Autor: Reinhild Traitler

31. Juli

Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist  nahe; denn es ist hier kein Helfer.                       Psalm 22,12

Ich bin ein ängstlicher Mensch. Mein Herz klopft automatisch schneller, wenn ich irgendwo im Haus ein unbekanntes Geräusch wahrnehme. Die Angst kommt unangemeldet und ungebeten. Ich vermute, dass sie ein Überbleibsel der vielen Bombennächte ist, denen ich als Kleinkind im kriegsgebeutelten Berlin ausgesetzt war.

Das Fiese an der Angst: Sie ist ein schnelles Gefühl, das mich einfach überfällt. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, und so habe ich begonnen, Strategien gegen die Angst zu sammeln.

Die bei Weitem effektivste und auch am einfachsten anwendbare ist: das Gebet! In der spirituellen Praxis der Christinnen und Christen spielt es eine herausragende Rolle. Es kommt als Dank- und Bittgebet, als Lobpreis, aber auch als Stossgebet, als inniger Austausch, als Gebet ohne Worte, in dem wir uns immer mehr Gottes Führung überlassen.

Wenn ich bete, werde ich meistens ruhig. Oder zumindest ruhiger. Dann schwindet das verzweifelte Gefühl, dass ich alleingelassen bin und kein Helfer, keine Helferin in Sicht ist. Ich glaube, ich bin nie allein, aber oft verstelle ich mir selbst die Sicht auf Gottes helfende Hand, auf die Botschaft die Gott uns, mir, senden will. Die versteckt sich nicht im Knarren im Gebälk, sondern in der Begegnung mit der Lebendigen und ihrer lebendig machenden Liebe.

Von Reinhild Traitler

30. Juli

Jesus sprach zu Pilatus: Ich bin dazu geboren  und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine  Stimme. Johannes 18,37

Meistens verwechseln wir das Wahre mit dem Richtigen. Das Wort «richtig» hängt ja mit dem Recht zusammen. Das Recht ist ein hohes Gut und wir dürfen es nicht kleinreden.

Aber das Wahre zielt in eine andere Richtung. Vielleicht könnte man sagen, es sucht die innere Entsprechung eines äusseren Geschehens. Jesus wirkt Wunder, heilt Kranke und schenkt Lahmen das, was sie sich schon immer gewünscht haben, das Gehen, Hüpfen, Laufen, das Schweben und Schreiten!

Ich habe früher oft ethnische Tänze getanzt und habe immer diesen magischen Moment geliebt, wo es begann, in mir zu tanzen. Die Schritte kamen von selbst, und jede Bewegung versetzte mich in Euphorie, auch wenn mein Tanzen einem Ballett wahrlich keine Ehre gemacht hätte. Aber es gab diese Augenblicke der Übereinstimmung, die Schritte erzählten meine Geschichte auf eine ganz andere Art, mein ganzer Körper war plötzlich ein Instrument, das Musik spielte, seine eigene Musik.

Wahrheit: eine grösstmögliche Annäherung an das in uns schlummernde Urbild, das göttliche Bild.

Von Reinhild Traitler

8. Juni

Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht.    1. Samuel 2,7

Vielleicht kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor. Und auch die folgenden: «Er hebt auf die Dürftigen aus dem Staub und erhöht die Armen aus der Asche.» (Vers 6) Oder der vorangehende Satz: «Die satt waren, müssen um Brot dienen und die Hunger litten, hungert nicht mehr.»

