Monat: Mai 2022

23. Mai

Singet fröhlich Gott, der unsre Stärke ist!                 Psalm 81,2

Es gibt Tage, an denen eine solche Aufforderung die pure Zumutung ist. Haben Sie heute einen solchen Tag vor sich Oder hinter sich? Ist Ihnen zum Klagen zumute?

Ich schreibe diesen Bolderntext eine Woche nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine. Nichts könnte unpassender sein als fröhlicher Gesang. Und doch.

Gerade weil es so offensichtlich nicht «passt», wird mir klar, dass das Gotteslob eigentlich nie passt. Oder war es vor diesem unseligen Krieg passender? Und wird es danach passender sein? Es wird immer irgendwo auf irgendwen geschossen. Und genau das ist der Grund, weshalb im Lob und Dank für Gottes Stärke ein Trost liegt – ein trotziger, rebellischer und rotzfrecher Protest gegen die, die meinen, sie seien stark – und doch Schwächlinge sind. Was sind das doch für himmeltraurige, erbärmliche Gestalten, die über Leichen gehen, um ihren Zarenkomplex auszuleben.

Lobt die Macht, die sich verneigt, dichtet Georg Schmid im wunderschönen Weihnachtslied (RG 430). Der Gott, den ich lobe, ist stark, weil er sich aus Liebe verausgabt. Darum sing ich trotzig-fröhlich:

Lobt den Himmel, der nicht schweigt. Lobt das Licht, in uns entfacht,

Licht aus Licht in unserer Nacht.

Von Ralph Kunz

22. Mai

Ich will sie durchs Feuer gehen lassen und läutern, wie man Silber läutert, und prüfen, wie man Gold prüft. Dann werden sie meinen Namen anrufen, und ich will sie erhören. Sacharja 13,9

Läuterndes Feuer? Ja, Feuer verbrennt die Schlacken – ein Verfahren, um Edelmetall zu gewinnen. Auf Menschen angewandt ergibt das allerdings keine angenehme Vorstellung. Es kann nur schmerzhaft sein. Und das macht Angst.

Das Bild für die innere oder geistige Läuterung hat Karriere gemacht und ist Teil einer Jenseitsdramaturgie, die uns Protestanten fremd ist. Gemeint ist das Purgatorium oder auf Deutsch das Fegefeuer. Vor der Reformation haben Busspre- diger mit der Vorstellung einer mehr oder weniger langan-haltenden Läuterung gedroht und bekanntlich auch kräftig Kasse gemacht. Mit einem gerüttelt Mass an Messen konnte man die feurige Prüfung im Jenseits ein wenig abkürzen. Die Menschen machten sich Sorgen um ihre lieben (oder nicht so lieben) verstorbenen Angehörigen. Gut, haben die Reformatoren mit diesem Unsinn aufgeräumt. Vielleicht ein wenig zu gründlich. Denn die Idee, dass innere Heilung, Reue und Vergebung zwar schmerzhaft sind, aber das Edelste im Menschen hervorbringen, drückt eine tiefe Wahrheit aus. Das Ziel ist nicht die Strafe, sondern die wiederhergestellte Beziehung. Aber den letzten Rest einer schwarzen Pädago- gik verliert das Bild erst, wenn wir wissen, dass Gott für uns durchs Feuer geht.

Von Ralph Kunz

21. Mai

Wer Geld liebt, wird davon niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben. Prediger 5,9

Ja, klar, so ist es doch, bin ich versucht zu denken. Der Prediger ist da aber doch differenzierter: Er denkt über den Reichtum nach und über das, was glücklich macht. Für ihn ist die völlige Armut ein Übel. Aber Reichtum ist nicht mit Glück gleichzusetzen, denn Reichtum macht nicht satt, und Reichtum kann wieder verloren gehen. In Vers 11 heisst es: «Süss ist der Schlaf des Arbeiters, ob er viel oder wenig zu essen hat. Doch die Sättigung des Reichen lässt ihn nicht schlafen.» Für den Prediger kann es sein, dass der Reichtum wieder verloren geht oder Sorgen bereitet. Die tägliche Arbeit aber bringt einen gesunden, ruhigen Schlaf.

