Autor: Maria Moser

17. April

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Psalm 103,1

Was ist eigentlich das Gegenteil von loben? Der Sinn einer Aufforderung erschliesst sich ja mitunter aus dem, was ich nicht tun soll, wenn ich das tue, was ich tun soll: Ich soll nicht dies oder jenes tun, sondern Gott loben.

Erste Möglichkeit: nicht jammern. Gott loben hiesse dann, auf das Gute und Positive zu schauen, statt schwarzzusehen. Diese Aufforderung ist sicher oft hilfreich. Aber nicht immer. Manchmal ist das Leben schwer, bin ich traurig oder verzweifelt. Dann darf ich klagen. Gerade die Psalmen nehmen Leid und Bedrängnis sehr ernst und schenken mir Worte, meine Klage vor Gott zu bringen.

Zweite Möglichkeit: nicht kritisieren. Auch das ist nicht bib-lisch. Ich denke etwa an jene Stelle im 4. Buch Mose, wo erzählt wird, wie Gottes Volk in der Wüste murrt und Mose genug hat und mit Gott zu rechten beginnt: «Hab ich denn all das Volk geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, in das Land, das du ihren Vätern zugeschwo-ren hast?» Loben statt kritisieren hiesse, alles als gegeben zu akzeptieren und hinzunehmen.

Dritte Möglichkeit: nichts sagen. Gemäss der Haltung: nichts gesagt ist genug gelobt. Eine Haltung, die alles selbstver-ständlich nimmt. Gott loben hiesse so gesehen, eben nicht alles selbstverständlich zu nehmen, sondern zu verstehen, dass wir nicht aus uns selbst heraus sind und alles, was wir sind und haben, verdankt ist.

Von: Maria Moser

29. Februar

Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine grosse Belohnung hat. Hebräer 10,35

«Wir sollen alle danach hungern und dürsten, in jenen Männern und Frauen, die meinen, ihre Liebe, ihre Hoffnung, ihr Glaube seien erkaltet, im Namen Gottes Glauben, Hoffnung und Liebe wieder zu entfachen.» Diesen Gedanken von Dom Hélder Câmara stellt das Losungsbüchlein der Losung und dem Lehrtext heute an die Seite. Der ehemalige brasilianische Erzbischof war ein profilierter Vertreter der Befreiungstheologie: Sprachrohr der Bewohner:innen von Rios Elendsvierteln, Kämpfer für die Kleinbauern und die Landreform, mutige Stimme gegen die Militärdiktatur.
Wenn Dom Hélder Câmara von den theologischen Tugenden spricht, dann spricht er in eine Welt der Lieblosigkeit hinein, eine Welt geprägt von Armut und Gewalt, wo Glaube, Liebe und Hoffnung leicht erkalten können. Und er weiss: Sind Glaube, Liebe und Hoffnung erkaltet, dann können wir sie nicht selbst wieder entfachen. Wir brauchen andere, die sie in uns wieder entfachen. Die uns einen Grund zum Hoffen, Lieben und Glauben schenken. Das Vertrauen, dass eine andere Welt möglich ist – eine Welt so, wie Gott sie meint und will. Diese Welt nach dem Willen Gottes, das ist die grosse Belohnung. Im Vertrauen auf Gott können wir sie erträumen. Gemeinsam. «Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn, der Beginn einer neuen Wirklichkeit.» Werfen wir unser Vertrauen nicht weg.

