Monat: Januar 2023

11. Januar

Der HERR hört mein Flehen; mein Gebet nimmt
der HERR an.
Psalm 6,10

So endet ein verzweifeltes Gebet um Erlösung von Krankheit
oder Unheil oder Depression. Erschöpft sei er, schwach und
matt und bedrängt. Er fühlt sich am Ende seiner Kräfte. Und
da geschieht etwas Unerwartetes, plötzlich wird er laut und
klar: «Weicht von mir, ihr Übeltäter, denn Gott hat mein
lautes Weinen gehört.» (Vers 9) Mit einem Mal erwächst
ihm Kraft zum Aufbegehren, zum Widerstand. Und er nennt
gleich den Grund dafür: Gott hat mich gehört und mein
Gebet angenommen. Das Eingeständnis der Schwäche gibt
Kraft! Verzweiflung und Erschöpfung zuzugeben, verändert
vieles. Weinen oder gar Flehen ist gesund und befreit die
Seele und den Körper aus dem (angeborenen) Drang, es
aus eigener Kraft schaffen zu wollen. Was da und dort in
populären Ratgebern zu lesen ist, wird hier in aller Offenheit
und Klarsicht vorgelebt: Es ist eben nicht ein Zeichen von
Schwäche, sein Schwachsein zuzugeben und auszusprechen.
Wer dazu steht, dass sie / er am Ende der eigenen Möglichkeiten
angelangt ist, schafft Raum für Hoffnung, kann Hilfe
annehmen. Der Mensch, der hier betet, kann aufstehen, weil
er ehrlich genug ist, seinen Zustand zu benennen. Aus seinem
rückhaltlosen Gebet erwächst ihm Kraft. Gott wird in
der Schwachheit mächtig. Er ermächtigt auch mich. Das ist
Gnade.

Von: Hans Strub

10. Januar

Mose sprach zu Gott:
Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und
führe die Israeliten aus Ägypten? Gott sprach:
Ich will mit dir sein.
2. Mose 3,11–12

Wer bin ich denn, dass gerade ich einen solchen Auftrag
erhalte? Vielen von uns ist diese Redewendung vertraut, wir
haben sie oft selbst gebraucht oder mindestens gedacht.
Und oft brauchte es dann bei mir viel Überredung, bis ich
meinen Mut zusammennahm und den ungesuchten Auftrag
anpackte. Mose, hier noch ein einfacher Viehhüter, reagiert
genauso. Darauf sagt Gott bloss einen einzigen Satz mit fünf
Wörtern, aber einen, der es in sich hat: Ich will mit dir sein.
Damit ist von Gott her alles gesagt, auch wenn Mose später
noch mehrfach zur Verweigerung ansetzt. Am knappen
Gotteswort prallen alle Unsicherheiten ab. Denn Gott will
sein Volk befreien aus der Sklaverei im fremden Land. Gott
will den Israeliten eine neue Zukunft eröffnen, er will ihnen
Land und Frieden geben. Und deshalb will und wird er mit
dem ausgewählten Anführer sein. Weil Gott genau diesen
Menschen beauftragt – und eben dann nicht allein lässt.
Gott bleibt bei Mose und seinem Volk, was immer kommt
(und es kommt viel und auch Schlimmes)! «Ich will bei dir
sein» soll ermutigen und stärken. Ich bin nicht auf mich
allein gestellt, ich kann darauf bauen, dass bei Gott und mit
Gott nichts unmöglich ist. Auch heute und hier …

Von: Hans Strub

9. Januar

Brüder und Schwestern: Was wahrhaftig ist, was
ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert,
was einen guten Ruf hat, sei es eine Tugend, sei es
ein Lob – darauf seid bedacht!
Philipper 4,8

