Monat: Oktober 2022

21. Oktober

Der HERR hat mich gesandt, zu schaffen den Trauernden zu Zion, dass ihnen Schmuck statt Asche, Freudenöl statt Trauer, schöne Kleider statt eines betrübten Geistes gegeben werden. Jesaja 61,1.3

So aktuell sind biblische Texte – die Zürcher Bibel übersetzt:
«Der HERR hat mich gesalbt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen.» (Jesaja 61,1) Für sie soll Schönes bereitgestellt werden (Vers 3). Diejenigen Menschen, die unter der Pandemie leiden, diejenigen, denen der Weizen fehlt wegen des Krieges in der Ukraine, diejenigen, die kein sauberes Trinkwasser haben, weil die Böden wegen des Klimawandels ausgetrocknet sind, sie sind in meinen Augen heute gemeint. Sie sollen einen neuen Kopfschmuck statt Asche erhalten. Ihnen gilt der ewige Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat (Jesaja 61,8). Der Prophet hat sich an die Trauernden gewandt, und ich erlaube mir zu sagen, dass sich der Text heute an die «Elenden» wendet. Er lädt ein zu einem Blickwechsel hin zu den Menschen, deren Leben unsicher ist, zu den Menschen, die für ihr Leben kämpfen müssen. Ihr Schmuck soll nichts anderes sein als ein Leben in Würde. Die frohe Botschaft lädt ein, die Vulnerabilität der Menschen in Kriegsgebieten und im globalen Süden wahrzunehmen und für sie und ihr Leben einzustehen.

Schenke du immer neu deine frohe Botschaft der Gerechtigkeit.

Von Madeleine Strub-Jaccoud

20. Oktober

HERR, ich preise dich! Du hast mir gezürnt! Möge dein Zorn sich wenden, dass du mich tröstest. Jesaja 12,1

Die Losung ist ein Vers aus einem Siegeslied, das der Prophet anstimmt, um den Blick auf die Zukunft zu richten. Die Zeitform, die er dafür wählt, ist das Futurum Perfektum – ein Appell an die Vorstellungskraft. Wer das Wort hört, soll gedanklich eine Zeitreise in die Zukunft machen. Israel wird angesprochen: «Stell dir vor, wie es sein wird, wenn Gott seinen Friedensplan verwirklicht haben wird. Zion wird der Ort sein, wo die Völker hinströmen. Diesem Tag des Jubels wird etwas vorausgegangen sein. Du wirst deine Schuld bekennen, bereuen und auf Gottes Vergebung hoffen.»

Wieso erfindet der Prophet eine so waghalsige Zeitakrobatik? Was erhofft er sich von der Vorwegnahme der Zukunft im Perfekt? Es ist prophetische Seelsorge, dass er so verfährt. Das Zeitenverschieben ist sein Hebel, um die Herzensarbeit in Gang zu setzen. In der tollkühnen Verheissung, dass Israel zum Nabel der Welt wird, steckten kein Kulturimperialismus, keine Überlegenheit des auserwählten Volkes. In der
«fiktiven» Rückbesinnung auf einen Sieg, der noch nicht errungen ist, scheint schon jetzt die Rettung auf. Es ist das jüdische Modell der Hoffnung. Und wir Christenmenschen? Wir schauen zurück auf den Sieg, der an Ostern schon errungen wurde, um den Trost in die Zukunft zu tragen – für uns und für die Welt, die auf die Rettung wartet.

Von Ralph Kunz

19. Oktober

Der blinde Bartimäus rief: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und Jesus blieb stehen und sprach: Ruft ihn her! Markus 10,48–49

