Autor: Käthi König

29. Januar

HERR, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; lass leuchten
dein Antlitz, so ist uns geholfen.
Psalm 80,20

Ich weiss nicht, was Trost ist. Ich weiss auch nicht, was das
Antlitz Gottes ist. Wenn ich das mit meinem Verstand
ergründen will, verirre ich mich in komplizierten abstrakten
Definitionen. Wenn ich diesen Satz aber einfach so lese, wird
mir warm und wohl. Ja, er leuchtet in mir. Ja, er vermag mich
zu trösten. Die Bitte erfüllt sich!
Aber das kann doch gar nicht sein. Und wenn schon, dürfte
ich es nicht zugeben. Wie wäre das doch kindlich und naiv.
Wie läge meine Seele blank und offen vor allen Diagnosen
aus psychologischen Lehrbüchern. Ich staune ja selber.
Meine Damen und Herren Sachverständige, und Sie alle,
die solche Worte nicht mehr hören wollen und können:
Trost? – Ein müdes Lächeln. Gottes Antlitz! – Schon wieder
der ewige Aufseher.
Aber so, wie es diesen realistischen Verdacht gibt, gibt es
auch die persönliche Erfahrung: stehen im Licht, befreit von
Ängsten und Verzweiflung. Das dauert vielleicht nicht an,
aber es geschieht immer wieder. Ich glaube, es kommt von
all den Gesichtern, die mich freundlich angesehen haben.
Von meinem ersten Lebenstag an. Vom Lächeln, das mir entgegenkommt.
Von allen wohlwollenden und interessierten
Blicken: Ich sehe dich! Ich hatte offensichtlich das Glück, dass
ich von klein auf erfahren habe: Trost, das gibt es. Ich glaube,
dass Gott selber die Begegnungen in meinem Leben in sein
freundliches Licht gestellt hat.

Von: Käthi König

15. Januar

Wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist der Glaube ohne
Werke tot.
Jakobus 2,26

Und gleich nochmals ein Zitat, das mehr Fragen aufwirft
als zum Verstehen beiträgt. Gestern ging es um die Vorherbestimmung,
die menschliches Entscheiden und Gestalten
einschränkt. Der Satz im Jakobusbrief nun steht im Widerspruch
zur reformatorischen Überzeugung, dass Glaube
allein genügt. Das Leben in seiner Gemeinde hat den Briefschreiber
gelehrt: Es reicht nicht, «einfach zu glauben»,
wenn gleichzeitig Unrecht geschieht, Hunger und Not herrschen,
Menschen Trost und Nähe brauchen. «Gute Werke»
halten eine Gemeinschaft im Kleinen und im Gesamten
lebendig, sie vermitteln Sicherheit und Zuversicht.
Aber sie retten nicht. Die Gnade Gottes lässt sich mit ihnen
nicht verdienen. Ist es im Text von gestern die Spannung zwischen
unbedingter Fürsorge Gottes und menschlicher Freiheit,
so geht es hier um die bedingungslose Gnade und den
menschlichen Beitrag zu einem Leben im Glauben. Beides
zusammen? Geht nicht! Das stimmt, wenn ein Krämerdenken
dahintersteckt, aber ich erkenne viele Orte und Gelegenheiten,
wo es ganz selbstverständlich funktioniert. Dort,
wo Menschen aus der Freundlichkeit, die sie erlebt haben,
selber freundlich auf andere zugehen, wo sie Verletzungen
und Verstörung spüren und darum geduldig auf das Urteilen
verzichten. Wo nicht eine Logik des Habens und Rechnens,
sondern des Teilens gilt. Da können Leben und Glauben
geteilt werden und gemeinsam wirken.

Von: Käthi König

14. Januar

Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet
war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die
noch werden sollten.
Psalm 139,16

