Autor: Sigrun Welke-Holtmann

28. Dezember

Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst. Psalm 104,14

Die Jahresrückblicke sind längst im Fernsehen gelaufen. Die verschiedenen Kanäle haben schon Mitte Dezember kundgetan, an wen aus dem zu Ende gehenden Jahr besonders gedacht werden sollte. Wer Besonderes geleistet oder so richtig danebengelegen hat. Wer geboren oder gestorben ist – von den wirklich wichtigen Persönlichkeiten natürlich. Katastrophen und Heldentaten in Bild und Ton, mit Expertenstimmen und passender Hintergrundmusik.
Und jetzt? So zwischen den Jahren? Alle Luft raus nach den Feiertagen?
Vielleicht noch nicht ganz. Wenn Sie noch einen Atemzug haben, dann sollten Sie sich heute mit der Losung auf einen besonderen Rückblick begeben. Einen Schöpfungsrückblick. So würde ich Psalm 104 bezeichnen. Einen Rückblick auf all das, was Gott so wunderschön geschaffen hat:
«Herr, wie sind deine Werke so gross und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.» (Vers 24) Und der Blick wird gelenkt und aufmerksam gemacht auf das, was wunderschön ist. Auf Wolken, Wind und Donner, Wildesel, Klippdachs und Steinbock, Früchte, Gras, Brot und Wein. Und viele weitere Einzelheiten in bunten Farben mit Wörtern gemalt, damit sie zum Lob des Schöpfers gesungen werden. Heute, zum Ende des Jahres, und jeden weiteren Tag.

von: Sigrun Welke-Holtmann

27. Dezember

Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Matthäus 6,9

Es ist das Gebet, das ich mit meinen Kindern, als sie klein waren, jeden Abend vor dem Einschlafen gebetet habe. Als Abschluss eines Tages, als Zusammenfassung all dessen, was war und was kommen wird.
Es ist das Gebet, das ich im Hospiz mit Angehörigen am Totenbett bete – ein letztes Mal zusammen. Als Abschluss eines Lebens.
Es ist das Gebet, das ich mit der Gemeinde im Gottesdienst bete – an normalen Sonntagen – hohen Feiertagen – Hochzeiten und Taufen, als Zusammenfassung aller Freude und Dankbarkeit, an den Wende- und Schwellenzeiten des Lebens.
Es ist das Gebet, in das ich mich hineingeben kann. Mit all meinen Anfängen und Abschlüssen, mit meiner Freude und meiner Traurigkeit, mit meinen Ängsten und mit meiner Hoffnung.
Und manchmal erscheint es mir wie ein Mantel, der sich ganz sanft und weich um meine Schultern legt und mir Wärme und Geborgenheit gibt. Und manchmal erscheint mir dieses Gebet wie ein grosser Fluss, der durch die Zeiten fliesst und wo ich mit vielen anderen zusammen stehe. Und wir kennen uns und verstehen die Blicke des/der anderen. Und wir wissen, wir sind alle Geschwister – Kinder des einen Vaters im Himmel.

von: Sigrun Welke-Holtmann

28. November

Wenn dein Wort offenbar wird, so erleuchtet
es und macht klug die Unverständigen. Psalm 119,130

Auf dem Weg zum ersten Advent. So fühle ich mich heute beim Lesen der Losung. Und die alttestamentlichen Worte klingen in meinen christlichen Ohren. Ich weiss, dass ich sie in einen neuen Rahmen lege, und doch klingen sie dort wie eine Ankündigung dessen, der kommt. Wie ein Hinweis auf das Licht der Welt, erst klein und dann immer grösser werdend. Wie ein Hinweis auf das Wort Gottes, das Fleisch wird, menschlich, wie du und ich.

Ein langer Weg. Ein langer Psalm, der von der Herrlichkeit, dem Glanz des Wortes Gottes singt. In 176 Versen wird das Wort Gottes besungen, die Gesetze gelobt, die Gebote gepriesen und die Ordnungen von Gottes Gerechtigkeit als der Weg, der zu gehen ist, beschrieben: Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.