Ist es wirklich so einfach? Wie steht es heute? Die Armut steigt, die Schere öffnet sich. An vielen Orten im globalen Süden müssen Kinder arbeiten. Frauen schuften sich ab, damit die Familie zu essen hat. Und bei uns ist die Lohngleichheit von Frauen und Männern noch längst nicht überall erreicht. Von Reichtum kann für die grosse Mehrheit der Menschen keine Rede sein. Wie wäre es, wenn das Teilen von Reichtum zur Gewohnheit würde? Denn, so sagt unser Text: «Wer den Reichtum liebt, wird keinen Nutzen haben.»

Schenke du Gerechtigkeit auf dieser Welt.

Von Madeleine Strub-Jaccoud

20. Mai

Meine Schuld ist mir über den Kopf  gewachsen; sie wiegt zu schwer, ich kann sie nicht mehr tragen. Psalm 38,5

Ein Schwerkranker legt ein allgemeines Schuldbekenntnis ab und bringt all seine Leiden vor Gott. Er kann nur noch aufschreien, denn Gottes Pfeile haben ihn getroffen (Vers 3).

Es ist der zweite Tag des Krieges in der Ukraine, wie ich diesen Beitrag schreibe. Nicht Pfeile, sondern Granaten und Bomben treffen die Menschen. Es trifft sie keine Schuld und dennoch, so vermute ich, fühlen sie sich von Gott verlassen und können nur noch schreien. Beten wir für und mit ihnen:

«Verlass mich nicht, HERR, mein Gott, sei nicht fern von mir. Eile zu meiner Hilfe, HERR, meine Rettung.» (Psalm 38,22.23) Es ist mir bewusst, dass es eigentlich nicht geht, einen biblischen Text so einfach auf heute anzuwenden. Für einmal sei es mir erlaubt, denn hilflos und ohnmächtig bin ich, wenn die schrecklichen Nachrichten eintreffen. Und genau da spricht mich der Psalm an: alles vor Gott, die Lebendige, legen und sie bitten, die Menschen nicht zu verlassen. Ich sehe es als Aufgabe an, gegen den Krieg anzubeten und zu der Lebendigen zu schreien, darauf vertrauend, dass sie unser Gebet hört. Es ist nicht einfach, daran festzuhalten, dass Gott auch in dieser Katastrophe Hilfe bietet. Dieses Vertrauen mit den Menschen zu teilen, ist unsere Aufgabe!

Sei du bei den Menschen in der Ukraine und höre auf unser Gebet.

Von Madeleine Strub-Jaccoud

19. Mai

Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.        Römer 5,20

Wo die Sünde mächtig geworden ist, da fallen Menschen auf ihre Macht herein. Daraus folgt nichts Gutes. Also kann das Böse sich entfalten, mächtig und gewaltig.

Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist zwar immer noch von Gerechtigkeit die Rede, aber sie wird regelmässig mit Gewalt durchgesetzt und dadurch zerstört. Die Weltgeschichte lässt wenig Zweifel: Keiner gewinnt dabei.

Paulus bekennt das Gegenteil. Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist mit Gottes Hilfe noch viel mehr Gutes möglich. Ist Paulus also ein total gutmütiger Trottel? Nein, der Apostel fällt nie durch Naivität auf. Zu oft war sein Leben bedroht. Aber er hat am eigenen Leib und an der eigenen Seele erlebt, dass Gottes Gnade sogar mächtiger ist als die Sünde eines tatkräftigen Christenverfolgers. Den sogenannten Gesichtsverlust überlebt er, weil er drei Tage lang nichts sieht und dann plötzlich so viel Erfreuliches vor seinen Augen auftaucht, dass er die Sünde nicht vermisst.

Wir kennen es hoffentlich nicht nur von «Romeo und Julia» aus der Schule: Plötzlich lieben sich solche, die sich mindestens ignorieren, wenn nicht hassen müssten. Denn Gott fällt auf uns Menschen und unser Machtgebaren nicht herein. Gott ist nicht naiv, sondern er kommt mit seiner grösseren Gnade dazwischen, zwischen das Böse und uns. Daraus folgt Gutes, kann sich entfalten, geduldig und hoffnungsvoll.

