Monat: August 2022

11. August

Liebet den HERRN, alle seine Heiligen.    Psalm 31,24

Heilige – in der reformierten Kirche, in der ich 46 Jahre Organist war, sind an Decken und Wänden und in den Fenstern zahlreiche Heilige zu bewundern, ein Erbe des Mittelalters. Dagegen gibt es in der neuen katholischen Nachbarkirche gerade einmal zwei Heilige: die Mutter Gottes und (nur im Foyer) den heiligen Josef, nach dem die Kirche benannt ist. In der Liturgie ist es genau umgekehrt: kaum Heilige in der reformierten Liturgie, aber Heilige, Apostel und «alle, die vor Gott Gnade gefunden haben», im eucharistischen Gebet. Bekanntlich haben die beiden Vorgänger des jetzigen Papstes eine grosse Zahl von Selig- und Heiligsprechungen vorgenommen. Man mag das vielleicht belächeln, aber in jedem Fall sind damit Werte verbunden, die von den jeweiligen Männern und Frauen gelebt worden sind, und vielleicht hilft die grosse Zahl, der Formel im Hochgebet näherzukommen:

«Alle, die vor dir Gnade gefunden haben.» Oder anders gesagt: alle, die auf diesen gnädigen Gott vertrauen. Angesprochen in unserem Losungswort sind nicht besonders ausgezeichnete und moralisch vollkommene Menschen, es sind auch nicht die «im höheren Chor» Vollendeten, es ist die ganze Gemeinde, die «ein heiliges Volk» ist. Wir bekennen die «Gemeinschaft der Heiligen» im Credo, über die Generationen hinweg und auch über alle Unterschiede und Gegensätze hinweg, so schwer das manchmal auch fallen mag: die Gemeinschaft, die sich vereint weiss in der Liebe Gottes.

Von Andreas Marti

10. August

Was seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen! Matthäus 8,26

Mein Partner und ich sprechen über die Geschichte «Die Stillung des Seesturms», woraus der obige Vers stammt.

Ich: «Das ist so eine richtige Jesus-Superman-Geschichte. Damit kann ich nichts anfangen! – Klar hat man Angst, wenn man in einen Sturm gerät.»

Er: «Es ist eben eine typische Wundergeschichte, die hat eine eigene Dramatik.»

Ich: «Aber was soll ich denn daraus mitnehmen? Da schläft einer in grösster Gefahr, bemerkt die Angst um ihn herum nicht, steht auf, bändigt mal schnell den Wind und sagt den anderen auch noch, sie seien Angsthasen.»

Er: «Ich sehe in dieser Geschichte anderes, viele Urbilder mit symbolischem Gehalt: Sturm, drohendes Wasser, eine bedrohte Gemeinschaft. Jesus ist da, auch wenn er nicht gerade verfügbar ist. Wichtig ist die Verbindung, das Vertrauen zu ihm. Das darf nicht verloren gehen.»

Ich: «Sag das mal den Menschen, die tatsächlich vom Meer überrollt werden und ertrinken. Da ist kein Jesus, der ihnen hilft.»

Er: «Aber eine solche Geschichte lässt uns Menschen vielleicht überhaupt erst etwas wagen.»

Ich: «Ja, für uns, die wir nicht an Leib und Leben bedroht sind und gerade gemütlich in der Stube sitzen, mag das eine Mutgeschichte sein. Aber wenn du keine andere Wahl hast, als dein Leben aufs Spiel zu setzen?»

Von Katharina Metzger

9. August

Philippus fragte den Kämmerer: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen   und sich zu ihm zu setzen.                                                                        Apostelgeschichte 8,30–31

Eine gleichzeitig realistisch und doch etwas konstruiert wirkende Bekehrungsgeschichte lese ich da: Der Kämmerer, also der Schatzmeister der äthiopischen Königin, ist unterwegs zurück in seine Heimat. Er war in Jerusalem zum Beten. Nun liest er gerade in den Schriften des Propheten Jesaja. Da trifft er auf den Diakon Philippus, der sich als der richtige Mann zur richtigen Zeit erweist. Wer ist dieser leidende, sich aufopfernde «Gottesknecht», von dem Jesaja schreibt, will der Kämmerer wissen. Philippus antwortet mit dem Evangelium. Bei der nächsten Wasserstelle will sich der Kämmerer taufen lassen und zieht danach «voll Freude seines Weges».

