Monat: August 2022

21. August

Haltet mich nicht auf, denn der HERR hat Gnade zu meiner Reise gegeben.      1. Mose 24,56

Gewiss, Gott hat die Reise seines Dieners gelingen lassen, denn er kehrt mit Rebekka zu Abraham und seinem Sohn Isaak zurück. Rebekka wird Isaaks Frau werden. Rebekkas Familie wollte sie noch zehn Tage bei sich behalten. Da bittet der Diener darum, nicht aufgehalten zu werden. Er ist so glücklich, dass er das Ziel seiner Reise zur Zufriedenheit Abrahams erreichen konnte, und will nichts anbrennen lassen.

Nicht aufgehalten werden, zielstrebig sein, wer möchte das nicht! In unserer berührenden Geschichte wird die Zielstrebigkeit deutlich mit der Gnade der Lebendigen begründet. Der Diener hatte es Abraham so versprochen und seine Reise auch gut geplant.

Unsere Zielstrebigkeit ist oft mit Zielen verknüpft, die mit den Vorgesetzten vereinbart sind. Wir bekommen dafür sogar schriftlich Anerkennung – oder eben nicht. Bei der Lebendigen ist das nicht anders. Aber da ist noch etwas: Gott hat die Reise gelingen lassen. Der Diener war nicht allein, die Lebendige war mit ihm. Bei unseren Zielvorgaben und deren Auswertung sind wir es, die Ziele setzen oder gesetzt bekommen. Und wir sind dankbar, wenn wir sie erreichen, auch etwas stolz, durchaus, auch wir wollen nicht aufgehalten werden. Und wie oft atmen wir durch, wenn es gelingt. Ob wir auch daran denken, dass die Lebendige unsere Reisen gelingen lässt?

Von Madeleine Strub-Jaccoud

20. August

Gott spricht: Ich will für Israel wie der Tau  sein, dass es blüht wie eine Lilie.                 Hosea 14,6

Blumen spielen in der Bibel eine zwiespältige Rolle. Sie fungieren einerseits als Sinnbilder der Vergänglichkeit. Ihre Botschaft könnte dann so lauten: «Heute blühen wir und morgen schon sind wir verdorrt.» Wie besingt es das Kinderlied? Roti Rösli im Garte, Maieriisli im Wald, wänn de Wind chunnt goge blase, denn verwelked sie  bald.

Blumen sind aber auch Sinnbilder für das Schöne. Der Prophet spricht zwar nicht von Rosen, sondern von Lilien. Aber die sind beinahe so schön wie Rosen. «Lilien auf dem Feld» sind auch für Jesus von Nazareth Zeugen für die Pracht der Schöpfung. «Salomons Seide» hat im Vergleich zu Lilien nicht einmal den Hauch einer Chance!

Hat sich Jesus für sein floristisches Gleichnis von Hosea inspirieren lassen? Die Losung zitiert aus einer Rede des Propheten, in der Gott sich zu seinem Volk bekennt. Gott bringt Israel zum Blühen, ist wie der Tau, ein köstliches Nass, das die Blüten aufgehen lässt. Wenn man beide Gleichnisse zusammenschaut, spürt man einerseits den Schmerz des Verwelkens, wenn die Lüfte des Todes dreinwehn, aber man freut sich andererseits über die verschwenderische Liebe, die am Morgen aufblüht. Was wiegt mehr?

Ich schlage vor, dass wir uns heute für den Tau entscheiden!

Von Ralph Kunz

19. August

Meine Seele hängt an dir; deine rechte Hand hält mich.          Psalm 63,9

Jüngere Menschen benutzen für «entspannen» ein Wort, das ich in meiner Jugend nicht kannte. Sie «hängen ab». Kennen Sie nicht? Easy! Das ist wie «chillen» oder «relaxen»! Man nimmt es locker. Ob der Psalmist seine Gottesbeziehung auch so entspannt sieht?

