Monat: Dezember 2022

21. Dezember

Da ich den HERRN suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht.      Psalm 34,5

Im Theaterstück «Jeanne oder die Lerche» von Jean Anouilh gibt es einen Dialog zwischen dem jungen König Charles und Jeanne d’Arc. Sie fragt ihn, ob er genug Angst habe. Als er dies bejaht, kann er sich entscheiden, König zu werden. Es bleibt unklar, ob es sich um eine existentielle Angst gehandelt hat oder die Angst um das Reich.

Angst plagt, so ist auch die Erfahrung von David, dem der Psalm zugeschrieben wird. Und in dieser Plage hat er Gott, gesucht. Er hat sich ihm zugewandt, und Gott ist bei ihm gewesen.

Gott suchen, Gott bitten, eine Antwort auf die Angst zu geben – mir kommt hier stark entgegen, dass die Lebendige die Angst nicht nimmt. Ich muss selber den Weg finden. Aber sie lässt sich finden. Ihre Antwort, so könnte es sein, ist, dass ich nicht verzweifle an der Angst, sondern Vertrauen schöpfe. Ich brauche Vertrauen in die Lebendige, in den Gott des Lebens. Und ich brauche Vertrauen in meine Kraft. Die Angst, die plagt, darf mich nicht erdrücken. Vielmehr muss ich sie loslassen und in die Hände Gottes legen. Vielleicht habe ich dann genug Angst gehabt.

Sei du in aller Angst auf der Seite der Menschen und schenke du Kraft und Vertrauen.

Von Madeleine Strub–Jaccoud

20. Dezember

Noah fand Gnade vor dem HERRN.                1. Mose 6,8

Warum fand ausgerechnet Noah Gnade? Weil er gerechter war als andere. Warum braucht er dann Gnade? Weil kein Mensch Gott gerecht werden und von sich aus ein Leben führen könnte, das gottgefällig ist. Das einfache Sätzchen, das erklärt, warum Noah auserwählt wird, einen Spross der Menschheitsfamilie zu gründen, gibt zu denken. Haben doch auch die Ureltern vor Gott Gnade gefunden. Und ihre Nach- kommen sind dann doch gescheitert. Das wird auch bei Noah der Fall sein. Er ist offensichtlich kein neuer Adam. Gottes Neustart der Schöpfung läuft schief. Ob vorsintflutlich oder nachsintflutlich – das Menschengeschlecht hat einen genetischen Defekt, der von Generation zu Generation übertragen wird. «Erbsünde» nannte es der Kirchenvater Augustin und meinte, es habe mit (sexueller) Begierde zu tun. Aber das greift zu kurz. Ändern wir uns nicht? Es schaut nicht danach aus. Wir sind drauf und dran, unsere Erde unbewohnbar zu machen, und fantasieren über Archen, auf die wir uns retten können. Stoff für eine Tragödie, aus der wir nicht entfliehen, ein Rad, das sich dreht, bis es einmal endgültig zu Ende geht mit uns. Das wäre der Schluss, den wir ziehen müssten, wenn wir – Noahs  Nachkommen– nicht Gnade vor Gott gefunden hätten. Dieser Lichtstrahl macht aus der Tragödie des Menschengeschlechts eine offene Geschichte. Noah ist nicht der neue Mensch, und wir sind keine besseren Menschen, aber in ihm sehen wir einen Prototyp, der Hoffnung macht. Weil Gott gnädig ist.

Von Ralph Kunz

19. Dezember

Du sollst mit einem neuen Namen genannt werden, welchen des HERRN Mund nennen wird.              Jesaja 62,2

Der zweite Teil des Jesaja gilt als «Evangelium» im Alten Testament. Viele der Bilder werden im Neuen Testament auf- gegriffen – Bilder der Verheissung, die sich erfüllen mit dem Kommen Jesu Christi. Die meisten Ankündigungen gehen deshalb nicht direkt von Gott an sein Volk, sondern machen einen «Umweg» über Boten, die beauftragt werden, die Frohe Botschaft zukünftig weiterzusagen. Sie sagen an, was noch kommen wird.

