Autor: Reinhild Traitler

8. Februar

Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass. 1. Thessalonicher 5,16-17

Wo in der Bibel steht die Aufforderung «Betet ohne Unterlass»? So hiess es früher öfter in kirchlichen Kreuzworträtseln.
Diese Art von Fragen ist inzwischen aus der Mode
gekommen; vielleicht auch in dem Mass, in dem die Bibelkenntnisse
und die Kirchennähe der Bevölkerung abgenommen
haben.
Mir gefällt die Nähe von Gebet und Fröhlichkeit. Es ist fast
so etwas wie eine Pille gegen die spirituelle Traurigkeit, die
viele Menschen zu überfallen scheint, wenn es ans Beten
geht! Aber was heisst es wirklich, ohne Unterlass zu beten?
Manchmal, wenn mich einen Augenblick lang eine unerklärliche
Verzagtheit überfällt, gibt es gleich darauf eine
Gegenwelle: das überwältigende Gefühl, dass DU an meiner
Seite gehst, dass die Welt mich überwältigt mit ihrer
Schönheit und dass du, Gott, selbst mich an der Hand hältst,
solange ich es brauche.
Paulus und seine Gehilfen Silvanus und Timotheus haben
diese Erfahrung aufgeschrieben, Sie können sie im ersten
Brief an die Thessalonicher (übrigens der ersten Schrift im
Neuen Testament) nachlesen!

Von: Reinhild Traitler

7. Februar

Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben,
werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch
widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass
ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Johannes 15,7–8

Als Kind habe ich felsenfest geglaubt, ich müsste nur intensiv
an etwas denken und ständig darum bitten, und es ginge
in Erfüllung. So habe ich also eifrig und unaufhörlich gebetet,
um alles in meinem Leben, sogar um die damals kostbare
Tafel Schokolade – Gott würde meine Bitten erfüllen,
schliesslich war er allmächtig, und er liebte seine Menschen
und wollte ihnen Gutes tun.
Als ich älter wurde, dachte ich manchmal, das sei vielleicht
doch etwas zu kurz gegriffen. Was sollte Gott wohl anfangen
mit all den Schurken, die ungestraft umherlaufen? Sollte ich
mich zum Richter aufschwingen und entscheiden, ob der
Daumen rauf oder runter gedreht werde, ähnlich wie bei
einem Boxkampf?
Noch ein wenig später kam die Erkenntnis, dass es nicht
darum geht, sich zu rächen und Böses mit Bösem zu vergelten.
Interessant, aber unrealisierbar?
Überhaupt ging es mehr und mehr darum, einfach in der
Liebe zu bleiben. Verbunden bleiben mit Gott und den Menschen
hiess zunehmend auch, in der Liebe zu wachsen.

Von: Reinhild Traitler

31. Dezember – Silvester

Ich will mich selbst als Wache um mein Haus lagern. Sacharja 9,8

Es ist kein besonders friedlicher und optimistischer Altjahrsabend, der uns in diesem Jahr erwartet. Der Rückblick erinnert uns an Krieg und Krankheit, und der Ausblick malt düstere Wolken an den Zukunftshorizont – Wirtschaft, Weltpolitik, Klima, Biodiversität, Altersvorsorge und was uns da noch alles Sorgen macht. Soll ich mich da nicht einfach einmal zurückziehen ins Private, in meine Wohnung, mein Haus, oder eben in Gottes Haus, dahin, wo er selbst die Wache ist? Flüchte ich mich damit in eine Illusion, in eine umgrenzte und begrenzte Sicherheit, die alles darum herum ausblendet, bis hin zur Realitätsverweigerung? Oder bin ich nur einfach müde von dem Daueralarm, der draussen herrscht, dem notwendigen sowohl wie dem übertriebenen oder gar dem erfundenen? Dazu kommt noch, dass dieser Daueralarm moralisch aufgeladen ist: Ein schlechter und verantwortungsloser Mensch ist, wer nicht möglichst laut und ununterbrochen mitalarmiert oder der gar da und dort ein bisschen zu relativieren versucht.

Trotzdem leiste ich mir ein Durchatmen unter der Wache Gottes und vertraue darauf, dass ich das neue Jahr aus dem «Haus Gottes» heraus gestärkt und allen Widrigkeiten zum Trotz mit Zuversicht beginnen kann. In diesem Sinne:  Allen ein Gutes und ein gesegnetes neues Jahr!

