Gebt, so wird euch gegeben. Lukas 6,38

In der jüdischen Tradition ist es üblich, von Gott verhüllt zu
sprechen. Eine Form solch verhüllender Rede ist das «Passivum
divinum», das «göttliche Passiv»: «Euch wird gegeben.» Es ist also Gott, der mir gibt, wenn ich gebe.
Nun könnte man kritisch einwenden, dies sei einfach eine ins
Metaphysische gehobene Handelsbeziehung: «Do ut des»,
«ich gebe, damit du gibst.» Der gebenden Geste läge egoistisch-
berechnendes Denken zugrunde. Der Zürcher Neutestamentler
Hans Weder sieht diese Art von Kalkulation aber
im Angesicht Gottes aufgehoben: «Im Angesicht Gottes ist
weder weltliche noch metaphysische Berechnung möglich.
Im Angesicht Gottes löst sich die Berechnung selbst auf, und
damit wird der Mitleidserweis zu dem zurückgeführt, was
er in Wahrheit ist: die jede Berechnung hinter sich lassende,
elementare Zuwendung zum Bedürftigen.»
Der paradoxe Profit des Gebens liegt möglicherweise darin,
dass ich darin mein eigenes Ego – seine Ansprüche an Besitz,
Sicherheit, Komfort – transzendiere und im Urgrund meines
Seins in Kontakt komme mit Gott, dessen schöpferisches
Handeln am Ursprung allen Gebens liegt:
«Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von
dir; wir danken dir dafür.»

Von: Andreas Fischer