Die erste Adressatin in der Losung ist die Tochter Zion. Gemeint ist Israel. Zion ist der Name des Hügels, auf dem der Tempel steht. Ihr gilt das Evangelium, sie soll es hören, alle Welt wissen, dass ihr Heil kommt. Und sie soll einen neuen Namen bekommen.

Das ist einigermassen umständlich. Warum braucht es einen Neuanfang? Wäre es nicht effizienter, eine göttliche Short Message direkt an die Adressatin zu senden, eine SMS im Stil von: «Du bist okay, Israel!»

Ich meine, wir sehen hier die Logik der Mission Gottes. Sie braucht Evangelisten, die den neuen Namen nennen. Der Broadcast funktioniert nur über den persönlichen Podcast von Menschen, die sich die Heilsbotschaft aneignen und anderen überbringen. Wir müssen hören, dass nicht alles beim Alten bleibt. Wir werden bei dem Namen gerufen, der über allen Namen steht, Christus, der Gesalbte überbringt uns die Botschaft. Du darfs dich Christ nennen!

Von Ralph Kunz

18. Dezember

Paulus schreibt: Mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der  Kraft. 1. Korinther 2,4

An der Geburt des Kindes, die wir in einer Woche feiern, hatte Paulus keinerlei Interesse. Nirgends erwähnt er sie. Wohl aber den Gekreuzigten, immer wieder. Und der passt ja nicht so gut zu Weihnachten.

Und doch will ich eine Verbindung knüpfen.

Das Kreuz ist ein Zeichen des Scheiterns, des Ausgeliefertseins, der Schwäche. Paulus lenkt meinen Blick auf einen Gott, der sich als Verwundbarer zeigt und selbst bedürftig ist. Eine Gottesvorstellung, die nicht sehr weise klingt. Damit kann ich niemandem Eindruck machen und niemanden überzeugen.

Ein schwacher Gott ist eine Provokation für mein Denken und Hoffen. Ich erwarte doch, der Ewige soll eingreifen, regeln, helfen, machen, verhindern…! Die meisten Gebete sind Bitten an Gott, uns in unseren Problemen zu helfen. Beim verwundbaren Gott geht es nicht primär darum, was er tun kann, sondern was es bedeutet, in einer Beziehung zu ihm zu leben. Und diese seltsame Beziehung muss nicht ich eröffnen, sie ist längst begründet, wir stecken schon tief drin. Vielleicht so: Als ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh’ ich dich kannt’, erkoren.

Weihnachtliche Geistkraft, die sich so erweist.

Von Ulrike Müller

17. Dezember

Lobet, ihr Völker, unsern Gott, lasst seinen Ruhm   weit erschallen, der unsre Seelen am Leben erhält  und lässt unsere Füsse nicht gleiten.                Psalm 66,8–9

Die «Route 66» ist eine der bekanntesten Strassen der Welt. Fast 4000 Kilometer lang, führt sie von Chicago nach Santa Monica an die Westküste der USA.

Auf ihr zogen im 19. Jahrhundert Siedler und in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts verarmte Farmer nach jahrelangen Staubstürmen und Dürre zu den Obstplantagen Kaliforniens. Gefährlich war dieser Weg. Aber sie nahmen ihn auf sich für die Sehnsucht nach Freiheit und den Traum von einem besseren Leben.

Eigenartig, dass auch der Psalm 66 in der Bibel mit grossem Jubel einen Weg besingt, der in die Freiheit und ein besseres Leben führt. Gemeint ist der Weg des Volkes Israel aus der Knechtschaft ins Gelobte Land. Der sogenannte Exodus.

Gott, der auch heute Menschen aus dem Elend in die Freiheit führt? Uns oder wen?

Ob die Wege der Flüchtlinge in einem Europa der Zukunft einmal ähnlich legendär sein werden wie die Route 66 oder der Exodus? Der christliche Glaube hat einst die Route über das Mittelmeer genommen. Menschen brachten auf diesem Weg das Evangelium zu uns. Warum soll auf dieser legendären Route nicht erneut Gutes zu uns kommen?

Adventlich wäre eine solche Umkehrung der üblichen Sicht.