Immer wieder beeindrucken mich diese Worte aus dem Lied der Hanna, der Mutter des Propheten Samuel: Da singt eine Frau ein Willkommenslied für ihr Neugeborenes, und was wünscht diese Mutter ihrem Kind? Weder Reichtum, Ruhm, Erfolg und Macht, weder Klugheit noch Bewunderung! Auch nicht spirituelle Höhenflüge und Erleuchtungen. Sie bittet um den grossen Ausgleich. Niemand soll zu viel und niemand zu wenig haben. Genüge schafft ausgleichende Gerechtigkeit: Das Leben, das Gott uns geschenkt hat, will geteilt werden. Nahrung und Gotteslob. Wir geben alle von dem, was jeder und jede von uns empfangen hat, und wir empfangen von allen, den Lebenden und den Toten, was wir brauchen. Nicht aus dem Horten und Festhalten wächst das gute Leben, sondern aus allem, was wir miteinander teilen – Wissen und Poesie ebenso wie Essen und Trinken und… Oder die Erinnerung an alte Verheissungen, so wie Maria sich daran erinnert.

Und all das zum Lob Gottes und zur Freude von uns allen!

Von Reinhild Traiter

7. Juni

Wer mir dienen will, der folge mir nach, und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.           Johannes 12, 26

Der Vers erscheint mir wie eine Kürzestfassung christlicher Lehre. Es geht um das rechte Verständnis der Lehre Jesu. Der Diener, der Jesus folgen soll, trägt also nicht den Picknickkorb und den Klappstuhl, sondern ist jederzeit in der Nähe seines Herrn und versucht, den Willen des Herrn zu tun, noch ehe der ihn kundgetan hat. Nein, Dienst ist hier nicht das symbiotische Verschmelzen des Dieners mit den Wünschen des Herrn. Vielmehr ist es das Eingehen auf die verschiedenen Bedürfnisse der unterschiedlichen Menschen, die zu Jesus gekommen sind, weil sie sich von ihm etwas erhoffen: die Achtsamkeit dem Leben und den Respekt den Andersartigen gegenüber, auch dort, wo man keinen Gewinn daraus ziehen kann.

Und es geht um Dankbarkeit für das Leben, auch dann, wenn nicht alles gelungen scheint und wir an vielen Versäumnissen und Unvollkommenheiten leiden. Gott selbst muss ja manchmal üben und es nochmal versuchen. Und die Nachfolge, von der Jesus spricht, ist vielleicht eine Einübung, die Möglichkeiten wahrzunehmen.

Gott, lass mich dein Diener sein oder deine Dienerin! Ich will nicht unterwürfig sein, sondern dankbar für das Leben in deiner Nähe und mit dir.

Ist das vielleicht das «ewige Leben»?

Von Reinhild Traitler

Mittelteil Mai / Juni

«mächtig stolz»

«mächtig stolz» – das ist der Titel einer Textsammlung,  die im Mai erschienen ist. 70 Frauen erinnern sich an die Anfänge und Entwicklungen der feministischen Theologie und der Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz. Eine von diesen Autorinnen ist Ihnen wohlbekannt: Reinhild Traitler. Im Folgenden ein Ausschnitt aus ihrem Text über ihre Jahre als Studienleiterin von Boldern von 1984 bis 2003.

… Das am Fuss des Zürichbergs in der Voltastrasse gelegene Boldernhaus war das Stadthaus des Evangelischen Tagungszentrums Boldern bei Männedorf …

Das Boldernhaus war schon seit längerer Zeit schwerpunktmässig ein «Frauenhaus» gewesen. In der Wohnung im zweiten Stock, in die ich nun einziehen würde, hatten viele Jahre lang zwei Ikonen der Schweizer Frauenbewegung residiert: Marga Bührig und Else Kähler.

… Feminismus – die Vokabel war mir damals zwar bereits geläufig, aber noch etwas blass. Ich hatte jahrelang mit gescheiten Männern zusammengearbeitet, für welche die Frauenfrage ein «Nebenwiderspruch» war. Zudem machte ich im ÖRK immer wieder die Erfahrung, dass Frauen ihre Anliegen in einer anderen Sprache und durch andere Vermittlungen darstellen wollten und deswegen oft nicht gehört oder ernst genommen wurden. Auch war das, was wir feministische Theologie nannten, kein Monolith, sondern eher ein Konglomerat, das die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen unter dem Stichwort «Erfahrung» ebenso einbezog wie kreative Formen des Ausdrucks oder liturgische Experimente wie ein «Abendmahl am Küchentisch». Wir fragten nach, inwieweit der weibliche Körper die soziale Existenz von Frauen geprägt hatte und noch prägte und wie das sichtbar gemacht werden konnte …