Der Kämmerer: einer aus einem fremden Land, unterwegs auf einer wohl staubigen Strasse, in alte Schriften vertieft. Allein, obwohl er doch ein hoher Beamter ist. In theologischen Texten lesend, obwohl er doch als Schatzmeister eher mit Zahlen vertraut ist. Vom Beten kommend und nicht von Geschäften. Ein Durstiger? Ein Suchender?

Und da kommt diese Wasserstelle, in die er mit Philippus steigt: Wie gerne würde ich lesen, was er alles beim Eintauchen zurücklässt, was alles von ihm abgewaschen wird und was ihn so sehr mit Freude erfüllt!

Von Katharina Metzger

8. August

Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat: Gott ist Liebe, und wer in der Liebe  bleibt,der bleibt in Gott und Gott in ihm.       1. Johannes 4,16

In der Liebe bleiben. Verbunden bleiben mit Gott und den Menschen.

Darauf verzichten, sich zu rächen und Böses mit Bösem zu vergelten, Nörgelei mit Nörgelei, neue Möglichkeiten mit Misstrauen und Skepsis mit Skepsis.

In der Liebe bleiben: sich freuen über jedes Stück blauen Himmel und über das Sternenmeer bei Nacht.

Dankbar sein für das Alltägliche einer warmen Mahlzeit: Voller Freude teilen, was wir haben.

Gott teilt seine Schöpfung mit uns. Indem er teilt, teilt er sich mit.

In der Liebe bleiben: langsam, geduldig in Gottes Bild hineinwachsen.

Gutes tun.

Verbunden bleiben mit allem Lebendigen.

Du sagst: Verbunden bleiben in der Liebe. Das heisst: Verbunden bleiben mit Gott.

Von Reinhild Traitler

7. August

Fürchte dich nicht, du von Gott Geliebter! Friede sei mit dir! Sei getrost, sei getrost!        Daniel, 10,19

Trost stammt aus der gleichen sprachlichen Wurzel wie Treue. Es bezeichnet einen längerdauernden Prozess, eine geduldige Erwartung der Zukunft. «Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden», heisst es im 1. Johannesbrief (Kap 3,2). Der Satz enthält die Zuversicht, dass dieses noch nicht Sichtbare noch erscheinen wird.

Die Zusicherung, dass wir noch am Werden sind, ein work in progress, finde ich tröstlich. Eine Zukunft ist mir zugesagt. Ich kann aus Vertrauen einfach leben und voller Zuversicht jedem neuen Tag entgegenblicken. Was ich sein werde, bestimme nicht (nur) ich selber. Unter vielen Möglichkeiten schält es sich mit Gottes Hilfe langsam heraus; oft ist es mir selbst unbewusst. Immer wieder staune ich, was ich alles geschenkt bekommen habe; freue mich über Menschen, die mit mir auf dem Weg waren und sind; bin glücklich, wenn der Tag freundlich ist; und hoffe, dass es ein Tag des Friedens werde.

Schritt für Schritt gehe ich, gehen wir, im Vertrauen, dass Gott es gut meint mit mir, mit uns allen. Dass Gott nicht ohne Trost und Hilfe lassen wird, was er geschaffen hat.

Von Reinhild Traitler

6. August

Denk daran, wie du die Botschaft empfangen und  gehört hast, bewahre sie und kehre um!    Offenbarung 3,3

«Jetzt müssen wir umkehren, das wird sonst gefährlich.» Ich erinnere mich, wie mein Vater den Abbruch einer Wanderung über Alpweiden begründete. Schwarze Gewitterwolken waren im Anzug. Schade. Wir mussten unser Ziel, einen Gipfel, aufgeben. Zurück auf demselben Pfad an den Ausgangspunkt unten im Tal.