Von Ulrike Müller

16. Dezember

HERR, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weisst du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.       Psalm 139,1–2

Nicht nur wir Christinnen und Christen fragen aktuell immer wieder, wo wir noch Halt finden, Zuversicht schöpfen, Kraft tanken können. Dahinter verbirgt sich für mich die Frage nach Gott. Für den Psalmbeter ist und bleibt es unbestritten: Gott ist da. Eine Geschichte macht dies wunderbar deutlich: Ein Schüler fragte seinen Meister: «Wie kann ich erfahren, dass Gott hier ist? Wie kann ich sicher sein, dass er mich nicht verlassen hat?» Wortlos drehte sich der Meister um, füllte ein weites Gefäss mit Wasser und gab eine gute Prise Salz dazu; nach einer Weile bat er: «Nun hol mir das Salz, das ich hier hineingetan habe, wieder heraus.» Verständlicherweise war dies dem Schüler nicht möglich, denn das Salz hatte sich bereits aufgelöst.

«Nun, so koste vom Wasser am Rand der Schüssel, wie schmeckt es?» «Salzig», entgegnete der Schüler. «Probiere nun aus der Mitte, wie schmeckt es?»

«Meister, es ist salzig, wie der andere Schluck zuvor.» «Und nun probiere einen Schluck vom Grund.» Der Schüler tat wie ihm gesagt und es war, Sie werden es nicht glauben – salzig.

«Verstehst du nun», sagte der Meister, «so wie mit dem Salz verhält es sich mit Gott in unserem Leben: unsichtbar und doch überall.»

Mit dieser alten Geschichte gehe ich hoffnungsvoll und voller Erwartungen durch den Advent.

Von Carsten Marx

15. Dezember

Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder  einträchtig beieinander wohnen! Denn dort verheisst der HERR Segen und Leben bis in Ewigkeit.                                          Psalm 133,1.3

«Teilen, teilen, das macht Spass, wenn man teilt, hat jeder was!» – mit diesem Spruch kamen unsere beiden jüngsten Töchter aus dem Kindergarten nach Hause. Wie oft haben sie mit diesem Spruch ihren Znüni ganz brav geteilt.

Es ist Advent. Wir sitzen in diesen dunklen Dezembertagen wieder an einem Tisch zusammen, lesen gemeinsam Adventsgeschichten, zünden die Kerzen am Adventskranz an, singen die vertrauten Lieder und teilen das Adventsgebäck. Wir denken darüber nach, wie wir Eltern früher Advent gefeiert haben, wann der erste Schnee fiel und wie es ist oder sein könnte, wenn alle Menschen auf der Welt miteinander teilen würden.

Bei  uns  im  Burgenland  gibt  es  im  Advent  (ab dem Dezember) die katholische Tradition der Herbergssuche. Der Brauch erinnert an die einst erfolglose Quartiersuche von Maria und Josef in Bethlehem. Zunächst stutzte ich über diese Tradition. Dennoch finde ich sie bereichernd. Man besucht in der Adventszeit hauptsächlich die nächsten Nachbarn, erkundigt sich, wie es ihnen geht, teilt mit ihnen ein mitgebrachtes Adventsgebäck und hält Gemeinschaft. Wie wunderbar ist es, wenn wir zusammensitzen. Mitten in der dunklen Dezemberzeit ist das ein Segen: das Teilen, das Leben mit den Nächsten in der Nachbarschaft.

Von Carsten Marx

14. Dezember

Es sollen viele Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein.      Sacharja 2,15

Ein «Fest der Vielen» hat der stark migrantisch geprägte Stadtteil in unserer Nachbarschaft durchgeführt. Ein Fest, bei dem Menschen verschiedenster Kulturen ihre Musik, ihre Nahrung, ihre Geschichten einbringen konnten. Es war ein Fest, bei dem ein Moment von Befreiung aus der Stigmatisierung sichtbar wurde, die so oft mit migrantischem Hintergrund verbunden ist.

