Monat: Dezember 2022

31. Dezember – Silvester

Ich will mich selbst als Wache um mein Haus lagern. Sacharja 9,8

Es ist kein besonders friedlicher und optimistischer Altjahrsabend, der uns in diesem Jahr erwartet. Der Rückblick erinnert uns an Krieg und Krankheit, und der Ausblick malt düstere Wolken an den Zukunftshorizont – Wirtschaft, Weltpolitik, Klima, Biodiversität, Altersvorsorge und was uns da noch alles Sorgen macht. Soll ich mich da nicht einfach einmal zurückziehen ins Private, in meine Wohnung, mein Haus, oder eben in Gottes Haus, dahin, wo er selbst die Wache ist? Flüchte ich mich damit in eine Illusion, in eine umgrenzte und begrenzte Sicherheit, die alles darum herum ausblendet, bis hin zur Realitätsverweigerung? Oder bin ich nur einfach müde von dem Daueralarm, der draussen herrscht, dem notwendigen sowohl wie dem übertriebenen oder gar dem erfundenen? Dazu kommt noch, dass dieser Daueralarm moralisch aufgeladen ist: Ein schlechter und verantwortungsloser Mensch ist, wer nicht möglichst laut und ununterbrochen mitalarmiert oder der gar da und dort ein bisschen zu relativieren versucht.

Trotzdem leiste ich mir ein Durchatmen unter der Wache Gottes und vertraue darauf, dass ich das neue Jahr aus dem «Haus Gottes» heraus gestärkt und allen Widrigkeiten zum Trotz mit Zuversicht beginnen kann. In diesem Sinne:  Allen ein Gutes und ein gesegnetes neues Jahr!

Von Reinhild Traitler

30. Dezember

Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit  tun. 2. Mose 20,9.10

Work-Life-Balance; das gibt’s offensichtlich schon in der Bibel. Es geht natürlich nicht um die sechs Tage, was ja dann gegen unsere Fünftagewoche spräche, sondern um den Ruhetag, um die verordnete Unterbrechung der Arbeit. Spannend finde ich die Theorie, dass der erste Schöpfungsbericht zur Begründung des Sabbats geschrieben worden sei: Wenn Gott selber sich einen Ruhetag gönnt, dann dürfen das auch die Menschen, die er nach seinem Bild geschaffen hat. So bewahrt er sie vor der Selbstausbeutung. Aber noch mehr: Der Text geht weiter und sagt, dass auch der Knecht, die Magd, der Fremdling, der in den Toren der Stadt weilt, nicht arbeiten soll. Gott schützt diese Menschen vor der Fremdausbeutung. Unsere Ruhe darf nicht auf Kosten anderer gehen, die dafür arbeiten müssen.

Freilich, zu vermeiden wäre das ja nur mit einem kompletten Stillstand nach dem Muster der ultraorthodoxen jüdischen Stadtviertel. Aber diese Fremdausbeutung immerhin zu vermindern, das sollte uns eine Überlegung wert sein. Das gilt erst einmal vor Ort, aber richtig schwierig und schmerzhaft wird es im weltweiten Massstab, wo die Ungleichheit für viele eine Work-Life-Balance illusorisch macht. Da ist noch viel zu tun.

Von Reinhild Traitler

29. Dezember

Jesus Christus war nicht Ja und Nein, sondern  in ihm ist das Ja Wirklichkeit geworden.        2. Korinther 1,19

So ist es, und fertig. Ende der Diskussion. Über den Glauben lässt sich nicht streiten. Zweifel haben keinen Platz, denn die Wahrheit hat sich ja offenbart. Entweder du glaubst, oder du bist raus. Wenn mir Religion so entgegenkommt, verstumme ich. Es zieht sich alles in mir zusammen.

Mein Glaube geht auf schwankenden Brettern. Er trägt, aber er bleibt in Bewegung. Und er ist ein Wagnis, weshalb ich manchmal nasse Füsse bekomme: Eine Bibelstelle stellt sich quer, eine kluge Nachfrage bringt mich ins Grübeln, ein Gleichnis stellt Gerechtigkeitsvorstellungen auf die Probe, ich habe Angst, dass sich das Gefühl, im Glauben beheimatet zu sein und Trost zu finden, verflüchtigt.