Am Ende des Weges sind wir noch lange nicht angelangt, denn heute ist erst Dienstag und nicht das Ende aller Tage. Noch gibt es Dunkelheit und Unverständnis. Manchmal
kommt es mir vor, als sei beides noch dichter als je zuvor. Noch warten wir und haben doch schon die Hoffnung des Lichtes vor Augen und eine leise Melodie in den Ohren: Wenn dein Wort offenbar wird, so erleuchtet es und macht klug die Unverständigen.

von: Sigrun Welke-Holtmann

27. November

Ihr habt Christus nicht so kennengelernt. Epheser 4,20

Wie? Wie habe ich Christus nicht kennengelernt? Das frage ich mich beim Lesen des Lehrtextes des Tages. Und – wie habe ich ihn überhaupt kennengelernt? Denn das ist ja die grundsätzlichere Frage. Wie kann ich jemanden kennenlernen, der schon ziemlich lange nicht mehr lebt? Also leiblich lebt. Ich habe ihn in Geschichten kennengelernt. In Erzählungen und Gleichnissen, in Worten, die allmählich zu Bildern geworden sind und die aus einem Unbekannten eine vertraute Gestalt gemacht haben, ohne dass ich diese je zu Gesicht bekommen hätte. Eine Lichtgestalt, die mein Leben verändert hat, in ein neues Licht getaucht und mich mit einer neuen Wärme energetisiert hat.
Hat dieses Kennenlernen einen neuen Menschen aus mir gemacht? Einen, um den Paulus im Epheserbrief so ringt? Bin ich wahrhaftig in der Liebe und wachse in allen Stücken zu Christus hin? Das weiss ich nicht. Aber was ich weiss, ist, dass diese Liebe
mich verändert hat und mir jeden Tag die Chance gibt, mich weiter zu verändern, zu wachsen. Manchmal im Wildwuchs und manchmal auch im Negativ-Wachstum. Manchmal nach innen und nach aussen, nach oben und nach unten. Manchmal gemeinsam mit anderen und auch wieder allein. Nicht immer in Gewissheit,
aber meist in der Hoffnung, dass diese Liebe, diese Kraft in und mit mir lebt.
So habe ich Christus kennengelernt.

von: Sigrun Welke-Holtmann

28. Oktober

Daran erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind,
und können vor ihm unser Herz überzeugen, dass,
wenn uns unser Herz verdammt, Gott grösser ist als
unser Herz und erkennt alle Dinge.
1. Johannes 3,19–20

Offenes Herz
Verschlossenes Herz
Unser Herz, so lieb und wichtig, so klein. Manchmal pocht
meins wie wild, als wolle es zerspringen, und manchmal
scheint es fast stillzustehen. Es gibt mir den Lebensrhythmus
vor, nach seinem eigenen Takt.
Verstocktes Herz
Weises Herz
Feiges Herz
Unser Herz, so klein es doch ist, knapp 300 Gramm, ein
Muskel
und so gross wie deine Faust, so sehr hat es dich doch
ganz in der Hand, ist unsere wichtigste Instanz, spricht den
Richterspruch: Verliebt. Schuldig. Verdammt.
Unbeschnittenes Herz
Verzagtes Herz
Bebendes Herz
Unser Herz, die Welt in unserer Mitte.
Trauriges Herz
Fröhliches Herz
Gehorsames Herz
Die Bibel kennt sie alle, die Zustände unseres Herzens, wie sie
uns bestimmen und leiten. Und noch eines hofft sie, weiss
sie: dass Gott grösser ist als unser Herz.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. Oktober