Von Reinhild Traitler

30. Dezember

Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit  tun. 2. Mose 20,9.10

Work-Life-Balance; das gibt’s offensichtlich schon in der Bibel. Es geht natürlich nicht um die sechs Tage, was ja dann gegen unsere Fünftagewoche spräche, sondern um den Ruhetag, um die verordnete Unterbrechung der Arbeit. Spannend finde ich die Theorie, dass der erste Schöpfungsbericht zur Begründung des Sabbats geschrieben worden sei: Wenn Gott selber sich einen Ruhetag gönnt, dann dürfen das auch die Menschen, die er nach seinem Bild geschaffen hat. So bewahrt er sie vor der Selbstausbeutung. Aber noch mehr: Der Text geht weiter und sagt, dass auch der Knecht, die Magd, der Fremdling, der in den Toren der Stadt weilt, nicht arbeiten soll. Gott schützt diese Menschen vor der Fremdausbeutung. Unsere Ruhe darf nicht auf Kosten anderer gehen, die dafür arbeiten müssen.

Freilich, zu vermeiden wäre das ja nur mit einem kompletten Stillstand nach dem Muster der ultraorthodoxen jüdischen Stadtviertel. Aber diese Fremdausbeutung immerhin zu vermindern, das sollte uns eine Überlegung wert sein. Das gilt erst einmal vor Ort, aber richtig schwierig und schmerzhaft wird es im weltweiten Massstab, wo die Ungleichheit für viele eine Work-Life-Balance illusorisch macht. Da ist noch viel zu tun.

Von Reinhild Traitler

31. Oktober

Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Römer 12,9

In meiner Kindheit und Jugend in Österreich habe ich viele Erfahrungen gesammelt, was es bedeutet, einer Minderheit anzugehören. Man wird ein bisschen schrullig, weil man ja fast keine Möglichkeiten hat, an der Machtfülle der Mehrheit teilzunehmen. Es war schon ein kleiner Triumph, als Österreichs Protestanten den 31. Oktober, den Reformationstag, als offiziellen Feiertag zugesprochen erhielten. An diesem Tag würden wir uns vorstellen und darstellen. Ab sofort wurde die «feste Burg» im Stehen gesungen, so als ob es sich um eine Nationalhymne handelte. Und in gewissem Sinn war es ja eine Nationalhymne. Wir liebten es auch, uns als eine intellektuelle Elite darzustellen, noch bevor wir wuss- ten, was das Wort «intellektuell» eigentlich bedeutet. Mit all dem hoben wir aber empor, was wir eigentlich vertuschen wollten: Wir waren anders. Und wir redeten über Gleiches auf eine andere Art.

Diese folkloristische Darstellung des Protestantismus wurde schon in der Volksschule zertrümmert. Dafür hat der Pfarrer, der mich konfirmiert hat, gesorgt. Er hat mir klargemacht, dass es auf all die Riten nicht so sehr ankomme. Schön anzusehen, aber nicht wirklich nötig.
Wir könnten ohnehin nichts dazutun, es sei alles Gnade. Ja, aber all die guten Ratschläge? Die verbessern das Klima!

Von Reinhild Traitler

30. Oktober

Jesus sprach zu den Jüngern: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr denn noch keinen Glauben? Markus 4,40

Das Hauptwort in diesem Vers ist das Wörtchen «noch».
«Habt ihr noch keinen Glauben!» Trotz allem, was ihr mit mir erlebt habt. Alle die Wunder, all das Ungewöhnliche, fast wie Zauberei. Aber es ist nicht Zauberei, sondern die feste Überzeugung, dass in der Tiefe unserer Not und unseres Leidens eine Heilung wächst. Dass jemand uns Segen und Geborgensein zuspricht; dass Gott selbst einen Engel schickt, der uns in den Arm nimmt und tröstet und die nächsten Schritte, jene, die wir nicht selbst gehen können, mit uns geht.
Aber wir sind furchtsam. Statt uns seinem starken Arm anzuvertrauen, klagen wir über unsere Schwäche, unsere Angst, unser Unvermögen.
Haben wir denn noch keinen Glauben?

Ich denke, wir haben keinen Glaubens-Selbstbedienungsladen. Gott hilft, Gott schützt. Aber, wie Bonhoeffer einmal gesagt hat, er tut es nicht im Vorhinein. Vertrauen in Gottes Tun entsteht, wenn wir uns Gott anvertrauen. Mit Jesus auf dem Weg zu sein, braucht unser Vertrauen, unser Uns-Anvertrauen.

Erhalte mich auf deinen Stegen und lass mich nicht mehr irre gehen. (Johann Scheffler)

Von Reinhild Traitler

8. Oktober

Viele Propheten und Gerechte haben sich gesehnt, zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört und haben es nicht gehört.
Matthäus 13,17

Glauben ist ein dehnbarer Begriff. Jede und jeder von uns bringt die eigene Erfahrung ins Spiel. Für mich bedeutet Glauben nicht etwas Statisches, sondern eher eine unaufhörliche Auseinandersetzung mit einer Sehnsucht, einem Sehnen nach etwas, das wir umso schmerzhafter spüren, je mehr es uns mangelt. Es ist da, und gleichzeitig fehlt es. Es ist wie ein kaltes Feuer, das entzündet werden möchte, aber es brennt ja schon!
Es brennt, aber es wärmt noch nicht.
Wir warten noch auf die Erfüllung dieser immerwährenden Sehnsucht, die Menschen seit jeher mit sich getragen haben und für die sie keinen Namen oder vielleicht überwältigend viele Namen haben. Aus diesem Gefühl der Sehnsucht nach Verbundensein haben viele Prophetinnen und Propheten grosse Kraft und Inspiration für ihr Leben geschöpft.

