Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben,
werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch
widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass
ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Johannes 15,7–8

Als Kind habe ich felsenfest geglaubt, ich müsste nur intensiv
an etwas denken und ständig darum bitten, und es ginge
in Erfüllung. So habe ich also eifrig und unaufhörlich gebetet,
um alles in meinem Leben, sogar um die damals kostbare
Tafel Schokolade – Gott würde meine Bitten erfüllen,
schliesslich war er allmächtig, und er liebte seine Menschen
und wollte ihnen Gutes tun.
Als ich älter wurde, dachte ich manchmal, das sei vielleicht
doch etwas zu kurz gegriffen. Was sollte Gott wohl anfangen
mit all den Schurken, die ungestraft umherlaufen? Sollte ich
mich zum Richter aufschwingen und entscheiden, ob der
Daumen rauf oder runter gedreht werde, ähnlich wie bei
einem Boxkampf?
Noch ein wenig später kam die Erkenntnis, dass es nicht
darum geht, sich zu rächen und Böses mit Bösem zu vergelten.
Interessant, aber unrealisierbar?
Überhaupt ging es mehr und mehr darum, einfach in der
Liebe zu bleiben. Verbunden bleiben mit Gott und den Menschen
hiess zunehmend auch, in der Liebe zu wachsen.

Von: Reinhild Traitler