Übung des Gottvertrauens. Das sehnlichst
Erwünschte im Licht der Gaben zu sehen, die wir Gott verdanken:
das tägliche Brot, das uns gegeben, und die Schuld,
die von uns genommen wird, das Böse, das wir überwinden
können. Wer dankbar bittet, klopft an Türen, die Christus
aufgetan hat.

Von: Ralph Kunz

19. Juni

Alle, die dich verlassen, müssen zuschanden
werden; denn sie verlassen den HERRN, die Quelle
des lebendigen Wassers.
Jeremia 17,13


Die Adjektive «gottvergessen» und «gottverlassen» werden
für abgelegene Gegenden verwendet. Im biblischen
Erleben sind die einsamen und lebensfeindlichen Zonen
«Wüsten». Wo es kein Wasser hat, ist es «wüst und leer».
Wen es dorthin verschlägt, wird nicht überleben. Für den
Propheten besteht daran kein Zweifel. Es ist ein Bild für das
Verhalten der Menschen, mit denen er es zu tun hat. Sie
leben in «gottverlassenen» Zonen, also müssen sie sterben.
Allerdings mit Verzögerung. Noch leben sie. Sie sind zäh.
Sie haben eigene Ressourcen. Es kommt noch schlimmer!
Jeremia ist es, der leidet, und seinen Widersachern geht es
allem Anschein nach besser als ihm selbst. Er ist einsam,
nicht sie; er ist isoliert, nicht sie; er geht «zuschanden» …
So heisst es in der altertümlichen Übersetzung. Wer redet
noch so? Aber im Wort steckt, was die Losung zum Stocken
bringt. Warum darbt der Gerechte, wo doch er es ist, der
Gott kennt? Warum zeigt es sich nicht in seinem Leben,
dass er nahe an der Quelle wohnt? Wie kommt es, dass die
anderen nicht untergehen? Der Prophet redet hier nicht von
seinen Rachegelüsten. Ihm geht es um die Hoffnung! Dass
die Schande von denen genommen wird, die zu Unrecht leiden.
Ein anderer wird später sagen: «Selig sind, die verfolgt
werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.»

Von: Ralph Kunz

23. Mai

So habt nun acht, dass ihr tut, wie euch der HERR,
euer Gott, geboten hat, und weicht nicht, weder zur
Rechten noch zur Linken.
5. Mose 5,32


Wer die Gebote Gottes gehört hat, soll sie auch befolgen,
keine Ausflüchte machen und sich nicht vom Weg ab-
bringen lassen und den Kurs behalten. Im Dialekt steht
«folgen» für «gehorchen». Ich habe es noch im Ohr: «Tüend
jetzt folge!» Immer dann, wenn wir Kinder bockten und uns
querstellten, kam diese elterliche Losung. Das war ziemlich
oft der Fall. Und es hat meistens wenig gefruchtet. Mit
Drohungen oder Belohnungen waren die Chancen, dass wir
«folgten», höher. Man kann die Pädagogik des Gesetzes in
diesem Licht sehen – und der Verdacht kommt auf, dass
auch die göttliche Erziehung an Grenzen stösst. Warum wäre
sonst der Nachdruck nötig? Könnte es sein, dass wir immer
versuchen werden, nach rechts oder links auszuweichen?
Dass der absolute Gesetzesgehorsam wider unsere Natur
ist? Der Apostel Paulus kommt in seinen Überlegungen zur
Wirkung des Gesetzes zu diesem Schluss. Nicht der Gehorsam,
sondern das Vertrauen in Gottes Güte und Erbarmen
lässt uns «folgen». In den Evangelien zeigt sich der Glaube
als Nachfolge Jesu. «Folgen» ist mehr als «Gehorsam», und
das hat auch mit Geradlinigkeit zu tun. ER ist das Vorbild,
dem wir vertrauensvoll folgen, und keine Drohung, der wir
ängstlich gehorchen.

Von: Ralph Kunz

22. Mai

Ich pries die Freude, dass der Mensch nichts Besseres
hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und
fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen
sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.
Prediger 8,15


Ist der Prediger ein Geniesser? Für eine Andacht in der Fastenwoche
würde ich sein Lob auf das Essen jedenfalls nicht
auswählen. Mit dem Spruch könnte man werben für eine
Gault-Millau-Tour! Mich erinnert er an einen anderen Spruch
des römischen Dichters Horaz, der mahnt, man soll die
kurze Lebenszeit nutzen. Horaz gibt den Rat, den Tag zu
pflücken, bevor es Abend wird. Wer sich die Mühe macht,
den Sinnzusammenhang der biblischen Carpe-Diem-Einsicht
zu erforschen, kommt allerdings auf eine andere Spur. Der
Prediger versucht sich nämlich einen Reim darauf zu machen,
warum es Gesetzesbrecher gibt, die in Saus und Braus leben,
und Gerechte, als ob sie das Gesetz gebrochen hätten. Das
schmeckt nach einer bitteren Pille. «Ein Sünder kann hundertmal
Böses tun und dennoch lang leben.» (Vers 12) Das
ist aber nur die eine Seite der Medaille. Ich höre auch: Wenn
schon gelebt, dann doch richtig gelebt. Wenn in dieser flüchtigen
Welt nichts ewig Bestand hat, dann freu dich an dem,
was Gott dir schenkt. Genussfähigkeit ist eine Gabe Gottes!
Ein anderer Meister der Wahrheit meinte ein paar Jahre
später:
«Sorget euch nicht um morgen!» (Matthäus 6,34)
Ihm glaube ich. Er hat auch die bittere Pille geschluckt.

Von: Ralph Kunz