Von Dörte Gebhard

18. Mai

Der Welt Grundfesten sind des HERRN, und er hat die Erde darauf gesetzt. 1. Samuel 2,8

Wer hätte nicht gern «Grundfesten»? In unruhigen Zeiten erst recht, wenn der Terminkalender viele Fragezeichen hat, wenn die allgemeinen Aussichten mehr als ungewiss sind. Dann ertappe ich mich dabei, dass ich die Grundfesten mit dem verwechsle, was ich schon lange gewohnt bin. Aber auch die bewährtesten Gewohnheiten taugen nicht als Grundfesten. Heute hilft mir die Prophetenmutter Hanna, von dieser Überzeugung abzusehen. Nein, nicht mit spektakulären Vorhersagen oder Prognosen. Die Propheten Israels waren keine Vorhersager, sondern «Hervorsager». Hanna hilft mir, das Selbstverständliche und Gewöhnliche einmal sein zu lassen, und sie «sagt mir hervor», dass die Grundfesten nicht meine sind, sondern dass sie Gott gehören.

Josua Boesch hat es früher «hervorgesagt». Er wäre im November hundert Jahre alt geworden; seine Gedichte werden nun viel, viel älter. Er dichtete nur wenige Worte über die Grundfesten, auf die Verlass ist, in barmherziger Ergänzung zu allerlei menschlichen Gewohnheiten:

Gott / isch grooss / gröösser / als ales wo grooss isch / mächtiger / als ales wo mächtig isch / … gott / isch daa / nööcher / als ales won eim nööch gaat / wiiter / als ales won eim z wiit gaat … / das isch waar / vil waarer als ales / won au waar isch / vil würklicher als ales / won au würkli isch …

Von Dörte Gebhard

17. Mai

Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.                Epheser 2,17

Christus bringt allen Frieden, heisst das für mich. Ich frage mich immer wieder, was eigentlich mit den Ungetauften ist. Sind die nah oder fern? Theologisch habe ich das für mich noch nicht ausgebreitet. In meinem Herzen aber schon oft bewegt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Gott nur die Getauften zu sich lässt. Christus verkündet Frieden den Nahen und den Fernen. Punkt.

Christus Jesus wollte keine Kirche gründen, er wollte auch keine neue Religion auftischen, nein, er wollte das Judentum reformieren! Aller Kreatur wollte er Frieden und mehr Einfachheit bringen. In seinen drei Jahren Wirkungszeit war es unmöglich, an alle zu gelangen. Wohl auch darum hat er seine Worte so bildhaft und weise gewählt, damit wir auch heute noch davon reden und seine Arbeit weiterführen.

Und wann ist die Arbeit von Christus Jesus abgeschlossen? Wenn es keine Kriege mehr gibt, wenn jeder genug und niemand zu viel hat, wenn Herkunft und Sozialisierung keine Rolle mehr spielen, wenn die Menschen als Gemeinschaft der Zukunft entgegengehen und wenn wir wieder nahe bei der Unendlichen sind und mit ihr im Austausch. Weil Leben und Sterben mehr ist als ein Anfang und ein Ende. Leben und Sterben soll in Frieden geschehen und im Frieden bleiben.

Christus bringt mit dem Evangelium diesen Frieden. Amen!

Von Markus Bürki

16. Mai

Als die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie und sassen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und red ten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr gross war.  Hiob 2,11.13

Die Freunde Hiobs sind einfach da. Mit ihm und seinem Schmerz. Sieben Tage und sieben Nächte und sie sagen nichts, nein, sie sind bei ihm. Sie texten ihn nicht zu mit Ratschlägen, sondern versuchen erst einmal, Leid zu lindern, indem sie präsent sind. Meine Kinder nehme ich oft einfach in den Arm und warte, bis sie sich beruhigt haben. Erst dann kann ich auf das Geschehene reagieren und etwas ansprechen. Meistens dauert das nicht sieben Tage und Nächte, kann sich aber als fast so lange anfühlen.