Es sind unerwartete Worte, die in diesem Lehrtext auftauchen.
Viele von ihnen kommen sonst im Neuen Testament
nirgends vor, dafür umso häufiger in allgemein-antiken
Tugendkatalogen. Es handelt sich um Begriffe des bürgerlichen
Lebens. Worauf wir gemäss diesen Begriffen bedacht
sein sollen, sind gesellschaftliche Normen: Man achte auf
seinen «guten Ruf»! – Die These, die z. B. die Marburger
Neutestamentlerin Angela Standhartinger vertritt, leuchtet
ein: Das hier ist nicht Paulus. Das ist eine spätere, spiessige
Glosse, die in den Text reingerutscht ist. Da ist vergessen
gegangen, dass christliche Ethik sich gerade nicht am
in der Antike geltenden Ethos von Ehre und Ruhm orientiert,
sondern am Gekreuzigten, der in die tiefsten Tiefen der
menschlichen Seele hinabgestiegen ist. Dort unten, in den
Abgründen, abseits des «guten Rufs», beginnt die Erlösung,
ausgelöst durch die göttliche Gnade ohne Bedingung. – In
eine ganz andere Richtung geht ein englischsprachiger Kommentar:
Er sagt, der Fokus auf Tugenden helfe, sich aus der
Negativspirale der Angst («negative sentiment override»,
NSO) zu befreien. Es tue den Christenmenschen wie allen
Menschen gut, sich auf positive Gedanken auszurichten.

Von: Andreas Fischer

8. Januar

Gebt, so wird euch gegeben. Lukas 6,38

In der jüdischen Tradition ist es üblich, von Gott verhüllt zu
sprechen. Eine Form solch verhüllender Rede ist das «Passivum
divinum», das «göttliche Passiv»: «Euch wird gegeben.» Es ist also Gott, der mir gibt, wenn ich gebe.
Nun könnte man kritisch einwenden, dies sei einfach eine ins
Metaphysische gehobene Handelsbeziehung: «Do ut des»,
«ich gebe, damit du gibst.» Der gebenden Geste läge egoistisch-
berechnendes Denken zugrunde. Der Zürcher Neutestamentler
Hans Weder sieht diese Art von Kalkulation aber
im Angesicht Gottes aufgehoben: «Im Angesicht Gottes ist
weder weltliche noch metaphysische Berechnung möglich.
Im Angesicht Gottes löst sich die Berechnung selbst auf, und
damit wird der Mitleidserweis zu dem zurückgeführt, was
er in Wahrheit ist: die jede Berechnung hinter sich lassende,
elementare Zuwendung zum Bedürftigen.»
Der paradoxe Profit des Gebens liegt möglicherweise darin,
dass ich darin mein eigenes Ego – seine Ansprüche an Besitz,
Sicherheit, Komfort – transzendiere und im Urgrund meines
Seins in Kontakt komme mit Gott, dessen schöpferisches
Handeln am Ursprung allen Gebens liegt:
«Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von
dir; wir danken dir dafür.»

Von: Andreas Fischer

7. Januar

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
sei gelobet der Name des HERRN
. Psalm 113,3

Hier ist jemand aber sehr beseelt und sehr enthusiastisch.
Was hat wohl den Schreiber dieses Psalms so in Hochstimmung
und selbstverständliche Gotteserkenntnis versetzt?
Ich weiss es nicht, aber dieser Psalm hat so viele Menschen
künstlerisch motiviert und existentiell gestützt, dass es
eigentlich auch unerheblich ist, was den Schreiber angetrieben
hat.
Von etwas oder jemandem einen ganzen Tag lang fasziniert
oder angerührt zu sein, ist schon eine tolle Erfahrung.
Diejenigen, die seit vielen Jahren / Jahrzehnten in einer Beziehung
leben und die Liebe täglich erfahren, wissen um diesen
Schatz. Dieses Erleben kann niemand erzwingen und auch
niemand verordnen; es kann nur dankbar angenommen
werden.
Wenn dies vergleichbar ist mit dem, was der Psalmbeter
mit dem zu preisenden Gott meint, habe ich eine Idee von
dem, was ihm wohl vorgeschwebt haben muss.
Wir leben in einer Zeit, die geprägt wird vom Wissen und
Erfahren um den langsamen Tod unseres Heimatplaneten,
den schnellen Tod und das Elend aus Krieg und Vertreibung.
Viele stemmen sich gegen diese Entwicklung, ohne deutliche
Zeichen der Umkehr wahrzunehmen.
Ich hoffe und bete, dass die Erfahrung einer bedingungslosen
Liebe möglichst allen zuteil wird, und sie daraus die
Kraft für einen anderen Weg schöpfen.

