Schlagwort: Ruth Näf Bernhard

2. August

Die Jünger weckten Jesus auf und sprachen zu ihm:
Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach
zum Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte
sich und es ward eine grosse Stille.
Markus 4,38–39

wirf
alles
was schwer ist
über bord
wenn es stürmt
in die tiefen
des wassers
damit
deine liebe
nicht untergeht
hab keine angst
vertrau und
schau
gott lächelt
im schlaf
ganz hinten
im schiff
© Ruth Näf Bernhard, grund genug, alataverlag 2016

Von: Ruth Näf Bernhard

1. August

Jesus predigte das Evangelium Gottes und sprach:
Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist
nahe herbeigekommen. Tut Busse und glaubt an
das Evangelium!
Markus 1,14–15

Tut Busse und glaubt an das Evangelium. Tut Busse. Das
heisst: Kehrt um. Kehrt um und glaubt. Kehre um und
glaube. Wage den Schritt. Den ersten Schritt.
Wer umkehren will, muss umdenken können. Und als Folge
davon und darüber hinaus: auch anders tun. Und das so
anders, dass es sichtbar wird.
Sie alle tragen Schrittzähler am Handgelenk. Damit man es
sieht. Dass sie es tun. Das, wovon sie denken, es tue ihnen
gut. Und tatsächlich: Wir sehen es. Dass sie alle zu denen
gehören, die umdenken können. Und als Folge davon mehr
Schritte machen. Mindestens 10 000 täglich.
So anders tun, dass es sichtbar wird. Wäre das doch schön.
Wenn das Gut-Tun auch anderen zugutekäme. Schritte auf
den andern zu. Kleine Schritte, die sich nicht zählen lassen.
Tut Busse. Kehrt um und glaubt. Vor allem: Glaubt. Vielleicht
ist der erste Schritt zur Umkehr, mir einzugestehen, dass ich
es nicht kann. Weil ich mit mir zu beschäftigt bin. Damit ich
es kann, umkehren und glauben, brauche ich Hilfe. Die Hilfe
von Gott. Schritt für Schritt. Mindestens 10 000 Mal.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Juni

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen
mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause
des HERRN immerdar.
Psalm 23,6

Gott ist immer da.
Gott kann man alles sagen.
Gott gibt mir alles.
Gott begleitet mich durch mein Leben,
auch wenn es nicht immer einfach ist.
Er ist immer für mich da.
Als ich auf die Welt kam, war er da.
Als ich die Salben auf dem Wickeltisch verschmierte,
war er da.
Als ich Velofahren lernte, war er da.
Als ich das erste Mal zur Schule ging, war er da.
Als ich in die 4. Klasse kam, war er da.
Als ich in die 7. Klasse kam, war er da.
Wenn ich in das Berufsleben eintreten werde,
wird er da sein.
Und wenn ich schwierige Situationen erleben werde,
wird er da sein.
Auch wenn ich sterben werde!
Amen.


Das Gebet hat eine meiner Konfirmandinnen zu Psalm 23,6
geschrieben und im Konfirmationsgottesdienst vorgetragen.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. Juni

Ich habe mein Herz vor dem HERRN ausgeschüttet. 1. Samuel 1,15

Diese Worte sagt Hanna zu Eli. Er hält sie nämlich für betrunken.
Denn er sieht nur, wie sich ihre Lippen bewegen, ihre
Stimme aber hört er nicht. Er fordert sie auf, nüchtern zu
werden. Da erklärt ihm Hanna: «Ich bin eine verzweifelte
Frau. Und ich habe weder Wein noch Bier getrunken, ich
habe mein Herz vor dem HERRN ausgeschüttet.»
Hanna, die sich so sehr ein Kind wünscht. Oder irgendeine
andere Frau mit demselben Wunsch. Sie schüttet uns ihr
Herz aus. Ein ganzes Meer von Betrübnis liegt da. Wie schnell
kommt eine Antwort über unsere Lippen. Wie schnell haben
wir einen Lappen zur Hand, um die Wasserlache wegzuputzen.
Weil wir die Verzweiflung nicht verstehen. Nicht verstehen
wollen. Nicht aushalten können.
Und dann sagt diese oder jene andere Frau zu mir, dreissig
Jahre später, wie schwierig es sei, nie Grossmutter zu werden.
An die Kinderlosigkeit habe sie sich irgendwann gewöhnt.
Doch die Enkellosigkeit sei ein neuer Schmerz. Ich höre, wie
die neue Verzweiflung sich mit der alten vermischt. Ein ganzes
Meer von Betrübnis liegt da. Ich könnte ihr jetzt doch
von Hanna erzählen. Wie deren Klage sich in Lob verwandelt.
Dass Gott schon weiss, was richtig ist. Nein. Ich lasse den
Lappen fallen. Und glaube der Frau. Es braucht nicht immer
eine Antwort. Weil es nicht immer eine gibt.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. April

