Autor: Martin Robra

13. März

Warum sollen die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott?
Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will.
Psalm 115,2–3

Psalm 115 stellt den lebendigen Gott Israels stummen und
gefühllosen Götterbildern aus Menschenhand gegenüber.
Menschlicher Macht entzogen, kann der Schöpfer allen
Lebens immer Neues hervorbringen.
Alte Götter wie Thor, Zeus oder Neptun neu verpackt und
neue, mit den fantastischsten Waffen ausgestattete Helden
wie Captain America oder Ironman erscheinen zu unserer
Zeit am Sternenhimmel der grossen Traumfabriken. Währenddessen
führen in den Nachrichten Bilder vom Krieg in
der Ukraine und von den Opfern anderer Konflikte die bittere
Realität vor Augen, in der diese Helden nichts vollbringen
können. Macht beanspruchen andere in unserer Welt,
auch die Macht, Soldaten einzuberufen und in den Tod zu
schicken oder mit der atomaren Katastrophe zu drohen.
Doch ihre Macht bleibt begrenzt. Sie selbst wissen das am
besten. Sie sind nicht Gott und kennen nicht Gottes Freiheit,
in der alles neu geschehen kann. Sie haben Angst vor dem
Macht- und Kontrollverlust, wenn Menschen die in Gott
gegebene Freiheit einfordern und gebrauchen, weil sie dem
lebendigen Wort Gottes vertrauen auch in den dunkelsten
Stunden ihres Lebens.

Von: Barbara und Martin Robra

12. März

Der HERR, dein Gott, wird dir Glück geben zu
allen Werken deiner Hände. 5. Mose 30,9

Wo ein ausgetrocknetes Flussbett war, das nur zur Regenzeit
Wasser führte, haben die Menschen des nahen Dorfes
Dämme aus Fels und Zement aufgebaut. Sie halten das
Wasser der Regenzeit zurück. Mit der Zeit sammelt sich
hinter dem Damm Sand, der Wasser wie ein Schwamm
aufnimmt und vor Verdunstung in der sengenden Sonne
schützt. Zugleich verringert sich auch der Druck auf die
Mauer. Jahr für Jahr kann sie erhöht werden. Wo sonst nur
trockener Sand und Fels wären, fliesst stetig Wasser aus
einem Rohr in der Sperrmauer. So bleibt auch Wasser für
die Menschen weiter unten am Fluss.


Die Vulgata, die Zürcher Bibel und viele andere Übersetzungen
folgen – anders als die Losung – dem hebräischen
Text: «Im Überfluss wird der Herr, dein Gott, dir den Ertrag
deiner Hände geben.» Luther spricht statt von Überfluss von
Glück. Er warnt seine Zeitgenossen vor dem selbstsüchtigen
Anhäufen von Reichtum und Macht.


Und tatsächlich: Es ist Gier nach Reichtum, die Grundlagen
des Lebens zerstört. Es ist Glück und ein Geschenk des
Lebens, wenn in der Trockenheit Wasser fliesst.

Von: Barbara und Martin Robra

Mittelteil Januar / Februar

Was von der Versammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen
bleibt und Hoffnung schenkt
:


Vom 31. August bis 8. September 2022 kamen in Karlsruhe
Menschen aus allen Erdteilen zusammen, um miteinander
Gottesdienst zu feiern, über die Kraft des Evangeliums nachzudenken
und die Zukunft zu gestalten. Auch verschiedene
Bolderntexte-Autorinnen und -Autoren nahmen an der Versammlung
teil. Sie erzählen hier von einem persönlichen
Erlebnis, das sie ermutigt hat und sie in Erinnerung begleiten
wird.