Sehen und erkennen, wenn der Schmerz gross ist, und dann angemessen handeln, das ist nicht immer einfach. Sich in andere einfühlen, quasi mit ihren Augen das Erlebte noch einmal durchleben, das braucht viel Übung und Empathie. Einen Menschen, der einfach da ist und dabeisitzt, das wünschen wir uns doch alle. Für mich ist Jesus so einer. Auch wenn ich gerade total am Absinken und beinahe am Ertrinken bin, Jesus ist da, sitzt neben mir und harrt mit mir aus. Und wer ist die zweite Person die da sitzt? Gott? Oder der Heilige Geist? Oder der Lieblingsmensch? Unglück bricht immer wieder über uns herein. Zu wissen, dass jemand dabeisitzt, ist schön und trägt mich jeweils weiter. Amen!

Von Markus Bürki

15. Mai

Wer den Namen des HERRN anrufen wird, der soll errettet werden.      Joel 3,5

In der Pfingstrede des Petrus, die heute als Lehrtext zitiert wird, verweist der Apostel auf diesen Abschnitt aus dem Propheten Joel, der für die Zukunft Zeichen und Wunder ankündigt: «… Blut und Feuer und Rauchsäulen. Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut…»

«Jeder aber, der den Namen des HERRN anruft, wird gerettet werden.» Das ist es jetzt!, rief Petrus damals am Pfingstfest in Jerusalem den Besuchern aus aller Welt zu. Lukas, der die Apostelgeschichte nach der Zerstörung Jerusalems verfasst hat, deutet jene Ereignisse also aus der Sicht von Menschen, die ihren Weltuntergang erlebt haben.

Das ist es jetzt! Immer wieder haben die Menschen furchterregende Ereignisse als das apokalyptische Ende gedeutet. Aber nie hätte ich mir vorgestellt, dass auch ich, abgeklärt, aufgeklärt und kein bisschen abergläubisch, wie ich mich gebe, für meine Zeit auf solche Gedanken komme und mich verzweifelt frage: Wer kann da noch retten? Und ich rufe den «Namen des HERRN» an, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie er denn eingreifen soll. «Mit Augenmass und sozialverträglich» – wie das verantwortungsbewusste Politiker versuchen? Oder rabiat, ohne Rücksicht auf Opfer, wie die Diktatoren? Weder für das eine noch für das andere brauchen wir den Namen des HERRN. Aber vielleicht einfach, um nicht ganz zu verzweifeln. Vielleicht ist sein Name: Hoffnung.

Von Käthi Koenig

14. Mai

Die Barmherzigkeit des HERRN hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist gross.                                Klagelieder 3,22–23

In der Nacht schleichen sich Unruhestifter ein und verscheuchen den Schlaf. Die Schlagzeilen aus der wachen Welt lassen sich nicht mehr verdrängen, nicht die Hilflosigkeit, die Wut. Nicht die Sorge um die Nächsten, die Furcht vor Schmerzen, Leid, Vergänglichkeit.

Und Gott? Was soll er da? Was kann er da?

«Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.» Die Botschaft kommt zu uns aus der Zeit des babylonischen Exils, als Israel trauerte über den Verlust der Heimat und des Tempels. Will sie auch mir und meinen Ängsten etwas sagen? Vielleicht ist es keine Zusage Gottes. Vielleicht ist es bloss meine Behauptung, dass er da sein muss. Weil er als Hilfe, selbst wenn es ihn nicht gäbe, immer noch heilsamer, immer noch lebens-freundlicher ist als alle anderen Beruhigungsmittel.

Die Verzweiflung verweist mich hier auf Tausende von Klageliedern, die in Tausenden von Jahren immer wieder Antwort waren auf Schmerz und Leid, Verlust und Trauer, Unrecht und Gewalt. Immer wieder von späteren Generationen aufgenommen, immer wieder den neuen Schrecklichkeiten angepasst. Und noch kein Ende.

Ja, das Elend hat noch kein Ende. Bis heute nicht.

Aber auch: «Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende!» So tönt mein Trotz. Und meine Treue zu diesem Gott.

Von Käthi Koenig