Wohl kaum! Er hängt nicht, er hängt sich rein und ran. Das Sich-an-Gott-Hängen der Seele ist Ausdruck einer existenziellen Anhänglichkeit, die eine innigste Verbindung sucht. Es ist ein Bild des Vertrauens. Mit Hängematten-Gelassenheit hat das wenig gemein. Und doch ist eine Vertrautheit in diesen Worten, die frei und froh macht. Der Psalmist stellt seinen Hang zu Gott in den Zusammenhang der Seele mit Gott. «Deine rechte Hand hält mich» drückt aus, dass die Seele des Beters «entspannt» sein darf. Unter «Seele» darf man sich nicht den ätherischen Silberschleier in uns vorstellen, der unsterblich und edel vor sich hinwabert. Die Seele ist nicht Geistleib, sondern der nimmersatte Schlund, das Saugorgan des Lebens, der luftgierige Hals, der nach Luft schnappt. Wie muss man sich eine Seele vorstellen, die sich Gott anhängt?

Ich stelle es mir so vor: Wenn meine Seele an Gott hängt und von Gott gehalten wird, ist sie ganz bei sich selbst und doch nicht allein. Mit einem anderen Wort: Sie ist glücklich!

Von Ralph Kunz

18. August

So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und  Gott, was Gottes ist!    Lukas 20,25

Nun nehme ich nicht an, dass Sie als Boldern-Leser:in blinden Staatsgehorsam pflegen und dem, was Gott will, gleichgültig gegenüberstehen. Auch nicht, dass für Sie Gott und Welt total getrennte Bereiche sind und Religion sich aufs Innere und die Sorge um die Seele beschränkt. Im Gegenteil! Aber was ist Gottes Sache und was die von Politikern:innen?

Während ich diese Zeilen schreibe, tobt der Krieg in der Ukraine – und ich muss manche meiner bisherigen Einsichten überdenken.

Was ist die Rolle der Ewigen in meinen Überlegungen? Will sie nicht Frieden? Bedeutet dies, die Menschen in der Ukraine nicht mit Waffen zu unterstützen, sondern mit Gebeten und Mitgefühl? Aber: Einem Aggressor keinen Einhalt gebieten?! Also doch Waffen? Wir können in dieser Situation keine weisse Weste behalten. Es gibt aber auch keinen gerechten Krieg. Mancher Slogan bei den Ostermärschen klang für mich auf einmal arg naiv.

Nein, es sind keine getrennten Bereiche. Und ich möchte sie zusammenhalten und nicht aufhören, weiter zu denken und die Ewige zu fragen, was zu einem Ende des Krieges und zu einem gerechten, nicht naiven Frieden führt.

Von Ulrike Müller

17. August

Seid nicht träge in dem, was ihr tun  sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn.      Römer 12,11

Komm, hänge nicht so abgeschlafft herum! Kannst du dich denn nicht mal wieder für etwas so richtig begeistern?!

Hilft Ihnen, hilft mir das? Es macht mich eher müde. Und klingt so hilflos.

Wenn nun aber die Übersetzung der BigS den Sinn besser trifft? «Haltet euch mit eurer Begeisterung nicht zurück; lasst euch von der Geistkraft entzünden und setzt euch für die Lebendige ein.» Dann bin ich eingeladen, eine ganz andere Perspektive einzunehmen. Nämlich die, als brenne schon längst ein Feuer in mir. Und zwar dort, wo ich wenig von mir weiss. Wie wenn die Ewige sich in diesem unendlichen Raum zuinnerst in mir zeigt. Mich dort anrühren will, etwas anfachen.

Und Paulus, der subtile Beobachter des Lebens, sieht bei Menschen um sich herum, wie sie – statt in diesen offenen Raum hineinzulauschen und zu hoffen – «drunten» halten, was da aufbrechen will; es nicht wahrhaben wollen.

Warum? Weil es doch nicht so einfach ist. Weil es nicht passt zu dem, wie man sich selbst zu sehen gelernt hat. Weil man gefangen ist in abgekühlten Idealen.

