Monat: Dezember 2022

11. Dezember

Eines jeden Wege liegen offen vor dem HERRN. Sprüche 5,21

Ich klicke eine Website an. Sogleich werde ich gefragt, ob und zu welchen persönlichen Daten ich Zugang geben, welche Cookies ich akzeptieren, was ich offenlegen will. Das wird bei unserem Losungswort nicht gefragt. Es setzt voraus, dass vor Gott alles offenliegt; an eine Privatsphäre ist da nicht gedacht. Er kann als beunruhigend, gar als bedrohlich empfunden werden, dieser allwissende Gott. Zunehmend gerät das Gottesbild der Allwissenheit und der Allmacht in die Kritik.

Schauen wir uns die Sache aber einmal von der anderen Seite an. Liegen denn meine Wege vor mir selber offen? Die kommenden sowieso nicht, aber auch nicht die vergangenen: Höhepunkte und erst recht Tiefpunkte, Wendungen und Veränderungen auf dem Lebensweg bleiben in ihrem Sinn verborgen, liegen dem Verstehen oft keineswegs offen. Zusammenhänge zu erkennen, die Sinnhaftigkeit zu sehen, ist alles andere als selbstverständlich, und mit jeder solchen Erfahrung wird die Last grösser und schwerer. Aber ich muss die Frage nach dem Sinn nicht selber beantworten, darf  sie dem überlassen, vor dem meine Wege offenliegen. Das bringt Entlastung in einer vertrauensvollen Gelassenheit.

Ich verstehe deine Wege nicht,aber du weisst den Weg für mich. (Dietrich  Bonhoeffer)

Von Andreas Marti

10. Dezember

Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.           Matthäus 8,11

Jetzt habe ich gerade dreimal die Wundergeschichte «Der Hauptmann von Kafarnaum» gelesen, aus der obiger Vers stammt. Dreimal, bis ich als Nicht-Theologin ein wenig verstanden habe, worum es da geht.

Dies ist ein schönes Beispiel dafür, wie friedlich ein aus dem Kontext gelöster Vers klingen kann, der aber eigentlich in einer Geschichte vorkommt, die eher eine Rüge ist.

Es geht um die Kraft des Glaubens. Jesus rühmt den Hauptmann von Kafarnaum, der glaubt, dass auch nur ein Wort von Jesus den zuhause krank liegenden Knecht schon heilen könne. Der Hauptmann ist ein Römer, erfahre ich, als ich ein wenig nachfrage, und diejenigen, die Jesus vertrauen und an ihn glauben, sind laut Erzähler oft solche von weit weg, von Osten und Westen, während die heimischen Juden sich schwer mit Jesus tun und ihn oft ablehnen.

Hm. Wir sprechen in meiner Kirche, wenn wir zur Eucharistie gehen, auch immer, leicht abgewandelt, diese Worte des Hauptmanns von Kafarnaum: «Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.» Aber eigentlich denke ich:

«Herr – willst du überhaupt so genannt werden? Ich glaube, ihr konntet da ganz einfach eine Brücke schlagen, du, dieser Hauptmann und dieser kranke Knecht. Wie ging das?»

Von Katharina Metzger

9. Dezember

Gedenkt an den, der so viel Widerspruch  gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.          Hebräer 12,3

In diesen Tagen werden wieder die Krippen hervorgeholt, vom Estrich, aus dem Keller, aus dem Schopf, Krippenfiguren werden aus Haushaltspapier gewickelt, Schafe gruppiert und das hölzerne Jesuskind ins Kripplein gelegt. Das kleine, schlafende, friedliche Zentrum. Das Kindlein tut nichts, ausser da zu sein.

Widerspruch und Sünder fehlen an der Krippe. Was werden sie später gegen dieses Kind sagen?

Vielleicht: «Er ist gar nicht der Sohn Gottes!» Oder: «Er ist ein gefährlicher Aufwiegler!» Oder: «Er hat meinen Mann mitgenommen. Jetzt muss ich allein schauen, wie ich alle Mäuler gestopft kriege!» – Ich weiss es nicht. Der Text ist weit weg von mir.