Freiheitsliebende werden sich ob dieser Vorstellungen entsetzen
und empören: ständige Kontrolle und alles vorausbestimmt!
Ich verstehe solchen Protest. Und doch: Mir gefällt
die Vorstellung. Sie ist zwar nicht logisch, aber sie ist schön.
Ich sehe mich hier als von Gott gewolltes und gestaltetes
Lebewesen. Als Mensch, der auf seinem Lebensweg geführt
und bewahrt ist, als alternde Frau, die sich zwar bange fragt:
Wie werden die Tage sein, «die noch kommen sollen»? Die
aber auch das in Gottes Hand legen kann.
Ich weiss: Das Leben hat es mir leicht gemacht. Ganz anders
wird es für jene sein, auf deren Seiten im Lebensbuch von
Brüchen und Konflikten erzählt wird.
Es mag stimmen: Die Vorstellung, alles sei bereits festgelegt,
macht passiv, angepasst, ängstlich. Initiative, Phantasie,
Freude und Staunen können sich nicht entfalten. Aber ich
stelle mir vor, dieses «Buch des Lebens» sei ein Drehbuch,
das allein die grossen Linien und Ziele vorgibt. Der Regisseur
lässt jedoch dabei seinen Darstellern Raum und Freiheit,
sich mit ihren Plänen und Ideen hineinzugeben in die grosse
Geschichte. Und weil ihm die Beteiligten vertrauen, kann
es ein Lebenslauf in Freiheit werden, manchmal gefährlich,
manchmal entspannt und froh. Und, hoffentlich, mit einem
Happy End?

Von: Käthi König

3. April

Der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht; denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben dort, wo er liegt. Steh auf, nimm den Knaben und führe ihn an deiner Hand; denn ich will ihn zum grossen Volk machen.
1. Mose 21, 17–18

Hagar ist die Zweitfrau von Abraham, die Nebenfrau, ja, eigentlich die Unterfrau. Sara, seine Erstfrau, hat sie ihm «gegeben», damit er endlich den so ersehnten Erben erhält. Als dann auf wundersame Weise Sara selber schwanger wird, sind plötzlich zwei Nachkommen da.
Da ist eine zu viel! Hagar wird in die Wüste vertrieben, der Kindsvater schweigt dazu…
Die mitgegebenen Lebensmittel sind rasch aufgezehrt, der sichere Tod durch Verdursten naht. Da schaltet sich Gottes Stimme ein, vernommen als Engelsruf. Hagar wird gerettet, vor ihr zeigt sich ein Brunnen, aus dem sie und ihr kleiner Sohn Ismael trinken können. Gott will ihr Leben, nicht ihren Tod!
Gott setzt dieser Familientragödie ein unerwartetes Ende: Er verstösst Hagar nicht. Vor Gott ist sie keine «Unterfrau», sondern eine Frau mit den gleichen Mutterrechten wie die viel ältere Sara. Er will, dass sie leben kann. Mehr noch: Er macht auch sie zu einer Stammesmutter; ihrem Sohn wird ein Volk verheissen. Gott hat andere Massstäbe, er schenkt und schützt Leben, er unterscheidet nicht nach Herkunft und Stellung! Das fordert auch heute heraus, uns hier, meine Haltung, mein Handeln!
Von Hans Strub

29. März

Wir können es ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen
und gehört haben.  Apostelgeschichte 4,20

Wie hätte ich reagiert, wenn ich damals zugehört hätte, als jene zwei Männer, Petrus und Johannes hiessen sie, vor der Jerusalemer Ratsversammlung über ihre Beziehung zu einem gewissen Jesus berichteten? Er sei es, der sie Wunder vollbringen lasse. Wie er es schon selbst getan habe vor seinem gewaltsamen Tod. Aber jetzt sei er auferstanden und wirke weiter, auch durch sie, die Angeklagten.

Hätte ich mich von ihnen überzeugen lassen? Ich bezweifle es. Heute jedenfalls kommen mir schnell die üblichen Etiketten in den Sinn: Verrückte! Verführte und Verführer! Und es stellt sich mir eine ganz neue Frage: Was unterscheidet die Geschichte von jenem «Auferstandenen» von den unglaublichen Theorien von heute? Nun gut, zum Beispiel die Tatsache, dass sie selber in die Geschichte eingegangen ist, ja sie gestaltet hat – manchmal auch wenig «jesusgemäss». Was aber macht den Unterschied zwischen Jesus von Nazaret und Bill Gates oder George Soros, die geheimer Pläne und schändlicher Taten  bezichtigt werden?

Zum Beispiel das: Der christliche Glaube sieht in Jesus eine Lichtgestalt. Heutige Verschwörungstheoretiker jedoch verteufeln jene Persönlichkeiten, um die sich ihre Gedanken drehen. Vieles, was über Jesus überliefert wurde, ist sicher nicht Tatsache, aber seine ganze Botschaft ist durchdrungen von einem Geist der Liebe. Sie sät nicht Hass, sondern sucht Verständigung, Versöhnung, Frieden.  