Auch in der heutigen Losung ist Befreiung Stichwort und Hintergrund der zum Ausdruck gebrachten Botschaft an die Verbannten. Ihr Schicksal wird sich wenden. Sie waren Migranten unter fremder Herrschaft. Ihnen wird eine Zukunft, «ein Fest der Vielen», vorausgesagt, bei dem die Völker «einander einladen unter Weinstock und Feigenbaum» und «ein Volk sein werden» (Vers 3,10). Wir ahnen etwas von der Einheit der Menschheit, die sich Jahwe zuwendet und sein Volk wird. Wenn wir im Kontext des gestrigen Losungwortes auf das heutige blicken, dann wird deutlich, dass der dem Losungswort nachstehende Verweis darauf, dass Jahwe bei aller Vielfalt die Mitte des Volkes Israel bleibt, ein inhaltlicher, auf Werte (Liebe, Nächstenpraxis) bezogener ist. Die Vielfalt, die Oikoumene, wie wir auch sagen können, schart sich um die Liebe Gottes für seine gesamte Schöpfung. Sie bildet Gottes Einheit in der Vielfalt ab, die wir als Migranten der Mannigfaltigkeit seines Volkes darstellen.

Von Gert Rüppell

13. Dezember

Ihr sollt den HERRN, euren Gott, nicht versuchen. 5. Mose 6,16

Die Tendenz, seinem Gott nicht treu zu sein, ist ein durchgängiges Thema, mit dem das Volk Israel seine Beziehungsgeschichte mit Gott häufig beschreibt. So auch hier, wo  die Passage ein Rückverweis auf das Murren des Volkes am Horeb (Massa) ist, das angesichts ungenügender Lebensumstände an der Existenz Gottes gezweifelt hatte (2. Mose 17,7). Der heutige Losungsvers verweist in seinem Kontext (Kapitel 6) auf zwei zentrale Elemente der Gott-Mensch-Beziehung. Zum einen auf die Liebe Jahwes als Wesen des Gesetzes und somit sein zentrales Interpretament und zum anderen die Treue zu Gott als die erwartete Antwort durch den Menschen. Treue kennt Versuchung nicht, weil eine Beziehung, die auf Treue basiert, das Gegenüber nicht in Versuchung führen will. Also: «Und führe uns nicht in Versuchung», sondern gib uns eine der Treue und dem Wesen deines Gesetzes, der Menschenliebe, entsprechende Beziehung. Den Herrn nicht zu versuchen, bedeutet also nicht allein, Gott ernst zu nehmen, sondern auch, seine Ordnung, seine Bestimmungen für uns Menschen in Nächstenpraxis umzusetzen und so für andere Gottesnähe zu verkörpern. Deshalb steht die Losung im Rahmen jenes grossen israelischen Glaubensbekenntnisses: Sh’ma Yisrael, höre Israel, der Lebensanweisung für ein Volk, dessen Leben von Nähe zu Gottes Willen bestimmt ist.

Von Gert Rüppell

12. Dezember

Lass leuchten dein Antlitz über deinem  Knecht; hilf mir durch deine Güte!                  Psalm 31,17

«Über deinem Knecht» – freilich vertraute Bibelsprache, aber auch wer mit ihr einigermassen vertraut ist, mag darüber stolpern oder kurz stutzen. «Herr und Knecht» beschreibt das Verhältnis von Gott und Mensch zu einseitig, wohl gar irreführend. Jesus von Nazareth hat diese Redeweise nicht gebraucht, er hat sie durch das Bild der Gotteskindschaft ersetzt, und im letzten Jahrhundert hat Jürgen Moltmann die Vorstellung der «ersten Freigelassenen der Schöpfung» formuliert. Das wäre ungefähr das Gegenteil eines Knecht-Verhältnisses. Mit diesen Korrekturen im Ohr wenden wir uns wieder dem Psalmvers zu.

Den Begriff «Knecht» können wir ja anders füllen. Er muss nicht Unterwürfigkeit bedeuten, kann vielmehr auf ein Angewiesensein verweisen, auf ein Vertrauen, das jemand einem Stärkeren entgegenbringt. Es ist das Vertrauen, von der Kraft dieses Stärkeren zu profitieren, von seinem Schutz, seinem Wohlwollen, seiner Güte, wie es im Psalmvers heisst. Alles ist vereint im Bild des Lichtes, das von Gottes Antlitz ausgeht, vom Gegenüber, das wir nicht sehen, das uns aber anschaut und erleuchtet. So ist die Adventszeit durchdrungen von diesem Bild:

Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein; es leucht’ wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht. (Martin Luther)

Von Andreas Marti