Autor: Annegret Brauch

26. Februar

Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid und wie überwältigend gross die Kraft ist, die sich als Wirkung seiner Macht und Stärke an uns, den Glaubenden, zeigt. Epheser 1,18.19

Ganz langsam lese ich den Text und dann noch einmal, buchstabiere die einzelnen Satzglieder nach und lasse sie auf mich wirken: «leuchtende Augen des Herzens», «zur Hoffnung berufen», «mit grosser Kraft begabt», «getragen von Gottes machtvoller Stärke».
Vor meinem inneren Auge entsteht ein leuchtend buntes Bild voll sprühender Energie und Kraft: glühendes Rot und zartes Pink, leuchtendes Orange und sattes Gelb, sanftes Grün und tiefes Blauviolett. Es erinnert mich an Bilder der libanesisch-US-amerikanischen Künstlerin Etel Adnan. Eines ihrer Bilder heisst «Aufleuchten». Es spiegelt ihre «Liebe zur Welt», die ihr Antrieb zum Malen und für ihr lebenslanges Engagement für Frieden und Versöhnung war.
In diesen Tagen fällt es nicht leicht, an der Hoffnung festzuhalten, die überwältigende Kraft Gottes an uns, den Glaubenden, wirksam zu sehen. Und doch vertraue ich auf den Segen, der mir und allen in jedem Gottesdienst neu zugesprochen wird: «Der HERR segne dich und behüte dich; die EWIGE lasse ihr Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der EWIGE hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.» (4. Mose 6,24 ff.)

Von: Annegret Brauch

25. Februar

Diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du
zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern
einschärfen und davon reden.
5. Mose 6,6–7

Heute, am Sonntag Reminiscere, dem zweiten Sonntag der Passionszeit, sind uns Verse aufgeschlagen, die zum Kernstück des jüdischen Glaubens gehören. Das «Schma Jisrael» (hebräisch für «Höre, Israel», 5. Mose 6,4–9) ist das Zentrum des täglichen Gebets:
«Höre Israel, der EWIGE ist unser G*tt, der EWIGE ist einzig. Du sollst den Ewigen, deinen G*tt, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und deiner ganzen Kraft. Diese Worte, die ich dir heute befehle, seien in deinem Herzen, schärfe sie deinen Kindern ein und sprich davon, wenn du in deinem Haus sitzest, und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst, und wenn du aufstehst. Binde sie zum Zeichen an deine Hand, sie seien zum Stirnschmuck zwischen deinen Augen. Schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und deiner Tore.»
Mich berühren diese Worte, die existentielle Tiefe der Gottesbeziehung, die darin zum Ausdruck kommt: Sie durchdringt und erfüllt das ganze Leben – auch über den Tod hinaus. – Durch wie viele Schrecken, Angst und Not haben diese Worte jüdische Glaubensgeschwister getragen? – und tragen weiter …
«Reminiscere – Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.» (Psalm 25,6)

Von: Annegret Brauch

26. Dezember

Jetzt ist sichtbar geworden im Erscheinen unseres Retters, Christus Jesus: Er hat den Tod besiegt und hat aufleuchten lassen Leben und Unsterblichkeit, durch das Evangelium. 2. Timotheus 1,10

Viele Ankündigungen in den Evangelien beginnen mit dem kleinen Wort «siehe!». «Siehe, du wirst schwanger werden…», verkündet der Engel Maria (Lukas 1,31). «Siehe, ich verkündige euch grosse Freude…», ruft der Engel den Hirten zu. «Siehe» ist eine Aufforderung, genau und aufmerksam (hin-)zusehen, mit allen Sinnen, mit dem Herzen. Denn nur so ist zu sehen, was sichtbar geworden ist «im Erscheinen unseres Retters, Christus Jesus».
Wenige Verse vorher schreibt Paulus an Timotheus, was es braucht für dieses aufmerkende Sehen: «…nicht den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit» (Vers 7). In dieser Welt zu sehen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, zu sehen, wie das Leben aufleuchtet, ist eine tägliche Übung, eine Art geistliches Krafttraining. Ich trainiere meist mit der Tageslosung und der Zeitung. Ich suche Nachrichten und Berichte, in denen «Leben aufleuchtet». Meistens werde ich fündig. Neulich in einem Bericht über «mobile Beratungsteams» in Brandenburg. Die sind so etwas wie Handlungsreisende in Sachen Demokratie. Sie vermitteln und schlichten in Konflikten, sie öffnen Gesprächsräume und vielleicht neue Perspektiven. Warum mache ich das? Ich will mit den Hirten die Geschichte sehen,
die da geschehen ist – und weiter geschieht.

von: Annegret Brauch

25. Dezember

Herr, ich leide Not, tritt für mich ein! Jesaja 38,14

Es ist Hiskia, der hier um Hilfe ruft. Hiskia, von dem berichtet wird, dass er neunundzwanzig Jahre zu Jerusalem regierte, «und er tat, was dem Herrn, der Ewigen, wohlgefiel…» (vgl. 2. Chronik 29,2).