… Die viel zu grossen Erwartungen und die Hoffnung, dass daraus dennoch etwas werden könnte, all das stand auf einmal vor mir bei meinem Einzug ins Boldernhaus in diesem August 1984. Als wir im Eiltempo die Wohnung eingerichtet hatten, waren auch schon die Frauen an der Tür, die mir helfen wollten, das Haus nach der Pensionierung von Marga Bührig und Else Kähler neu zu positionieren. Einige von ihnen hatte ich in den Anfangswochen in Zürich bereits kennengelernt. Besonders Pfarrerin Dora Wegmann war in dieser Zeit des Sich-Zurechtfindens eine grosse Hilfe. Bei vielen Tassen Kaffee hörte ich von der langen Tradition von Frauenarbeit im Boldernhaus, die vor allem auf Angebote zur Lebenshilfe fokussiert war.

Bei diesen Gesprächen mit einem langsam grösser werdenden Kreis von Frauen ging es letztlich immer wieder um die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Leben, auch im öffentlichen Leben der Kirchen; also um die Teilhabe von Frauen an der Macht und damit an der Möglichkeit, das Leben der Gemeinschaft mitzugestalten. Schliesslich ging es auch um die kritische Betrachtung des privaten Raums als eines ambivalenten Ortes, wo Frauen nicht nur Schutz erhielten, sondern auch Gewalt erlitten. Schon damals und nicht erst   mit der #MeToo-Bewegung haben sich Frauen mit sexueller Gewalt in all ihren Formen auseinandergesetzt: von der unsichtbaren häuslichen Gewalt bis zu brutalster sexueller Gewalt an Frauen als Mittel der Kriegsführung, etwa im Bosnienkrieg.

Theologisch fragten wir nach, was es bedeutet, dass die Menschen im biblischen Schöpfungsverständnis nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Da sie sich von diesem Gott kein Bildnis machen dürfen, waren sie auf Bilder von sich selbst zurückgeworfen. Und da mussten Frauen entdecken, dass Gottebenbildlichkeit in der christlichen Tradition weitgehend Mann-Ebenbildlichkeit bedeutet hatte. Frauen wurden von Männern gedacht, beschrieben, gemalt, besungen, aus der Perspektive von Männern «erfunden» und beherrscht. Kurz: Die Definitionsmacht über weibliche Existenz hatten Männer …

… Die entstehende Arbeits- und Begleitgruppe «Feministische Theologie» war sich bald einig: In den kommenden Jahren wollten wir uns schwerpunktmässig mit den Gottes- und Menschenbildern unserer Tradition auseinandersetzen und nachfragen, ob und wie in ihnen Erfahrungen von    Frauen gespiegelt sind: Unterdrückungserfahrungen, aber auch Utopien von Befreiung und gelungenem Leben. Und welche Konsequenzen das für ein Frauen-Menschenbild hätte.

Mit dabei war nun auch Gina Schibler, die junge Pfarre- rin, die der Vorstand des Boldernvereins für das Ressort «Persönliche Lebensgestaltung» ins Studienleitungsteam gewählt hatte und die 1985 ihre Arbeit aufnahm. Wir waren uns schnell einig, dass wir ein grösseres feministisch-theologisches Projekt gemeinsam entwickeln wollten.

Von Reinhild Traitler

«mächtig stolz». 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz, hg. von Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet, unter Mitarbeit von Monika Hungerbühler, eFeF-Verlag, 2022. ca. 300 Seiten, Fr. 40.–.

