Autor: Hans Strub

11. September

Besser ist es, beim HERRN Zuflucht zu suchen,
als Menschen zu vertrauen.
Psalm 118,8

Ein grosses Danklied wird hier gesungen, wohl anlässlich
eines Festes für Jahwe, den Gott des Lebens, der Gnade,
der Rettung, des Lichts. Diesem Gott wird hier gesungen,
denn auf ihn ist Verlass. Bei ihm ist Sicherheit, Schutz, Trost,
Gerechtigkeit. Bei ihm ist Zuflucht in schwerer Zeit – viel
mehr, als man sie bei einem Menschen oder gar bei einem
Fürsten (Vers 9) finden könnte. Es stimmt für mich, dass ich
in belasteten Zeiten, vor schwierigen Gesprächen, bei einem
Unglück bete. Im Gebet finde ich ein Stück Ruhe. Zuflucht
zu Gott. Zugleich stelle ich aber fest, dass ich in solcher Zeit
auch die Nähe von Menschen suche. Vielleicht nicht zuerst
das Gespräch oder das gemeinsame Weinen, sondern die
Ruhe. Den Schutzraum des gemeinsamen Schweigens. Ist
das Ausdruck des Zweifels am Zufluchtsort Gott? Oder trägt
Gott in solchen Augenblicken das Gesicht und das einfühlsame
Herz des Menschen, an den ich mich anlehne? Das
kann kein Entweder-oder sein, vielmehr ein Sowohl-als-auch.
Ich darf mich gerne an andere Menschen wenden oder für
sie da sein in der Not. Denn ich weiss, dass Gott gewissermassen
dahinter oder daneben steht – und mitträgt. Als Gott
des Lebens für das Leben!
Danke, Gott, dass du zu jeder Zeit offene Arme hast für alle,
die dich brauchen.

Von: Hans Strub

10. September

Gott hat mich wachsen lassen in dem Lande
meines Elends.
1. Mose 41,52

Josef hat mit Asenat in Ägypten einen zweiten Sohn gezeugt.
Er gibt ihm den Namen Efraim, was so viel heisst wie «Gott
hat mich fruchtbar gemacht». Der seinerzeit ausgesetzte
Sohn und Bruder der israelitischen Grossfamilie von Jakob
macht beim Pharao eine kometenhafte Karriere und wird
zum Wesir über das ganze Land eingesetzt. Deshalb dankt er
seinem (israelitischen!) Gott, dem er trotz allem treu geblieben
ist und dem er im Auf und Ab seines Lebens weiter treu
bleiben wird. Die Josef-Legende führt diesen Satz aber gleich
anschliessend nochmals weiter aus: Josef hat in den sieben
Jahren mit reichen Ernten grosse Mengen Korn gespeichert.
Dann aber kommen die «mageren Jahre» und bringen
eine Hungersnot übers Land, ja über die ganze Region der
Levante. In Ägypten aber liegt Korn, und dafür kommen
Menschen von überall herbei – auch aus Israel und auch
die Grossfamilie Jakobs! Die Legende berichtet daraufhin
vom Zusammentreffen der Brüder, bei dem sie Josef nicht
erkennen. Gott hat, so macht die Legende deutlich, in jeder
Situation unerwartete Möglichkeiten, Leben zu ermöglichen
und Leben zu schenken. Und er kann angetanes und erlittenes
Unrecht vergeben. Die lange Josef-Geschichte zeigt
das in mehreren «Schlaufen». Sie nimmt uns Heutige beim
Lesen und Hören mit und verstärkt so die Gewissheit, dass
dieser Gott auch bei uns und jetzt wirkt.

Von: Hans Strub

4. August

Sei nicht schnell mit deinem Munde und lass
dein Herz nicht eilen, etwas zu reden vor Gott;
denn Gott ist im Himmel und du auf Erden;
darum lass deiner Worte wenig sein.
Prediger 5,1