Von: Rolf Bielefeld

6. Januar

Gott widersteht den Hochmütigen, aber
den Demütigen gibt er Gnade.
1. Petrus 5,5

Hochmut und Demut waren lange Begriffe, die völlig aus der
Mode gekommen waren, denn wenn überhaupt, sind Menschen
entweder erfolgreich oder erfolglos. Entweder bist du
dabei oder du bist draussen.
In der Politik hat sich «Demut» bewährt, wenn das politische
Handeln mehr oder weniger danebengegangen ist, aber
der Rücktritt unbedingt vermieden werden sollte.
Ich glaube, der Schreiber dieses Briefes muss etwas Ähnliches
im Blick gehabt haben, als er an die zerstreute Gemeinde
irgendwann um 100 n. Chr. geschrieben hat. Da hat es die
gegeben, die genau wussten, wie der Glaube richtig zu leben
ist, und dies auch zu allen passenden und unpassenden
Gelegenheiten verkündeten. Und es gab diejenigen, die völlig
unauffällig die Konsequenzen aus dem Glauben an die Botschaft
Jesu zu leben versuchten.
In so einer Situation kann ein ordnendes Wort, wie unser
heutiger Vers, sehr hilfreich sein.
Genau zu wissen, wie das Leben / der Glaube geht, und dieses
vermeintliche Wissen für alle anderen verbindlich zu halten,
führt zu Verdruss und Ärger – wie uns die Erfahrung lehrt.
Die Kernbotschaft Jesu in das eigene Leben einzubauen und
der Liebe eine grosse Spielfläche zu geben, führt in der Regel
zu vielen guten Begegnungen und einer eigenen Zufriedenheit
mit dem Leben sowie zur Energie, sich für das Wohl der
anderen Menschen einzusetzen.

Von: Rolf Bielefeld

5. Januar

Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.        Psalm 71,17

Ein älterer Mensch blickt auf eine lange Geschichte des Lernens zurück. Dabei geht es nicht um ein intellektuelles Wissen, sondern um ein lebensbezogenes Lernen durch Erfahrung. Wer bin ich? Wie finde ich meinen Weg? Wie begegne ich den Herausforderungen, die das Leben an mich heranträgt? Es braucht den Mut, etwas zu versuchen und auch Fehler zu machen. Es braucht die Geduld, eine wichtige Fähigkeit immer wieder zu üben. Ein Lehrer setzt Lernprozesse in Gang. Er schafft Situationen und Anlässe, in denen man etwas entdeckt und einübt. Der Psalmbeter dankt Gott, dass er für ihn ein guter Lehrer gewesen ist. Als alter Mensch blickt er auf eine lange Lebenszeit zurück. Er kann auf manches zurückgreifen, was er sich einst angeeignet hat. Er sieht aber auch, dass es für ihn gerade im Alter noch viel zu lernen gibt. Vermehrt wird verlangt, dass er sich auf neue Gegebenheiten einstellt. Die eigenen Kräfte nehmen ab, das Angewiesensein auf Mitmenschen nimmt zu. Die Gesundheit wird fragiler, Verluste müssen bewältigt werden. Die Bewegung des Lernens ist nicht zu Ende, in der Lebensphase des Alters wird sie von neuem wichtig. „Gott, seit meiner Jugend hast du mich zu einem gemacht, der etwas gelernt hat. Und bis jetzt erzähle ich von deinen ungewöhnlichen Taten.“
Von Andreas Egli

4. Januar

Der Engel des HERRN rührte Elia an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. 1. Könige 19,7