Wir sehnen uns alle nach Momenten an der Krippe, dann, wenn es nichts zu sagen, nichts zu streiten, nichts auszulachen und nichts zu verteidigen gibt, dann, wenn alles möglich scheint, wenn wir nur auf den stillen Atem des Lebens hören.

Das Kind wird der Krippe entwachsen, und auch wir werden wieder von der Krippe weggehen, Widerspruch leisten, Widerspruch erfahren, Widerspruch erdulden müssen. Dass wir dabei nur nicht hart werden und uns immer wieder erinnern, an das Kind, das atmende Leben in der Krippe.

Von Katharina Metzger

8. Dezember

Erbaut auch ihr euch als lebendige Steine zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.          1. Petrus 2,5

Eine Kirchgemeinde ist eigentlich ein «Unding». Denn lebendige Steine gibt es nicht. Entweder sind es Pflanzen, die bloss wie Steine aussehen, oder es ist wirklich Granit. Der ist und bleibt leblos, seit Jahrtausenden.

Eine Kirchgemeinde ist trotzdem genau das: ein Haus aus lebendigen Steinen. Denn will man etwas ändern, wird es hart. Wer frisch und freiwillig da ist, findet es eventuell leichter, den berühmten Unspunnenstein, der immerhin 83,5 kg wiegt, richtig weit zu werfen, als irgendeine kleinere Neuerung durchzusetzen. 4,11 m ist übrigens der schwer zu brechende Rekord von Markus Maire aus dem Jahr 2004.

Hartnäckig muss man sein. Beim Steinstossen ist es ganz offensichtlich, in der Kirche bleibt es auch nicht lange verborgen.

Aber diese geistlich-lebenstüchtigen Steine sind zugleich toll und unberechenbar. Sagenhaft viele Einfälle, fixe und Schnapsideen kullern und bollern, rollen und rumpeln durch die Gegend und die Gemüter, durch Presse und Internet. Man holt sich womöglich schnell blaue Flecken, geistliche, versteht sich, wenn man nur schon von weitem zuschaut.

Eine Kirchgemeinde erbaut sich am besten, wenn sie ziemlich regelmässig prüft, ob alles Unverrückbare und alles Wilde Gott gefällt. Dieses «Opfer» ist gemeint.

Von Dörte Gebhard

7. Dezember

Weh denen, die den Schuldigen gerecht sprechen für Geschenke und das Recht nehmen denen, die im Recht sind.                                                     Jesaja 5, 22.23

Haben Sie schon alle Geschenke für Ihre Lieben beieinander? Schon seit Ostern oder erst seit dem Erntedankfest? Oder müssen Sie jetzt bald noch los, etwas genau Passendes oder etwas Ungewöhnliches, etwas lang Gewünschtes oder komplett Überraschendes zu finden?

Manchmal wird über Weihnachtsgeschenke geschimpft und gewettert, über die Menge und/oder die Preise, über die totale Kommerzialisierung des Festes. Aber gute Gaben sind und bleiben eine gute Erfindung der Menschheit. Gern lasse ich mich anstecken von der Begeisterung der Kinder; gerade davon, wie sie es vor Weihnachten kaum erwarten können, jemandem ein besonderes Geschenk von sich selbst zu überreichen. Es ist längst gebastelt, verpackt und versteckt, aber bis Heiligabend muss man noch siebzehnmal schlafen!

Jede noch so gute Idee kann man dennoch verderben. Wer nur etwas gibt, um noch mehr zu bekommen, wer das Recht beugt zu seinen Gunsten, der bringt Leid und Weh über andere. Korruption nützt niemandem und schadet allen. Jesaja bringt es auf den Punkt. Die Schweiz ist auf dem internationalen Korruptionsindex 2022 auf den 7. Platz abgerutscht, wegen Vetterliwirtschaft und teilweise intransparentem Umgang mit Geld. Üben wir am besten mit den Kindern zusammen, wie man von Herzen gern und vor allem ohne störende Hintergedanken schenkt.

