HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst! Psalm 31,10

Ja, mir ist angst. Natürlich kann ich es überspielen. Wenn ich in Gesellschaft bin. Ich kann es auch irgendwo verstecken. Möglichst weit weg. In einer Schublade zuoberst zuhinterst. Dort bleibt es, bis wieder Zeit ist dafür. Oder bis ich mit mir allein bin. Ich kann es auch gut rational betrachten. Immerhin gibt es wissenschaftliche Belege. Ich könnte also durchaus beruhigt sein.
Aber nein, mir ist angst. Da gibt es einen kleinen schwarzen Punkt. Man sieht ihn kaum. Doch ich spüre ihn. Er bringt mein Leben durcheinander. Dieser kleine Punkt in meinem Hirn. Er bringt mich aus dem Gleichgewicht. Mehr, als ich will. Mein Wille ist da nicht gefragt. Nur mein Vertrauen. Ich buchstabiere: Sei mir gnädig. Doch ich weiss nicht, was jetzt «gnädig» heisst. Dass meine Angst verschwindet? Dass dieser Punkt verschwindet? Dass dieser Punkt nicht grösser wird? Dass dieser Punkt nicht mein Leben bestimmt?
Sei mir gnädig, denn mir ist angst! Ich versuche es heute einmal so:
«Bitte lass mich die Freude nicht verlieren. Und bitte auch
nicht die Dankbarkeit. Vielleicht hast du noch etwas Weite
für mich. Und ein neues Gleichgewicht.»

Ja, ich glaube, so könnte es gehen.

von: Ruth Näf Bernhard