Autor: Rolf Bielefeld

7. November

Als Jesus das Volk sah, jammerte es ihn;
denn sie waren geängstet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben. Matthäus 9,36

Das Evangelium entstand so um 90 n.Chr. und wurde wohl erzählend in den ganz frühen Gruppen der neuen Christengemeinde verbreitet. Jesus teilte seine Beobachtungen bezüglich der Menschen um ihn herum.
So wie Jesu Beobachtungen kommen mir zurzeit auch weite Teile unserer Gesellschaften vor: erschöpft, hin und her gerissen bei der Vielzahl der herausfordernden Geschehnisse – häufig uneinig über Weg und Ziel. Hier in der Mitte Europas ist Krieg wieder zu einer Realität geworden. Weltweit haben wir eine Klimakatastrophe, die an vielen Stellen so real ist, dass Menschen – besonders im
pazifischen Raum – ihre Heimat verlassen müssen, wenn sie überleben wollen.
Aber sind wir denn wirklich wie Schafe, die keinen Hirten haben? Wenn wir unsere politischen Führungspersonen und deren Führungsqualitäten zum Massstab nehmen, können wir manchmal zu diesem Ergebnis kommen. Wenn wir aber den Kompass zum Massstab nehmen, den Jesus gepredigt und vorgelebt hat: «Dienet einander, wie ich euch gedient habe», also seid füreinander da, schaut über den Tellerrand und gebt weder diese Schöpfung noch die Zukunft auf. Als Glaubende leben wir in der Gewissheit, dass Gott sieht, wie die Entwicklung ist, aber er gibt uns nicht auf. Er stärkt uns darin, das Richtige zu tun und diese Welt zu erhalten.

von: Rolf Bielefeld

6. November

Gott, dein Weg ist heilig. Psalm 77,14

Ein Psalm, der mit der Klage startet und mit einem grossen Lob endet. Hier ist die menschliche Existenz zusammengefasst und wir könnten uns im Wissen der klugen Erkenntnis zurücklehnen.
Machen wir natürlich nicht, denn die Frage, was eigentlich einen «heiligen Weg» ausmacht, ist einfach zu reizvoll!
Die Geschichte präsentiert uns einige Wege, die einen geradezu heiligen Anstrich bekommen haben: zum Beispiel Heinrichs Bussgang nach Canossa, Luthers Weg nach Worms, Helmut Kohls Weg nach Moskau. Alles wichtige Wegmarken, aber mit einem «heiligen Weg» kann ich das doch nur schwer zusammenbringen. Ich habe von Jesus gelernt, dass Gott seine Schöpfung uneingeschränkt liebt und der Menschheit immer wieder vor Augen führt, dass diese umsorgt, gepflegt und erhalten werden muss. Dies geschieht nicht durch einen rächenden Gott im Himmelswagen, sondern durch inspirierte Menschen im Hier und Jetzt.
Wenn wir uns für die Erhaltung der Schöpfung, das Wohlergehen der Menschen um uns herum – und damit der Menschheit – einsetzen, sind wir auf diesem heiligen Weg
Gottes. Heilig steht dann für eine Erkenntnis im Herzen und im Verstand, die nicht mehr zur Disposition steht.
Der Dreiklang von Sehen – Beten – Handeln führt letztendlich zu dieser Art von Heiligkeit, die nicht einengt, sondern frei macht.

von: Rolf Bielefeld

7. September

Bleibe bei dem, was du gelernt hast
und was dir anvertraut ist.
2. Timotheus 3,14