Mein Glaube ist ein erzählter Glaube. Die Erzählung braucht nicht eindeutig zu sein, um wahr zu sein. Jesus antwortet auf die Frage nach dem Himmelreich nicht mit Gesetzesartikeln. Stattdessen erzählt er Gleichnisse: Geschichten.

Der biblischen Erzählung darf ich mich anvertrauen. Etwa der Weihnachtsgeschichte, die in diesen Tagen zwischen den Jahren in mir nachklingt. Gott kommt als verletzliches, bedürftiges Kind in die Welt und lässt damit sein bedingungsloses Ja Wirklichkeit werden.

Von Felix Reich

28. Dezember

Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe  und mein Gott ist.     Psalm 42,12

Wer im mittleren Alter keine zehn Sekunden auf einem Bein stehen kann, der hat im späteren Leben ein beinahe doppelt so hohes Todesrisiko. Dieses erschreckende Ergebnis einer Studie lese ich in der Zeitung, ich springe sofort auf und stelle mich auf ein Bein. Eins, zwei, drei … ich komme bis sieben und bin höchst alarmiert. Was soll ich tun? Was kann ich ändern an meinem Leben, damit ich nicht ein doppelt so hohes Todesrisiko habe?

Unruhig, so nehme ich im Moment viele Menschen wahr. Unruhig wegen der politischen Situation, die so unübersichtlich ist. Unruhig wegen der Auswirkungen der Pandemie, mit denen wir uns immer noch nicht arrangiert haben. Unruhig, weil viele ständig versuchen, sich vom Tod loszukaufen durch gesunde Ernährung, Sport und Verzicht. Wer will schon ein doppelt so hohes Todesrisiko – gerade am Ende des Jahres?

Wir haben alle ein hundertprozentiges Todesrisiko! Da lässt sich nichts dran ändern, auch nicht mit Unruhe. Doch gerade in dieser Unruhe helfen mir die Worte des 42. Psalms oder die von Johann Friedrich Räder:

Harre, meine Seele, harre des Herrn; alles ihm befehle, hilft er doch so gern. Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht. Grösser als der Helfer ist die Not ja nicht. Ewige Treue, Retter in Not, rett auch unsre Seele, du treuer  Gott.

Von Sigrun Welke-Holtmann

27. Dezember

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen den Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.       Jakobus 5,7

Der Herr war längst da! Auch in meinem Wohnzimmer habe ich es gefeiert. Geduldig habe ich in der Adventszeit gewartet. Dann drei Tage aus dem Alltag herausgerissen. Und nun? Nun sind die Feiertage vorbei. Die Geschenke sind ausgepackt. Die Familie ist wieder abgereist. Und ich schaue schon in die Zeitung, wann die Bäume vom Sammelplatz abgeholt werden. Jedes Jahr früher, so kommt es mir vor. Und die Unruhe des Alltags erobert mich schon wieder. Weihnachten scheint längst abgehakt.

Der Aufruf der Losung trifft mich heute unzeitig. «Etwas zu spät!», möchte ich Jakobus zurufen, «da hättest du früher kommen müssen.»

Geduldig auf das Kommen des Herrn warten hat seinen Platz im Kirchenjahr. Na klar, man könnte auch sagen: Nach Weihnachten ist vor Weihnachten. Aber ich brauche auch eine Zwischenzeit, sonst hetzt man ja von einem zum anderen. Ich finde, dass die Zeit sowieso immer schneller vergeht, je älter ich werde.

«So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn.» Je länger ich über den Satz nachdenke, desto mehr entfaltet er den Geschmack einer Grundhaltung, die mir abhandengekommen scheint. Es wird schwer, sie wieder einzuüben. Danke, Jakobus, ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.

