Autor: Rolf Bielefeld

7. Mai

Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot,
dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser,
denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen,
und der HERR wird dir’s vergelten.
Sprüche 25,21–22

Noch ein Klassiker: Beschäme deine Gegner durch Grossmut
und Güte, sodass es dir dann mental besser geht.
Nun befinden wir uns hier in der Weisheitsliteratur, irgendwann
im vierten oder dritten Jahrhundert vor Christus, final
zusammengestellt.
Das entwertet die Kernaussagen der Sammlung in den
Sprüchen in keiner Weise. Denn es geht hier gar nicht darum,
dass es dir besser geht, sondern es geht darum, dass du etwas
machst, das

  1. dem «Gegner» dient, der eventuell falsch gehandelt hat;
  2. dein Handeln dem entspricht, was im Reich Gottes selbstverständlich
    ist, und
  3. deinen Gegner zum Überdenken und Ändern seines Handelns
    bewegen könnte.

Also wohl doch kein Klassiker, sondern eher eine Aufforderung,
den üblichen Kreislauf von Unterdrückung, Gewalt
und Beschwichtigung zu durchbrechen. Im Grossen gelingt
dies nur sehr selten, wie uns die Vielzahl von Konflikten und
Kriegen zeigen.
Wenn wir dem Liebesgebot unseres Glaubens Bedeutung
beimessen, wird es wohl nicht ohne unsere Versuche gehen,
in unserem Umfeld wahrhaftig und gewaltfrei zu leben. Dieses
Beispiel wird unser Gott dann wohl segnen.

Von: Rolf Bielefeld

6. Mai

Als mir angst war, rief ich den HERRN an und schrie zu
meinem Gott. Da erhörte er meine Stimme.
Psalm 18,7

Irgendwie ist das doch ein klassisches Muster: Da ist einer in
Schwierigkeiten und bettelt um Hilfe!
Klassisch ginge jetzt das persönliche Prüfprogramm im
Berliner Nahverkehr los:
– Der wievielte ist das jetzt in den letzten 20 Minuten?
– Hat er eine neue Masche?
– Wie gross ist wohl seine Not tatsächlich?
– Tritt er aggressiv auf?
– Ist von meinen täglichen 4 × 50 Cent noch einer übrig?
Nun ist der Psalmbeter definitiv nicht in der Berliner
S- oder U-Bahn unterwegs, aber er steckt mit ziemlicher
Sicherheit auch in Schwierigkeiten. Welches Prüfprogramm
ist ihm wohl begegnet? Wenn Passanten seine Schwierigkeiten
bemerkt haben, vielleicht ein ähnliches wie meines. Aber
das scheint hier keine Rolle zu spielen.
Unserem Beter geht es um Lob und Vertrauen in Gott.
Seine Welt ist die des immer wieder in Kriege verstrickten
Volkes zur Zeit Davids. Wer zettelt nun Kriege an? Der Mann
und die Frau auf der Strasse eher nicht. Es sind in der Regel
die politisch Verantwortlichen in ihren jeweiligen Gesellschaften.
Die Lage der Menschen in diesen Kriegszeiten hat
sich allerdings nicht wirklich geändert. Sie leben in der realen
Bedrohung ihres Lebens und meistens bleibt ihnen nur die
Hoffnung auf Hilfe und Besserung. Glaubende haben dann
noch einen Trumpf: die Lebenszusage Gottes.

Von: Rolf Bielefeld

7. März

Der HERR, unser Gott, verlasse uns nicht und ziehe die Hand nicht ab von uns. 1. Könige 8,57