Aber nun ist Hiskia todkrank. Verzweifelt. Voll Angst. Er will nicht sterben. Er ruft, er bettelt, er schreit um Hilfe: «Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!» – und das Wunder geschieht: Hiskia wird wieder gesund, fünfzehn weitere Jahre sind ihm geschenkt.

Wie viele Menschen haben seither wie Hiskia um Hilfe gefleht – und tun es bis heute? Nicht allen ist widerfahren, worum sie baten. Das ist schmerzlich und bitter und manchmal kaum auszuhalten…
Und dennoch, mitten in Sorge und Zerrissenheit erklingt die Botschaft des Engels: «Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren…»

Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien «die frohe Botschaft» verkünden: «Uns ist ein Kind geboren.» (Hannah Arendt)

von: Annegret Brauch

26. Oktober

Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr,
dass ich höre, wie Jünger hören.
Jesaja 50,4

Vermutlich ist Ihnen bei diesem Vers auch das bekannte
Morgenlied von Jochen Klepper in den Sinn gekommen.
Er schrieb es 1938. Die Sorge und Angst um das Leben
seiner durch die rassistische Gesetzgebung in Deutschland
bedrohten Familie ist darin «umhüllt» vom tiefen Vertrauen
auf Gottes Zuwendung und Fürsorge. Jede Strophe zeugt
von dieser innigen Zugehörigkeit, die Herz und Sinne, ja das
ganze Leben – und auch den Tod umfasst.
Wem Gott das Ohr weckt, der oder die hört mit Herz und
Sinn. Salomo bittet um ein «hörendes Herz», um zu verstehen,
was gut und böse ist (1. Könige 3,9). Jesus preist
diejenigen selig, die «Gottes Wort hören und bewahren»
(Lukas 11,28), und Jakobus ermahnt: «Seid aber Täter des
Wortes und nicht Hörer allein …» (Jakobus 1,22). Gottes
Wort hören, verstehen und tun gehört nach biblischem Verständnis
zusammen.
Hörend und zugehörig leben vor und mit diesem Gott, der
mich Morgen für Morgen weckt, dass ich mit seinem Wort
den neuen Tag beginne …
Gott will mich früh umhüllen mit seinem Wort und Licht,
verheissen und erfüllen, damit mir nichts gebricht; will vollen
Lohn mir zahlen, fragt nicht, ob ich versag. Sein Wort will
helle strahlen, wie dunkel auch der Tag. (EG 452,5)

Von: Annegret Brauch

25. Oktober

Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den
eine Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte,
bis es ganz durchsäuert war.
Matthäus 13,33

Eine Szene aus dem Alltag: Eine Frau backt Brot; sie nimmt
den Sauerteig und mischt ihn unter drei Scheffel Mehl. Das
ist eine ganze Menge und ist sicher auch für Nachbarn und
Freunde gedacht. Bis der ganze Teig durchsäuert ist, dauert
es. Der Gärungsprozess braucht Zeit und auch die Geduld
der Frau, die eben noch so tatkräftig zupackte.
Interessant ist, dass das Wort, das hier mit untermengen
wiedergegeben
ist, eigentlich verstecken / verbergen bedeutet.
Ich verstehe das so: Das Reich Gottes oder, wie Matthäus
sagt, das Himmelreich ist verborgen im Alltäglichen, in der
Welt, unter uns. Es braucht unsere Aufmerksamkeit und
Geduld, kräftiges Zupacken und Geschehenlassen – wie
beim Sauerteig …
Eigentlich ist es ganz einfach: Jede und jeder weiss, was passiert,
wenn Sauerteig unter Mehl gemengt wird. Und doch
gibt es die, die mit sehenden Augen nicht sehen und mit
hörenden Ohren nicht hören und nicht verstehen (Vers 13).
Wie aufmerksam bin ich heute für Gottes Reich? Welche
Anzeichen werde ich entdecken – oder doch übersehen?
Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme …

Von: Annegret Brauch

26. August

Gutes zu tun und mit anderen zu teilen vergesst nicht;
denn solche Opfer gefallen Gott.
Hebräer 13,16

Vor einem Jahr begann die 11. Vollversammlung des Ökumenischen
Rates der Kirchen. «A Call to Act Together» ist
die Botschaft überschrieben, die von Karlsruhe aus in die
Welt ging. Prof. Dr. Ioan Sauca, damals amtierender Generalsekretär,
hat sie hier vor wenigen Tagen mit eindringlichen
Worten erneut vor Augen gestellt: Es genügt nicht, als
Kirchen und Christenmenschen (nur) zusammenzubleiben,
gemeinsam zu beten und miteinander unterwegs zu sein:
Now it’s time to act together! «Gutes zu tun und mit anderen
zu teilen vergesst nicht» ermahnt und ermutigt der Schluss
des Hebräerbriefes. Darin konkretisiert sich der Dreiklang
Glaube – Hoffnung – Liebe, der in den vorangehenden Kapiteln
entfaltet wird. «Denn wir haben hier keine bleibende
Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.» (Vers 14). Es ist
ein Pilgerweg der Gerechtigkeit, der Versöhnung und der
Einheit, auf den der Hebräerbrief uns sendet.
Wir bitten Gott, uns bei der Umwandlung unserer Bekenntnisse
und Verpflichtungen in Taten zu unterstützen. Wir verpflichten
uns, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten
… Denn in Christus wird alles neu werden. Seine
Liebe, die allen Menschen gilt, auch den schwächsten, den
geringsten und den verloren gegangenen, und die für alle
Menschen offen ist, drängt uns (2. Korinther 5,14) und stärkt
uns auf diesem Weg. (aus der Botschaft der 11. VV des ÖRK)

Von: Annegret Brauch

25. August

Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte
meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht
ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott.