Der Blinde hat einen Namen, der aufhorchen lässt. «Bar» ist aramäisch und bedeutet «Sohn», «Timäus» kann mit «der Geehrte» übersetzt werden. Markus wiederholt: Bartimäus ist der Sohn des Timäus. Warum diese Betonung? Im Zusammenhang gelesen hat das scheinbare Detail Gewicht. Jesus ist mit einem ganzen Tross von Anhängern unterwegs und der blinde Bartimäus, der am Wegrand sitzt, hat keine Chance, zum Meister vorzudringen. Also verschafft er sich Gehör und ruft. Die Menge reagiert verärgert auf den dreisten Rufer. Sie wollen ihn zum Schweigen bringen. Vielleicht wollen sie den Propheten aus Nazareth vor der Unverschämtheit des Bittstellers schützen? Was erlaubt sich Bartimäus? Jesus überhört die Beschützer und erhört den Rufer, lässt ihn zu sich führen und fragt ihn: «Was willst du, dass ich dir tue?» Seltsam. Es ist doch offensichtlich, dass Bartimäus blind ist. Ich verstehe es so: Jesus fordert den«Sohn der Ehre» auf, seinen Glauben an den Messias zu bezeugen. Gleichzeitig ermutigt er ihn in seiner Erwartung. Der Davidsohn ist gekommen, die Würde der Entehrten wiederherzustellen, die Kranken zu heilen, den Sündern zu vergeben. In dieser Geschichte ist es der Blinde, der sieht, und die Sehenden sind es, die blind sind. Jesus öffnet allen die Augen.

Von Ralph Kunz

18. Oktober

Der HERR tötet und macht lebendig, führt ins Toten- reich und wieder herauf. 1. Samuel 2,6

Der Vers bildet die Mitte des Lobgesangs der Hanna. Hanna, die Kinderlose und Geschmähte, preist Gott die EWIGE voll Freude und Dankbarkeit. Alle sollen es hören, was ihr widerfahren ist. Ihr Kummer wurde in Freude verwandelt; ihre Traurigkeit in Kraft und Dankbarkeit: «Mein Herz ist fröhlich in Gott … Mein Mund ist aufgetan gegen die, die mir feind sind, denn ich erfreue mich deiner Hilfe. Keiner ist heilig wie unser Gott, ja keiner ausser dir. Keiner ist ein Fels wie unser Gott.» (V. 1 f.)

Da steht eine Frau – aufgerichtet, kraftvoll und lebensfroh. Grösser könnte der Kontrast zu der im 1. Kapitel geschilderten Hanna nicht sein. Ihre persönliche Erfahrung wird ihr zum Spiegel für Gottes Hoheit, Treue, Güte und Gerechtigkeit. Sie erkennt und bezeugt: Gott hält die Welt in Händen; Gott zerbricht den Bogen der Starken (V. 4), Gott richtet die Bedrückten auf (Vers 8), er hält Leben und Tod in seiner Hand (V. 6).

Ich brauche solche Zeugnisse wie das der Hanna. Gerade in diesen Zeiten, wo Schrecken und Gewalt zu triumphieren scheinen.
«Unsere Hilfe steht im Namen des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat, der Bund und Treue hält ewiglich und der nicht preisgibt das Werk seiner Hände.»

Von Annegret Brauch

17. Oktober

Das ist die Liebe, dass wir unser Leben führen nach seinen Geboten. 2. Johannes 6

«Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.» Christian Morgenstern, Dichter des Komischen und ernster Übersetzer, hat dabei sicher nicht an die biblischen Gebote gedacht. Aber ob es auch bei ihnen klappt? Anweisungen, Gesetze betrachtet man mit vielem, mit Angst vor der Polizei oder mit Ärger wegen Juristen, mit mehr oder weniger Gewissensbissen, mit festen Vorurteilen oder vornehmer Überheblichkeit, dass sie für andere vielleicht gelten mögen, aber nicht für einen selbst. Betrachten wir die Gebote von vornherein mit Liebe, wird es besser als erwartet. Dann ist nicht gleich alles zu viel, zu schwer oder zu kompliziert. Für das, was ich liebe, nehme ich eine Menge auf mich, sogar richtige Strapazen. Für den, den ich liebe, kann ich sehr gut auf andere verzichten. Aber vor allem fällt auf, dass nichts anderes als Liebe geboten ist.
Die gebotene Liebe hat drei Dimensionen. Manchmal gehen eine bis zwei davon vergessen. Geboten ist zum einen die Liebe zum Nächsten. Gott liebt alle Menschen; unser Auftrag ist liebevoll ermässigt. Geboten ist sodann die Liebe zu sich selbst, wenn nötig von vorn und wieder neu. Geboten ist die Liebe zu Gott, der uns immer schon zuvorkommend liebt. Wer damit jeweils am frühen Nachmittag fertig ist, fängt am besten mit der Zusatzaufgabe, mit der Feindesliebe, an. Wie? Natürlich, indem man einen Feind probeweise mit Liebe betrachtet.