Der gestrige Lehrtext hat uns unser Handeln vor Augen
geführt. Der heutige Text bezieht sich auf einen, dessen
Handlung, den Tempel bauen zu lassen, zu einem feierlichen
Ende gekommen war. Nun war doch alles gut, der Tempel
war fertig, die Lade an der richtigen Stelle deponiert, das
Leben verlief in geordneten Bahnen. Eigentlich der richtige
Zeitpunkt, den Ertrag zu geniessen!
Und zack – da holt uns das Wissen um Veränderung doch
sofort wieder ein. Das war bei Salomon so und ist bei uns
nicht anders.
Wenn wir uns in einer Situation gut eingerichtet haben,
diese für die Zukunft festhalten wollen, kommt irgendetwas
völlig unerwartet auf uns zu. Es verbreitet Unsicherheit und
schreibt eine andere Gegenwart. Dieser Wunsch Salomos,
«Gott soll ihn nicht verlassen», verstehe ich als Bitte, die
gute Entwicklung nicht zum Negativen zu ändern.
Das ist doch auch Teil unseres Menschseins, Gutes erhalten
und Schlechtes verändern zu wollen. Da wir um unsere
beschränkten Mittel wissen, ist uns auch klar, dass sich unser
Leben dynamisch entwickelt. Vieles geschieht ausserhalb
unseres unmittelbaren Einflusses.
Doch wir nehmen die Entwicklung wahr, teilen sie im
Gebet, wissen um die Nähe Gottes und können deshalb die
vielen Herausforderungen annehmen, ohne an der Welt oder
an Gott final zu verzweifeln.

Von: Rolf Bielefeld

6. März

Was ihr getan habt einem von diesen meinen
geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Matthäus 25,40

Ich glaube, es gibt kaum einen Vers in den Evangelien, der so
weit verbreitet ist und so viel positive Resonanz erzeugt wie
dieser. Er ist die Handlungsmaxime einer ganzen Reihe von
Orden und christlichen Gemeinschaften; aber auch von vielen
Menschen guten Willens. Für Menschen, die in der Spur
Jesu gehen, nehmen wir das in der Regel als selbstverständlich
an, insbesondere wenn wir dies zur eigenen DNA zählen.
Diese Selbstverständlichkeit, gepaart mit einer klaren eigenen
Vorstellung, was gute und schlechte Taten sind, führt dann
doch zu vielen enttäuschten Erwartungen. Die Kernaussage,
dass alles, was Menschen im Guten wie im Bösen angetan
werden kann, gleichzusetzen ist mit einem Handeln gegen
oder für Jesus selbst, macht die Sache ganz schön persönlich.
Mir fällt dazu ein Leitsatz ein, den viele Gruppen, Initiativen
und Individuen für sich angenommen haben: «sehen,
beten, handeln». Die Verantwortung ist damit verteilt. Was
ich in der Welt um mich herum sehe, geht mich etwas an.
Im Gebet teile ich dies und bedenke es. Dann handle ich
nach meinen Möglichkeiten in dem Sinn, den ich als Glaubender
im Gebet erkannt habe. Da ich um meine beschränkten
Möglichkeiten weiss, so, wie Jesus um die beschränkten
Möglichkeiten seiner Umgebung wusste, ist mein Handeln
nie zu wenig. Der erhoffte Segen wird schon sichtbar werden,
wenn ich gut hinsehe und hinhöre!

Von: Rolf Bielefeld

7. Januar

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
sei gelobet der Name des HERRN
. Psalm 113,3

Hier ist jemand aber sehr beseelt und sehr enthusiastisch.
Was hat wohl den Schreiber dieses Psalms so in Hochstimmung
und selbstverständliche Gotteserkenntnis versetzt?
Ich weiss es nicht, aber dieser Psalm hat so viele Menschen
künstlerisch motiviert und existentiell gestützt, dass es
eigentlich auch unerheblich ist, was den Schreiber angetrieben
hat.
Von etwas oder jemandem einen ganzen Tag lang fasziniert
oder angerührt zu sein, ist schon eine tolle Erfahrung.
Diejenigen, die seit vielen Jahren / Jahrzehnten in einer Beziehung
leben und die Liebe täglich erfahren, wissen um diesen
Schatz. Dieses Erleben kann niemand erzwingen und auch
niemand verordnen; es kann nur dankbar angenommen
werden.
Wenn dies vergleichbar ist mit dem, was der Psalmbeter
mit dem zu preisenden Gott meint, habe ich eine Idee von
dem, was ihm wohl vorgeschwebt haben muss.
Wir leben in einer Zeit, die geprägt wird vom Wissen und
Erfahren um den langsamen Tod unseres Heimatplaneten,
den schnellen Tod und das Elend aus Krieg und Vertreibung.
Viele stemmen sich gegen diese Entwicklung, ohne deutliche
Zeichen der Umkehr wahrzunehmen.
Ich hoffe und bete, dass die Erfahrung einer bedingungslosen
Liebe möglichst allen zuteil wird, und sie daraus die
Kraft für einen anderen Weg schöpfen.