Der HERR ist meines Lebens Kraft;
vor wem sollte mir grauen?
Psalm 27,1

Und warum fühle ich mich dann oft so kraftlos? Was ist,
wenn ich müde und ängstlich, überfordert bin? Bin ich dann
von allen guten Geistern, auch vom Gott selbst verlassen?
Das wäre dann ja eine doppelte Strafe!
Oder verhält ist es sich mit der Lebenskraft eher wie in der
Erzählung von den Wachteln und dem Manna in der Wüste?
Gott gibt mir nicht die Kraft, ein Kraftprotz zu sein, mich
zu produzieren vor anderen, dass ich die anderen ängstige.
Vielmehr gibt sie mir in jeder Lebenslage genau so viel
Kraft, wie ich brauche, um die Herausforderung zu meistern,
zu bestehen, auch wenn mein Gegenüber mir Furcht
einflösst und das Grauen nach mir greift. Und manchmal
ist die Kraft gerade so gross, dass sie zum Überleben reicht.
Aber das ist eigentlich viel.
Ja, ich kann mich an verschiedene Situationen erinnern, in
denen es gerade so gereicht hat und ich eine Menge Kraft
brauchte. Und doch sind es diese Erlebnisse, die mir davon
erzählen, dass ich genügend Kraft bekam. Ich kann meinen
Blick heben, den Tatsachen ins Gesicht schauen, komme, was
da wolle. Allein das gibt schon Kraft, aufrecht zu stehen, mit
erhobenem Haupt anderen zu begegnen.
Gott, schenke mir die Kraft, auf dich zu vertrauen und
gleichzeitig sorgsam mit meinen Kräften umzugehen, sie
nicht zu verschwenden, sondern sie überlegt, gezielt, sinnvoll
einzusetzen.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

28. September

Wir sind Bürger im Himmel; woher wir auch erwarten
den Heiland, den Herrn Jesus Christus.
Philipper 3,20

Wo gehöre ich hin?
Das fragen sich vermutlich viele Menschen, die auf der
Flucht sind oder Fluchterfahrungen hinter sich haben. Ich
gehöre nicht mehr hierher, aber am neuen Ort will mich
irgendwie auch niemand.
Wo gehöre ich hin?
Das fragen sich vielleicht auch Menschen, die die doppelte
Staatsbürgerschaft haben. Ich gehöre hier und da hin – kann
man das in einem menschlichen Leben zusammenbekommen?
Wo gehöre ich hin?
Das frage ich mich manchmal auch. Wo ist eigentlich
meine Heimat? Ist es das, was auf meinem Pass steht?


Bürger zu sein, heisst im Kontext von Paulus: Bürgerrechte
zu haben, voll anerkanntes gesellschaftliches Mitglied mit
Rechten und Pflichten zu sein, Teil eines Sozialwesens zu sein.
Das hatten Sklaven zum Beispiel nicht. Nicht vor dem
römischen Staat. Aber in der christlichen Gemeinde – da ist
kein Unterschied zwischen Freien und Sklaven. An Christus
haben alle Anteil, genauso wie an Recht und Gerechtigkeit.
Himmelsbürgerschaft. Dafür gibt es zwar keinen Pass, aber
eine Hoffnung und einen Zuspruch:
Genau da gehörst du hin. Du gehörst dazu.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. September

In Gottes Hand sind die Tiefen der Erde, und
die Höhen der Berge sind auch sein.
Psalm 95,4