«Mächtig stolz»

«mächtig stolz» – das ist der Titel einer Textsammlung,   die im Mai erschienen ist. 70 Frauen erinnern sich an die Anfänge und Entwicklungen der feministischen Theologie und der Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz. Eine von diesen Autorinnen ist Ihnen wohlbekannt: Reinhild Traitler. Im Folgenden ein Ausschnitt aus ihrem Text über ihre Jahre als Studienleiterin von Boldern von 1984 bis 2003.

… Das am Fuss des Zürichbergs in der Voltastrasse gelegene Boldernhaus war das Stadthaus des Evangelischen Tagungszentrums Boldern bei Männedorf… Das Boldernhaus war schon seit längerer Zeit schwerpunktmässig ein «Frauenhaus» gewesen. In der Wohnung im zweiten Stock, in die ich nun einziehen würde, hatten viele Jahre lang zwei Ikonen der Schweizer Frauenbewegung residiert: Marga Bührig und Else Kähler.

… Feminismus – die Vokabel war mir damals zwar bereits geläufig, aber noch etwas blass. Ich hatte jahrelang mit gescheiten Männern zusammengearbeitet, für welche die Frauenfrage ein «Nebenwiderspruch» war. Zudem machte ich im ÖRK immer wieder die Erfahrung, dass Frauen ihre Anliegen in einer anderen Sprache und durch andere Vermittlungen darstellen wollten und deswegen oft nicht gehört oder ernst genommen wurden. Auch war das, was wir feministische Theologie nannten, kein Monolith, sondern eher ein Konglomerat, das die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen unter dem Stichwort «Erfahrung» ebenso einbezog wie kreative Formen des Ausdrucks oder liturgische Experimente wie ein «Abendmahl am Küchentisch». Wir fragten nach, inwieweit der weibliche Körper die soziale Existenz von Frauen geprägt hatte und noch prägte und wie das sichtbar gemacht werden konnte …

… Die viel zu grossen Erwartungen und die Hoffnung, dass daraus dennoch etwas werden könnte, all das stand auf einmal vor mir bei meinem Einzug ins Boldernhaus in diesem August 1984. Als wir im Eiltempo die Wohnung eingerichtet hatten, waren auch schon die Frauen an der Tür, die mir helfen wollten, das Haus nach der Pensionierung von Marga Bührig und Else Kähler neu zu positionieren. Einige von ihnen hatte ich in den Anfangswochen in Zürich bereits kennengelernt. Besonders Pfarrerin Dora Wegmann war in dieser Zeit des Sich-Zurechtfindens eine grosse Hilfe. Bei vielen Tassen Kaffee hörte ich von der langen Tradition von Frauenarbeit im Boldernhaus, die vor allem auf Angebote zur Lebenshilfe fokussiert war.

Bei diesen Gesprächen mit einem langsam grösser werdenden Kreis von Frauen ging es letztlich immer wieder um die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Leben, auch im öffentlichen Leben der Kirchen; also um die Teilhabe von Teilhabe von Frauen an der Macht und damit an der Möglichkeit, das Leben der Gemeinschaft mitzugestalten. Schliesslich ging es auch um die kritische Betrachtung des privaten Raums als eines ambivalenten Ortes, wo Frauen nicht nur Schutz erhielten, sondern auch Gewalt erlitten. Schon damals und nicht erst    mit der #MeToo-Bewegung haben sich Frauen mit sexueller Gewalt in all ihren Formen auseinandergesetzt: von der unsichtbaren häuslichen Gewalt bis zu brutalster sexueller Gewalt an Frauen als Mittel der Kriegsführung, etwa im Bosnienkrieg.