Von Sigrun Weltke-Holtmann

26. Dezember – Stephanstag

Sie gingen zu ihren Zelten fröhlich und guten Mutes über all das Gute, das der HERR an David, seinem Knecht, und an seinem Volk Israel getan hatte. 1. Könige, 8,66

Sie ziehen ihres Weges fröhlich und guten Mutes: das Volk Israel nach der Einweihung des Tempels; die Hirten, die vom Stall aufbrechen; die Frau am Brunnen nach der Begegnung mit Jesus; der Kämmerer aus Äthiopien, nachdem er getauft wurde, und viele andere mehr. Ihnen allen ist etwas Grosses, Unerwartetes, Erfüllendes widerfahren, das ihr Herz berührt und ihre Sinne aufleben lässt.

Vielleicht kommt Ihnen eine eigene Erfahrung in den Sinn, die zu Herzen ging? «Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?», fragten sich die Jünger in Emmaus …

Ich denke an die junge Frau aus dem Volk der Samen, die bei der ÖRK-Assembly ihre Verbundenheit und Liebe zur Schöpfung, ihre Sorge um die Zukunft der Erde und gleichzeitig ihre Hoffnung und Zuversicht, dass Gottes Liebe in Christus die Welt verwandeln kann, so klar, einfach und bewegend ausdrückte, dass ihre Hoffnungskraft und ihr Mut ansteckten.

Ich finde doch, dass ziemlich viel Mut in der Welt ist, wenn man die Tage  bedenkt, an denen es gar nicht recht hell   wird … schreibt Marie Luise Kaschnitz in einem Gedicht – und ich singe: Fröhlich soll mein Herze springen … (RG 401)

Von Annegret Brauch

25. Dezember – Weihnachtstag

Niemand hat Gott je gesehen; der Einziggeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoss ist, der hat es verkündigt.         Johannes 1,18

Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die  Welt. Unter diesem Motto kommen, während ich dies schreibe, nur wenige hundert Meter entfernt Tausende Christenmenschen aus der ganzen Welt zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen zusammen. Niemand hat Gott je gesehen, aber in und durch Christus, dem menschgewordenen Gott, bekommen wir eine Ahnung, ein Gespür für das Gottesgeschehen, auch dafür, wie Gott in und durch Christus geschieht.

Was vielleicht abstrakt klingt, wird konkret und lebendig in den Geschichten, die er erzählt hat und die über ihn weitererzählt wurden; in den Spuren seiner Liebe, die sich über die ganze Welt ausbreiten, auch wenn sie unter den Schichten von Gewalt, Gier und Grausamkeit manchmal kaum zu entdecken sind.

Weihnachten gilt vielen als das «Fest der Liebe»; oft sind dabei vor allem der private Kreis und das persönliche Umfeld im Blick. Aber Liebe denkt gross und hat einen langen Atem (vgl. 1. Korinther 13). Gottes Liebe hat die ganze Welt, seine ganze Schöpfung im Blick.

Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die  Welt.

Ich bin gespannt, wie diese bewegende Liebe in Karlsruhe und darüber hinaus spürbar sein wird.

Von Annegret Brauch

24. Dezember – Heiliger Abend

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erdenbei den Menschen seines Wohlgefallens.  Lukas 2,14

Wie sehr sehnen wir uns nach dem Frieden, den die Engel jedes Jahr wieder verkünden! So ist dieser Gesang der Engel ein grosser Trost und birgt eine grosse Hoffnung.

