17. November

Die Wege des HERRN sind lauter Güte und Treue
für alle, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten.
Psalm 25,10

Der Psalm 25 ist eine lange Reihe von Gebets- und Glaubenssätzen.
Der Vers von heute bildet eines der Zentren, auf das
etliche andere Sätze zulaufen und da die Gewissheit finden,
dass Gott wirklich beschützt, in jeder Situation, gegenüber
allem und jedem. Seine Bedingung ist allerdings unübersehbar:
Ich selbst soll mich verpflichten, meinem Gott treu zu
bleiben. Ich soll mich dem anzuschmiegen versuchen, was
von ihm ausgegangen ist und weiter ausgeht an Zusagen,
an Bezeugungen seiner Liebe, aber auch an Werbung um
meine Zuverlässigkeit im Glauben an seine Kraft und Güte.
Auch wenn ich so zu leben versuche und ernst nehme, was
ich hier lese: Ich weiss, wie oft es nicht gelingt. Wie oft mich
eigene Wege und eigene Ziele, eigenes Besserwissen und
eigene Weltsicht behindern – und ich mich von ihnen auch
beeinflussen lasse. Gerade die letzten Verse wissen darum:
Wende dich zu mir … führe mich hinaus … vergibt mir …
bewahre mein Leben und errette mich …, denn ich hoffe
auf dich (Verse 16–21). Es sind tröstliche Verse, nicht nur
weil sie zeigen, wie fragil die menschlichen Lebensentwürfe
sind. Sondern weil sie zeigen, wie es immer wieder einen Weg
zurück oder eine Kurve gibt, die neue Schritte in die richtige
Richtung ermöglichen. Denn «Gottes Wege sind lauter Güte
und Treue …». Dieser Satzteil gibt Halt und stützt, auch
wenn so vieles nicht gelingt.

Von: Hans Strub

16. November

Der HERR sah ihre Not an, als er ihre Klage hörte,
und gedachte um ihretwillen an seinen Bund.
Psalm 106,44–45

Wie oft muss und will Gott Gnade walten lassen trotz allem
Ungehorsam seines Volkes! Der Psalm 106 erinnert in mehreren
Strophen an bekannte und unbekanntere Szenen aus
der Geschichte seit dem Auszug aus Ägypten – und immer
wieder heisst es dann: Er aber rettete sie … er gab ihnen …
viele Male befreite er sie … und ebenso im heutigen Vers.
Eine ungebrochene Kette von Verschuldung und Erlösung!
Wenn ich in mein eigenes Leben schaue, dann erkenne ich
das gleiche Muster oft und oft – ich entferne mich von Gott,
merklich und unmerklich, und ich werde zurückgeholt. In
aller Güte und Barmherzigkeit.
Eigentlich sollte ich dann jeweils meinen eigenen Psalm
beten und Danke sagen. Manchmal gibt es Ansätze dazu
oder gar mehr, aber es kommen neue Steine auf meinem
Weg, die mich stolpern machen. Und wieder spüre ich dann
Gottes starken Arm, der mir entgegengestreckt wird auf die
eine und andere Weise, ich kann mich halten oder an ihm
aufziehen – und mich bedanken, dass es «noch einmal» gut
gegangen ist. Eine endlose Abfolge von Zuwendung trotz
allem. Eine Erfahrung des Gehaltenseins und letztlich der
grossen Gnade. Es gibt Momente, da beschämt mich, was
gerade passiert – aber bald kommt wieder etwas … Deshalb
bringt mich das Lesen dieses Psalms zum Danken. Das will
ich tun, so lange ich kann: Danke, Gott, für diese Gnade!

Von: Hans Strub

15. November

Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen
und fröhlich sein unser Leben lang. Psalm 90,14