Der Geist des Pfingstfests ist lebendig
Von: Barbara Robra
Viertausend Menschen aus aller Welt strömen in das grosse
Zelt im Zentrum des Karlsruher Messegeländes. An diesem
luftigen Ort unter freiem Himmel spüren wir den Geist Gottes,
der uns in aller Verschiedenheit verbindet. Wenn Tag
für Tag Menschen aus 120 Ländern das Gebet, das Jesus uns
gelehrt hat, in ihrer Muttersprache zur gleichen Zeit laut
beten – dann ist das ein Pfingstwunder.
Wenn Menschen aus Israel und Palästina, aus Russland
und der Ukraine, wenn Katholiken, Orthodoxe, Reformierte,
Lutheraner, Anglikaner, Muslime, Juden, Buddhisten,
Pfingstler, Evangelikale miteinander reden und miteinander
Mittelteil
beten – dann ist der Geist des Pfingstfests lebendig. Hier
wird geweint, unfassbares Leid geteilt und mitgeteilt. Hier
wird gelacht, Freude und Hoffnung werden weitergegeben.
Sich öffnen, zuhören, eigene Urteile und Vorurteile hinterfragen,
das Gespräch suchen, gemeinsam die nächsten Schritte
wagen – das prägt diese Vollversammlung.
Junge Menschen, Frauen, Indigene und Menschen mit
Behinderungen haben sich zu Vorversammlungen in Karlsruhe
getroffen. Ihre Analyse und ihre Botschaft sind klar
und scharf: Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wir dürfen
nicht zulassen, dass weiterhin Menschen sinnlos in Kriegen
getötet werden, Menschen von elementaren Lebensgrundlagen
ausgeschlossen sind. Wir fordern Teilhabe aller statt
Bereicherung weniger. Wir wollen Kommunikation und
Kooperation statt Konfrontation. Wir brauchen Taten und
nicht nur Worte. Das lese ich in den Dokumenten, die die
Vollversammlung verabschiedet hat.

Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt –
und sie integriert!

Von: Gert Rüppell
Es war atemberaubend, was Fadi El Halabi und Karen Abou
Nader im Plenum zu Gerechtigkeit und Menschenwürde auf
die Bühne brachten. Beide stammen aus dem Libanon. Er ein
Psychotherapeut, schwerbehindert im Rollstuhl, Vorsitzender
der Regionalen Ökumenischen Vereinigung der Behinderten
(EDAN), Karen arbeitet als internationale Tänzerin
und Choreographin. Beide boten im Plenum einen gemeinsamen
Tanz (Rollstuhl / Ballett) an, der einem den Atem stocken
liess und dessen Schönheit und Grazie zugleich an die
enormen Möglichkeiten und die Gaben verwies, die behinderte
Menschen in unsere Gemeinschaft einbringen.
Wie viele Menschen sind weiterhin behindert und werden
nicht genügend zur Kenntnis genommen? Die Schwerbehinderten
möglicherweise schon, aber die psychisch Schwerkranken,
die Epileptiker und Neurobehinderten? Werden
sie nicht weiterhin ausgegrenzt, auch wenn sie so viele Möglichkeiten
anzubieten haben? Das 4. Plenum in Karlsruhe hat
mich an diesem Punkt zum Nachdenken gebracht, ebenso
wie die Resolution der EDAN-Vorversammlung, die auf eine
Ausweitung des Behindertenbegriffs und eine erweiterte
Behindertenintegration in unseren Gemeinden verweist.
Inwiefern hängen Versöhnung und Integration zusammen?
Mögen die vielen Kirchenvertreterinnen und -vertreter dies
als Mitbringsel in ihren Gemeinden umsetzen.

Wenn ich atme, lebt der Planet
Von: Matthias Hui
An der Vollversammlung hörte ich die Geschichte der indigenen
Munduruku-Gemeinschaften in Brasilien. Zwei Vertreterinnen,
die mich sehr beeindruckten, erzählten vom
Kampf gegen gigantische Staudammprojekte, Eisenbahnlinien
und Goldminen am Rio Tapajós, mitten im Amazonasgebiet.
Die Ausbeutung von Bodenschätzen, Energiequellen
und Anbauflächen frisst sich gewaltsam in ihre Lebensräume,
in ihr Gemeinschaftsleben und in ihre Seelen hinein.
Der Sojaanbau grassiert – gigantische Waldflächen werden
für den Fleischverzehr im Globalen Norden gerodet. Es sind
vor allem Frauen, die sich wehren: «Wir werden uns nicht
korrumpieren lassen, wir werden nicht weichen.» Denn, so
sagen sie in spiritueller Sprache: Es geht um alles. Nicht nur
um Menschenrechte, nicht nur um den Regenwald. «Die
Natur sind wir. Unsere Lebensweise ist unsere Umwelt. Wenn
ich atme, lebt der Planet.»
Ökumene wäre, wenn diese Frauen, die sich auch als Christinnen
verstehen, in unseren Kirchen gehört würden. Übrigens
heisst ein überzeugendes Dokument der Vollversamm-
lung «Der lebende Planet: Auf der Suche nach einer gerechten
und nachhaltigen globalen Gemeinschaft».