Wir wissen nicht, wer genau der Verfasser des Kohelet, des
Predigerbuchs, ist. Hier tönen seine Worte so, als ob sie aus
einem Kurs für kirchliche Mitarbeitende stammen würden.
Sie sind aber etwa ums Jahr 200 vor Christus entstanden!
Was hier und im ganzen (kurzen) Abschnitt gesagt wird,
gilt heute genauso wie damals: Entscheidend ist nicht, was
getan oder was gesagt wird – entscheidend ist, dass zunächst
gehört wird (vorangehender Vers)! Tempeldienst – wir können
ihn hier und heute ruhig als Gottesdienst verstehen –
beginnt mit einer hörenden Haltung. Das bewirkt, dass
das eigene Wort, das dann gesagt wird, mit Zurückhaltung
gesagt wird. Es geht nicht um mich, es geht um Gott! Und
um meinen Respekt vor ihm/ihr. Diesen zeige ich durch
einen bedachten, achtsamen Umgang mit der Art, wie ich
rede. Es ist geradezu rührend, wie ausführlich der Prediger
hier ist, wie genau er seine Anweisungen gibt, wie direkt er
spricht und wie eindeutig er Hören, Denken, Reden und
Handeln (rituelles Tun) in eine Reihenfolge bringt; das Reden
folgt erst an dritter Stelle! Weil der Prediger jedoch kein
Kursleiter ist, gelten seine Mahnungen schlicht allen und
jederzeit.

Von: Hans Strub

3. August

Eure Liebe ist wie der Tau, der frühmorgens vergeht!
Hosea 6,4

Hosea ist der Prophet der harten und radikalen Sätze! Er
sieht es als seinen prophetischen Auftrag, dem Volk klipp
und klar zu sagen, wo es steht und wie es sich verhält. Er tut
das hier, indem er ein Bild umdreht, das vertraut ist und das
auch in Liebesgedichten in vielen Variationen verwendet
wird, zum Beispiel: Meine Liebe ist wie der Morgentau, der
sich sanft auf dich legt. Eben gerade nicht bei euch, sagt
Hosea, er löst sich auf, verdunstet, verschwindet. So ist es mit
eurer Liebe, mit eurer Treue (die Zürcher Bibel bleibt etwas
zurückhaltender): Sie hält nicht. Sie trägt nicht. Man kann
ihr nicht vertrauen. Man kann euch nicht trauen. Ihr macht
zwar den Anschein, als ob ihr Liebe und Treue hättet, aber
wenn man genauer hinschaut, ist da nichts. Leere. Also Lieblosigkeit,
Treulosigkeit. Das «richtige Gegenteil sind Wahrhaftigkeit
und glaubwürdiges Sein und Tun!» (Verse 5–6)
Darauf kommt es an, damals am Ende des Nordstaates Israel
wie heute. Hoseas heftige Worte stellen auch uns Fragen –
aber sie geben auch Hinweise auf Antworten. Nicht wie wir
uns geben, ist recht, sondern wie wir sind. Im Verhältnis zu
Gott und im Verhältnis zueinander. Nicht flüchtiger Tau,
sondern nährendes Wasser. Nicht frommer Schein, sondern
demütiges Sein. Hosea versteht sich als Prophet, der das
sagen muss, was nicht geht. Denen, die ihn hören, kommt
es zu, die richtigen Konsequenzen zu leben.

Von: Hans Strub

11. Juli

Es gibt nichts Besseres, als dass ein Mensch fröhlich sei
in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil.
Prediger 3,22

Gott schenkt Leben und alles, was dazugehört. Des Menschen
Teil ist es, all das zu nutzen, diese Gabe anzunehmen
und «das Beste daraus zu machen». Und sich daran und
darüber zu freuen, solange er kann. Das bedeutet dann auch,
meine tägliche Arbeit als etwas zu sehen, das mir gegeben
ist. Das mag zunächst eigenartig tönen, weil diese Arbeit
von vielen als etwas verstanden wird, das mir aufgegeben ist,
das ich also tun muss. In das ich alle meine Lebensenergie
stecken muss, um der Aufgabe entsprechen zu können. Ob
danach überhaupt noch Zeit und Kraft bleiben für das Lustvolle
im Leben, ist sehr offen. Wenn der Prediger hier vom
«Fröhlichsein in der Arbeit» spricht, tönt das zunächst überraschend.
Von seinen Grundbedeutungen her meint «fröhlich
» sowohl ausgelassen als auch weise oder verständig. So
bekommt die Formulierung eine andere Farbe: Der Mensch
soll Leben und Arbeit als Geschenk Gottes verstehen und
mit beiden deshalb weise und verständig umgehen. Das
«fröhliche» Arbeiten ist so die dankbare Annahme dieses
Geschenks. Eine Aussage, die meine Einstellung sowohl zum
Leben als auch zum Arbeiten verändern kann. Denn zum
Annehmen gehört das Gestalten, und dazu bin aufgerufen
und befähigt. Von Gott.

