Die Jünger nötigten Jesus und sprachen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Lukas 24,29

Weisst du, ich überlege mir gerade, wie oft ich wohl diesen Kanon schon gesungen habe. Zu welchen Zeiten. Und an welchen Orten. «Herr, bleibe bei uns!» Damals, als junges Mädchen oder fast schon als Frau, in einer Bibelgruppe, inbrünstig und vom eigenen Glauben begeistert, unterstützt durch Gitarrenklänge eines Leiters, in den wir ein bisschen verliebt waren. Und dann im Heim, wenn wir als Team und mit den Kindern draussen unter der grossen Linde in dieses Abendlied einstimmten und fast nicht mehr aufhören konnten damit, mit Kindern, die eigentlich nicht singen wollten und sich dennoch vom Singen tragen liessen. Und dann im Gottesdienst in der vollen Kirche, wie von einem heiligen Schauer erfasst, berührt durch die Kraft der Worte, durch die Kraft des Gesangs, der eigentlich schon kein Bitten mehr ist, sondern Gewissheit, dass du bleibst. Und dann in kleiner Runde am Grab, wo uns die Stimmen zu versagen drohten, weil so viel Hoffnung gestorben war, wir aber das Singen nicht lassen konnten, weil was im Leben geholfen hatte, vielleicht nun auch beim Abschied hilft. Und dann so oft auch allein gebetet, nicht gesungen, nur gebetet, ich für mich.

Weisst du, jetzt überlege ich mir gerade, wie oft ich dir dafür gedankt habe, dass du über Nacht geblieben bist.

Von: Ruth Näf Bernhard