Autor: Ruth Näf Bernhard

2. August

Paulus schreibt: Unsre Hoffnung steht fest für euch,
weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt
ihr auch am Trost teil.
2. Korinther 1,7

Wir stehen am offenen Grab. Sie haben ihr Kind verloren.
Ihre Trauer kann man nicht messen. Erschüttert bewegen
wir uns Richtung Kirche. In der Predigt suche ich nach einem
Bild für die Hoffnung. Wie sie in der Bibel steht. Ich finde,
was ich suche, in einem Gedicht. Emily Dickinson schreibt:
«Die Hoffnung ist das Ding mit den Federn, das sich in der
Seele niedergelassen hat.»
Nach der Trauerfeier lassen wir Ballone steigen. Viele kleine
weisse Punkte, die im Blau des Himmels verschwinden. Da
beginnt überraschend ein Raunen und Staunen. Hoch oben
fliegen zwei Störche vorbei.
Ich bleibe mit den Eltern in Kontakt. So vernehme ich einige
Monate später, dass sie guter Hoffnung sind. Zwillinge sind
es, stell dir vor, wirst du sie dann taufen?
Die Hoffnung ist das Ding mit den Federn. Zwei Namen auf
der Geburtsanzeige. Und vorne ein vertrautes Bild: die beiden
fliegenden Störche am Himmel.
Im Taufgespräch haben mich die Eltern gebeten, Patin für
ihre Kinder zu werden. Das Ding mit den Federn hat sich
eingenistet. Die Hoffnung macht aus uns allen Verwandte.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. August

Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte
und meine Zuversicht setze auf Gott den HERRN, dass
ich verkündige all dein Tun.
Psalm 73,28

Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte. Oder im
Wortlaut der Zürcher Bibel: «Mein Glück aber ist es, Gott
nahe zu sein.» Ein schöner Satz. Eine klare Botschaft. Ganz
und gar nicht sperrig. Als ob es denn so einfach wäre. Das
mit dem Glück. Und das mit Gott. Dass dem nicht so ist, das
weiss der Psalmbeter nur allzu gut. Er kennt den stechenden
Schmerz in den Nieren, der ihn überfällt bei Bitterkeit. Wenn
es andern viel besser geht als ihm.
Mein Glück ist es, Gott nahe zu sein. Auch wenn mir Gott
manchmal sperrig erscheint. Ich kann Nähe spüren, ohne
alles zu wissen. Mein Glück hängt nicht vom Verstehen ab.
Mich zu freuen, kann eine Entscheidung sein.
Fragte man meine Mutter, wie es ihr gehe, so sagte sie stets:
«Danke, ich bin zufrieden.» Auch in Zeiten, die schwierig
waren. Und sie waren oftmals schwierig. Es war ihre Entscheidung,
zufrieden zu sein. Weil sie vom Glauben getragen
war, dass Gott in ihrer Nähe sei. Nie sprach sie davon,
es gehe ihr super. Nie: «Ich bin so glücklich, ich platze vor
Freude.» Nein, ihre Freude war leise. Beständig. «Danke,
ich bin zufrieden.» – Danke, liebe Mutter. Je länger, je mehr
beginnt sie zu wirken. Auch in meinem eigenen Leben. Diese
leise Beständigkeit.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Juni

Der Friede Christi regiere in euren Herzen;
zum Frieden seid ihr berufen als Glieder des
einen Leibes. Und dafür sollt ihr dankbar sein.

Kolosser 3,15


Eigentlich sind wir zum Frieden berufen. Als Glieder des
einen Leibes. Eigentlich wäre das so. Wenn da nicht so viel
anderes wäre. Wenn da nicht anderes in unseren Herzen
regierte. Und nicht der Friede Christi.
Nur heute nicht neidvoll auf andere schielen.
Nur heute nicht schlecht über andere reden.
Nur heute nicht sich um sich selber drehen.
Eigentlich sind wir zum Frieden berufen.
Wir könnten uns mitfreuen, wo etwas gelingt.
Wir könnten «STOPP» sagen, wo gelästert wird.
Wir könnten hinhören, was andere bewegt.
Eigentlich wäre es gar nicht so schwierig. Könnte man
meinen. Das kriegen wir doch hin. Diese Beispiele sind doch
ganz banal. Ich bin nicht neidisch. Ich rede nie schlecht über
jemanden. Ich drehe mich nie nur um mich selber.
Schön für Sie!
Was mich betrifft, so bitte ich darum, dass der Friede Christi
in meinem Herzen regiere. Gerade dann, wenn ich meine, es
sei ganz banal.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. Juni

Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner
Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden
und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit
ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