Sehnsucht weist in die Zukunft: Sie verbirgt und enthüllt gleichzeitig: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Und doch zeigt es sich schon überall, wie die Schönheit eines gerade erst geborenen Menschenkindes. Wenn die Geduld gross genug sein wird, sehen und hören die Prophetinnen und Propheten schlussendlich doch etwas im Durcheinander verschiedener Geräusche.

Von Reinhild Traitler

7. Oktober

Sein Zorn währet einen Augenblick und lebenslang seine Gnade. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude. Psalm 30,6

In meiner Familie gab es eine gewisse Häufung von Mitgliedern, die in Sekundenschnelle auf 180 Grad «steigen» konnten. Das machte sich dann auf unterschiedliche Art bemerkbar. Die einen schimpften so laut, dass auch die Nachbarn etwas davon hatten; die anderen «fäulten» – so nannten wir es, wenn dieser oder jener so richtig wütend wurde, aber nichts sagte. Es gab einen Champion im Versprühen von leisem Zorn. Er verschwand an ruhige Orte und schwieg, gelegentlich drei, vier Tage oder auch fünf, dann war alles wieder gut. Nicht für mich allerdings, weil ich öfter nicht einmal wusste, warum er auf einmal auf Tauchstation war. Trotzdem haben wir immer wieder «Frieden geschlossen», mit allen! Der Zorn währt einen Augenblick und lebenslang seine Gnade. Wie oft habe ich diesen Vers gebetet und war dankbar, dass er da in der Bibel steht, fett gedruckt im 30. Psalm, dass er mich tröstet, wenn ich mal da und dort ein Wort in
die falsche Kehle gekriegt habe.
Wie wunderbar es doch ist: Auf das Weinen folgt die Freude.
Lebenslang ist mir Gottes Gnade zugesagt. «Und des Morgens ist Freude!»

Von Reinhild Traitler

8. August

Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat: Gott ist Liebe, und wer in der Liebe  bleibt,der bleibt in Gott und Gott in ihm.       1. Johannes 4,16

In der Liebe bleiben. Verbunden bleiben mit Gott und den Menschen.

Darauf verzichten, sich zu rächen und Böses mit Bösem zu vergelten, Nörgelei mit Nörgelei, neue Möglichkeiten mit Misstrauen und Skepsis mit Skepsis.

In der Liebe bleiben: sich freuen über jedes Stück blauen Himmel und über das Sternenmeer bei Nacht.

Dankbar sein für das Alltägliche einer warmen Mahlzeit: Voller Freude teilen, was wir haben.

Gott teilt seine Schöpfung mit uns. Indem er teilt, teilt er sich mit.

In der Liebe bleiben: langsam, geduldig in Gottes Bild hineinwachsen.

Gutes tun.

Verbunden bleiben mit allem Lebendigen.

Du sagst: Verbunden bleiben in der Liebe. Das heisst: Verbunden bleiben mit Gott.

Von Reinhild Traitler

7. August

Fürchte dich nicht, du von Gott Geliebter! Friede sei mit dir! Sei getrost, sei getrost!        Daniel, 10,19

Trost stammt aus der gleichen sprachlichen Wurzel wie Treue. Es bezeichnet einen längerdauernden Prozess, eine geduldige Erwartung der Zukunft. «Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden», heisst es im 1. Johannesbrief (Kap 3,2). Der Satz enthält die Zuversicht, dass dieses noch nicht Sichtbare noch erscheinen wird.

Die Zusicherung, dass wir noch am Werden sind, ein work in progress, finde ich tröstlich. Eine Zukunft ist mir zugesagt. Ich kann aus Vertrauen einfach leben und voller Zuversicht jedem neuen Tag entgegenblicken. Was ich sein werde, bestimme nicht (nur) ich selber. Unter vielen Möglichkeiten schält es sich mit Gottes Hilfe langsam heraus; oft ist es mir selbst unbewusst. Immer wieder staune ich, was ich alles geschenkt bekommen habe; freue mich über Menschen, die mit mir auf dem Weg waren und sind; bin glücklich, wenn der Tag freundlich ist; und hoffe, dass es ein Tag des Friedens werde.

Schritt für Schritt gehe ich, gehen wir, im Vertrauen, dass Gott es gut meint mit mir, mit uns allen. Dass Gott nicht ohne Trost und Hilfe lassen wird, was er geschaffen hat.

Von Reinhild Traitler