Es gibt so viele Gründe, Gott zu loben und ihm zu danken.
Das ruft mir heute der Beter/die Beterin des 95. Psalms zu,
ja fordert mich regelrecht auf, einzustimmen: Lasst uns mit
Dank vor ihn kommen und jauchzen! Und dann zählt er
die Extreme auf. Die Grösse Gottes – grösser als alle Götter,
König über sie. Herrscher über die höchsten Höhen und die
tiefsten Tiefen, Schöpfer des Meeres und des Trockenen –
und damit von allem.
Von einem Ende zum anderen Ende – Gott.
Von ganz oben bis ganz unten – Gott.
In einer Hand – Gott.
Ich merke, wie er mich anspricht, der Gott der Extreme,
gross und in schöpferischer Kraft. Und wie ich sie gerade
auch in den Extremen suche. In meinen eigenen Extremen.
Wie ich sie brauche, gerade da.
In den tiefsten Tiefen, den Abgründen, vor denen ich
stehe und manchmal schon mitten im freien Fall bin. Wenn
Dunkelheit
mich umgibt und meine Hand in der Leere die
seine sucht.
Oder auf den höchsten Höhen, auf denen mir langsam
schon die Luft dünn wird und mich ein Schwindel zu überwältigen
droht. Vor Glück und Erfüllung. Klatsch ab, damit
ich es knallen höre.
Es gibt so viele Gründe, Gott zu loben und ihm zu danken.
Auch zwischen den Extremen.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

28. August

Jesus spricht: Nehmt auf euch mein Joch und lernt von
mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Matthäus 11,29

Eigentlich habe ich immer gehadert mit diesem Joch, das so
zwingend und schwer auf einem liegt und das ich dennoch
fast freudig auf mich nehmen soll. Als Lernprojekt sozusagen.
Thema: Sanftmut und Demut üben.
Und ich konnte diesem Bild lange nichts abgewinnen.
Also lieber die Losung statt den Lehrtext dieses Tages nehmen?
Nein! Stattdessen den ungeliebten Text mitnehmen in
meinen Alltag – und ihn immer mal wieder anderen anbieten.
Was meinst du?
«Unter ein Joch passen immer zwei Ochsen und zu zweit
ist man weniger allein!» Und: «Unter einem Joch bist du nach
vorne ausgerichtet, du kannst dich gar nicht umdrehen, du
hast also eine Orientierung.» Die Antworten eines Freundes
faszinieren mich und erschliessen mir dieses Bild neu, geben
ihm eine neue Farbe. Ich muss schmunzeln, weil ich merke,
wie auf einmal meine Abwehr gegen das Joch schmilzt und
es zu einer wirklichen Alternative wird zu den Lasten, die ich
mit mir herumtrage, unter denen ich mich ganz allein und
auch orientierungslos fühle und es vielleicht auch bin. Mein
Joch, unter das ich mich oft sogar freiwillig begebe, das mir –
mühselig und beladen – eben keine Möglichkeit zur Ruhe für
meine Seele bietet. Sanftmut und Demut könnten vielleicht
doch noch ein Thema für mich sein.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. August

Der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen
Werken deiner Hände.
5. Mose 2,7

Eine grosse Rückschau steht am Anfang des 5. Buches Mose.
Mose selbst werden diese Worte in den Mund gelegt am
Scheidepunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen
Wüste und gelobtem Land. Und dann dieser Satz.
Nicht nur die grossen Taten sind Gottes Werk, nicht nur das
Wunder am Schilfmeer, Manna und Wachteln, die selbstgeschriebenen
Steintafeln, sein Segen liegt nicht nur auf Mose,
Aaron, Mirijam oder den grossen und einflussreichen Führerinnen
und Führern, er liegt in allen Werken deiner Hände.
Deiner Hände!
Und auch meiner.
Gott mitten unter uns, in uns wirksam, handfühlig.
Und der Satz ist noch nicht zu Ende, Mose legt noch nach:
«Er hat dein Wandern durch diese grosse Wüste auf sein
Herz genommen.» (5. Mose 2,7)
Am Scheidepunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft
und nach dem Durchqueren der Wüsten und Durststrecken
unserer Zeit – und wir haben wahrlich genug davon – brauchen
wir genau solchen Zuspruch, ist es wichtig, Vergangenheit
aus Gottes Sicht auf uns zu deuten und damit Zukunft
zu eröffnen.
Der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner
Hände. Er hat dein Wandern durch diese grosse Wüste
auf sein Herz genommen.

Von: Sigrun Welke-Holtmann