«Fülle uns frühe», heisst es in der Lutherbibel mit schöner
Alliteration. Die genaue Übersetzung lautet: «Sättige uns
am Morgen.» Hier wird der Bezug zu Vers 6 im selben Psalm
deutlich: «Am Morgen blüht das Gras, doch es vergeht, am
Abend welkt es und verdorrt.» Der Morgen gehört dort
zur Vergänglichkeit, die als schwermütiger Grundton den 90. Psalm durchzieht. Doch hier, im 14. Vers, der heutigen
Losung, ändert sich die Metaphorik des Morgens. Er ist, wie
auch sonst oft in der Bibel, die Zeit Gottes: «All Morgen ist
ganz frisch und neu des Ew’gen Gnad und grosse Treu; sie
hat kein End den langen Tag», heisst es in einem Morgenlied.
«Unser Leben lang» lautet genau übersetzt «all unsere
Tage». Der Basler Alttestamentler Klaus Seybold (1936–2011)
vermutet, dass ursprünglich an einen Frühgottesdienst
gedacht war, der den ganzen Tag über seelisch nährt.
Tatsächlich ist dies die Überzeugung des Psalmbeters:
Die Gnade Gottes nährt. Es sind keine konkreten irdischen
Güter, um die er bittet, nicht Reichtum, nicht Macht, nicht
ein langes Leben. Nur die Zuneigung Gottes erbittet er, die
«Erfahrung Gottes selber» (A. Weiser). Sie sättigt uns, wie
das Manna in der Wüste, an diesem Tag. Und alle Tage unseres
Lebens.

Von: Andreas Fischer

14. November

Jesus spricht: Mein Vater, der sie mir anvertraut hat,
ist mächtiger als alle. Niemand kann sie aus seiner Hand
reissen. Johannes 10,29

Die Übersetzung der Zürcher Bibel unterscheidet sich – aufgrund
einer anderen Lesart des Urtexts – deutlich von jener
des heutigen Lehrtexts: «Was mein Vater mir gegeben hat,
ist grösser als alles, und niemand kann es der Hand des Vaters
entreissen.» – Zwei Unterschiede fallen auf:

  1. Im Lehrtext ist von «sie» die Rede, was im Zusammenhang
    von Johannes 10 die «Schafe» beziehungsweise die
    Anhänger:innen Jesu im Gegensatz zu den «Juden» meint.
    Die Übersetzung der Zürcher Bibel hingegen spricht von
    «es». Damit könnte auch Innerseelisches gemeint sein, etwa
    jene «Kraft in der Seele», die im Gegensatz zu den Egokräften
    «grösser als die ganze Welt» sei, wie der deutsche
    Mystiker Meister Eckhart (1260–1328) sagt.
  2. Dass Gott «mächtiger als alle» sei, klingt, wie es in einem
    Kommentar heisst, «allzu banal». Dass hingegen mein wahres
    Wesen – wie die Liebe (1. Korinther 13,13) – in den Augen
    Gottes «grösser» als alles sei, grösser als Macht und Mammon,
    das ist eine überraschende Aussage. Sie lässt meinen
    Seelenfunken aufleuchten, meine bedingungslose Würde,
    die nichts und niemand der liebenden Hand Gottes entreissen
    kann, kein Wolf, wie es im Kontext heisst (Vers 12),
    nicht das Schreckliche, das in dieser Welt geschieht, nicht
    die Egomanen, die sie derzeit regieren, und auch nicht die
    eigene Gier.

Von: Andreas Fischer

13. November

Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt
durch unsern Herrn Jesus Christus! 1. Korinther 15,57

Es ist ein Lied gegen den Tod, das Paulus hier anstimmt.
Der Tod hat nicht das letzte Wort; auch wenn er allgegenwärtig
ist im Leben der Menschen, damals in Korinth und
auch heute – in Krieg und Gewalt, in Armut und Hunger, in
«Todesstrukturen», die leichtfertig das Leben zukünftiger
Generationen aufs Spiel setzen. «Verschlungen ist der Tod
in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? …
Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren HERRN
Jesus Christus.» (Verse 55 ff.)
Paulus geht es nicht um Leben und Tod im physischen
Sinn, auch wenn er deren harte Realität schmerzlich am
eigenen Leib spürt. Ihm steht eine andere, tiefere Wirklichkeit
vor Augen: die Realität des Auferstandenen, der den
Tod überwunden hat; dessen verwandelnde Kraft die Todesmacht
durchbricht, auch in unserem Leben (Verse 51 ff.).
Dorothee Sölle hat dafür folgende Worte «Gegen den
Tod» gefunden: «ich muss sterben / aber das ist auch
alles / was ich für den tod tun werde / alle andern ansinnen
/ seine beamten zu respektieren / seine banken als menschenfreundlich
/ seine erfindungen als fortschritte der wissenschaft
/ zu feiern werde ich ablehnen … / sterben muss
ich / aber das ist auch alles / was ich für den tod tu / lachen
werd ich gegen ihn / geschichten erzählen / wie man ihn überlistet
hat / und wie die frauen ihn / aus dem land trieben / singen
werd ich / und ihm land abgewinnen / mit jedem ton.»
(aus: zivil und ungehorsam. gedichte. 1990)

