Autor: Heiner Schubert

1. Januar

Hüte dich und bleibe still; fürchte dich nicht
und dein Herz sei unverzagt.
Jesaja 7,4

Das ist leichter gesagt als getan, wenn wie in diesem Fall eine Armee vor den Toren der Stadt steht und sie einzunehmen droht. Aber Jesaja macht Achas, dem König von Jerusalem, Mut: «Das sind nur rauchende Holzscheite; die können dir nichts anhaben!» Mit seinem Büblein an der Hand trifft er den König beim Teich, der die Stadt mit Wasser versorgt. Gott hat Jesaja aufgefordert, den Bub zum Treffen mit dem König mitzunehmen. Das Kind an der Hand verstärkt die Botschaft, dass die Stadt eine Zukunft hat. Auch der Ort des Treffens ist gut gewählt. Wasser ist das alte Symbol für das Leben. Vieles spricht in dieser Situation gegen die Hoffnung und für die Angst und darum lässt Gott nicht nur Jesaja sprechen, sondern unterstützt das, was er sagt, mit starken Bildern.
Vieles spricht auch heute gegen die Hoffnung und für das Verzagen. Dem Verzagen stehen nicht nur Gottes Zusagen aus der Bibel entgegen, sondern auch die konkreten Taten vieler, die von Hoffnung getragen sind. Wir sehen sie überall, wo Menschen sich dafür einsetzen, dass die Welt eine Zukunft hat. So lädt uns Jesaja ein zum Trotz. Seine Worte werden zu Vorsätzen, die uns das neue Jahr weit machen. «Trotz» kommt von «trutzig», wehrhaft. Unsere Welt braucht dringend die eigensinnige und robuste Hoffnung der Glaubenden.

Von: Heiner Schubert

30. Dezember

Josef sprach zur Frau des Potifar, die ihn verführen wollte: Wie könnte ich ein so grosses Unrecht begehen und gegen Gott sündigen? 1. Mose 39,9

Josef lehnt die unmissverständliche Einladung zum Seitensprung nicht ab, weil er weiss, was alle Seitenspringenden eigentlich wissen müssten, wenn sie ganz bei Trost wären: dass der kurze Lustgewinn in der Regel die Verwüstungen, die er anrichtet, nicht wert ist. Er lehnt auch nicht ab aus Rücksicht auf Potifar, obwohl er zuerst so argumentiert. Josef lehnt ab, weil er sich Gott verpflichtet weiss. Nie hören wir Josef klagen. Die langen Durststrecken, die er durchstehen musste, nahm er aus Gottes Hand. «Irgendwie hängt alles zusammen», muss er sich gesagt haben, «und ist Teil meiner Beziehung zum Ewigen.» Josef gibt dieser Beziehung mehr Gewicht. Das kränkt die Frau und erklärt ihre schändliche Reaktion.
Frau Potifar tut mir leid. Verheiratet mit einem obersten Beamten, einem Eunuchen, bleibt ihr eheliche Vertrautheit fremd. Sonst wird es ihr an nichts gefehlt haben. Als sie Josef begegnet, will sie sich etwas von dem, was ihr so schmerzlich fehlt, nehmen, auf unrechte Weise. Tragischerweise sucht sie an der falschen Stelle. Josefs Glück ist nicht im Bett zu finden. Potifar selbst muss von Anfang an klar gewesen sein, dass nicht Josef das Problem ist. Es besteht deshalb die Hoffnung, dass Herr und Frau Potifar aus dieser Krise lernen konnten und ihnen noch ein paar glücklichere Jahre vergönnt waren.

von: Heiner Schubert

30. Oktober

Das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein
und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit
für immer.
Jesaja 32,17

Gerecht ist die Welt aus biblischer Sicht dann, wenn die
Beziehungen in Ordnung sind. Die Beziehung der Menschen
zu Gott, ihre Beziehungen untereinander, aber auch
die Beziehungen zur Natur. Jesaja sieht eine heile Welt auf die
Menschheit zukommen, in der niemand mehr Angst haben
muss vor Unbesonnenen und Dummen. Sie schaffen nur
Unrecht, reden Unsinn und lassen die Waffen sprechen. 1987
sang Bruce Springsteen: «Wenn ich mich anschaue, sehe ich
nicht den Mann, der ich sein wollte. Irgendwo unterwegs
geriet ich aus der Bahn und seither bewege ich mich ständig
einen Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück.» Springsteen
ist, wie ich, Teil der unheilen Welt. Wer ist schon die,
die sie sein wollte? Es ist Gottes Energie, die die neue Welt
schafft, sagt Jesaja. Jesus nennt die neue Welt «Himmelreich
» oder «Reich Gottes». Sie erscheint, wo das, was Jesaja
ankündigt, für einen Augenblick Wirklichkeit wird. Leider
sind diese heilen Zustände flüchtig und wenn sie vorüber
sind, entsteht der Eindruck, zwei Schritte zurück gemacht
zu haben. Aber es gibt sie. Sie tauchen auf in der Kirche
und anderswo. Und wer einmal erlebt hat, dass Gott da ist,
dass Menschen heil werden und Frieden geschlossen werden
kann, glaubt mit Jesaja, dass eine bessere Welt möglich ist.
Schon heute.

