Mission 21 im Südsudan – Der Wert von Entwicklungsprojekten im Krieg
Seit mittlerweile zehn Jahren arbeite ich für Entwicklungsprojekte
von Mission 21 im Südsudan. Nicht im Sudan, dem
Land, das alle kennen, sondern im Südsudan, dem jüngsten
Land der Welt, südlich des Sudan. Im Jahr 2011 hat es nach
jahrzehntelangem Krieg die Unabhängigkeit vom grossen
muslimischen Bruder, dem Sudan, erlangt. Und seit 2013
befindet es sich erneut im Bürgerkrieg.
Ja zur Hilfe für das Hier und Jetzt
Nach so vielen Jahren und der tiefen Verbundenheit mit dem
Land und den Menschen, die dort leben, fragen mich viele,
ob ich es nicht leid bin, dafür zu arbeiten. Ob es sich noch
lohnt, überhaupt etwas aufzubauen, das sowieso wieder im
Krieg zerstört werden kann. Natürlich fragte ich mich das
früher auch, war frustriert, weil man scheinbar stagnierte.
Immerhin sind wir so erzogen worden, nachhaltig zu handeln,
nichts zu zerstören, Sachen wertzuschätzen, so lange
wie möglich zu nutzen. Eine Anschaffung war etwas Langfristiges.
Aber wir befinden uns nicht in Europa, sondern im Südsudan.
Wenn wir hier Solaranlagen auf Dächer von Instituten
und Bürogebäuden bauen, die eventuell gestohlen oder
zerstört werden, ist es das überhaupt wert?
Ein klares Ja hierzu. Denn die Menschen, die dort leben,
sind es wert, dass es für sie weitergeht. Sie leben in ständiger
Angst in einem Konflikt, der unberechenbar ist. Aber
deshalb abzuwarten, sie hinzuhalten, zu schauen, wie es sich
entwickelt, ist auch keine Lösung, denn die Menschen leben
im Hier und Jetzt. Sie planen nicht so weit im Voraus, weil
sie es nicht können.
Solaranlagen versprechen Strom ohne laute Generatoren
und stinkenden Diesel. Etwas Unschätzbares im Südsudan,
wo es kaum Stromleitungen gibt. Sie pflegen und schätzen
aber die Dinge, die sie haben. Viel mehr, als wir es womöglich
tun. Kleider werden immer wieder ausgebessert, ausgelassen
oder enger gemacht. Geräte werden repariert und
weitergenutzt. Technische Geräte, wie Handys, müssen nur
funktionieren. Das Neuste braucht man nicht.
Und unsere Projekte von Mission 21, lohnen die sich denn?
Ebenfalls ein klares Ja!
Hebammenschule, Kinderzentrum, Frauenarbeit
Es lohnte sich, die Hebammenschule zu bauen. Sie bietet
im Moment 78 Studierenden eine Ausbildungsmöglichkeit
in einem Berufsfeld, das in kaum einem anderen Land so
dringend benötigt wird. Die Kindersterblichkeit liegt bei
99 Todesfällen pro 1000 Geburten. Ausserdem sterben im
Südsudan täglich zehn Mütter an Geburtskomplikationen.
Für uns eine unvorstellbare, weit entfernte Realität. Jede
einzelne Geburt, bei der Mutter und Kind überleben, ist es wert, dass wir die Hebammenschule gebaut haben und das
Projekt insbesondere in Krisenzeiten weiterführen.
So hilft auch jeder Franken, der in unser Kinderzentrum
Muhabba geht, dass die Kinder dort dreimal am Tag eine
Mahlzeit bekommen, dass sie zur Schule gehen können und
dass sie einen sicheren Platz zum Leben und Spielen haben
und nicht Gefahr laufen, auf der Strasse als Kindersoldaten
rekrutiert zu werden.
Auch persönliche Belastungen im Zusammenhang mit
unserer Frauenarbeit, in der Betroffene von sexueller Gewalt
darin bestärkt werden, eigene Projekte zu realisieren, und
gleichzeitig die Möglichkeit haben, über ihr Erlebtes in einem
geschützten Raum zu sprechen, sind es wert, sie zu tragen.
Wertefragen
Ganz aktuell ist die Lage im Südsudan in manchen Regionen
sehr alarmierend. Aktuell sind etwa 7,7 Millionen Menschen
von akuter Nahrungsmittelknappheit betroffen. Das sind
etwa 65 Prozent der Bevölkerung. Mission 21 leistet momentan
Soforthilfe. Das heisst, es werden Nahrungsmittel, Medikamente
und andere Güter des täglichen Bedarfs in diesen
Regionen verteilt. So ist jedes unserer Projekte es wert, auch
im Krieg weitergeführt zu werden.
Was bedeutet es eigentlich, «es wert zu sein»? Wie viel ist
ein Menschenleben wert? Wie viel ist es wert, einen sicheren
Schlafplatz zu haben? Wie viel ist uns Sicherheit wert? Wie
viel ist uns Gesundheit wert? Oft weiss man erst eine Antwort auf diese Fragen, wenn man selbst in eine Situation kommt, wo dies nicht mehr
selbstverständlich ist. Da es für die meisten von uns aber
selbstverständlich ist, haben wir die Möglichkeit, über unseren
Tellerrand zu schauen und uns mit der Frage zu beschäftigen.
Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben
Was können Sie in der Schweiz, in Europa für die Menschen
im Südsudan tun? Sie nicht vergessen, auch wenn die Präsenz
in den Medien verschwindend gering ist. Ausserdem
sollten wir die Hoffnung nicht verlieren. Das bedeutet auch
für Mission 21, im Land zu bleiben und die Projekte weiterzuführen.
Ein guter Freund aus dem Südsudan sagte einmal
zu mir: «Wenn ihr in der Schweiz noch an uns glaubt, wieso
sollten wir dann die Hoffnung auf den Frieden aufgeben?»
Und wir glauben ganz klar daran. Daran, dass der Südsudan
eines Tages ein Land des Friedens ist, wo man sich frei bewegen
kann und Kinder ganz ohne Angst aufwachsen und sich
entwickeln können. Wir glauben und sehen, dass unsere
Projekte das Leben der Menschen vor Ort jeden Tag immer
etwas besser machen. Und dies ist für uns und die Menschen
im Südsudan unbezahlbar.
Für mehr Informationen:
https://m-21.org/kooperationsprogramm-suedsudan
Von: Dorina Waldmeyer, Programmverantwortliche Südsudan