Die Jünger nötigten Jesus und sprachen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Lukas 24,29

Weisst du, ich überlege mir gerade, wie oft ich wohl diesen Kanon schon gesungen habe. Zu welchen Zeiten. Und an welchen Orten. «Herr, bleibe bei uns!» Damals, als junges Mädchen oder fast schon als Frau, in einer Bibelgruppe, inbrünstig und vom eigenen Glauben begeistert, unterstützt durch Gitarrenklänge eines Leiters, in den wir ein bisschen verliebt waren. Und dann im Heim, wenn wir als Team und mit den Kindern draussen unter der grossen Linde in dieses Abendlied einstimmten und fast nicht mehr aufhören konnten damit, mit Kindern, die eigentlich nicht singen wollten und sich dennoch vom Singen tragen liessen. Und dann im Gottesdienst in der vollen Kirche, wie von einem heiligen Schauer erfasst, berührt durch die Kraft der Worte, durch die Kraft des Gesangs, der eigentlich schon kein Bitten mehr ist, sondern Gewissheit, dass du bleibst. Und dann in kleiner Runde am Grab, wo uns die Stimmen zu versagen drohten, weil so viel Hoffnung gestorben war, wir aber das Singen nicht lassen konnten, weil was im Leben geholfen hatte, vielleicht nun auch beim Abschied hilft. Und dann so oft auch allein gebetet, nicht gesungen, nur gebetet, ich für mich.

Weisst du, jetzt überlege ich mir gerade, wie oft ich dir dafür gedankt habe, dass du über Nacht geblieben bist.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. April

Lernt Gutes tun! Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten! Jesaja 1,17

Das wollen wir lernen. Gutes zu tun. Wir geben uns Mühe. Tag für Tag. Und manchmal gelingt es. Dass aus der Absicht, Gutes zu tun, Gutes entsteht. Für alle, die beteiligt sind.

Das wollen wir lernen. Das Recht zu suchen und den Unterdrückten zu helfen. Wir geben uns Mühe. Tag für Tag. Und manchmal gelingt es. Dass wir verstehen, was Recht sein könnte. Und wir uns auf die Seite der Schwächeren stellen.

Im Wortlaut der Zürcher Bibel gibt es innerhalb dieses Verses noch einen Einschub: «Weist den, der unterdrückt, in seine Schranken!» Dieser Satz hat es in sich. Und hat Konsequenzen. Gutes tun und den Schwächeren helfen, ist eine ehrenhafte Sache. Wir können mit Nächstenliebe punkten. Doch den Stärkeren in seine Schranken weisen, damit es weniger Schwächere gibt, das braucht Mut. Man macht sich damit nicht beliebt.

Das möchte ich lernen. Auf die Einschübe zu hören und mich zu wehren. Mit ein bisschen mehr Biss durch den Tag zu gehen. Und mit etwas weniger Poesie. Beliebtheit ist von kurzer Dauer. Ich möchte in Liebe unterscheiden lernen. Was wann und wo gefragt sein könnte.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Februar

Als Jesus das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie. Matthäus 5,1–2

Er geht auf den Berg und lehrt uns. Und manchmal hören wir zu. Salz der Erde. Licht der Welt. Manchmal verstehen wir deutlich und klar, dass es mit uns zu tun haben könnte. Dass wir uns nicht davonstehlen dürfen. Dass Hören und Handeln zusammenhängen. Es jedenfalls sollten.
Wir sehen beim Hören Boote vor uns. Voller Menschen auf der Flucht. Und schauen weg. Damit die Bilder uns nicht verschlingen. Von Menschen, die verschlungen werden.
Er geht auf den Berg und lehrt uns. Zweitausend Jahre später beendet ein Bundesrat seine Neujahrsrede so: «In einer Heimat zu leben, die es uns ermöglicht, an die Ziele der Bergpredigt zu glauben, ist Hoffnung und Verpflichtung zugleich. Dass wir diesen Traum bisher nicht erreichten, ist daher nicht unsere Resignation, sondern unser Ansporn.»
(Moritz Leuenberger, Träume und Traktanden, Limmat Verlag 2000)
Er geht auf den Berg und lehrt uns. Bis heute. Das soll unser Ansporn sein. Auch dann, wenn Zahlen einen Rechtsrutsch belegen. Dann erst recht. Nur jetzt keinesfalls die Hoffnung verlieren. Hören wir zu. Um handeln zu können.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. Februar