Jesaja 49,4

Bei dem Vers denke ich an die Friedensfrauen von «Unterwegs
für das Leben». Ihren Mut, ihre Beharrlichkeit, ihre
Kreativität, ihren Eigen-Sinn bewundere ich ebenso wie ihre
in einem tiefen Gottvertrauen gründende Zuversicht. Seit
40 Jahren engagieren sie sich mit jährlichen «Bittgängen für
das Leben» für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der
Schöpfung. Durch Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern
der Regierung, der Waffen- und Atomindustrie, bei
Initiativen, die sich in der Arbeit mit Flüchtlingen und sozial
Benachteiligten engagieren, haben sie vieles angestossen und
auf den Weg gebracht. Sie haben Samen der Versöhnung und
der Hoffnung in die Herzen vieler Menschen gelegt.
Und jetzt? Einige sind inzwischen in ihren 80ern und fragen
mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre: Haben
wir vergeblich gearbeitet, unsere Kraft umsonst und unnütz
verzehrt? Die Frage ist mir – wie vielleicht Ihnen auch? –
nicht fremd. Aber die Spannung zum «doch», von dem
Jesaja so getrost und vertrauensvoll spricht, ist mir manchmal
zu gross. Dann überbrücke ich sie mit dem Leitspruch
der «Unterwegsfrauen»: «Gott hat uns nicht gegeben den
Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
» (2. Timotheus 1,7)

Von: Annegret Brauch

1. Juli

HERR, dir habe ich meine Sache befohlen. Jeremia 11,20

Jeremia ist ein unbequemer Zeitgenosse. Er mischt sich lautstark
in die Macht- und Religionspolitik des Reiches ein,
verneint die militärische Option als Weg zu Frieden und
Gerechtigkeit; er stört die öffentliche Ordnung. Kein Wunder,
dass er zum Schweigen gebracht werden soll; einflussreiche
Leute seiner Heimatstadt trachten ihm nach dem Leben.
Im Zentrum seiner Klage darüber (Verse 18–23) steht der
Vers: «Aber du, HERR Zebaoth, du gerechter Richter, der
du Nieren und Herz prüfst, lass mich deine Rache an ihnen
sehen; denn dir habe ich meine Sache befohlen.»

Nieren und Herz sind in biblischer Vorstellung der Sitz von
Fühlen und Denken der Menschen. Bei «Herz und Nieren»
geht es ans «Eingemachte» (vgl. z. B. auch Psalm 26,2). Der
ganze Mensch bis ins geheimste Innerste wird «durchleuchtet
» von Gottes prüfendem Blick. Es ist Gottes Sache, Rache
zu üben, wie immer diese dann aussehen wird. Von Jeremia
ist diese Unterscheidung zu lernen: «Dir, Gott, habe ich
meine Sache befohlen.»

Ich lerne, diesen Satz nachzusprechen – manchmal mit dem
Mut der Verzweiflung, manchmal getröstet … – er stärkt
mein Gottvertrauen.
Wie fühlt es sich für Sie an, diesen Satz nachzusprechen?

Von: Annegret Brauch

26. Juni

Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte
ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken
und Stab trösten mich.
Psalm 23,4

Es sind vertraute Worte; viele von Ihnen werden den 23. Psalm kennen, viele auch auswendig – by heart, wie man
im Englischen sagt. Seine Worte sind wie eingeschrieben in
unsere Herzen. Sie kommen mir in den Sinn, wenn es traurig
und eng um mich wird, wenn Verzagtheit und Furcht
mich bedrängen, wenn Dunkelheit die Hoffnung bedeckt:
am Grab eines geliebten Menschen, am Abend nach einem
Tag voller Schreckensmeldungen, wenn ich mich nach Trost
und Zuversicht sehne.
Vielleicht ist es eine Art Selbstermächtigung, die sich gegen
die düstere Realität stemmt. Aber ihre Kraft kommt nicht aus
mir selbst, sondern aus dem Vertrauen, das in der EWIGEN
verankert ist und mich trägt: Denn DU bist bei mir; die Erfahrung
DEINER Nähe tröstet mich.
Ja, es gibt Feinde, die mir übelwollen; ja, es gibt Dunkelheit,
Angst und Sorge in diesen ungesicherten Zeiten, die uns
umtreiben … – und doch: «Der HERR ist mein Hirte, mir
wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine
Seele, er führet mich auf rechter Strasse …»
Welch ein Trost und Segen, solche Worte im Herzen zu
tragen!

Von: Annegret Brauch