Apartheid in Israel?
Von: Elisabeth Raiser
Zu den heissen Themen der Vollversammlung gehörte die
spannungsreiche Lage im Nahen Osten.
Ich sehe und höre noch Munther Isaac, den jungen Pfarrer
der Weihnachtskirche in Bethlehem, mit bewegter Stimme
sagen: «Wir befinden uns jenseits, also hinter der Mauer. Die
meisten Israelis sind dort nie gewesen, sie dürfen ja nicht
kommen und kennen unsere Lage nicht. All unsere Appelle
und Bitten haben nichts genützt. Daher fordern wir jetzt,
dass Israel zum Apartheidstaat erklärt wird, damit der Internationale
Strafgerichtshof ermitteln kann.»
Diese engagierte kurze Rede war eine Antwort auf eine Intervention
von mir, bei der ich in einem Workshop des Netzwerks
Kairos Palästina einige Einwände gegen den Begriff
Apartheid für Israel vorgebracht hatte: Er gefährde die Arbeit
der Freiwilligen des ökumenischen Begleitprogramms in
Palästina und Israel (EAPPI) und er führe hier in Deutschland
zu einer unguten Polarisierung der Debatte um den Frieden
im Nahen Osten. Munther Isaacs Erwiderung hat mich sehr
bewegt und lässt mich seither nicht in Ruhe.
Die Vollversammlung selber machte sich den Apartheidbegriff
für Israel nicht ausdrücklich zu eigen, verabschiedete
aber eine Erklärung, dass er im Ökumenischen Rat genau
untersucht und besprochen werden muss. Das ist ein wichtiges
Signal, auch für uns in Deutschland!


Christ’s love moves the world to reconciliation and unity
Von: Annegret Brauch
Im Vorfeld der Vollversammlung hatte ich noch aktiv an der
Bewerbung für Karlsruhe mitgearbeitet, jetzt – seit Monaten
im Ruhestand – konnte ich als Freiwillige im Catering
und als Gastteilnehmerin mit dabei sein – und wurde reich
beschenkt.
Begeistert und tief beeindruckt hat mich, wie klar, respektvoll,
offen und freundlich und voller Vertrauen in die
Verbindung stiftende Liebe Christi Teilnehmende und Gäste
miteinander kommunizierten. Mit welcher Ernsthaftigkeit
und Tiefe mit- und umeinander gerungen wurde, gerade bei
politischen und theologischen Differenzen, um beieinander
zu bleiben, bewegt von Christi Geist der Versöhnung und
seiner Bitte um Einheit (vgl. Johannes 17,21). Reinhild Traitler
hat einmal gesagt:
«Wahrheit als Dialog unter den Verschiedenen, als Prozess,
der unter Umständen nur die Anerkennung der Unvereinbarkeit
der Verschiedenen bringt, ist ein heiliger Raum, weil
dieser Prozess uns verbindet und davor bewahrt, auseinanderzufallen.»
In Karlsruhe wurde diese Wahrheit spürbar.

Berührt haben mich die Gottesdienste unterm grossen Zelt:
der Reichtum und die Unterschiedlichkeit der Klänge, Stimmen
und Rhythmen, die sich unter Gottes Geist zu einem
vielstimmig-einigen Lob und Dank zusammenfanden.
Tief bewegt hat mich das Grusswort der Generalsekretärin
von «Religionen für den Frieden», Professorin Azza Karam.
Vielleicht mögen Sie es sich selbst anschauen?!
https://www.youtube.com/watch?v=-Yp8ji2xrns (ab Min. 21)