Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit grosser Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Jesaja 54,7
Wir befinden uns am Ende eines Jahres. Die Bezeichnung «Silvester» geht zwar auf den Namen eines Papstes zurück, doch der kalendarisch letzte Tag im Jahr hat keinen Bezug zur Bibel. Dennoch erleben viele Menschen den Jahreswechsel als einen Moment von besonderer Sinnhaftigkeit, ja Spiritualität. Das vergangene Jahr wird auf seine Höhe- und Tiefpunkte nochmals aufgerollt, für das neue Jahr formulieren wir Vorsätze, die wir mit Horoskopen oder anderen Prognosen in Einklang bringen. In all diesem Tun spiegelt sich der Wunsch, unser eigenes Leben in diesem Moment des Übergangs in einem grösseren Ganzen geborgen zu wissen.
Wie passend ist dazu der heutige Losungstext. Selbst in unserer säkularen Welt, die eher auf das menschliche Handeln baut als auf Gottvertrauen, klingt dieses «mit grosser Barmherzigkeit will ich dich sammeln» wie Musik für unsere Ohren. Wenn wir heute um Mitternacht in Gesellschaft oder einfach nur für uns allein den Glockenschlag hören, werden wir diesen kurzen Augenblick des Verlassenseins fühlen, der uns bewusst macht, dass wir in den grossen Übergängen des Lebens allein sind. Um uns sogleich mit Korkenknallen, Feuerwerksgewitter und Glockengeläut wachzurütteln: Wir sind umfangen von Gemeinschaft und einer universellen Kraft. In diesem Sinn wünsche ich uns allen heute Abend einen Augenblick des Loslassens im Vertrauen auf eine grosse Barmherzigkeit, die uns für einen Neubeginn sammelt und begleitet.
Von: Esther Hürlimann