Ich frage mich aber schon lange: Ist diese    Formulierung «Friede bei den Menschen seines Wohlgefallens» nicht eine Zusage, die nur den Menschen gilt, die Gott wohl gefallen? Trifft sie nur zu auf die Menschen, die seine Weisungen befolgen, die gut sind – und die andern fallen heraus? Ich habe den Urtext befragt und habe andere Übersetzungen zu Rate gezogen: Die Bibel in gerechter Sprache sagt: «Friede auf Erden bei den Menschen, an denen Gott Freude hat.» Das ist nicht weniger missverständlich. Aber kluge Kommentare haben mich beruhigt: Wörtlich übersetzt heisst der Urtext «und auf der Erde Friede den Menschen des Wohlgefallens», und das bedeutet so viel wie: den Menschen, denn Gott hat Wohlgefallen an ihnen; Gott liebt die Menschen, also auch die, die nicht «gut» sind. Das passt zum Evangelium, zur Nächstenliebe und zur Feindesliebe! Und ich verstehe dies als eine Aufforderung an uns: Haltet Frieden, auch mit denen, die ihr nicht mögt und die euch nicht mögen. Sucht den Frieden auch mit Aggressoren. Wie das geschehen soll, bleibt die grosse Frage. Die Geburt des Kindes und seine Botschaft geben uns Hoffnung, dass es mit seiner Hilfe dennoch gelingt.

Von Elisabeth Raiser

23. Dezember

Gross ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.      1. Timotheus 3,16

Oh ja, gross ist das Geheimnis des Glaubens! Wir hatten kürzlich ein Gespräch in einer Frauengruppe darüber, wen oder was wir uns unter Gott vorstellen, an den alle in der Gruppe glauben und zu dem wir alle beten. Ist Gott ein Er – ist sie eine Sie? Keines von beiden! Aber wer oder was dann? Ein persönlicher Gott, also stellen wir uns eine Person vor, zu der wir sprechen können? Vielleicht. Wir kamen schnell darauf, dass ohne eine Beziehung zwischen Gott und uns der Glaube keinen verstehbaren oder erlebbaren Sinn hat und dass Beten das entscheidende Bindemittel in unserer Beziehung zu Gott ist. Eine junge Frau, die dabei war, schwieg lange, aber plötzlich brach es aus ihr heraus: «Im Katechismus habe ich gehört: Gott musst du dir als Vater vorstellen – oder vielleicht als Mutter. Das kann ich nicht! Mein eigener Vater sagte mir: Nein, Gott ist keine Person, wo sollte die denn sein? Ich denke, Gott ist eine Energie, die wir in uns spüren; die anders, höher ist als wir und die uns belebt. Das kann ich glauben, dieser Kraft kann ich mich anvertrauen.»

Gott und der Glaube an ihn bleiben ein Geheimnis. Die Unaussprechliche, Lebendige, Ewige ist dennoch so nah!

Von Elisabeth Raiser

22. Dezember

Maria kam in das Haus des Zacharias und begrüsste Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruss der Maria hörte, hüpfte das Kind in ihrem  Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist  erfüllt. Lukas 1,40–41

Zwei Frauen begegnen sich. Beide spüren, dass etwas Grosses mit ihnen geschieht. Und auf der Schwelle des Hauses von Elisabeth beginnen sie, das Grosse zu besingen. Sie loben Gott, denn das Grosse kommt von Gott. Die Begegnung dieser beiden Frauen öffnet unser Herz für das, was in ein paar Stunden kommt. Und sie öffnet nicht nur unser Herz, sie weitet auch unseren Blick: Die Begegnung gipfelt im Lobgesang der Maria. Zuerst lobt sie Gott dafür, dass er sie mit der Geburt dieses Kindes beschenkt. Dann öffnet sie ihren Blick in die Gemeinde und damit in die Welt: «Seine Barmherzigkeit gilt von Geschlecht zu Geschlecht denen, die ihn fürchten.»

Zwei Tage vor Weihnachten wird in diesen Worten und denjenigen des ganzen Gesangs der Maria deutlich, dass dieses Kind die Welt verändern wird. Gottes Barmherzigkeit gilt allen, die ihr Vertrauen in den Gott des Lebens setzen. Auch heute dürfen wir uns versichern lassen von dieser Verheissung. Sie soll unser Vertrauen stärken, unsere Aufbrüche in das Leben hinein, auf der Schwelle zu Weihnachten. Und, wer weiss, auf der Schwelle unserer Häuser, wo wir uns begegnen, so wie die beiden Frauen.
Schenke du uns deine Barmherzigkeit.

Von Madeleien Strub-Jaccoud