Philipper 3,10–11


Die Kraft seiner Auferstehung möchte ich erkennen. Nicht
nur am Ostermorgen. Sondern an jedem neuen Tag. Auch
heute eines meiner Lieblingslieder singen: «Jesus lebt, mit
ihm auch ich!»
Jesus lebt! Die Grundmelodie meines Glaubens. Sie trägt.
Selbst Misstöne bringen sie nicht zum Verstummen. Auch
wenn mir zuweilen die Stimme bricht. Da wird von anderen
weitergesungen. Was ich glaube. Woraus ich lebe. Bis ich es
wieder singen kann. Mit ihm auch ich! Durch die Kraft seiner
Auferstehung bleibe ich belebt.
Jesus lebt! Jede Strophe beginnt mit diesem Bekenntnis. Und
weil jede Strophe damit beginnt, endet auch jede in derselben
Weise: «Dies ist meine Zuversicht.» Genau genommen
also gar kein Ende. Denn Zuversicht bleibt. Länger als jede
einzelne Strophe. Über das ganze Lied hinaus.
Jesus lebt! Mit ihm auch ich! Durch ihn in mir die Zuversicht.
Auch heute. Über mich hinaus.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. April

Ich will ihr Trauern in Freude verwandeln. Jeremia 31,13

Zu dieser Verwandlung ein Psalmgedicht. Psalm 30.
damals
du weisst
in jenen tagen
als ich
mir selbst
entzogen war
die füsse
vor dem nichts
wie war ich da
wohl hingekommen
ich weiss es nicht
damals also
vor dem nichts
und ganz tief unten
da hast du
mich herausgezogen
wie weiss ich nicht
am abend
war weinen
jubel
am morgen
Für Käthi Koenig. In inniger Verbundenheit.
Aus: Ich liege wach und bin wie ein Vogel (TVZ 2020).

Von: Ruth Näf Bernhard

1. April

Sind wir untreu, so bleibt er treu; denn er kann sich
selbst nicht verleugnen. 2. Timotheus 2,13

Wie schön, wenn wir einander trauen können. Uns ganz
aufeinander verlassen. In guten wie in schlechten Zeiten.


Ob es wohl einen Schmerz gibt, der schmerzvoller ist als
jener, verraten worden zu sein? Diese tiefe Verzweiflung,
wenn man erfährt, dass der Mensch, dem man so sehr vertraut,
untreu geworden ist. Wie weh das tut. Diese Wortbrüchigkeit.


Ob es wohl einen Schmerz gibt, der schmerzvoller ist als
jener, untreu geworden zu sein? Diese tiefe Verzweiflung,
sich selbst nicht mehr zu kennen. Und einen Menschen so
sehr zu enttäuschen, der einem vertraut. Wie weh das tut.
Diese Wortbrüchigkeit.


Wir können den eigenen Worten nicht trauen. Das lehrt
uns die Erfahrung. Und wollen einander dennoch trauen
können. Uns aufeinander verlassen. In guten wie in schlechten
Zeiten.


Aber auch das lehrt uns die Erfahrung. Dass einer hält, was er
verspricht. In guten wie in schlechten Zeiten. Und dass seine
Treue überdauert. Das ist unser grösster Trost. Wenn wir am
Verzweifeln sind. Und andere zum Verzweifeln bringen.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Februar

Ich will wachen über meinem Wort, dass ich’s tue.
Jeremia 1,12

Ich will wachen über meinem Wort, dass ich es tue. Das
sagt Gott zu Jeremia. Ausgerechnet zu Jeremia. Der nicht
zum Propheten bestimmt sein möchte. Auf gar keinen Fall.
Auch wenn es so vorgesehen sei. Er sei doch noch viel zu jung
dafür. Er wisse nicht, wie man rede.


Ich bin noch zu jung. Das kann ich noch nicht.
Ich bin schon zu alt. Das kann ich nicht mehr.
Ich bin zu beschäftigt. Dann bin ich nicht da.
Er kann das besser. Ich habe keine Ahnung.


Gott wacht über seinem Wort, dass es sich erfüllt. Unsere
Ausreden lässt er nicht gelten. Wir sind es ihm wert, dass
er uns braucht. Damit sein Wort zu blühen beginnt. Durch
alles, was wir nicht können. Es will dort blühen, wo wir ohnmächtig
sind.
Der Mann, von dem ich gestern erzählte, hätte wohl gesagt:
Was will Gott mit mir? Was will er schon mit einem Säufer?
Ich lalle ja nur. Doch Gott hat sein Wort durch ihn getan.
Ausgerechnet durch ihn. Es hat in ihm zu blühen begonnen.
Wer weiss, vielleicht ist gerade heute Ihr Tag. Oder meiner.
Vielleicht braucht es heute genau unsere Ohnmacht, damit
Gott durch uns zu Wort kommen kann.