Von: Maria Moser

17. Februar

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Jakobus 5,7

Winterspaziergang. In tiefen Lagen bleibt der Schnee klimawandelbedingt aus. Eintönig braun breiten sich die Felder vor mir aus. Sehnsucht nach dem Grün des Frühlings und dem Gold des Sommers steigt in mir auf. Je mehr wir etwas erwarten, desto ungeduldiger und ungehaltener werden wir. Die Zeit dehnt sich, und wir können fast nicht glauben, dass das so sehnsüchtig Erwartete eintritt, denke ich mir beim Anblick der nackten Ackerscholle.
Jakobus stellt seinen Zeitgenoss:innen, die auf das Kommen des Herrn warten, einen Bauern als Beispiel vor Augen. Er vertraut darauf: Der Frühregen und der Spätregen werden kommen, und dann ist die Zeit der Ernte da.
Es ist mehr als Geduld, die uns das Warten abverlangt. Es braucht auch Vertrauen. Das Vertrauen, dass der Regen kommt – er kommt nicht immer. Das Vertrauen, dass die Saat aufgeht und die Erde kostbare Frucht hervorbringt –
manchmal bleibt die Ernte aus. Es gehört zur Grunderfahrung von Bauern und Bäuerinnen, dass sie sich auf den Feldern mühen, es aber nicht in der Hand haben, dass ihre Anstrengungen Frucht bringen. Es ist eine Grunderfahrung, die wir heute gerne verdrängen: Wir haben nicht alles in der Hand und unter Kontrolle. Glaube heisst, sich dieser Grunderfahrung zu stellen. Und zu vertrauen.

Von: Maria Moser

17. Dezember

Paulus schreibt: Bei der Treue Gottes, unser Wort an euch ist nicht Ja und Nein zugleich. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern das Ja war in ihm. 2. Korinther 1,18–19

Nicht Ja und Nein zugleich. Nicht Naja. Nicht Jein. Sondern: Ja. Was steckt in diesem Wörtchen Ja? Mehr als Entschiedenheit. Mehr als Optimismus. Mehr als positives Denken. Das Ja, von dem hier die Rede ist, meint unbedingte Annahme. Das Ja, das in Christus ist und uns in ihm begegnet, ist das Ja Gottes zum Menschen. Zu allen Menschen und zu jedem einzelnen Menschen.
Das Ja Gottes ist nicht an Bedingungen geknüpft, nicht an Fähigkeiten, nicht an Leistungen, nicht an Wohlverhalten. Es ist ein Ja zu uns Menschen in all unserer Zerrissenheit, Verletzlichkeit, Sündhaftigkeit. Das Ja Gottes müssen wir uns weder verdienen, noch können wir es uns verdienen. Es wird uns geschenkt. Zugesprochen.
Weil Gott Ja zu uns sagt, können wir Ja sagen: zu anderen, zu uns selber, zum Leben mit seinen schönen und seinen schweren Seiten, und Ja auch zu leidvollen Herausforderungen. In Gottes Ja angenommen und geborgen, leben wir aus Hoffnung heraus. Und Hoffnung heisst nicht, zu glauben, dass alles gut wird. Hoffnung heisst, die Zukunft nicht der Verzweiflung zu überlassen. Ja zu sagen zum Leben. Trotz allem. Wir können das, weil Gott Ja zu uns sagt. Hoffnung braucht ein Ja.

von: Maria Moser

17. Oktober

Der Engel des Herrn erschien dem Josef im Traum
und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine
Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort,
bis ich dir’s sage.
Matthäus 2,13

Es ging ums nackte Überleben. Hätte Josef Maria und das
Kind nicht zusammengepackt und wäre mit ihnen geflohen,
wäre auch Jesus unter den Opfern des Kindermords von
Herodes gewesen. Erst als dieser, der dem Kind nach dem
Leben getrachtet hatte, gestorben war, konnte die Familie
aus Ägypten zurückkehren in die Heimat.
Ägypten. Ausgerechnet. Ich stelle mir vor, was Josef und
Maria gedacht haben mögen auf der Flucht nach Ägypten.
In das Land, wo ihre Vorfahren als Sklaven gelebt hatten.
Ausgebeutet und umgebracht worden waren. Aus dem sie
geflohen waren, die Verfolger dicht auf den Fersen bis zum
Schilfmeer. Kein Ort, an dem ihre Landsleute gute Erfahrungen
gemacht hatten, dieses Ägypten. Nicht gerade ein
sicherer Hafen. Und doch machen sie sich auf den Weg. Die
Angst vor dem, was ihnen zu Hause blüht, muss grösser
gewesen sein als die Angst vor dem, was ihnen auf der Flucht
widerfahren könnte, denke ich mir.
Und ich denke an die Menschen, die die gefährliche Flucht
übers Mittelmeer auf sich nehmen. 27 000 Menschen sind
seit 2014 ums Leben gekommen, sagen Statistiken.
Die Zahl der Toten und Vermissten verdeutlicht, wie verzweifelt
die Menschen sind. Sie nehmen dieses Risiko auf
sich, weil es ums nackte Überleben geht.