Wenn in der Bibel vom Umkehren die Rede ist, ist die Katastrophe da, der eingeschlagene Weg führte an den Abgrund oder schon darüber hinaus. In höchster Not und Gefahr ist der mögliche Anfang einer neuen Route sichtbar.

Die jüdische Religionsphilosophin Margarete Susman sprach oft von Umkehr. Die waghalsige Umkehr zu Gott, und das ist die Teschuwa, ist keine Rückkehr unter das sichere Dach, wo man immer war. No return. Susman sprach nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen Millionen Toten und zerstörten Illusionen von Umkehr. Und nach dem Zweiten Weltkrieg erst recht. Die alte Ordnung liegt in Trümmern. Alles, wirklich alles, muss bis ins Innerste umgeschaffen, neugestaltet, revolutioniert werden. Das ist die Botschaft.

Als wir in den 1970er-Jahren als Familie am Wandern waren, war für mich als Schweizer Bub die Welt völlig in Ordnung. So sehe ich sie heute nicht mehr. Es donnert und blitzt. Die Welt steht in Flammen, die Erde ist überhitzt. Jetzt müssen wir umkehren.

Von Matthias Hui

5. August

Mit meinem Gott kann ich über Mauern  springen. Psalm 18,30

Der fröhliche Vers wurde 1989 während der friedlichen Revolution in der DDR oft zitiert. Mit dem Mauerfall schien in Europa Krieg überwunden. Der kalte war weg,  der heisse in weiter Ferne, und die Angst vor dem Atomkrieg verflog. Aber dann verpassten es die Mächtigen, gemeinsam Hand anzulegen beim Bau eines gemeinsamen Hauses, dem Plan für Europa, der ursprünglich aus Russland kam. Kapitalistische Strukturen wurden von Westen her über den Kontinent gezogen, und damit florierten neben funkelnden Verheissungen und funktionierenden Geschäften auch Ungleichheit und Korruption.

Und der Krieg wurde bald wieder Realität: in Ex-Jugoslawien, in Tschetschenien, in Georgien – oder mit europäischer Beihilfe und mit Wegsehen im Irak, in Afghanistan,  in Syrien und anderswo. Wir wollten das alles aber nicht als Kapitel europäischer Geschichte verstehen.

Jetzt geht es nicht mehr anders. Wir sehen die Zerstörung und den Tod in der Ukraine. Wir sehen die Repression und die Diktatur in Russland. Wir sehen die Aufrüstung im Westen. Wir begegnen den geflüchteten Menschen.

Hat die – biblische – Vision des gerechten Friedens ausgedient? Hat der Pazifismus versagt? Kaum. Solche Konzepte wurden gar nie ausprobiert auf unserem Kontinent.

Fromme Wünsche – wie es jener einst war, dass die Mauer fallen könnte?

Von Matthias Hui

4. August

Als Hiskia den Brief gelesen hatte, ging er hinauf zum Hause des HERRN und breitete ihn aus vor dem  HERRN. 2. Könige 19,14

Was hier erzählt wird, tönt wie eine Geschichte von heute: Der übermächtige König von Assyrien bedrängt und belagert Hiskias Kleinstaat Juda und führt einen äusserst heftigen Propagandafeldzug gegen ihn: Reden von hohen Gesandten vor der Stadtmauer von Jerusalem mit harschen Anschuldigungen gegen den kleinen König, ergebnislose Verhandlungen zwischen Delegationen der beiden Länder, Attacken mit feindseligen Texten, Gotteslästerungen, Verhöhnungen, Verspottungen, Falschinformationen. Der Kommunikationskrieg gipfelt in einem Brief: «Was haben denn ihre Götter allen unseren überrannten Feinden helfen können? Nichts! So wird es auch bei euch sein. Darum vertraut dem Gott nicht, auf den euer König baut. Kommt zu uns, da werdet ihr Leben haben!»