Von: Ruth Näf-Bernhard

1. Februar

Kehrt um zu mir, spricht der HERR Zebaoth, so will ich
zu euch umkehren.
Sacharja 1,3

Zugegeben. Persönliche Bekehrungsgeschichten sind nicht
so mein Ding. Vor allem dann nicht, wenn ich den Eindruck
habe, das Vorher im Leben, vor dieser Bekehrung, werde
möglichst dramatisch dargestellt, um im Nachher die Grösse
Gottes sichtbarer werden zu lassen. Nicht dass ich eine solche
Erfahrung jemandem absprechen möchte, doch es regt
sich eher ein Aber in mir, als dass ich davon ergriffen wäre.
Bis gestern. Ein Mann sitzt da und erzählt. Mit heiserer
Stimme. Er sei nicht erkältet. Nein. Die vielen Schnäpse,
wissen Sie. Er sei nun trocken seit über dreissig Jahren. Ein
trockener Alkoholiker. Am Tiefpunkt seines Lebens habe ihn
jemand davon überzeugt, an einem Treffen der Anonymen
Alkoholiker teilzunehmen. «Und ich sage Ihnen, ich bin kein
Frömmler, aber da kam eine höhere Macht ins Spiel. Ich
wurde gehört. Ich wurde verstanden. Noch immer besuche
ich regelmässig die Treffen. Nach so vielen Jahren. Weil ich
es brauche. Dieses Versprechen, nüchtern bleiben zu wollen.
Man muss es erneuern. Sonst geht es nicht.»
Ich war ergriffen. Das Versprechen erneuern. Immer wieder.
Wenigstens für die nächsten 24 Stunden. Wenigstens für
heute dieser Macht vertrauen, dass sie da ist, wo ich bin.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Dezember

Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles und das Gute  behaltet. 1. Thessalonicher 5,19–21

Diese Verse stehen innerhalb eines Textabschnittes, in dem es um das Miteinander geht. Um das Leben in der Gemeinde. Unter Menschen, wie wir es sind. Nur bitte nicht Böses mit Bösem vergelten. Die Verzagten sollen ermutigt werden. Und den Schwachen stehe man bei. Es ist davon die Rede, dass man sich allezeit freuen solle und beten ohne Unterlass. Es geht immer um alle. Nie nur um mich. Doch immer um alles.

Prüft aber alles und das Gute behaltet. Es geht um den grossen Zusammenhang. Abrechnungen sind fehl am Platz. Nur bitte keine Plus- und Minus-Listen. Keine Rachsucht. Keinen Groll. Keine Bitterkeit.

Behaltet das Gute. Nicht nur, wenn ihr die Zimmer räumt. Sondern auch in euren Gedanken. Viele meinten es gut mit euch. Werft das nicht weg. Auch wenn es nicht immer nur gut war.

Das Gute behalten. Einander vergeben. Den Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Den Menschen, mit denen ich zusammenlebte. Verzeihen üben. Hier und heute. Verzeihen über Generationen hinweg. Auch wenn vieles nicht immer nur gut war. Wirf es nicht weg. Den Geist der Liebe lösche nicht aus. Damit auch den Kommenden Gutes bleibt.

Von Ruth Näf Bernhard

1. Dezember

Sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für  alles. Epheser 5,20

Vor ein paar Jahren habe ich einen Adventskalender geschenkt bekommen. Eine Pinnwand. Lauter Kärtchen darauf gesteckt. Jedes mit einer Nummer und einem Stern versehen. Von 1 bis 24. Jeden Tag durfte ich ein Kärtchen drehen. Auf jedem Kärtchen stand ein Wort. Ein einziges nur. Ein Verb. Ein «Tun-Wort» also. Mir zugesteckt. Damit ich es tue. Oder bedenke.

Warten. Staunen. Wachen. Vertrauen. Bangen. Zweifeln. Anfangen. Weinen. Leben. Wagen. Jeden Tag ein anderes. Und ich habe es getan. Bedacht. Gewartet. Gestaunt. Gelebt. Gewagt. Manchmal gezweifelt. Und manchmal geweint. Je nachdem. Weil die Adventszeit mitten ins Leben fällt. Drei Wörter kamen doppelt vor. Irgendwo dazwischengestreut. Glauben. Hoffen. Lieben. Glauben. Hoffen. Lieben.

Dieses Jahr schreibe ich selber Kärtchen. Vorne mit Nummer und DANKE! daneben. Sie dürfen die Kärtchen der Reihe nach drehen. Auf der Rückseite steht ein einziges Wort. Damit wir das Danken nicht vergessen. Und die Adventszeit nicht nur wartend bedenken.

DANKE! Familie. Leben. Freunde. Gesundheit. Zuversicht. Humor. Glaube. Träume. Erinnerungen. Zweifel. Ausdauer. Fragen. Licht. Friede. Zeit. Hände. Liebe. Erde. Sinne. Vater. Mutter. Freude. Lieder. Geburt. DANKE! Gott! DANKE!

Von Ruth Näf Bernhard