Schlagwort: Ruth Näf Bernhard

2. April

Ich will ihr Trauern in Freude verwandeln. Jeremia 31,13

Zu dieser Verwandlung ein Psalmgedicht. Psalm 30.
damals
du weisst
in jenen tagen
als ich
mir selbst
entzogen war
die füsse
vor dem nichts
wie war ich da
wohl hingekommen
ich weiss es nicht
damals also
vor dem nichts
und ganz tief unten
da hast du
mich herausgezogen
wie weiss ich nicht
am abend
war weinen
jubel
am morgen
Für Käthi Koenig. In inniger Verbundenheit.
Aus: Ich liege wach und bin wie ein Vogel (TVZ 2020).

Von: Ruth Näf Bernhard

1. April

Sind wir untreu, so bleibt er treu; denn er kann sich
selbst nicht verleugnen. 2. Timotheus 2,13

Wie schön, wenn wir einander trauen können. Uns ganz
aufeinander verlassen. In guten wie in schlechten Zeiten.


Ob es wohl einen Schmerz gibt, der schmerzvoller ist als
jener, verraten worden zu sein? Diese tiefe Verzweiflung,
wenn man erfährt, dass der Mensch, dem man so sehr vertraut,
untreu geworden ist. Wie weh das tut. Diese Wortbrüchigkeit.


Ob es wohl einen Schmerz gibt, der schmerzvoller ist als
jener, untreu geworden zu sein? Diese tiefe Verzweiflung,
sich selbst nicht mehr zu kennen. Und einen Menschen so
sehr zu enttäuschen, der einem vertraut. Wie weh das tut.
Diese Wortbrüchigkeit.


Wir können den eigenen Worten nicht trauen. Das lehrt
uns die Erfahrung. Und wollen einander dennoch trauen
können. Uns aufeinander verlassen. In guten wie in schlechten
Zeiten.


Aber auch das lehrt uns die Erfahrung. Dass einer hält, was er
verspricht. In guten wie in schlechten Zeiten. Und dass seine
Treue überdauert. Das ist unser grösster Trost. Wenn wir am
Verzweifeln sind. Und andere zum Verzweifeln bringen.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Februar

Ich will wachen über meinem Wort, dass ich’s tue.
Jeremia 1,12

Ich will wachen über meinem Wort, dass ich es tue. Das
sagt Gott zu Jeremia. Ausgerechnet zu Jeremia. Der nicht
zum Propheten bestimmt sein möchte. Auf gar keinen Fall.
Auch wenn es so vorgesehen sei. Er sei doch noch viel zu jung
dafür. Er wisse nicht, wie man rede.


Ich bin noch zu jung. Das kann ich noch nicht.
Ich bin schon zu alt. Das kann ich nicht mehr.
Ich bin zu beschäftigt. Dann bin ich nicht da.
Er kann das besser. Ich habe keine Ahnung.


Gott wacht über seinem Wort, dass es sich erfüllt. Unsere
Ausreden lässt er nicht gelten. Wir sind es ihm wert, dass
er uns braucht. Damit sein Wort zu blühen beginnt. Durch
alles, was wir nicht können. Es will dort blühen, wo wir ohnmächtig
sind.
Der Mann, von dem ich gestern erzählte, hätte wohl gesagt:
Was will Gott mit mir? Was will er schon mit einem Säufer?
Ich lalle ja nur. Doch Gott hat sein Wort durch ihn getan.
Ausgerechnet durch ihn. Es hat in ihm zu blühen begonnen.
Wer weiss, vielleicht ist gerade heute Ihr Tag. Oder meiner.
Vielleicht braucht es heute genau unsere Ohnmacht, damit
Gott durch uns zu Wort kommen kann.

Von: Ruth Näf-Bernhard

1. Februar

Kehrt um zu mir, spricht der HERR Zebaoth, so will ich
zu euch umkehren.
Sacharja 1,3

Zugegeben. Persönliche Bekehrungsgeschichten sind nicht
so mein Ding. Vor allem dann nicht, wenn ich den Eindruck
habe, das Vorher im Leben, vor dieser Bekehrung, werde
möglichst dramatisch dargestellt, um im Nachher die Grösse
Gottes sichtbarer werden zu lassen. Nicht dass ich eine solche
Erfahrung jemandem absprechen möchte, doch es regt
sich eher ein Aber in mir, als dass ich davon ergriffen wäre.
Bis gestern. Ein Mann sitzt da und erzählt. Mit heiserer
Stimme. Er sei nicht erkältet. Nein. Die vielen Schnäpse,
wissen Sie. Er sei nun trocken seit über dreissig Jahren. Ein
trockener Alkoholiker. Am Tiefpunkt seines Lebens habe ihn
jemand davon überzeugt, an einem Treffen der Anonymen
Alkoholiker teilzunehmen. «Und ich sage Ihnen, ich bin kein
Frömmler, aber da kam eine höhere Macht ins Spiel. Ich
wurde gehört. Ich wurde verstanden. Noch immer besuche
ich regelmässig die Treffen. Nach so vielen Jahren. Weil ich
es brauche. Dieses Versprechen, nüchtern bleiben zu wollen.
Man muss es erneuern. Sonst geht es nicht.»
Ich war ergriffen. Das Versprechen erneuern. Immer wieder.
Wenigstens für die nächsten 24 Stunden. Wenigstens für
heute dieser Macht vertrauen, dass sie da ist, wo ich bin.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. Februar

Ist die Wurzel heilig, so sind auch die Zweige  heilig. Römer 11,16

Ich kann die Zweige nicht ohne die Wurzel denken. Nicht ohne das, was schon immer ist. Nicht ohne das, was bleiben wird. Was vor uns und nach uns dauert, länger als wir. «Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!» – so steht es geschrieben, einen Atemzug später.

Ich kann die Wurzel nicht ohne den Himmel denken. Die Zweige nicht ohne Luft und Licht. Wohin wir aus dem Dunkel wachsen. Welche Früchte sichtbar werden.

Ich kann die Zweige nicht ohne die Vögel denken. Und die Vögel nicht ohne Gesang. Wie sie auch im Winter singen:
«Alles Leben strömt aus dir! Deiner Hände Werk sind wir.»

Ich kann das Leben nicht ohne das Sterben denken. Dieses Lied nicht ohne die letzte Strophe. Drum singe ich voll Inbrunst mit. Von der Wurzel, die mich trägt. Selbst wenn das Lied zu Ende ist.
«Deiner Gegenwart Gefühl sei mein Engel, der mich leite,
dass mein schwacher Fuss nicht gleite, nicht sich irre von dem Ziel.»
(RG 520,4)

Von Ruth Näf Bernhard