Hier hat ein Autor in der Nachfolge von Paulus den Versuch
gemacht, die Gemeinde auf das bisher Gelernte zu verpflichten.
Das versucht er im Hinblick auf das nahende Ende und
die Wiederkunft Christi.
Nun wissen wir heute, dass dies nicht so schnell funktioniert
hat. Die Erde dreht sich immer noch und der Versuch,
Menschen auf «die eine Wahrheit» zu verpflichten, wird
täglich neu unternommen. Manchmal hat das Erfolg, häufig
jedoch nicht.
Würden wir immer dem einmal Gelernten und Vertrauten
folgen, ohne zu lernen und Veränderungen zuzulassen,
wären wir erstarrt. Das ist eine Vorstellung, die mir sehr
schwerfällt. Unser Verständnis von Nachfolge und auch
unsere Vorstellung von Gott verändert sich im Laufe unseres
Lebens. Dies ist abhängig von unseren Lebenserfahrungen
und unserer Lebenssituation. In der Zeit der sich bildenden
Gemeinden im 1. Jh. war die Selbstversicherung, auf
dem richtigen Weg und beieinander zu sein, überlebensnotwendig.
In unserer heutigen Welt ist es dies nicht mehr, aber
doch sehr hilfreich. Es ist auch stärkend, sich zu vergewissern;
doch wessen vergewissern wir uns heute? Doch nicht,
ob wir «richtig» glauben, sondern eher, ob wir noch mit
anderen auf dem gleichen Weg sind und den gleichen Kompass
verwenden! Ich nenne das: «Herausfinden, ob wir noch
im Windschatten des Heiligen Geistes segeln».

Von: Rolf Bielefeld

6. September

Rede einer mit dem andern Wahrheit und richtet
wahrhaftig und recht, schafft Frieden in euren Toren.
Sacharja 8,16

Der interessante Aspekt hier ist die Entstehungszeit – nämlich
nach dem babylonischen Exil. Der Autor hat offensichtlich
noch die Erzählungen aus der Exilzeit im Ohr und natürlich
auch die Erzählungen, die zum Exil geführt haben. Dies sind
sicherlich sowohl theologische als auch politische Geschichten.
Unser Autor leitet daraus etwas sehr Wichtiges ab:
«Seid ehrlich und wahrhaftig zueinander und bewahrt den
Frieden!»
Hat sich denn die Welt seit dem 6. Jh. v. Chr. tatsächlich
grundlegend gewandelt? Nun, technologisch ganz sicher,
gesellschaftspolitisch hängt es davon ab, in welche Gesellschaft
wir schauen. In den grossen Zügen wechseln sich seit
jeher Krieg, grosses Elend, Vertreibung, Flucht und Neuanfang
auf unserem Planeten ab. Die Opfer sind nach wie vor
überwiegend die breite Masse der einflusslosen Menschen,
die versuchen, ihren Alltag zu bewältigen.
Hier greift nun die Weisheit unseres Autors: Wenn wir uns
nicht um eine grundlegende Veränderung auf allen Ebenen
unseres Zusammenlebens im Kleinen und im Grossen bemühen,
gehen wir zugrunde. Diese Gewissheit immer wieder
zu verbreiten, ist unsere Lebensaufgabe als Glaubende. Wir
leben aus der Zusage unseres Gottes «des neuen Himmels
und der neuen Erde» heraus – dann lasst sie uns auch aktiv
weitergeben.

Von: Rolf Bielefeld

7. Juli

Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unsern Schuldigern.
Matthäus 6,12

Zum Vaterunser ist doch schon alles gesagt – nur eben nicht
von jedem!
Aber manchmal muss man einfach noch einmal neu anfangen.
Es ist das globale Gebet der Christenheit, das alle spätestens
am Rhythmus erkennen und hinter das sich alle
versammeln – ob sie es nun inhaltlich teilen oder nicht.
Es ist so etwas wie unser aller Banner.
Nun tun wir mal so, als sei unser heutiger Textausschnitt
die zentrale Aussage, die wir so verstehen könnten:
«Nimm uns an, mit all den Ungereimtheiten, die unser
Leben ausmachen, mit all den Widersprüchen und all den
Berg- und Talfahrten. Nimm uns an mit unseren grossen und
kleinen Unzulänglichkeiten, unseren kleinen und grossen
Lebensgeheimnissen. Lass uns deiner Zuwendung immer
sicher sein! All das werden wir dann auch unserer Mitschöpfung
entgegenbringen!»
Dies oder so etwas Ähnliches sagen/glauben wir als Christen
seit gut 2000 Jahren und erleben auch genauso lange, dass
wir unsere Seite der Abmachung nur sehr eingeschränkt einhalten.
Darum hat das Vaterunser sehr viel von einer grossen
Vergewisserung; wir können uns trotz allem immer wieder
vertrauensvoll an Gott wenden.