Aber wenn doch der Funke schon da ist …

Von Ulrike Müller

16. August

Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen  Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.         Matthäus 5,15

Licht, Leuchten, Leuchtfeuer. Ich wohne mit meiner Familie seit vielen Jahren für einige Wochen als Urlaubsseelsorger neben dem alten Leuchtturm auf der Nordseeinsel Wangerooge – auch heute, am 16. August. Früher diente dieser alte Leuchtturm als Seezeichen. Durch sein Lichtsignal wies er den Seeleuten auf den Schiffen ihren Weg. Die Lichtsignale ermöglichten die Navigation und das Umfahren gefährlicher Stellen im Gewässer. Die Seeleute waren angewiesen auf solche Zeichen, die in bedrohlichen Situationen Rettung bedeuten konnten.

Ohne Licht kann kein Mensch leben, ohne Licht wächst keine Pflanze, gedeiht keine Blume. Licht brauchen wir, wie die Luft zum Atmen. Ohne Licht kein Leben, ohne Licht ist nur Finsternis.

Ein Leuchtturm steht auf einem erhobenen Platz. Je höher der Leuchtturm, desto weiter reicht sein Licht, desto mehr Seeleute können es wahrnehmen.

Es gibt Menschen, die verbergen ihre Lichter und Leuchtfeuer. Sie sind vielleicht zu bescheiden oder erkennen nicht, dass sie Licht bedeuten für ihre Umgebung, so, wie sie sind. Der Blick aus der Urlaubsseelsorger-Wohnung sagt mir: Wir brauchen Lichtträger mit ganz viel Glauben, Liebe und Hoffnung. Wir brauchen Lichtträger dringender denn je.

Von Carsten Marx

15. August

Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des HERRN ist  erhöht; die Rechte des HERRN behält den Sieg!      Psalm 118,15.16

Hört Gott mein Gebet? Diese Frage stellt sich wohl jeder betende Mensch irgendwann einmal. Diese Frage ist akut. Gebetet wird viel auf der Welt. Als Dank. Als Klage. Als Lob. Als Bitte. Aus Verzweiflung. Aus Glück. Für andere. Für mich. Mit Worten. Mit Gesang. Im Schweigen. Doch hört uns jemand zu, wenn wir beten? Und: Werden unsere Gebete auch erhört?

Im Psalm 118 kommt uns ein grosser Optimismus entgegen. Ich nenne es Hoffnung. Ja, Gott hört uns, sagt der Psalm. Und nicht nur das: Gott greift sogar zu unseren Gunsten ein. Gott rettet. Aus Not und Dunkelheit befreit Gott.

Im Leben gibt es nicht nur schöne Tage. Wir erfahren Widerstand. Für viele Menschen ist das Leben oftmals ein regelrechter Kampf. Dennoch: Gott rettet. Gott hilft. Und wir können von dieser Hilfe und Rettung singen. Hier im Psalm hat das jemand erfahren, und wir können versuchen, dieser Glaubens- und Gotteserfahrung zu vertrauen. Da ist jemand, der seinen Glauben, seinen Gott genau so versteht, dass er unser Gebet hört, dass Gott uns erhört. Wir brauchen dieses Gefühl gerade in Krisenzeiten.

Von Carsten Marx

14. August

Wer ist dem HERRN gleich, unserem Gott, der hoch droben thront, der tief hinunterschaut auf Himmel und Erde! Der aus dem Staub den Geringen  aufrichtet. Psalm 113,5