Der HERR schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage. Psalm 14,2

Und was findet er da?
Er findet Menschen, die am Suchen sind. Menschen, die sich um Antworten bemühen. Sie wollen dem Leben einen Sinn abgewinnen. Sie wollen wissen und verstehen. Und von anderen verstanden werden.
Er findet Menschen, die glauben, die Antworten zu kennen. Weil sie Gott an ihrer Seite wissen. Mag sein, sie halten sich für klug. Weil sie ihren Weg klar vor sich sehen. Und es verstehen. Das mit dem Leben. Und das mit dem Sinn.
Er findet Menschen, die sich hinterfragen. Sie fragen nach Gott. Und sie stossen dabei stets auf weitere Fragen. Und sie möchten von diesen Fragen erzählen. Und andere davon überzeugen, dass Gott hinter all diesen Fragen steckt. Dass er, anstatt im Himmel zu wohnen, sich in den Fragen auf Erden versteckt.
Und er findet Menschen, ganz gewiss, die daran glauben, dass Gott sich der Menschenkinder erbarmt. Ob sie nun zu diesen oder jenen gehören. Und dass auch nicht eines verloren geht.

Von: Ruth Näf Bernhard

2. Dezember

HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst! Psalm 31,10

Ja, mir ist angst. Natürlich kann ich es überspielen. Wenn ich in Gesellschaft bin. Ich kann es auch irgendwo verstecken. Möglichst weit weg. In einer Schublade zuoberst zuhinterst. Dort bleibt es, bis wieder Zeit ist dafür. Oder bis ich mit mir allein bin. Ich kann es auch gut rational betrachten. Immerhin gibt es wissenschaftliche Belege. Ich könnte also durchaus beruhigt sein.
Aber nein, mir ist angst. Da gibt es einen kleinen schwarzen Punkt. Man sieht ihn kaum. Doch ich spüre ihn. Er bringt mein Leben durcheinander. Dieser kleine Punkt in meinem Hirn. Er bringt mich aus dem Gleichgewicht. Mehr, als ich will. Mein Wille ist da nicht gefragt. Nur mein Vertrauen. Ich buchstabiere: Sei mir gnädig. Doch ich weiss nicht, was jetzt «gnädig» heisst. Dass meine Angst verschwindet? Dass dieser Punkt verschwindet? Dass dieser Punkt nicht grösser wird? Dass dieser Punkt nicht mein Leben bestimmt?
Sei mir gnädig, denn mir ist angst! Ich versuche es heute einmal so:
«Bitte lass mich die Freude nicht verlieren. Und bitte auch
nicht die Dankbarkeit. Vielleicht hast du noch etwas Weite
für mich. Und ein neues Gleichgewicht.»

Ja, ich glaube, so könnte es gehen.

von: Ruth Näf Bernhard

1. Dezember

Siehe, ich will mein Volk schmelzen und prüfen. Jeremia 9,6

Es gibt Prüfungen, auf die man sich vorbereiten kann. Oder sich vorbereiten muss. Weil sie angekündigt werden. Ort, Zeitpunkt und Dauer sind bekannt. Man lernt darauf und besteht sie. Oder man lernt nicht darauf und besteht sie nicht. Oder man lernt darauf und besteht sie trotzdem nicht. Oder man lernt nicht darauf und besteht sie trotzdem.

Es gibt Prüfungen, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Erst während der Prüfung realisiert man, dass man geprüft wird. Erst während der Prüfung beginnt man zu lernen. Erst während der Prüfung beginnt man zu verstehen, was damit vielleicht gemeint sein könnte. Was daraus vielleicht gelernt werden müsste. Was wir für unser Leben lernen sollten. Was uns das Leben lehren will. Oder was Gott uns vielleicht sagen möchte.

Wir werden geprüft. Von Zeit zu Zeit. Plötzlich stecken wir mittendrin. Wir wissen nicht, wie lange es dauert. Auch nicht, ob wir schliesslich bestehen werden. Nicht einmal, ob wir bestehen müssen. Vielleicht genügt es bereits, geprüft zu werden. Sich nicht dagegen zu wehren. Sich durch diese Prüfung verändern zu lassen. Und sie nicht als Strafe Gottes zu sehen. Um Gottes willen, nein! Auf den ersten Blick wäre das zwar einfach. Mit Blick auf Gott aber allzu einfach.

von: Ruth Näf Bernhard