Von: Maria Moser

17. August

Der Grösste unter euch soll euer Diener sein.
Matthäus 23,11

Ein Diener, das ist einer, der Arbeiten für Höhergestellte
leistet. Arbeiten, die geringgeschätzt werden. Meist handelt
es sich um Versorgungs- und Hausarbeit, geleistet von Versklavten
und/oder Frauen. Arbeiten, die kein freier, wohlhabender
Mann tun würde. In biblischen Zeiten beschreibt
das Wortfeld diakonein zunächst Unterwerfungsverhältnisse.
Zunächst. Denn viele Stellen im Neuen Testament
sprechen davon, dass Grenzziehungen zwischen Oben und
Unten überwunden werden: Die Letzten werden die Ersten
sein, Niedrige erhöht und der Grösste wird zum Diener. Der
Neutestamentler Gerd Theissen spricht von Statusverzicht,
der zusammen mit der Nächstenliebe zentral ist für das
urchristliche Ethos. Es zielt auf Gleichheit und soziale Beziehungen,
die auf Gegenseitigkeit beruhen: «Unterschichtswerte
» wie Nächstenliebe oder Demut werden aristokratisiert,
und «Oberschichtswerte» wie Wohltätigkeit, die in der
Antike Königen und Beamten vorbehalten waren, werden
demokratisiert. So erhält Dienen eine ganz neue Bedeutung.
Jesus selbst sagt: «Ich aber bin unter euch wie ein Diener.»
(Lukas 22,27)
Das wünsche ich mir für alle Mitarbeitenden der Diakonie,
für alle, die Kinder betreuen, Menschen im Alter pflegen,
Menschen mit Behinderungen begleiten: dass die Grösse
ihres Dienstes erkannt und anerkannt wird.

Von: Maria Moser

17. Juni

Gott, der HERR, der Mächtige, redet und ruft der Welt
zu vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang.

Psalm 50,1


Gott hat es nicht leicht mit uns Menschen, denke ich mir,
wenn ich die heutige Losung lese. Er redet und ruft. Beständig.
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Bis
zur Verzweiflung beharrlich erscheint mir Gottes Wille, mit
der Welt, mit uns in Beziehung zu treten. El, der Allmächtige,
Elohim, der allein Anbetungswürdige, JHWH, der Ich-binder-
ich-bin – er redet und ruft.
Nein, ich spiele nicht auf die gerne im Munde geführte Rede
von Glaubensverlust und Gottlosigkeit unserer Zeit an. Ich
spiele an auf eine Analyse des bekannten Soziologen Hartmut
Rosa. Uns mangle es an der Fähigkeit, uns anrufen zu
lassen, meint er. So leben wir in einem Aggressionsverhältnis
zur Welt, fragen: Was habe ich davon? Was kriege ich? Was
beherrsche ich, was beherrsche ich nicht?
Gott bleibt beharrlich. Redet und ruft. Ruft uns in die Beziehung
mit ihm. Verspricht: Am Grunde deiner Existenz liegt
nicht ein kaltes, schweigsames Universum – sondern eine
Antwortbeziehung. Der allmächtige Gott meint mich. Ruft
mich an. Eine Verbindung entsteht. Verwandelt mich. Öffnet
meinen Sinn dafür, mich anrufen und verändern zu lassen,
und befähigt mich, aus dem Aggressionsverhältnis heraus
und in ein Resonanzverhältnis mit der Welt zu treten.