Von: Rolf Bielefeld

6. Juli

Zachäus begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre.
Lukas 19,3

Nun möchte eigentlich jeder irgendetwas ganz besonders
dringend zu irgendeinem Zeitpunkt – oder nicht?
Die einen möchten berühmt und/oder wohlhabend
werden, die anderen möchten gesund werden oder bleiben
und wieder andere möchten politisch erfolgreich sein.
Diese Liste liesse sich beliebig verlängern. Manchmal ist da
der ganz dringende Wunsch, einen Menschen zu sehen, die
Liebste/den Liebsten, weil eine grosse Sehnsucht da ist. Den
Geschäftspartner, weil dringende Entscheidungen anstehen.
Die Ärztin, weil die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind.
Jemandem begegnen zu wollen, um ihn/sie einfach nur
kennenzulernen und herauszufinden, wie er/sie tickt, setzt
Neugierde für andere Menschen und Selbstbewusstsein voraus.
Beide Dinge finde ich sehr gut und sie sind mir sehr vertraut.
Mir hat dies, insbesondere in meiner Zeit als Jugendlicher
und junger Erwachsener, zu vielen interessanten und
sehr tief gehenden Begegnungen und auch Einsichten verholfen.
Sich nicht abhalten lassen von der Meinung anderer Menschen
oder der aktuellen «political correctness» und die
direkte Begegnung suchen erweist sich ganz oft als sehr
fruchtbar. Es hat etwas vom Gehen ins Unbekannte. Sich
auf den Glauben einlassen ist auch ein Weg mit Unbekannten
– aber mit vielen Gefährten und einem tragenden Gott.

Von: Rolf Bielefeld

7. Mai

Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot,
dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser,
denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen,
und der HERR wird dir’s vergelten.
Sprüche 25,21–22

Noch ein Klassiker: Beschäme deine Gegner durch Grossmut
und Güte, sodass es dir dann mental besser geht.
Nun befinden wir uns hier in der Weisheitsliteratur, irgendwann
im vierten oder dritten Jahrhundert vor Christus, final
zusammengestellt.
Das entwertet die Kernaussagen der Sammlung in den
Sprüchen in keiner Weise. Denn es geht hier gar nicht darum,
dass es dir besser geht, sondern es geht darum, dass du etwas
machst, das

  1. dem «Gegner» dient, der eventuell falsch gehandelt hat;
  2. dein Handeln dem entspricht, was im Reich Gottes selbstverständlich
    ist, und
  3. deinen Gegner zum Überdenken und Ändern seines Handelns
    bewegen könnte.

Also wohl doch kein Klassiker, sondern eher eine Aufforderung,
den üblichen Kreislauf von Unterdrückung, Gewalt
und Beschwichtigung zu durchbrechen. Im Grossen gelingt
dies nur sehr selten, wie uns die Vielzahl von Konflikten und
Kriegen zeigen.
Wenn wir dem Liebesgebot unseres Glaubens Bedeutung
beimessen, wird es wohl nicht ohne unsere Versuche gehen,
in unserem Umfeld wahrhaftig und gewaltfrei zu leben. Dieses
Beispiel wird unser Gott dann wohl segnen.

Von: Rolf Bielefeld

6. Mai

Als mir angst war, rief ich den HERRN an und schrie zu
meinem Gott. Da erhörte er meine Stimme.
Psalm 18,7

Irgendwie ist das doch ein klassisches Muster: Da ist einer in
Schwierigkeiten und bettelt um Hilfe!
Klassisch ginge jetzt das persönliche Prüfprogramm im
Berliner Nahverkehr los:
– Der wievielte ist das jetzt in den letzten 20 Minuten?
– Hat er eine neue Masche?
– Wie gross ist wohl seine Not tatsächlich?
– Tritt er aggressiv auf?
– Ist von meinen täglichen 4 × 50 Cent noch einer übrig?
Nun ist der Psalmbeter definitiv nicht in der Berliner
S- oder U-Bahn unterwegs, aber er steckt mit ziemlicher
Sicherheit auch in Schwierigkeiten. Welches Prüfprogramm
ist ihm wohl begegnet? Wenn Passanten seine Schwierigkeiten
bemerkt haben, vielleicht ein ähnliches wie meines. Aber
das scheint hier keine Rolle zu spielen.
Unserem Beter geht es um Lob und Vertrauen in Gott.
Seine Welt ist die des immer wieder in Kriege verstrickten
Volkes zur Zeit Davids. Wer zettelt nun Kriege an? Der Mann
und die Frau auf der Strasse eher nicht. Es sind in der Regel
die politisch Verantwortlichen in ihren jeweiligen Gesellschaften.
Die Lage der Menschen in diesen Kriegszeiten hat
sich allerdings nicht wirklich geändert. Sie leben in der realen
Bedrohung ihres Lebens und meistens bleibt ihnen nur die
Hoffnung auf Hilfe und Besserung. Glaubende haben dann
noch einen Trumpf: die Lebenszusage Gottes.