Von: Annegret Brauch

12. November

Ihr sollt richten ohne Ansehen der Person,
den Kleinen sollt ihr anhören wie den Grossen,
und ihr sollt euch vor niemandem fürchten,
denn es ist Gottes Gericht. 5. Mose 1,17

Zu Beginn seiner Abschiedsrede ruft Mose die Erfahrungen
und Stationen der langen Wanderung durch die Wüste noch
einmal in Erinnerung. Dazu gehört auch die Einsetzung von
fähigen Leuten als Richter:innen für das Volk. Sie sollen Mose
entlasten und Mitverantwortung für ein gerechtes und gutes
Miteinander übernehmen. (vgl. auch 2. Mose 18)
Ein modernes Beispiel für solche Mitverantwortung sind
vielleicht die sogenannten Schülergerichte. Dort urteilen
Jugendliche über Jugendliche, die Straftaten begangen
haben, und ersetzen in vielen Fällen eine Verhandlung vor
dem Jugendrichter. Die Erfahrungen sind weitgehend positiv,
die Rückfallquote ist deutlich geringer, dazu kommt eine
Entlastung der Gerichte. Die Gründe: Gleichaltrige begegnen
einander eher auf Augenhöhe; sie kommen leichter ins
Gespräch, auch über die schwierigen Fragen; zudem können
sich jugendliche «Richter:innen» besser in Lebenssituation
und Lebenswelt der straffällig Gewordenen hineinversetzen.
Ein Grundsatz: «Wir akzeptieren dich als Mensch, lehnen
aber die Tat massiv ab.»
«Die Person» wird dabei sehr wohl gesehen, aber ohne
sie zu bewerten, ihre Würde wird geachtet. Ermöglicht wird
so, Schuld anzuerkennen und Verantwortung für das eigene
Tun zu übernehmen.

Von: Annegret Brauch

11. November

Fürchte dich nicht und verzage nicht! Josua 8,1

Die Formel «fürchte dich nicht» findet man oft in der Bibel.
Sie geht an Einzelne, die eine göttliche Ermutigung brauchen
– in der heutigen Losung ist es Josua, der ermuntert
wird. In der Regel finde ich das erbaulich. Die Geschichte,
die in Josua 8 erzählt wird, ist aber eher verstörend. Es geht
um eine Schlacht, in deren Verlauf die Stadt Ai vernichtet
wird. Josua vollstreckt an den Bewohnern den Bann. Alle
werden getötet, hingeschlachtet im Namen des Herrn. Ehrlich
gestanden: Solche Geschichten machen mir Angst! Ich
denke an fanatische Siedler im Westjordanland, an das Massaker
der Hamas, an Rache und Vergeltung, an die endlose
Spirale der Gewalt …
«Fürchte dich nicht und verzage nicht!», heisst es. Und ich
denke: Es gibt sogenannte Führer, die sich zu wenig fürchten.
Die Welt wäre besser dran, wenn sie Schiss hätten. Weil sie
verantwortungslos und respektlos handeln – ohne Weitsicht,
nur auf den eigenen Vorteil bedacht, einer Ideologie
verpflichtet, von Rache und Vergeltung getrieben … Und
dann gibt es andere, die Ermutigung brauchen. Weil sie die
Verantwortung spüren und um die Schuld wissen, die sie
auf sich laden, wenn sie ihre Interessen und die ihres Volkes
rücksichtslos durchsetzen würden. Es gibt eine heilige
Furcht und es gibt einen heiligen Mut – und die Hoffnung,
dass die Gerechten nicht verzagen und der Bann der Gewalt
gebrochen wird.