Von Dörte Gebhard

16. Oktober

Du sollst das Recht nicht beugen und sollst auch die Person nicht ansehen und keine Geschenke nehmen. Denn Geschenke machen die Weisen blind und verdrehen die Sache der Gerechten. 5. Mose 16,19

Na bumm! Was für eine Miesmacherei? Darf ich mir denn nichts mehr leisten? Muss ich denn auf alles verzichten? So höre ich schon die Stimmen im Hintergrund. Wer es sich leisten kann, leistet sich alles – alles Mögliche und Unmögliche. Alles nur eine Preisfrage, oder wie der Volksmund spricht:
«Geld regiert die Welt.»
Stopp! Es geht nicht darum, auf alles zu verzichten, alles aufzugeben. Es geht darum, nicht gierig zu werden und das Recht einzuhalten. Wer Gott und seine Gebote vergisst, der vergisst auch schnell seine Nächsten.

Für mich ist die heutige Losung ein Ordnungsruf. Oft genug erkenne ich keine Grenze mehr zwischen Recht und Unrecht oder Wahrheit und Lüge. Im Zusammenleben mit anderen Menschen brauchen wir Regeln. Regeln engen nicht ein. Regeln geben der Freiheit einen Raum. Ich brauche Regeln als Angebot und Orientierung für ein gelingendes Miteinander im Leben. Für mich sind diese Regeln die Gebote Gottes. Jesus von Nazaret hat im Neuen Testament die Gebote auf einen kurzen Nenner gebracht: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und grösste Gebot.»

Von Carsten Marx

15. Oktober

Ich will auf den HERRN schauen und harren auf den Gott meines Heils; mein Gott wird mich erhören. Micha 7,7

Heute bekommen wir eine wunderbare Zusage geschenkt! Wir werden nicht auf unsere Fehler reduziert, auf das, was wir nicht geschafft haben. Wir dürfen aufatmen. Wir bekommen neue Hoffnung und die Kraft, neu zu beginnen.
Wir gehen zwar manchmal verloren, verlieren den Ko takt zu uns selbst oder zu anderen Menschen, wir verlieren uns in Sorgen oder im Alltag, aber – so die Botschaft des heutigen Tages – diese Verlorenheit wird nicht für immer andauern. Gott geht uns nach, und er findet uns; Gott wird mich erhören.
Darauf dürfen wir auf der Spur des Propheten Micha und auf der Spur Jesu von Nazaret hoffen und uns ermutigen lassen, es weiter mit dem Leben aufzunehmen, gerade auch dann, wenn ich Menschen ganz real etwas an Fürsorge und Zuwendung schuldig geblieben bin und nichts mehr zu ändern ist. Ich kann es weiter mit dem Leben aufnehmen, wenn ich bei allem Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung merke, dass ich selbst weit hinter den Zielen zurückbleibe, obwohl mir die notwendige Umkehr längst völlig klar ist. Was hätte ich nicht schon alles tun müssen?
Wenn wir uns – dem allem zum Trotz – dem barmherzigen Gott anvertrauen, dann erwächst Hoffnung. Eine Hoffnung im Blick auf mich selbst und auch im Blick auf die politische Realität in der Nähe und in der Ferne.

Von Carsten Marx

14. Oktober

HERR Zebaoth, du bist allein Gott über alle Königreiche auf Erden, du hast Himmel und Erde gemacht! Jesaja 37,16