Zwei Linien zeichnet der Psalmist. Jene des Throninhabers, der so hoch  über  dem  Normalmenschen  ist,  dass er sogar noch auf den Himmel hinabschaut. Hier kommt mir die Geschichte vom Turmbau zu Babel in Erinnerung (1. Mose 11). Der Mensch will hoch hinaus in den Himmel und trotzdem muss Gott «herabsteigen», um sich ein Bild von dieser menschlichen Höhe machen zu können. Ähnliche Dimensionen weist dieser Psalm auf. Jahwe thront in seiner Majestät so hoch, dass er tief hinunterschauen muss, um die «Grosstaten» der Menschen wahrzunehmen. Und zugleich betont der Psalm die andere Seite dieses Erhabenen, seine diakonische Gabe, würden wir möglichweise sagen, die den im Staub Liegenden, den unter die Räuber Gefallenen, den Geringen im gesellschaftlichen Wertekanon aufrichtet. Dieses Oben-unten-Verhältnis ist meines Erachtens die Botschaft, die der Psalmist zusprechen will: Wie hoch ihr zu thronen meint, nie seid ihr so hoch wie Jahwe. Schaut wie dieser hinunter, dorthin, wo die im Staub Liegenden sich befinden. Sie aufzurichten, ist euer gottgemässes Tun. So kennzeichnet sich aus der Perspektive von oben eine Ökonomie des Lebens, der Ertüchtigung für die da unten. Wir sind nie gottgleich, aber wir können unseren Blickwinkel so ausrichten, dass wir jene sehen, denen Gott aufhilft.

Von Gert Rüppell

13. August

Der Knecht Gottes sprach: Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg  ich nicht vor Schmach und Speichel.                      Jesaja 50,6

Zwei Umstände begleiten mein Nachdenken über diesen Text. Ich schreibe am Tag der orthodoxen Ostern – in der Nacht haben Raketenwerfer weiterhin Tod, Feuer und Zerstörung in der Ostukraine und darüber hinaus verbreitet. Zugleich radikalisiert der Text meine Verunsicherung, wie ich mit all den Diskussionen um schwere Waffen, Angriffskrieg und Aug’ um Auge mit den Gefühlen umgehen soll, die meinen grundsätzlichen Pazifismus in jüngster Zeit so sehr verunsichern. Die Losung ist klar: «Mein Angesicht verbarg ich nicht.» Gilt also «klare Kante»? Gilt also angesichts eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, sich dennoch allem feindlichen Gerede mit der Botschaft der Versöhnung, des Dialogs entgegenzustellen, zumindest in den Diskussionen, in denen es eben doch um das Prinzip Aug’ um Auge geht? Wenn es stimmt, was ich neulich von einer Freundin hörte, dass wir in Krisensituationen dem Evangelium keinen Deut abhandeln können, indem wir auf die Sonderbedingungen verweisen, in denen wir uns befinden, dann bleibt eben doch für mich bei diesem Text ein Verweis auf die Ungeheuerlichkeit, die der biblische Anspruch für mich darstellt. Und somit auch ohnmächtige Stille …

Von Gert Rüppell

12. August

Der HERR schafft Recht den Unterdrückten, den Hungrigen gibt er Brot.          Psalm 146,7

Eine reichlich kühne Behauptung angesichts der weltweiten Unterdrückung und der Millionen Hungernden! Ob das zur Zeit des Psalmdichters anders war? Die damaligen Weltmächte waren ja nicht gerade zimperlich im Umgang mit ihren Untertanen, und von einer zuverlässigen und flächendeckenden Nahrungsmittelversorgung konnte wohl auch keine Rede sein. Unterdrückte und Hungernde waren eine Realität, die der Psalmdichter kannte – darum spricht er ja von ihnen.

War denn auch die Hilfe real? Eher ist der Psalmvers ein trotziges Aufbegehren gegen diese Realität, die nicht Gottes Willen entspricht. Wir können natürlich sagen, dass «Gott keine Hände hat als unsere Hände» und er deshalb durch unser Wirken Unterdrückung und Hunger wegschafft. Wohl können wir da und dort etwas erreichen, aber in der Absolutheit des Psalmverses ist es eine hoffnungslose Überfor- derung. Es bleibt die kühne Behauptung, das Aufbegehren, der Protest, der Glaube als «ein trotzig und verzagt Ding». Dieser Glaube ist Osterglaube. Die harte Realität wird von Gott her durchbrochen, auch wenn wir nicht richtig erfassen können, wie das geschieht. In dieses Geschehen sind wir mit hineingenommen: Christus «ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren». (Kurt Marti, Reformiertes Gesangbuch Nr. 487).

Von Andreas Marti