Von: Ralph Kunz

10. November

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist
den Gemeinden sagt! Offenbarung 2,7

Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes,
ist bildreich und geheimnisvoll. Ich bin öfter auf Samos in
den Ferien. Das ist nur drei Schiffsstunden von Patmos entfernt,
wo Johannes seine Visionen niederschrieb. Noch näher
liegt Ephesus – oder das, was von der antiken Stadt übrig
geblieben ist. Wo heute nur noch Ruinen sind, war einmal
eine vitale christliche Gemeinde, ein Zentrum der Mission,
die zuerst Kleinasien und später Europa erreichte. Johannes
hat für Ephesus und sechs andere Gemeinden Botschaften
in Form von Sendschreiben. Sie bekommen Lob und Tadel.
Ephesus schneidet vergleichsweise gut ab. Die Gemeinde hat
einen falschen Lehrer ausgewiesen – sie ist orthodox, doch
ihr mangelt es an der ersten Liebe. Was für ein merkwürdiger
und eindrücklicher Tadel! Was geschieht mit der Gemeinde,
wenn der Glaube nur noch korrekt, ihre Hoffnung mechanisch
und ihre Liebe herzlos wird? Sie funktioniert noch, aber
läuft Gefahr, innerlich zu vertrocknen oder auszubrennen
und irgendwann abzusterben.
Was ist meiner Kirche? Sie funktioniert. Sie lebt. Aber liebt
sie mit der ersten Liebe? Hofft sie mit lebendiger Hoffnung?
Glaubt sie leidenschaftlich? Und hat sie Ohren, zu hören, was
der Geist ihr sagen will?

Von: Ralph Kunz

9. November

Gottes unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft
und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt,
wenn man es mit Vernunft wahrnimmt, an seinen
Werken ersehen. Römer 1,20

Es geht hier um den Glauben, und doch spielt dabei die
Vernunft offenbar eine wichtige Rolle. Mit Vernunft wahrnehmen,
geht das? Wahrnehmen mit Hilfe des Denkens?
Nur wenn wir Gottes Werke mit Vernunft wahrnehmen,
sehen wir darin sein unsichtbares Wesen. Gottes Wesen spiegelt
sich in der Schöpfung. Dies vergessen wir oft. Unsere
Welt ist Heimat unendlich vieler Lebewesen, doch wir nutzen
sie als unser Verbrauchsmaterial. Als Menschen haben
wir eine Verantwortung für die Welt, beziehungsweise die
Schöpfung, und sollten sie hegen und pflegen im Wissen,
dass jedes Leben, unabhängig von unseren Ansprüchen, sein
Lebensrecht hat.
Die Welt, in der wir leben, ist auch in unserem Inneren, und
wenn sie zerstört wird, leiden wir mit. Verdrängen wir das
Leiden der Welt und unsere Mitschuld daran, schaden wir
also auch uns selbst.
Was wir eigentlich wissen, müssen wir mit Hilfe der Vernunft
anerkennen. Erst dann erkennen wir in der Schöpfung
auch Gottes unsichtbares Wesen. Erst dann finden wir einen
sorgsameren Umgang, sind wacher für unsere Umwelt und
ziehen Konsequenzen aus unserem Umgang mit ihr.
So werden Umkehr und Neuanfang möglich.

Von: Monika Britt

8. November

Jesus sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir
nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht des Lebens haben. Johannes 8,12

Wir nähern uns der Jahreszeit, da die Tage immer kürzer
werden, und die Zeit, die wir im Finstern verbringen, wächst.
Klar, wir haben das elektrische Licht oder wir geniessen es
sogar, die früh eindunkelnden Abende mit Kerzen oder
Lichtschmuck zu verschönern, die uns die Dunkelheit etwas
vergessen lassen. Aber ersetzen diese künstlichen Lichtquellen
die Helligkeit eines Sommertages oder die Strahlkraft
der Sonne?
Diese Worte sprach Jesus anlässlich des Laubhüttenfests.
Es ist das letzte Fest im Jahr, das an die Wüstenwanderung
Israels und den Auszug aus Ägypten erinnert. Die Erzeugung
von Licht, das die Feuersäule symbolisiert, die dem jüdischen
Volk die Richtung zeigte, ist ein wichtiger Bestandteil des
Zeremoniells. Dazu wurden im Tempel grosse Leuchter aufgestellt,
die in ganz Jerusalem sichtbar waren.
Jesus will sagen: Das göttliche Licht ist mehr als das. Er identifiziert
sich mit diesem Licht, das die Dunkelheit vertreibt
und Orientierung im Leben gibt. Wer ihm folgt, «der wird
nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des
Lebens haben». Ich wünsche uns allen auch in dieser düsteren
Jahreszeit eine Lichtquelle, die Klarheit, Halt und Wärme
in unser Leben bringt.

Von: Esther Hürlimann