Von: Rolf Bielefeld

6. Januar

Gott widersteht den Hochmütigen, aber
den Demütigen gibt er Gnade.
1. Petrus 5,5

Hochmut und Demut waren lange Begriffe, die völlig aus der
Mode gekommen waren, denn wenn überhaupt, sind Menschen
entweder erfolgreich oder erfolglos. Entweder bist du
dabei oder du bist draussen.
In der Politik hat sich «Demut» bewährt, wenn das politische
Handeln mehr oder weniger danebengegangen ist, aber
der Rücktritt unbedingt vermieden werden sollte.
Ich glaube, der Schreiber dieses Briefes muss etwas Ähnliches
im Blick gehabt haben, als er an die zerstreute Gemeinde
irgendwann um 100 n. Chr. geschrieben hat. Da hat es die
gegeben, die genau wussten, wie der Glaube richtig zu leben
ist, und dies auch zu allen passenden und unpassenden
Gelegenheiten verkündeten. Und es gab diejenigen, die völlig
unauffällig die Konsequenzen aus dem Glauben an die Botschaft
Jesu zu leben versuchten.
In so einer Situation kann ein ordnendes Wort, wie unser
heutiger Vers, sehr hilfreich sein.
Genau zu wissen, wie das Leben / der Glaube geht, und dieses
vermeintliche Wissen für alle anderen verbindlich zu halten,
führt zu Verdruss und Ärger – wie uns die Erfahrung lehrt.
Die Kernbotschaft Jesu in das eigene Leben einzubauen und
der Liebe eine grosse Spielfläche zu geben, führt in der Regel
zu vielen guten Begegnungen und einer eigenen Zufriedenheit
mit dem Leben sowie zur Energie, sich für das Wohl der
anderen Menschen einzusetzen.

Von: Rolf Bielefeld

7. November

Christus spricht: Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern.          Offenbarung 22,16

Nun sind wir also am Ende der Offenbarung angekommen und schliessen den Kreis mit grossem Pathos. Ich will mich jetzt nicht über die Naherwartung der Gemeinde auslassen, sondern der Frage nachgehen, wie wichtig es eigentlich für uns Glaubende ist, dass Jesu aus der Familie Davids stammt. Familie ist wichtig, sowohl die Kernfamilie als auch die erweiterte Familie. Sie ist unser Ankerpunkt, es sind die Menschen, die uns am vertrautesten sind und die wir in der Regel sehr lieben. Familie kann aber auch die Hölle sein, wenn all das sich ins Gegenteil verkehrt hat – aus welchen Gründen auch immer. Das wusste auch Jesus, war doch sein Verhältnis zu seiner Familie nicht spannungsfrei.

Für Matthäus war der Stammbaum entscheidend (Kapitel 1), da nur so die Anbindung an die jüdischen Prophezeiungen des kommenden Messias gelingen konnte.

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Wenn es der Kern unseres Glaubens ist, dass wir durch den prophezeiten Messias in den Stand der Unschuld zurückversetzt werden, dann ist die Verbindung mit David entscheidend wichtig. Wenn der Kern unseres Glaubens jedoch die Befreiung in Gedanken, Worten und Taten ist, begleitet vom Willen, die in Jesus vorgelebte bedingungslose Liebe selber zu leben – dann ist es völlig bedeutungslos.

Von Rolf Bielefeld

6. November

Heilig, heilig, heilig ist der HERR  Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!          Jesaja 6,3

Eine Frage, die mich nie loslässt: «Was ist heilig?» Umso mehr, weil die Aussage dieses Jesaja-Verses in unserer Gesellschaft nicht mal ansatzweise mehrheitsfähig ist. Jesaja, der alle Welt auf das zukünftige endzeitliche Friedensreich einschwören wollte – vielleicht hätte er ja heute Erfolg damit, angesichts der aktuellen Weltlage und der vielen Geschichtenerzähler um uns herum.