Der Prophet Elia ist an einem Tiefpunkt angelangt. Im Kampf für den rechten Glauben und gegen die falschen Propheten hat er seine Kräfte verausgabt. Dass ein Bote von der Königin ihm eine Todesdrohung brachte, war zu viel. Er ist in die Wüste geflüchtet und will nur noch schlafen. In seinem Leben sieht er keinen Wert mehr. Mitten in diesem Zusammenbruch kommt ein anderer Bote zu ihm. Weil er einen Auftrag von Gott hat, wird er in der Übersetzung Engel genannt. Seine Botschaft ist so wichtig, dass er sie zweimal anbringt. «Der Bote des HERRN kehrte zum zweiten Mal zu ihm zurück und berührte ihn. Er sagte: Steh auf! Iss! Denn der Weg ist zu weit für dich.» Für Elia gilt nicht mehr das, was sein Leben zerstören will. Jetzt ist für ihn das wichtig, was ihn nähren kann. Er soll auf seine eigenen Füsse stehen. Mit Essen und Trinken soll er das aufnehmen, was ihm Kraft gibt. Er braucht diese Kraft für einen neuen Weg, der vor ihm liegt. Wie Mose geht er zu einem heiligen Berg. Wie Mose hat er eine ganz besondere Begegnung mit Gott. «Er stand auf, er ass und trank. Und er ging mit der Kraft jenes Essens vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottes-Berg Horeb.» (Vers 8) Wir können uns nicht mit Elia vergleichen. Aber wir können uns fragen: Was nährt mich?

Von Andreas Egli

Mittelteil Januar / Februar

Was von der Versammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen
bleibt und Hoffnung schenkt
:


Vom 31. August bis 8. September 2022 kamen in Karlsruhe
Menschen aus allen Erdteilen zusammen, um miteinander
Gottesdienst zu feiern, über die Kraft des Evangeliums nachzudenken
und die Zukunft zu gestalten. Auch verschiedene
Bolderntexte-Autorinnen und -Autoren nahmen an der Versammlung
teil. Sie erzählen hier von einem persönlichen
Erlebnis, das sie ermutigt hat und sie in Erinnerung begleiten
wird.


Der Geist des Pfingstfests ist lebendig
Von: Barbara Robra
Viertausend Menschen aus aller Welt strömen in das grosse
Zelt im Zentrum des Karlsruher Messegeländes. An diesem
luftigen Ort unter freiem Himmel spüren wir den Geist Gottes,
der uns in aller Verschiedenheit verbindet. Wenn Tag
für Tag Menschen aus 120 Ländern das Gebet, das Jesus uns
gelehrt hat, in ihrer Muttersprache zur gleichen Zeit laut
beten – dann ist das ein Pfingstwunder.
Wenn Menschen aus Israel und Palästina, aus Russland
und der Ukraine, wenn Katholiken, Orthodoxe, Reformierte,
Lutheraner, Anglikaner, Muslime, Juden, Buddhisten,
Pfingstler, Evangelikale miteinander reden und miteinander
Mittelteil
beten – dann ist der Geist des Pfingstfests lebendig. Hier
wird geweint, unfassbares Leid geteilt und mitgeteilt. Hier
wird gelacht, Freude und Hoffnung werden weitergegeben.
Sich öffnen, zuhören, eigene Urteile und Vorurteile hinterfragen,
das Gespräch suchen, gemeinsam die nächsten Schritte
wagen – das prägt diese Vollversammlung.
Junge Menschen, Frauen, Indigene und Menschen mit
Behinderungen haben sich zu Vorversammlungen in Karlsruhe
getroffen. Ihre Analyse und ihre Botschaft sind klar
und scharf: Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wir dürfen
nicht zulassen, dass weiterhin Menschen sinnlos in Kriegen
getötet werden, Menschen von elementaren Lebensgrundlagen
ausgeschlossen sind. Wir fordern Teilhabe aller statt
Bereicherung weniger. Wir wollen Kommunikation und
Kooperation statt Konfrontation. Wir brauchen Taten und
nicht nur Worte. Das lese ich in den Dokumenten, die die
Vollversammlung verabschiedet hat.

Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt –
und sie integriert!