Von: Maria Moser

17. April

Ihr seid nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern
Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
Epheser 2,19

F. kam 2016 in unsere Gemeinde. Weil er Christ geworden
ist, musste er fliehen aus seinem Heimatland, dem Iran. Ich
erinnere mich gut an seine Miene, als er zum ersten Mal im
Gottesdienst war. Sie war wie versteinert.
Erst mit der Zeit begann sich seine Starre zu lösen. Wichtig
war ein Gespräch. «Was heisst für dich Willkommenskultur?
», habe ich F. bei einer Veranstaltung gefragt. Er sei dankbar
für das Dach über dem Kopf und alles, was er bekomme,
hat F. gemeint. Aber was er sich eigentlich wünsche: «dass
mich die Menschen in Österreich verstehen. Ich wäre lieber
zu Hause. Aber ich musste weg. Es war zu gefährlich. Ich
vermisse meine Familie, meine Freunde.»
Heute kommt F. mit einem lebendigen Lächeln in die Kirche.
Er ist nicht mehr Fremdling, sondern Hausgenosse.
Gemeinsam mit S., ebenfalls Flüchtling aus dem Iran, engagiert
sich F. in der Gemeinde. S. wurde auch in die Gemeindevertretung
gewählt. «Ich will, dass wir eine starke Gemeinde
sind, damit wir in der Gemeinde allen helfen können, die
Hilfe brauchen. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie das ist,
wenn man Hilfe braucht», sagt S. über seine Motivation,
Gemeindevertreter zu werden. S. und F. sind nicht mehr
Gäste, sondern Mitbürger der Heiligen.

Von: Maria Moser

17. Februar

HERR, wie sind deine Werke so gross und viel!
Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll
deiner Güter.
Psalm 104,24

Es sind die grossen Themen, die sich nahelegen, wenn wir
diesen Vers aus Psalm 104, dem grossen Lob des Schöpfers,
lesen: die überwältigende Schönheit der Schöpfung, die uns
in die Verantwortung für ihre Bewahrung ruft; die Fülle der
Güter, die uns sagt, es ist genug für alle da, und fragen lässt,
wie wir die Güter gerecht verteilen können.
Ich will meinen Blick heute auf einen anderen Aspekt
richten, der mitunter überlesen wird: Gott hat alles weise
geordnet. Schöpfung heisst Ordnung schaffen. Das ist der
allererste Gedanke der Bibel, so beginnt der Schöpfungsbericht:
«Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die
Erde war wüst und leer.» (1 Mose 1,1–2a) Am Anfang war
Tohuwabohu. tohu = hebräisch Ödnis, Leere; bohu = hebräisch
ungeordnet sein. Am Anfang war Chaos. Ein heilloses
Durcheinander. Gott beginnt, alles weise zu ordnen: Tag und
Nacht, oben und unten, Himmel, Erde und Wasser. So entsteht
Schritt für Schritt, Tag für Tag aus Leere und Chaos ein
Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen.
Wir sprechen oft vom «schöpferischen Chaos» oder verbinden
Schöpfung mit «etwas ganz Neues machen». Doch
biblisch heisst Schöpfung: Raum, Rhythmus, Beziehungen
ordnen. Gott schafft Ordnung. Wie eine weise Hausfrau.

Von: Maria Moser

Maria Moser

Pfarrerin Dfr.in Maria Katharina Moser ist seit September 2018 Direktorin der Diakonie Österreich. Davor war sie Pfarrerin in Wien-Simmering und wissenschaftliche Referentin am Institut für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie. Sie blickt auf langjährige Berufserfahrung im Religionsjournalismus als Redakteurin beim ORF sowie in universitärer Forschung und Lehre und Erwachsenenbildung zurück. Dr.in Moser studierte Theologie in Wien und Interkulturelle Frauenforschung in Manila

direktorin@diakonie.at