Theologisch fragten wir nach, was es bedeutet, dass die Menschen im biblischen Schöpfungsverständnis nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Da sie sich von diesem Gott kein Bildnis machen dürfen, waren sie auf Bilder von sich selbst zurückgeworfen. Und da mussten Frauen entdecken, dass Gottebenbildlichkeit in der christlichen Tradition weitgehend Mann-Ebenbildlichkeit bedeutet hatte. Frauen wurden von Männern gedacht, beschrieben, gemalt, besungen, aus der Perspektive von Männern «erfunden» und beherrscht. Kurz: Die Definitionsmacht über weibliche Existenz hatten Männer …

… Die entstehende Arbeits- und Begleitgruppe «Feministische Theologie» war sich bald einig: In den kommenden Jahren wollten wir uns schwerpunktmässig mit den Gottes- und Menschenbildern unserer Tradition auseinandersetzen und nachfragen, ob und wie in ihnen Erfahrungen von    Frauen gespiegelt sind: Unterdrückungserfahrungen, aber auch Utopien von Befreiung und gelungenem Leben. Und welche Konsequenzen das für ein Frauen-Menschenbild hätte.

Mit dabei war nun auch Gina Schibler, die junge Pfarrerin, die der Vorstand des Boldernvereins für das Ressort «Persönliche Lebensgestaltung» ins Studienleitungsteam gewählt hatte und die 1985 ihre Arbeit aufnahm. Wir waren uns schnell einig, dass wir ein grösseres feministisch-theologisches Projekt gemeinsam entwickeln wollten.

Reinhild Traitler

«mächtig stolz». 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz, hg. von Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet, unter Mitarbeit von Monika Hungerbühler, eFeF-Verlag, 2022. ca. 300 Seiten, Fr. 40.–.

31. Mai

Jedem Einzelnen von uns ist die Gnade gegeben nach dem Mass, mit dem Christus zu geben pflegt. Epheser 4,7

Wenn Sie sich ein wenig Zeit nehmen können, dann lesen Sie das wunderbare vierte Kapitel des Briefes an die Epheser. Es beschreibt die Elemente christlicher Lebensführung – ein immer noch gültiger «Fahrplan», der uns hilft, auch heute. Luther hat das Kapitel in drei Teile geteilt: Die Einheit im Geist und die Vielfalt der Gaben; der alte und der neue Mensch; und Weisungen für das neue Leben. Ziel ist es «wahrhaftig zu sein in der Liebe und zu wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Jesus Christus» (Vers 15).

Ein Leitmotiv ist die Frage, wie aus der Vielfalt der Menschen und ihrer Gaben eine geeinte Gemeinde wachsen kann. Einander in Liebe zu ertragen, ist wohl ein anspruchsvolles Ziel, aber kein leicht erreichbares! «Die Einigkeit im Geist zu wahren und durch das Band des Friedens» zu stärken, ist von den Anfängen her die Methode des gemeinsamen Lebens. Dafür verwendet der Apostel das Bild des Leibes und seiner verschiedenen Glieder, die alle zusammenwirken, damit ein lebendiger Körper entstehen kann. In Erwartung der gemeinsamen Zukunft, in der die Gnadengaben sich voll entfalten werden, vertrauen die Menschen Gottes Verheissungen schon heute und erleben, wie ein Glied das andere stützt und der Leib sich aufbaut in der Liebe und umwunden vom Band des Friedens.

Von Reinhild Traitler

30. Mai

Ich bin arm und elend; der HERR aber sorgt für  mich. Psalm 40,18

Der Sänger dieses Psalmgebets ist «ganz unten» angekommen, in der «grausigen Grube aus lauter Schmutz und Schlamm». Was ihm bleibt: die Geduld, das Ausharren, das Schreien. Und das Vertrauen, dass Gott sorgt.

Wer Hilfe braucht, muss zuerst einmal dazu schauen, dass sein Anliegen wahrgenommen wird. Er muss für sich sel- bebitten. Das fällt vielen Menschen schwer: Wir leben in Gesellschaften, in denen Eigenverantwortung hoch im Kurs steht und man schnell bei der Hand ist, nach Schuldigen zu suchen, wenn die Dinge schieflaufen: Schliesslich ist jeder selber seines Glückes Schmied. Der Beter ist sich bewusst geworden, dass er selbst zu seiner bedrohlichen Lage beigetragen hat: «Meine Sünden haben mich ereilt, ich kann sie nicht überblicken», klagt er. Und: «Mein Herz ist verzagt.»