Von: Heiner Schubert

30. Juli

Ich erzähle dir meine Wege, und du erhörst mich;
lehre mich deine Gebote.
Psalm 119,26

Vor einigen Jahren schrieb der damalige französische Premier
Dominique de Villepin in der Zeitung «Le Temps», dass
er nicht verstehe, weshalb die Welt nicht viel mehr nach
Frankreich blicke. Schliesslich hätte sein Land im Lauf der
Geschichte oft die besten politischen Lösungen gefunden.
Das fand ich lustig, denn nicht nur die Franzosen scheitern
daran, das auf allen Ebenen sich ständig ausbreitende Chaos
zurückzudrängen. Wir Menschen scheitern an der Organisation
der Welt.
Das ist nichts Neues. Psalm 119 sieht als einzigen Ausweg
die Hinwendung zu Gott. Das gilt auch für das Leben des
Einzelnen. Die Vertrautheit der Szene – ich sitze Gott zu
Füssen und erzähle, was gerade so läuft – rührt mich an.
Die Bitte, die folgt, verpflichtet. Ich will mich auf den Weg
machen und mich leiten lassen von dem, was ich gehört
habe. Die Übersetzung des geschriebenen oder gesprochenen
Wortes in eine Weisung, die von Gott kommt, besorgt
der Heilige Geist. Meine Aufgabe ist es, die Ohren zu spitzen
und mit wachem Sinn durchs Leben zu gehen, die Bibel zu
lesen, die Zeitung oder Bolderntexte. Es springt mich auch
mal eine Litfasssäule an oder ein Graffiti. Ordnet sich durch
das unverhoffte Angesprochensein etwas und Gelassenheit
stellt sich ein, ist der Geist am Werk.
Herr de Villepin verwirrte mich damals eher.

Von: Heiner Schubert

30. Mai

Ist denn die Hand des HERRN zu kurz? 4. Mose 11,23


Diese unechte Frage stellt Gott dem Mose, weil der sich beim
besten Willen nicht vorstellen kann, wie Gott es bewerkstelligen
will, ein ganzes Volk, das nach Fleisch schreit, zu
versorgen. Aber die Wachteln rauschen wie versprochen an;
so viele, dass es allen bald zum Hals heraushängt. Auch das
hatte Gott vorhergesehen. Eine seltsame Beziehung schildern
uns die Mosebücher zwischen Gott und den Geretteten.
Wie soll es auch anders sein? Erst kurz vor ihrer Flucht
hatte Gott sich dem Mose vorgestellt und gesagt: «Ich bin
der Ich-bin-da.» Jetzt müssen sie sich in einer Zeit grosser
Aufregungen kennenlernen. Das ist ein beliebtes Motiv in
vielen Filmen: Zwei Leute, die sich vorher nicht kannten, sie
Grundschullehrerin und er Buchhalter, müssen zum Beispiel
ein Flugzeug mit dreihundert Personen an Bord landen, weil
die Piloten infolge einer Fischvergiftung ausgefallen sind. Der
Film lebt von der aus begreiflichen Gründen angespannten
Beziehung der beiden. Am Schluss kriegen sie sich immer
und so ist es auch in der Wüste. Sie bleiben sich treu, Gott
und das Volk, auch wenn im Lauf der Geschichte die Beziehung
nie ganz einfach sein wird. Irgendwann, als gerade
die Römer Palästina besetzt halten, wird der Arm Gottes
ganz lang und er selbst wird Mensch und reicht uns in Jesus
Christus die Hand. Dass viele sie ausschlagen, zeigt, dass die
Beziehung damit nicht einfacher geworden ist.

Von: Heiner Schubert

30. März

Jesus nahm zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen:
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird
alles vollendet werden, was geschrieben ist durch
die Propheten von dem Menschensohn. Lukas 18,31

Lukas gestaltet sein Evangelium als langen Weg ins Unvermeidliche.
Zum dritten Mal kündet Jesus an, was ihm angetan
werden wird. Die Zwölf verstehen nichts; sie können es
nicht verstehen, sagt Lukas, und ich frage mich, ob sie es
überhaupt verstehen wollen. Jesus ist ja ziemlich klar mit
seinen Ansagen. Oh, wie ich das aus meinem eigenen Leben
kenne: lieber den Kopf in den Sand zu stecken, als mich der
bitteren Wahrheit zu stellen. Ohne all die zum Kopfreinstecken
einladenden Sandhaufen könnte ich gar nicht überleben.
Ich muss mich auf das konzentrieren, was mir zu tun
möglich ist, und bei vielem anderem das Wegsehen üben,
sonst möchte ich verzweifeln. Jesus hoffte, dass sie ihm endlich
einmal zuhören. Darum wiederholt er sich. Aber seine
Leute sind noch nicht bereit dazu. Als es zur Katastrophe
kommt, rennen die meisten weg und der Einzige, der wagt,
in der Nähe zu bleiben, sagt: «Ich kenne diesen Menschen
nicht.» Nur dank Gottes Kraft, die vom Himmel kommt, lernen
die Zwölf, und all die anderen Männer und Frauen mit
ihnen, das Hinschauen und Handeln. Das erzählt die Pfingstgeschichte.
Danach sind sie wie verwandelt und scheuen
weder Tod noch Teufel. Auch das ist eine Lebenserfahrung:
dass durch mein Zutun sich doch tatsächlich auch mal etwas
bewegt. Mit Gottes Hilfe.

Von: Heiner Schubert