Wieder einmal geht es um Macht, um Fragen der Vorherrschaft, um die Frage, wer denn der Grössere ist und wer mehr zu bieten hat. Alles Fragen, die uns im Alltag und in der Auseinandersetzung mit den «Herren» von gestern und heute nicht fremd sind. Es scheint die imperiale Frage par excellence zu sein. Die danach, welche der Geister, die ich rief, Sieg und Kontrolle bewahren werden. Jesajas Bericht über Hiskias Bedrohung durch die Syrer, genauer durch Sanherib, zeigt eine aussichtslose Situation. Ist es doch die Grossmacht Assyrien, die das kleine Juda angreift. Die Parallelitäten zu heute erscheinen nur zu offensichtlich, und doch: Wer neigt sich zuletzt vor wem? Wen verführen nicht Versprechungen von Milch und Honig, Wohlergehen und Landbesitz, wie sie Sanherib verlauten lässt? Wer, angesichts solch sicherer Zukunft, wagt es, auf das Versprechen zu setzen, dass der Weltenschöpfer Jahwe Juda retten wird? Also jemand ohne politischen Apparat? Viel Wagemut gehört dazu. «Du hast Himmel und Erde gemacht», dieser Verweis ist es, der meines Erachtens für die Anrufer Jahwes gegenüber Sanherib spricht. Ja, die angebotenen Versprechen sind gross, unbezweifelbar, aber doch nicht so gross wie die Schöpfungsleistung Zebaoths. Die eigentliche politische Grosstat, der sich Juda anvertraut, ist diese Schöpfungsleistung Gottes.

Von Gert Rüpell

Von Gert Rüpell

13. Oktober

Bringe uns, HERR, zu dir zurück, dass wir wieder heimkommen; erneuere unsere Tage wie vor alters! Klagelieder 5,21

Das Bild des alten Busfahrers, der, mit einer Ikone als Hoffnungsbild im Frontfenster seines Busses, in abenteuerlicher Fahrt versucht, verzweifelte Bewohner einer unter Beschuss stehenden Siedlung in Sicherheit zu bringen. Oder das Bild von Sabrina, die aus dem sicheren Westen unbedingt in ihre Heimat zurückwill, dorthin, wo ihr Mann ist, der Ort, den sie als Heimat kennt und ohne den es in ihrem Leben keine Erneuerung geben kann. Solche Bilder prägen sich mir ein, wenn ich die Klage der Losung lese. Es sind Klagen, wie sie Menschen, die in die Fremde vertrieben wurden, in ihren Gebeten zum Ausdruck bringen. Hier spiegelt sich weltweit die Sehnsucht nach Rückkehr wider, nach Wiederaufbau der zu Ruinen verfallenen Häuser, und die Hoffnung auf Erneuerung des zerstörten eigenen Lebens. Diese Hoffnung ruht auf Gott. Symbol dafür ist die Ikone oder die Gebetskette in einem syrischen Bus. Immer ein Symbol dessen, der allein Erneuerer, Wiederhersteller von Lebensgestaltung sein kann, mit der Heimat umrissen wird.
Viele Menschen betonen heute, dass sie Erneuerung herstellen können. Viele Hoffnungen werden so artikuliert und ebenso viele enttäuscht. Die Beter dieses Liedes aber wissen: Erneuerung, Wiederherstellung gibt es allein durch Gott, Gott, symbolisiert in der Ikone oder der Gebetskette in den Flüchtlingsbussen dieser Welt.

Von Gert Rüppell

12. Oktober

Überall in Ost und West wird man seinen Namen ehren und seine Macht anerkennen. Jesaja 59,19

Ost und West vereint, im Lehrtext auch noch Nord und Süd: Frontalkollision mit der Realität. Ost und West waren schon lange nicht mehr so getrennt. Die Kirchen können daran nichts ändern, eine will das nicht einmal. Nord und Süd entfremden sich. Die globale Konkurrenz um die Lebensgrundlagen wächst. Das lässt nichts Gutes ahnen. Die römische Kirche droht zu zerbrechen zwischen Zeitgenossenschaft und krampfhaftem Einmauern und zugleich zwischen Nord und Süd.

Kirchenleitungen lassen sich besorgt und theologisch sauber argumentierend vernehmen: «Wir müssen in diesen Zeiten …», «Wir wollen gemeinsam …»

Dieses kirchliche «Wir» – wer ist das? Gehöre ich dazu? Ich muss also, ich soll, ich soll wollen. Wieder eine Frontalkollision, nun mit der Erfahrung der Machtlosigkeit. Es droht Resignation, das Ausklinken aus dem kirchlichen «Wir».
«Finsternis deckt alle Welt», tönt es in Händels Messias.
Kommt für uns auch das «grosse Licht»? Gelangen wir zum «Halleluja»?

Bald ist Advent. Da ertönt wieder der Ruf «Dass du den Himmel zerrissest und herniederführest!», sehnsuchtsvoll, verzweifelt – auch hoffnungsvoll?

Von Andreas Marti