Von: Hans Strub

10. Juli

Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen
vor dem HERRN, der uns gemacht hat.
Psalm 95,6

Weder niederknien noch verbeugen gehört zu den bei Reformierten
gebräuchlichen Ritualen oder liturgischen Bewegungen.
Schon gar nicht niederwerfen. Dennoch kennen wir
Ehrfurcht vor dem Schöpfer ebenso wie Dankbarkeit fürs
Begleitet- und Bewahrtwerden. Persönlich bringe ich das im
Gebet zum Ausdruck. Ich verbeuge mich gewissermassen
innerlich – ohne dass es jemand sieht. Gibt es konkrete Hindernisse,
die mich am äusseren Ausdruck hindern, oder ist es
schlicht meine Gewohnheit, weil ich es nicht anders gelernt
und eingeübt habe? Denn eigentlich möchte ich mich nie
und nirgends dafür schämen, dass ich Ehrfurcht und Dankbarkeit
empfinde. Im Gegenteil, diese unmittelbare Beziehung
zum Schöpfer ist mir wichtig. Ich bin mir täglich sehr
bewusst, wie stark mein Leben davon bestimmt ist. Wenn
ich nun den ganzen Psalm lese, nehme ich mir vor, das auch
zu zeigen. Zum Mindesten davon zu reden, im kleinen Kreis
oder allenfalls gar öffentlich. Die «angeborene» protestantische
Innengläubigkeit taugt wenig, um auch andere dafür
zu gewinnen, ihre eigene Geschöpflichkeit wahrzunehmen
und sie auszudrücken. Und um das uralte Gotteslob, dem
hier Sprache verliehen wird, in meiner Sprache von heute
weiterzusagen. So, wie es in Vers 1 heisst: Kommt, lasst uns
dem Herrn jubeln und jauchzen, dem Fels unserer Hilfe!

Von: Hans Strub

4. Juni

Der HERR ist gerecht in allen seinen Wegen
und gnädig in allen seinen Werken.
Psalm 145,17


Es ist ein Psalmvers, der Einspruch weckt: Wenn ich in die
Welt schaue und sehe, wie viel «schief» läuft und unzählige
Menschen leiden lässt – wie soll ich da glauben, dass Gott
gerecht ist? Es sind solche Zweifel, die genuin zum Glauben
gehören. Sie sind es aber auch, die deutlich machen, dass
der Gottesglaube nicht davon ausgehen darf, dass Gott einfach
alles richtet. Denn dieser Gott, zu dem wir beten, dem
wir nichts weniger zutrauen, als dass er den ewigen Frieden
aufrichten kann – dieser Gott hat Menschen geschaffen,
die frei sind. Die ihre Handlungen und ihre Planungen frei
gestalten können. Sie können sich dabei an dem ausrichten,
was Gott über alle Zeiten hinweg immer und unablässig
über Propheten und durch Jesus von Nazareth gezeigt und
gesagt hat. Aber diese Freiheit bedeutet eben, dass sie sich
auch an selbst entwickelten Prinzipien orientieren können.
Das verändert die Stossrichtung des Einspruchs: Nicht Gott
ist es, der eben auch ungerecht handelt und ungnädig ist,
sondern da, wo wir Widersprüche festzustellen meinen, sind
es Folgen der Anwendung von menschlichen Prinzipien. Ein
Gotteslob-Psalm wie der, aus dem der heutige Vers stammt,
ist eine Art Mahnmal, das zum Nachdenken bringen kann:
Wie sehr spielen in meiner Lebensausrichtung Gottesprinzipien
eine Rolle? Und inwieweit habe ich mich mit meinen
eigenen Prinzipien eingerichtet?

Von: Hans Strub

3. Juni

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter
und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel.

