HERR, ich preise dich! Du hast mir gezürnt! Möge dein Zorn sich wenden, dass du mich tröstest. Jesaja 12,1

Die Losung ist ein Vers aus einem Siegeslied, das der Prophet anstimmt, um den Blick auf die Zukunft zu richten. Die Zeitform, die er dafür wählt, ist das Futurum Perfektum – ein Appell an die Vorstellungskraft. Wer das Wort hört, soll gedanklich eine Zeitreise in die Zukunft machen. Israel wird angesprochen: «Stell dir vor, wie es sein wird, wenn Gott seinen Friedensplan verwirklicht haben wird. Zion wird der Ort sein, wo die Völker hinströmen. Diesem Tag des Jubels wird etwas vorausgegangen sein. Du wirst deine Schuld bekennen, bereuen und auf Gottes Vergebung hoffen.»

Wieso erfindet der Prophet eine so waghalsige Zeitakrobatik? Was erhofft er sich von der Vorwegnahme der Zukunft im Perfekt? Es ist prophetische Seelsorge, dass er so verfährt. Das Zeitenverschieben ist sein Hebel, um die Herzensarbeit in Gang zu setzen. In der tollkühnen Verheissung, dass Israel zum Nabel der Welt wird, steckten kein Kulturimperialismus, keine Überlegenheit des auserwählten Volkes. In der
«fiktiven» Rückbesinnung auf einen Sieg, der noch nicht errungen ist, scheint schon jetzt die Rettung auf. Es ist das jüdische Modell der Hoffnung. Und wir Christenmenschen? Wir schauen zurück auf den Sieg, der an Ostern schon errungen wurde, um den Trost in die Zukunft zu tragen – für uns und für die Welt, die auf die Rettung wartet.

Von Ralph Kunz