Von: Gert Rüppell
Es war atemberaubend, was Fadi El Halabi und Karen Abou
Nader im Plenum zu Gerechtigkeit und Menschenwürde auf
die Bühne brachten. Beide stammen aus dem Libanon. Er ein
Psychotherapeut, schwerbehindert im Rollstuhl, Vorsitzender
der Regionalen Ökumenischen Vereinigung der Behinderten
(EDAN), Karen arbeitet als internationale Tänzerin
und Choreographin. Beide boten im Plenum einen gemeinsamen
Tanz (Rollstuhl / Ballett) an, der einem den Atem stocken
liess und dessen Schönheit und Grazie zugleich an die
enormen Möglichkeiten und die Gaben verwies, die behinderte
Menschen in unsere Gemeinschaft einbringen.
Wie viele Menschen sind weiterhin behindert und werden
nicht genügend zur Kenntnis genommen? Die Schwerbehinderten
möglicherweise schon, aber die psychisch Schwerkranken,
die Epileptiker und Neurobehinderten? Werden
sie nicht weiterhin ausgegrenzt, auch wenn sie so viele Möglichkeiten
anzubieten haben? Das 4. Plenum in Karlsruhe hat
mich an diesem Punkt zum Nachdenken gebracht, ebenso
wie die Resolution der EDAN-Vorversammlung, die auf eine
Ausweitung des Behindertenbegriffs und eine erweiterte
Behindertenintegration in unseren Gemeinden verweist.
Inwiefern hängen Versöhnung und Integration zusammen?
Mögen die vielen Kirchenvertreterinnen und -vertreter dies
als Mitbringsel in ihren Gemeinden umsetzen.

Wenn ich atme, lebt der Planet
Von: Matthias Hui
An der Vollversammlung hörte ich die Geschichte der indigenen
Munduruku-Gemeinschaften in Brasilien. Zwei Vertreterinnen,
die mich sehr beeindruckten, erzählten vom
Kampf gegen gigantische Staudammprojekte, Eisenbahnlinien
und Goldminen am Rio Tapajós, mitten im Amazonasgebiet.
Die Ausbeutung von Bodenschätzen, Energiequellen
und Anbauflächen frisst sich gewaltsam in ihre Lebensräume,
in ihr Gemeinschaftsleben und in ihre Seelen hinein.
Der Sojaanbau grassiert – gigantische Waldflächen werden
für den Fleischverzehr im Globalen Norden gerodet. Es sind
vor allem Frauen, die sich wehren: «Wir werden uns nicht
korrumpieren lassen, wir werden nicht weichen.» Denn, so
sagen sie in spiritueller Sprache: Es geht um alles. Nicht nur
um Menschenrechte, nicht nur um den Regenwald. «Die
Natur sind wir. Unsere Lebensweise ist unsere Umwelt. Wenn
ich atme, lebt der Planet.»
Ökumene wäre, wenn diese Frauen, die sich auch als Christinnen
verstehen, in unseren Kirchen gehört würden. Übrigens
heisst ein überzeugendes Dokument der Vollversamm-
lung «Der lebende Planet: Auf der Suche nach einer gerechten
und nachhaltigen globalen Gemeinschaft».

Apartheid in Israel?
Von: Elisabeth Raiser
Zu den heissen Themen der Vollversammlung gehörte die
spannungsreiche Lage im Nahen Osten.
Ich sehe und höre noch Munther Isaac, den jungen Pfarrer
der Weihnachtskirche in Bethlehem, mit bewegter Stimme
sagen: «Wir befinden uns jenseits, also hinter der Mauer. Die
meisten Israelis sind dort nie gewesen, sie dürfen ja nicht
kommen und kennen unsere Lage nicht. All unsere Appelle
und Bitten haben nichts genützt. Daher fordern wir jetzt,
dass Israel zum Apartheidstaat erklärt wird, damit der Internationale
Strafgerichtshof ermitteln kann.»
Diese engagierte kurze Rede war eine Antwort auf eine Intervention
von mir, bei der ich in einem Workshop des Netzwerks
Kairos Palästina einige Einwände gegen den Begriff
Apartheid für Israel vorgebracht hatte: Er gefährde die Arbeit
der Freiwilligen des ökumenischen Begleitprogramms in
Palästina und Israel (EAPPI) und er führe hier in Deutschland
zu einer unguten Polarisierung der Debatte um den Frieden
im Nahen Osten. Munther Isaacs Erwiderung hat mich sehr
bewegt und lässt mich seither nicht in Ruhe.
Die Vollversammlung selber machte sich den Apartheidbegriff
für Israel nicht ausdrücklich zu eigen, verabschiedete
aber eine Erklärung, dass er im Ökumenischen Rat genau
untersucht und besprochen werden muss. Das ist ein wichtiges
Signal, auch für uns in Deutschland!