Sacharja 9,9


Über viele Jahrhunderte galt der Esel als königliches Reittier.
Deshalb reitet der neue Friedefürst auf diesem Tier in die
Stadt ein. Das Bild ist vertraut – tatsächlich übernimmt die
Palmsonntag-Geschichte diese Bildtradition: Jesus reitet auf
einem Esel in die Stadt ein. Wer Frieden bringt oder verkündet,
muss demütig sein, so wie ein Eselreiter demütig ist.
Und er muss den Waffen entsagen – Frieden schliessen aufgrund
militärischer Stärke wird hier ausgeschlossen! Denn
der folgende Vers lautet: «Und ich werde die Streitwagen
ausrotten in Efraim und die Pferde in Jerusalem. Und der
Kriegsbogen wird ausgerottet.» (Vers 10). So verheisst Gott
den Nationen
Frieden. Eine starke Ansage gerade an unsere
Welt! Frieden entsteht in der Geschichte und bis heute,
wenn ein Aggressor besiegt ist und wenn ihm langfristig die
Möglichkeit genommen wird, sich wieder aufzurüsten. Es ist
eine Herausforderung an unser Denken und Handeln, wenn
hier von einem Frieden ohne weitere Waffen geredet wird.
Man kann diese Sätze als fromm und naiv abtun. Man kann
sie aber als Massstab nehmen, um die Differenz zu bemessen,
die zwischen Weltrealität und Weltvision liegt. Und als
nötigen und auf lange Sicht hilfreichen «Stachel im Fleisch»
der heute politisch für den dauerhaften Frieden Verantwortlichen.
Gottes Vision ist gesetzt!

Von: Hans Strub

29. Mai

Mein ist das Silber, und mein ist das Gold, spricht der
HERR Zebaoth.
Haggai 2,8


«Und an dieser Stätte werde ich Frieden schenken!» So
schliesst der Prophet Haggai seine Rede ab, die er im Namen
Gottes zum Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem hält.
In erster Linie ist es an die für den Bau Verantwortlichen
gerichtet. Gott wird das neue Haus mit seinem Geist füllen,
mit allen Kostbarkeiten, mit Silber und Gold. Womit
auch immer der neue Tempel geschmückt und ausgestaltet
wird, alles wird dafür stehen, dass Gott von diesem Zentrum
aus sein Friedenswerk verbreiten wird. Anders gesagt:
Es wird Gott sein, der mit seinem Geist den Frieden bringt,
aber er braucht Menschen dazu, die die konkrete Arbeit zu
übernehmen bereit sind. Er ermutigt sie, mit Engagement
zu bauen und so ihren Teil beizutragen. Frieden wird nicht
vom Himmel fallen, sondern muss mit der Hände Arbeit in
dieser Welt errichtet werden. Dazu braucht es alle Kräfte
und auch alle Ressourcen (dafür stehen hier «Silber und
Gold»). Indem Haggai hier direkt Serubbabel und Jehoschua
anspricht, spricht er alle an – und über die Zeiten hinweg
auch uns hier und heute: Frieden kann entstehen, wenn alle
an ihrem Ort ihre Kräfte dafür einsetzen. Gott beschützt
diese Arbeit und verheisst, dass er sie zum Ziel führt. Wir
wissen, wie mühsam und kräftezehrend das stets ist. Aber
die Verheissung ist gesetzt und gilt: Gott wird Frieden
ermöglichen und schaffen! Durch seinen Geist.

Von: Hans Strub

11. Mai

So spricht der HERR: Wie wenn man noch Saft in der
Traube findet und spricht: Verdirb es nicht, denn es ist
ein Segen darin!, so will ich um meiner Knechte willen
tun, dass ich nicht alles verderbe.
Jesaja 65,8


Hinter diesen Sätzen des Propheten steht eine heftige Auseinandersetzung
unter den Israeliten, zwischen denen, die
Gott vertrauen, und denen, die sich anderen Gottheiten
zugewandt haben (Glück und Schicksal, Vers 11). Das erregt
den Zorn Gottes, aber – und das ist der verheissungsvolle
Teil des Verses 8 – er wird deswegen nicht Verderben bringen
über alle! Er wird jene Teile des Volkes verschonen, die
auf ihn vertrauen. Das schöne Bild vom «Restsaft» in den
Trauben spricht hier für sich! Mit dem Wort «alles» wird
aber eine andere Realität angesprochen – und das ist der
unheilvolle Teil des Verses: Einige werden ausgestossen werden,
weil sie den Kontakt zum lebendigen Gott abgebrochen
haben. Es sind jedoch nicht fremde Feinde, von denen an
vielen Stellen in der Bibel die Rede ist – es sind Leute aus
den eigenen Reihen, die abtrünnig geworden sind. Denen
Gott vielleicht als zu unsichere Instanz vorgekommen ist.
Oder denen erhoffte Veränderungen zu langsam vorangegangen
sind. Oder die bessere Möglichkeiten gesehen haben,
Probleme mit eigenen Mitteln zu lösen, als Gott darum zu
bitten. Wenn ich mein eigenes Verhalten kritisch betrachte:
Wo stehe ich eigentlich? Oder: Stehe ich wirklich jederzeit
auf der Seite «seiner Knechte»?

Von: Hans Strub