Und was tut der in die Enge getriebene König Hiskia? Er schreit nicht zurück, er stellt sich nicht heroisch einem Duell, er glaubt nicht an die Gewalt von Waffen. Er gesteht sich ein, dass er ratlos ist und schwach. Und er geht in den Tempel – zum Beten! Er bittet um Errettung, er weiss, dass er nur noch auf Gott vertrauen kann. Und Gott lässt ihm ausrichten, dass er ihn erhört hat. Das Gebet ist seine «Waffe», und es gibt ihm Ruhe und Kraft. Assyrien erfährt, dass Jahwe nicht irgendeine Stadtgottheit ist, sondern der lebendige Gott. Dagegen kommt keine Demagogie an!

Von Hans Strub

3. August

Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über  dir! Jesaja 60,1

In der beginnenden Dämmerung auf einem Hügel zu stehen und zu sehen, wie in der Stadt unten in kürzester Zeit die Lichter angehen, gibt ein seltsam ergreifendes, ja feierliches Gefühl. Die Stadt fängt richtiggehend an zu leuchten, sie wird «licht». Das geschieht jetzt mit Jerusalem, sagt Jesaja. Dann wird sichtbar, woher dieses Leuchten kommt: vom Gotteslicht. Gott wird in die Stadt einziehen und sie «übernehmen» – so, wie sie vor noch nicht so langer Zeit vom König von Babylon übernommen wurde. Aber jene Zeit ist definitiv vorbei, die damals Entführten und deren Kinder sind zurückgekehrt, zerstörte Gebiete wurden wieder aufgebaut, die Tore stehen offen. Offen für alle! Jerusalem wird zur Gottesstadt und damit zur Welt-Friedensstadt. Und alle Völker und Mächte ringsum erkennen, was da vor sich geht; sie kommen herbei von allen Enden der Erde und rühmen Gott für seine Taten. Eine grossartige Vision, nicht allein für das versprengte Volk der Juden, sondern für alle Menschen dieser Welt. Der Gegensatz zwischen dem, was hier gesagt wird, und dem, was wir in diesen Wochen und Monaten hören und erleben müssen, könnte grösser nicht sein! Und doch ist es gerade in solchen Zeiten radikal wichtig, von einem solchen Bild geflutet zu werden. Es wird zu einem realen Hoffnungsbild, das aufstehen hilft gegen alles, was niederdrückt. Jetzt.

Von Hans Strub

2. August

In Demut achte einer den andern höher als sich  selbst. Philipper 2,3

Demut. Was für ein Wort. Im Alltag nehmen wir es kaum in den Mund. Es wirkt so verstaubt. Irgendwie ältlich. In  die Jahre gekommen. Jedenfalls nicht zeitgemäss. Obwohl es wohl zurzeit nichts anderes gibt, das unserer Zeit besser bekäme als ein bisschen mehr Demut von unserer Seite. Was bedeuten würde, dass die Gesinnung des Dienens wieder wichtiger wird. Unsere innere Bereitschaft zu dienen. Und zwar deshalb, weil wir das grosse Ganze im Blick haben und uns selber als Teil dieser Ganzheit verstehen. Und weil wir genau aus diesem Grund «eines Sinnes» mit den andern sein möchten.

Demütig sein. Damit wir uns richtig verstehen, wollen wir es «dienmütig» nennen. Darauf bedacht, zu erkennen, womit ich dem andern dienen könnte. Nicht unterwürfig. Sondern aus Überzeugung. Denn soll unsere Liebe dem Leben dienen, so geht es um das Leben von uns allen. Und nicht nur um das eigene Wohl. Um den Nächsten zu lieben wie sich selbst, muss man ihn zuweilen höher achten. Ein gutes Stück höher als sich selbst. Damit wieder alles im Gleichgewicht ist.

Manchmal braucht es andere Wörter als jene, die wir im Alltag brauchen. Heute ist mir so eines zugefallen. Direkt vom Himmel ins Herz. Ich werde versuchen, mich in Demut zu üben. Nicht unterwürfig. Sondern aus Überzeugung.

Von Ruth Näf Bernhard