Von Käthi Koenig

15. März

Klopft an, so wird euch aufgetan.               
Matthäus 7,7


Im Matthäusevangelium ist das die dritte Aufforderung zum beharrlichen Beten. Wie verhält es sich aber bei Anliegen in menschlichen Beziehungen? Wer etwas will, muss «anklopfen». Dafür gibt es für uns viele verschiedene  Möglichkeiten. Ich kann den direkten Kontakt suchen, an der Haustür oder mit einem Anruf. Ich kann auch eine Mail schicken oder eine andere digitale Art der Vermittlung benutzen, vielleicht versuche ich es auch mit einem sorgfältig formulierten Brief. Ich weiss: Die Art der Übermittlung ist wichtig, und es besteht die Gefahr, dass der Weg, den ich wähle, unangemessen ist: Eine Entschuldigung oder die Bitte um einen Dienst bloss mit einer SMS? Im Zorn kurzerhand zum Telefon greifen und meine Beschwerde dem andern ins Ohr trompeten? Oder einen Schandbrief abschicken? Das wird kaum gut herauskommen.

Bei unserem täglichen Bitten und Widersprechen gilt es, den richtigen Ton und die angemessene Überbringungsart zu wählen. Und wie ist es beim Beten? Ganz anders – und vielleicht doch auch ähnlich. Dank oder Protest, Schmerz, Verletzungen, Zweifel und Widerspruch– vielleicht  findet es im Gespräch mit Gott oder im Einstimmen in einem vorformulierten Gebet seinen Ausdruck, vielleicht ist es nur noch ein verzweifeltes Seufzen, ein Stammeln und Verstummen. Aber vielleicht komme ich dabei zur Einsicht, dass mein Bitten anders erhört wird, als ich es gewünscht habe. Auch so ist eine Türe aufgegangen.

Von Käthi Koenig

14. März

Ihr sollt mit Freude ausziehen und im Frieden geleitet werden.
Jesaja 55,12

So glorios, wie es hier steht, dürfte der Auszug aus dem Exil nicht gewesen sein. Viele der nach Babel Verbannten hatten dort ein gutes und bequemes Leben geführt, in der Heimat aber hatten inzwischen die Zurückgebliebenen Land und Besitz der Deportierten übernommen und waren wohl wenig begeistert über deren Rückkehr.
Beim Lesen der biblischen Schriften über die Heimkehr der Verbannten wird mir bewusst, wie schwierig der Aufbau einer neuen, funktionierenden Gesellschaft gewesen sein muss. Und doch ist hier verheissen: in Freude und Frieden!

Andere Heimkehrer kommen mir in den Sinn; sie wollten Heimat finden in einem Land, das anderen bereits Heimat war. Bis heute: Von Frieden und Freude ist an solchen Orten wenig zu spüren. Müsste die Verheissung denn anders verstanden werden? Dass sie eine Aufgabe ist, die sich nur vollenden lässt, wenn man miteinander lebt und teilt?

Auch wir, so dünkt mich, leben heute sozusagen im Exil – im Ausnahmezustand «Pandemie». Wir sagen seit zwei Jahren: Wenn es dann vorbei ist … Wenn wir wieder furchtlos in Gemeinschaft feiern können. Wenn es wieder ist wie früher … Aber ist die Verheissung des Propheten vielleicht auch hier neu zu deuten? Ist ein gutes Leben nur möglich, wenn wir unsere Heimat, die Erde, anders gestalten: teilen statt herrschen?

Von Käthi Koenig

29. Januar

Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel  seid und der Geist Gottes in euch wohnt?        1. Korinther 3,16

Auch nach seiner Bekehrung nahm Paulus am Leben im Jerusalemer Tempel teil, und es war für ihn gewiss ein Schock, dass er dort als Abtrünniger und Aufrührer verhaftet wurde (Apostelgeschichte 21,20–40). Die Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahr 70 erlebte Paulus nicht mehr. Er nimmt sie aber hier in seinem Brief an die christliche Gemeinde von Korinth sozusagen vorweg: Der Tempel hat «ausgedient», der Ort des Gottesdienstes ist neu die Gemeinschaft jener, die in der Nachfolge Jesu leben wollen – in Korinth, in Ephesus, in Rom …