Christ’s love moves the world to reconciliation and unity
Von: Annegret Brauch
Im Vorfeld der Vollversammlung hatte ich noch aktiv an der
Bewerbung für Karlsruhe mitgearbeitet, jetzt – seit Monaten
im Ruhestand – konnte ich als Freiwillige im Catering
und als Gastteilnehmerin mit dabei sein – und wurde reich
beschenkt.
Begeistert und tief beeindruckt hat mich, wie klar, respektvoll,
offen und freundlich und voller Vertrauen in die
Verbindung stiftende Liebe Christi Teilnehmende und Gäste
miteinander kommunizierten. Mit welcher Ernsthaftigkeit
und Tiefe mit- und umeinander gerungen wurde, gerade bei
politischen und theologischen Differenzen, um beieinander
zu bleiben, bewegt von Christi Geist der Versöhnung und
seiner Bitte um Einheit (vgl. Johannes 17,21). Reinhild Traitler
hat einmal gesagt:
«Wahrheit als Dialog unter den Verschiedenen, als Prozess,
der unter Umständen nur die Anerkennung der Unvereinbarkeit
der Verschiedenen bringt, ist ein heiliger Raum, weil
dieser Prozess uns verbindet und davor bewahrt, auseinanderzufallen.»
In Karlsruhe wurde diese Wahrheit spürbar.

Berührt haben mich die Gottesdienste unterm grossen Zelt:
der Reichtum und die Unterschiedlichkeit der Klänge, Stimmen
und Rhythmen, die sich unter Gottes Geist zu einem
vielstimmig-einigen Lob und Dank zusammenfanden.
Tief bewegt hat mich das Grusswort der Generalsekretärin
von «Religionen für den Frieden», Professorin Azza Karam.
Vielleicht mögen Sie es sich selbst anschauen?!
https://www.youtube.com/watch?v=-Yp8ji2xrns (ab Min. 21)

3. Januar

Der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen.            
2. Thessalonicher 3,3

Woher diese Gewissheit? Paulus würde sagen, dass wir das wissen aus der Erfahrung der Gemeinde. Denken wir an die Sintflut und an Noah, der mit seiner Arche gerettet wurde, oder an Lot, der aus Sodom und Gomorrha herausfand.
Auf uns, auf mich angewendet, was kann dieser Bibelvers bedeuten? Da denke ich zuerst einmal an das Unser Vater, wo es heisst: «und führe mich nicht in Versuchung und erlöse mich von dem Bösen». Da wird mir stets deutlich, dass ich in die Lage kommen kann, das Ungute zu tun. Aber auch wird mir bewusst, dass Gott mir die Freiheit schenkt, zu entscheiden. Und schliesslich werde ich mir schmerzlich inne, dass es Entscheidungen in meinem Leben gab, wo ich nicht merkte, dass sie falsch waren, und dies erst Jahre später einsah. Kurzum: So einfach ist sie nicht, diese Zusage, dass der Herr mich bewahrt vor dem Bösen.

So ist der Bibelvers wohl eher eine Aufforderung zum Glauben. Ich muss einfach glauben, dass es an den Kreuzungen in meinem Dasein gut kommt. Und in der Tat, das gibt Kraft, und so ist wohl der Vers auch gemeint.

Aber in all dem darf ich mich immer daran erinnern, dass ich in Gottes Hand bin und er um meinen Lebensweg weiss, noch bevor ich ihn weiss. Auf diesem Glaubensgrund wird die Schuldfrage weniger schwer. Dabei erinnere ich mich auch an die Aussage: «… sind wir untreu, so bleibt er doch treu, er kann sich nicht verleugnen»
(2.Timotheus 2,13).

Von Kathrin Asper