Von Dörte Gebhard

6. Dezember

Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheissung, in denen Gerechtigkeit wohnt.      2. Petrus 3,13

An der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Karlsruhe erlebte ich Tag für Tag Menschen, die auf Gerechtigkeit warten. In der Ukraine und im Nahen Osten. Sami in Schweden und Menschen auf Inseln im Süden, die unter der Klimaerhitzung leiden. Frauen und Kinder, die Gewalt erfahren in der Familie oder in der Kirche.

Mir wurde klarer: In Konflikten und Krisen macht es einen entscheidenden Unterschied, ob Kirchen und religiöse Gemeinschaften mit einer Stimme sprechen. Oder einander widersprechen und bekämpfen. Warten wir gemeinsam auf einen neuen Himmel und eine neue Erde? Oder wollen die einen jetzt gar keine Zeit verschwenden mit Warten, weil es ihnen gegenwärtig ja so gut geht? Und die andern glauben sowieso, dass das Neue erst nach dem Tod kommt?

Das Ziel des Ökumenischen Rats der Kirchen ist Einheit. Auch wenn die Kirchen keine grosse Macht mehr haben – oder gerade deshalb? Auch wenn mir klar ist, dass sie ganz verschiedene weltliche Interessen vertreten: Die Welt würde anders aussehen, wenn Christ*innen in Fragen der Gerechtigkeit öfter mit einer Stimme sprächen. Diese Stimme würde gehört. Was könnte eigentlich – frage ich mich beim Warten – mein Beitrag an die Einheit sein?

Von Matthia Hui

1. Januar

Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?  Psalm 42,3

«Der du allein der Ewge heisst und Anfang, Ziel und Mitte weisst im Fluge unsrer Zeiten: bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten.» Jochen Klepper schrieb diesen Vers 1938, und er steht im Losungsbüchlein unter der Losung und dem Lehrtext. Seine Bitte und seine Hoffnung sprach er zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland aus; sie waren dringend und wurden immer dringender in den darauffolgenden Kriegsjahren. Klepper hat den Krieg nicht überlebt; er nahm sich zusammen mit seiner jüdischen Frau das Leben, die er anders vor dem Abtransport in eines der Vernichtungslager nicht schützen konnte. Ein zutiefst tragisches Schicksal eines Menschen, für den das «sicher Schreiten» der Gang in den selbstgewählten Tod war.

Das vergangene Jahr hat uns mit Krieg und Zerstörung in der Ukraine, mit der Inflation und den plötzlich so hohen Energiepreisen viele Sorgen bereitet. Der Psalm 42 ist ein in grosser Not geschriebener Hilferuf an Gott – und zugleich ein Trostpsalm: «Was betrübst du dich, meine Seele und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.» Daran lasst uns festhalten in diesem neuen Jahr!

Von Elisabeth Raiser

5. Dezember

Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott; dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.        Psalm 143,10

Es geht um das Lehren und Lernen. Ist es mit Gott etwa wie in der Schule? An welche Lehrerinnen und Lehrer erinnern Sie sich, von denen Sie in gutem Geist geführt wurden und etwas gelernt haben, das Sie vielleicht noch heute begleitet? Die Kinder in meiner Wohngemeinschaft berichten von Erfahrungen mit engagierten Lehrer*innen – von  Lernprozessen, die kollaborativ und nicht top-down ablaufen.