Von: Rolf Bielefeld

7. März

Der HERR, unser Gott, verlasse uns nicht und ziehe die Hand nicht ab von uns. 1. Könige 8,57

Der gestrige Lehrtext hat uns unser Handeln vor Augen
geführt. Der heutige Text bezieht sich auf einen, dessen
Handlung, den Tempel bauen zu lassen, zu einem feierlichen
Ende gekommen war. Nun war doch alles gut, der Tempel
war fertig, die Lade an der richtigen Stelle deponiert, das
Leben verlief in geordneten Bahnen. Eigentlich der richtige
Zeitpunkt, den Ertrag zu geniessen!
Und zack – da holt uns das Wissen um Veränderung doch
sofort wieder ein. Das war bei Salomon so und ist bei uns
nicht anders.
Wenn wir uns in einer Situation gut eingerichtet haben,
diese für die Zukunft festhalten wollen, kommt irgendetwas
völlig unerwartet auf uns zu. Es verbreitet Unsicherheit und
schreibt eine andere Gegenwart. Dieser Wunsch Salomos,
«Gott soll ihn nicht verlassen», verstehe ich als Bitte, die
gute Entwicklung nicht zum Negativen zu ändern.
Das ist doch auch Teil unseres Menschseins, Gutes erhalten
und Schlechtes verändern zu wollen. Da wir um unsere
beschränkten Mittel wissen, ist uns auch klar, dass sich unser
Leben dynamisch entwickelt. Vieles geschieht ausserhalb
unseres unmittelbaren Einflusses.
Doch wir nehmen die Entwicklung wahr, teilen sie im
Gebet, wissen um die Nähe Gottes und können deshalb die
vielen Herausforderungen annehmen, ohne an der Welt oder
an Gott final zu verzweifeln.

Von: Rolf Bielefeld

6. März

Was ihr getan habt einem von diesen meinen
geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Matthäus 25,40

Ich glaube, es gibt kaum einen Vers in den Evangelien, der so
weit verbreitet ist und so viel positive Resonanz erzeugt wie
dieser. Er ist die Handlungsmaxime einer ganzen Reihe von
Orden und christlichen Gemeinschaften; aber auch von vielen
Menschen guten Willens. Für Menschen, die in der Spur
Jesu gehen, nehmen wir das in der Regel als selbstverständlich
an, insbesondere wenn wir dies zur eigenen DNA zählen.
Diese Selbstverständlichkeit, gepaart mit einer klaren eigenen
Vorstellung, was gute und schlechte Taten sind, führt dann
doch zu vielen enttäuschten Erwartungen. Die Kernaussage,
dass alles, was Menschen im Guten wie im Bösen angetan
werden kann, gleichzusetzen ist mit einem Handeln gegen
oder für Jesus selbst, macht die Sache ganz schön persönlich.
Mir fällt dazu ein Leitsatz ein, den viele Gruppen, Initiativen
und Individuen für sich angenommen haben: «sehen,
beten, handeln». Die Verantwortung ist damit verteilt. Was
ich in der Welt um mich herum sehe, geht mich etwas an.
Im Gebet teile ich dies und bedenke es. Dann handle ich
nach meinen Möglichkeiten in dem Sinn, den ich als Glaubender
im Gebet erkannt habe. Da ich um meine beschränkten
Möglichkeiten weiss, so, wie Jesus um die beschränkten
Möglichkeiten seiner Umgebung wusste, ist mein Handeln
nie zu wenig. Der erhoffte Segen wird schon sichtbar werden,
wenn ich gut hinsehe und hinhöre!

Von: Rolf Bielefeld