In St. Gallen oder Sankt Pantaleon, in St. Etienne, Santiago, San Francisco … können wir hinzufügen. Die Gemeinde Christi ist weltumspannend, überall. In Metropolen und in abgelegenen Nestern kommen Menschen zusammen, um Gottesdienst zu halten und ihr Leben zu teilen. Eine erstaunliche Tatsache, und doch denke ich kaum je daran. Ich denke nicht an die Gemeinden in Peking, Accra, Seoul, Khartum; nicht an jene, die wachsen, nicht an jene, die leiden. Aber manchmal rege ich mich auf über «rückständige» Gebote in Afrika oder über den Fundamentalismus in Amerika. Besser wäre doch, dafür zu beten, dass der Geist Gottes weltweit in unseren Gemeinden und auch bei mir seine Wohnung findet und Verständigung und Versöhnung zu bewirken vermag.

Von Käthi Koenig

15. Januar

Er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.      
Jesaja 53,5

Der Prophet, den wir unter der Bezeichnung Deuterojesaja kennen, zeugt in vier «Liedern» von einem geheimnisvollen «Gottesknecht». Wer ist damit gemeint? Die Erklärungen sind vielfältig, sie spiegeln Situationen, in die hinein diese Texte sprechen sollen. Kyros, der Perserkönig, könnte es sein, meinen die einen. Oder Zion, die zerstörte und gedemütigte Gottesstadt? Ist es vielleicht sogar der Prophet selber, der an der Last seiner Aufgabe zu zerbrechen droht? Dann, viel später, wird manchen klar: Der Gottesknecht, das ist Jesus, der unschuldig leidende Schmerzensmann.

Das Bild eines Wehrlosen, Verachteten, das Opfer eigen-üchtiger und uneinsichtiger Menschen, ich greife es auf als Bild für unsere Zeit. Darf ich das? Darf ich im leidenden Opfer unsere Erde erkennen, die Schöpfung, all das, was bedroht ist durch die Rücksichtslosigkeit der Menschen? Die Meere, die Luft, die Pflanzen, die Tiere – und unsere Missetat an ihnen. Wir sind alle beteiligt, niemand kann sich entziehen. Ich denke an das andere Bild aus dem Gottesknechtlied, auch es erscheint wieder im Neuen Testament: das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.

Gewiss, die Eingriffe in die Natur erleichtern uns das Leben. Aber geheilt werden wir nicht. Wir nicht und die Welt um uns nicht. Dazu braucht es Einsicht in die Würde und Verletzlichkeit der Schöpfung, es braucht unsere Demut und unsere Liebe.

Von Käthi Koenig

14. Januar

Die HERR hat Grosses an uns getan,
des sind wir fröhlich.   
Psalm 126,3

Grosses! Glorios tönt das – die Fülle des Lebens als Gottes Geschenk. Ja!

Ja, aber: Denn da ist nicht einfach Freude. Da ist ein Vorher: im Psalm die Verbannung Israels, die lange Zeit des Heimwehs und der Sehnsucht, des Fragens nach dem Warum und der bitteren Reue. Bei uns, beim Einzelnen: Krankheit, Feindschaft, Verlust. Schicksalsschläge.

Aber dann: die Wende, die Umkehr, der Ausweg. Im Psalm die Heimkehr des Volks. Bei uns Heilung Versöhnung, neuer Sinn. Freude.

Es gibt Momente, da glaubt man: Nie werde ich darüber hinwegkommen. Nie wieder werde ich vertrauen können, nie den Groll überwinden. Nie mehr werde ich unbeschwert leben – mit dieser Schuld. Nie mehr fröhlich sein.

«Der HERR hat Grosses an uns getan. Des sind wir fröhlich.» Ist vielleicht das das Grosse: dass wir wieder fröhlich sein können? Dass der Schmerz und die Last und die Schuld nicht alles auszufüllen vermögen? Dass Gott wieder Freude schenkt und dass er unser Geschick wendet? Hin zu einem Punkt, von dem aus eine andere Sichtweise möglich wird: Wo ich eine verborgene Frucht wahrnehme, die gewachsen ist im Lande des Elends.

«Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.»

Ist es das, was Gott aus den Samen wachsen lässt: Glaube. Liebe. Hoffnung?

Von Käthi Koenig