Aber ab und zu gibt es irritierende Geschichten. Noch immer existieren Mechanismen des Belohnens und Bestrafens. Die einen dürfen am Ende des Jahres ins Kino gehen, mit Geld, das vor allem jene äufnen mussten, die Regeln übertraten. Einzelne Lehrer*innen scheinen wenig fantasievolle Ideen und integrierende Massnahmen in ihrem Repertoire zu haben. Ohne guten Geist kommen Kinder – die dazu eben oft nicht Noah, Mia oder Leon heissen und für die manches noch fremd ist – von einer (vielleicht auch nur ganz minim) schiefen nicht einfach selbstverständlich auf die ebene Bahn. Im Psalm ertönt die Hoffnung, dass Gott jenen hilft, die ihn um Führung bitten. Aber: Anleitung und Begleitung woher, wohin? Der Betende formuliert später ganz konkret: «Führe mich aus der Not.» Wenn das notwendig ist und wenn das gelingt, ist es hohe Schule.

Von Matthias Hui

4. Dezember

Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe  suchen. Hesekiel 34,12

So zukunftsversprechend spricht der Gott Israels! Im schönen Bild des Hirten zeigt er sich als der, dem das Ergehen seiner Schafe (das Volk Israel) am Herzen liegt. Gott musste sich aber auch um seine Schafe kümmern, denn sie wurden von ihren eigenen Hirten (den Königen und ihren Beamten) schmählich im Stich gelassen. So stellt der Prophet Hesekiel die geschichtlichen Vorgänge dar, die sich ereignet haben: die Deportation der judäischen Führungsschicht nach dem verlorenen Krieg gegen Babylon. Aber Gott lässt die Schafe nicht büssen für das Fehlverhalten ihrer Hirten: «Ich werde meine Schafe vor ihrem Rachen retten, und sie werden ihnen nicht zum Frass werden.» (Vers 10) Gott überlässt sie nicht sich selbst, im Gegenteil: Er nimmt sich ihrer höchstselbst an. Auch über die zeitliche Distanz von zweieinhalbtausend Jahren lässt sich erahnen, was eine solche Botschaft bei den «Schafen» ausgelöst haben muss. Sie spüren, dass sie nicht verloren sind, sie können glauben, dass sie weiterhin unter Gottes Schutz stehen, dass sie nicht einfach allem und allen ausgeliefert sind. Sie sind gehalten von Gott auch dann, wenn das Leben schwierig ist, und sie dürfen darauf vertrauen, dass sie nicht allein gelassen sind. Eine Botschaft, die auch für heute eine grosse Zuversicht ausstrahlt! Vertrauen wir ihr und geben wir sie weiter, gerade jetzt!

Von Hans Strub

3 Dezember

Der HERR sieht vom Himmel auf die Erde, dass er das Seufzen der Gefangenen höre und losmache die Kinder des Todes.             Psalm 102,20–21

«… dann wird man in Zion den Namen des Herrn verkünden und sein Lob in Jerusalem.» (Vers 22) Dann nämlich, wenn Gott das «Gebet eines Elenden» (Vers 1) gehört und erhört hat. Der geschundene Mensch, der hier spricht oder singt, hat erfahren, dass Gott hilft. Dass das Stöhnen der Gefangenen bei ihm ankommt und dass er die Todgeweihten befreit. Was für eine Zusage gerade heute! Weltweit ist grosses Seufzen, weltweit sind Abermillionen von Menschen vom Tod bedroht. Täglich, physisch und psychisch. Sie leiden. Sie sind eingesperrt in ihrem kranken Körper oder in Verliesen und Kerkern. Sie erdulden Schmerzen, Mangel, Gewalt, Erniedrigung, Todesdrohungen … Was sie bei Sinnen hält, ist oft nur die ferne Hoffnung auf Erlösung – oder auf ihren Tod. Weil Gott der Erde nahe ist, so wird hier gesagt, weil er in die Welt hineinsieht und hineinsehen will und kann, ist Hoffnung möglich. Hoffnung schafft in den resignierten Menschen eine wenigstens schmale Öffnung, durch die die Befreiung hineinkommen kann. Hoffnung bleibt, wenn das Zutrauen auf die Zusage der Erlösung einen Platz behält. Sätze wie die von heute können diesen Platz schaffen. In uns. Oder wir versuchen, jenen Hoffnung zu bringen, die kaum mehr Kräfte haben, auf Hoffnung zu vertrauen.

Von Hans Strub