Solche Verzagtheit kenne ich ebenfalls,  auch wenn ich sie anders beschreiben würde: Ich lebe in einer Zeit und in einem Umfeld, das geprägt ist von Diversität: Ich trudle, strudle dahin, ohne den Fokus zu finden. Er hält sich unter Tausenden von Angeboten für Lebenslust und Lebenssinn versteckt, darunter auch vielen, die dem Leben nicht dienlich sind. In dieser Situation, mit all ihren Verlockungen und Leiden harren wir aus, harre ich aus, und bitte:

Lass deine Güte und Treue allewege mich  behüten.

Von Reinhild Traitler

8. April

David sprach zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN.
Nathan sprach: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen;
du wirst nicht sterben.
2. Samuel 12,13

Wir kennen die Geschichte: König David, ein Schwerenöter, wie er im Buche steht, sieht der Frau seines Feldherrn Uria beim Baden zu, und schon sinnt er darauf, wie er die schöne Bathseba von der Badewanne ins Bett verfrachten und ihren Ehemann als Rivalen ausschalten könnte. David hat Glück: Uria ist mit seinen Männern auf einem Feldzug, und der Tod im Gefecht lässt sich arrangieren: Uria wird an die vorderste Front versetzt und fällt im Kampf. Das Kalkül geht auf: Nun kann David Bathseba in seinen Palast bringen und sie zu seiner Frau machen.

Ich habe diese Story immer mit Wut im Bauch gelesen. Bathseba ist einfach ein Objekt in einer Geschichte, wo es um die Rivalität zwischen Männern geht. So kam es mir vor, und so kann man die Geschichte lesen. Man kann sie aber auch als Ermahnung an die Herrschenden lesen, auch sie müssen sich an Regeln halten und dürfen nicht nach Willkür regieren. Der Prophet Nathan macht David klar, dass er sich nicht an die Regeln gehalten und nicht den Schwächeren geschützt hat. Was mir wichtig geworden ist an der Geschichte: König David ist ein Mann der Macht. Aber er lernt, dass auch die Mächtigen Fehler machen. Er gibt zu, dass er gesündigt und für den eigenen Vorteil das Leben eines anderen aufs Spiel gesetzt hat.

Von Reinhild Traitler

7. April

Daran erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind, und können vor ihm unser Herz überzeugen, dass, wenn uns unser Herz verdammt, Gott grösser ist als unser Herz und erkennt alle Dinge.
1. Johannes 3,19–20

Gott – grösser als unser Herz? Was stelle ich mir darunter vor? Ist unser Herz, metaphorisch gesprochen, nicht das Zentrum unseres guten Wollens und Wirkens? Kommt nicht alles Gute von Herzen, vom Herzen – oder bilden wir uns das nur ein? Kann auch Böses vom Herzen kommen? Überhaupt, was ist dieses Herz? Der Verstärker unserer Wünsche? Auch der falschen, schädlichen, zerstörerischen Wünsche? Oder aber der Ort unserer Einsichten? Im Herzen blitzt Erkenntnis auf. Das Wort Gottes will nicht allein gehört, sondern auch getan werden: Es bewahrheitet sich, wenn es wirklich wird (Vers 22).

Das Wort wird wirklich, indem es Grundlage des Handelns wird. Das gelingt nicht immer. Oft lieben wir nur mit falschen Worten und hochtrabender Rede. Und sind traurig, dass es uns nicht besser gelingt. Da brauchen wir dann ein Wort, grösser als unser Herz, ein Wort, das hineinhören kann in unser Wollen, das versteht, wie wir es meinten, auch wenn es nicht gelungen ist. Da braucht es einen Zuspruch, wenn uns unser Herz «verdammt»: Wir müssen uns nicht erlösen. Gott ist grösser als unser Herz, als unser Scheitern, als das Böse, das auch im Herzen ist: Gottes Herz erkennt alle Dinge. Und nimmt  sie  an.

Von Reinhild Traitler