Aber zurück zu unserer Ausgangsfrage: Was ist eigentlich «heilig»? In der Regel bezeichnen wir etwas so, das für uns eine ausserordentliche Bedeutung hat und sich mit etwas verbindet, das sich all unseren Erklärungsversuchen entzieht. So meine Definition als Glaubender.

Wie kommt es aber, dass so viele Menschen in öffentlicher Verantwortung so gut beschreiben können, was für sie heilig ist und uns heilig sein sollte – das Land, die Nation, die Fam lie, die Arbeit, der Einfluss, die Macht, der Besitz? Letztendlich beschreibt es doch nur, was auf der individuellen Wichtigkeitsskala ganz oben steht. Wenn diese Werte dann religiös angemalt und mit Pathos unterlegt werden, haben wir eine Gemengelage, die sich gut als «heilig» anpreisen sowie Freiheitseinschränkungen und Krieg rechtfertigen lässt.

Es gibt also noch viel zu tun, wollen wir das uns Heilige  (z. B. die von Jesus gepredigte Gerechtigkeit) nicht den Scharlatanen überlassen.

Von Rolf Bielefeld

7. September

Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Matthäus 18,20

Natürlich ist er mitten unter uns! Die Kraft/Energie, der Geist/Gott – wie immer wir ihn/sie/es nennen. Sie ist das, was uns in Beziehung hält und uns immer wieder neu die Liebe suchen und erfahren lässt. Das Wissen um die verbindende und heilende Kraft der Liebe ist wohl so alt wie die Menschheit. Ihre Durchsetzung als Wirk- und Gestaltungsprinzip harrt allerdings immer noch ihrer Anerkennung und Durchsetzung.
Es sind nicht nur der «Russisches-Grossreich-Irrsinn» des Herrn Putin und die vielen kleinen und grossen Kriege auf der Welt, die dies bestätigen.
Es ist der alltägliche Streit mit den alltäglichen Verletzungen zwischen alltäglichen Menschen. Es fällt uns nach wie vor schwer, das ganz Besondere in jedem anderen Menschen zu sehen und wertzuschätzen.
Oder in der Mindestanforderung: den anderen einfach so sein lassen, wie er/sie nun einmal ist.
Das ist nicht einfach, bedeutet es doch, dass nicht ich der Massstab aller Dinge bin. Wenn ich meine Umgebung wohlwollend und wertschätzend betrachte, kann ich wachsen und geschehen lassen. Und selber kann ich auch wachsen und so sein, wie ich bin.
Da ist die Liebe dann tatsächlich mitten unter uns – oder nenn es auch Gott.

Von Rolf Bielefeld

6. September

Bei dir, Herr, unser Gott, ist Barmherzigkeit und Vergebung. Daniel 9,9

Das Buch Daniel ist sozusagen die Apokalypse der hebräischen Bibel, die Gelehrten streiten sich darum, ob der Text nun im 6. oder im 2. Jh. v. Chr. geschrieben worden ist. Lassen wir sie streiten und überlegen lieber mal, was so eine Apokalypse ausmacht und was Gott damit zu tun hat.

Viele von uns sind von Francis Ford Coppolas Apocalypse Now und Roland Emmerichs The Day After Tomorrow geprägt und haben damit klare Bilder einer Apokalypse vor Augen. Da im Buch Daniel der Untergang des judäischen Weltreichs verkündet wird, gab es auch hier klare Vorstellungen.
Was hat nun Gott mit diesen Untergangsszenarien zu tun? Platt ausgedrückt: gar nichts!
Unsere Vorstellungen basieren auf von Menschen gemachten (oder inszenierten) Katastrophen oder echten Naturkatastrophen. Mit denen hat Gott nun nichts zu tun, sondern nur unsere Phantasie oder unser Handeln oder Unterlassen. Aber nun wenden wir uns mal den Katastrophen zu, bei denen Gott eine Rolle spielt. Die Kraft/Energie, der Geist/ Gott – wie immer wir ihn/sie/es nennen, ist uns durch Jesus als die Liebe ohne Bedingungen exemplarisch vorgelebt worden. Da, wo wir diese Liebe aufgeben, entstehen die Katastrophen in uns und um uns herum.

Von Rolf Bielefeld