Schlagwort: Ralph Kunz

23. November

Gott, du kennst meine Torheit, und meine Schuld
ist dir nicht verborgen. Psalm 69,6

Die Vorstellung, dass es eine Macht gibt, die einen vollkommen durchschaut, könnte Angst machen. Oder auch Gelassenheit schenken. Was habe ich zu befürchten, wenn
es diese Macht gut meint mit mir, wenn sie mich richtet? Im Gebetsbuch Israels kommen Betende zur Sprache, die darauf hoffen und ihr Leben darauf ausrichten, dass Gott treu ist. In diesem Psalm ist die Stimme, die spricht, die Stimme eines Gerechten, der von seinen Feinden drangsaliert wird, weil er aufrichtig und unbestechlich für Gottes Sache einsteht. Ist es ein Prophet, der spricht? Ein Hiob? Ein Jeremia?

Jedenfalls weiss er, dass er für Gott leidet. «Denn deinetwegen erleide ich Schmach.» (Psalm 69,8) In diesem Licht – oder besser – unter diesem Schatten – ist das Eingeständnis des Beters, dass Gott auch seine Torheit kennt, mehr Seufzer als Bekenntnis. «Ach, du weisst ja, wer ich bin.» Dass Gott mich durch und durch erkennt, ist ein Trost. Wenn es jetzt so scheint, als hätten die Ruchlosen das Sagen, weiss ich doch: Irgendwann wird alles ans Licht kommen, meine Verfehlungen und meine Schmach, mein Versagen und mein kleines Scherflein Gerechtigkeit, das ich zum Schalom der Welt beitragen darf.

von: Ralph Kunz

22. November

Wie könnte ein Mensch recht behalten gegen Gott. Hat er Lust, mit ihm zu streiten, so kann er ihm auf tausend nicht eines antworten. Hiob 9,2–3

An englischen Unis gibt es Debattierclubs. Man übt sich in rednerischen Wettkämpfen. Ziel ist es, ein Gegenüber mit Argumenten zu «schlagen». Ich habe das nie in echt erlebt, aber denke, dass es bei einem solchen Schlagabtausch zur Sache geht. Natürlich mindert es die Streitlust erheblich, wenn man als Fliegengewicht gegen einen stärkeren Gegner antreten soll. Das ist bei Gott definitiv der Fall. Gott ist nicht nur Weltmeister, Gott ist der Meister der Welt. Was gibt es da noch zu debattieren? Hiob meint bitter: «Geht es um Macht und Gewalt: Er hat sie. Geht es um Recht: Wer will ihn vorladen?» (Vers 19) Das sind rhetorische Fragen. An wen gerichtet? Hiob debattiert ja nicht mit Gott, sondern mit seinen Freunden, aber er lamentiert, dass Gott sich der Debatte entzieht! Seine Freunde verteidigen Gott und decken Hiob mit Ratschlägen ein. Wer hat recht?
Das Buch Hiob ist von A bis Z im Stil einer Debatte konzipiert, bei der Gott zuerst lange schweigt und dann lange spricht. Im entscheidenden Satz richtet sich Gott an Hiobs Freunde. Er sagt ihnen: «Ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.» (Hiob 42,7) Gut zu wissen – Gott antwortet auf die Klage!

von: Ralph Kunz

20. Oktober

Der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht,
wie ein Mann mit seinem Freunde redet.
2. Mose 33,11

In der Bibel in gerechter Sprache wird die Losung – mit
dem vorausgehenden Vers – wie folgt übersetzt: «Alle Leute
konnten die Wolkensäule am Eingang des Heiligtums sehen.
Sie standen auf und warfen sich vor ihren Hauszelten ehrfürchtig
nieder. Sie sprach dann direkt und persönlich mit
Mose, so wie ein Mensch mit einem anderen redet.» Ich
finde, die Übersetzung macht den patriarchalen «Mann» zu
Recht zum «Menschen», aber verpasst mit der Übertragung
«direkt und persönlich» die Pointe der Stelle. Es geht nämlich
darum, dass Mose nicht nur «von Angesicht zu Angesicht
» mit Gott reden möchte, sondern Gottes Angesicht zu
sehen wünscht. Und diese besondere Gunst wird ihm, weil
er Mensch ist, nur zum Teil gewährt. Mose darf Gott von
hinten sehen; aber sein Angesicht darf nicht gesehen werden
(Vers 23). Und wie ist das mit uns? Wir sehen Gott von vorn,
aber «nur» durch Christus von Angesicht zu Angesicht. Wir
alle sehen ihn, wir, die Leute, nicht nur die Auserwählten,
ob Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau
(Galater 3,28). Mit anderen Worten: In Christus gibt es keinen
Unterschied mehr zwischen dem Volk und religiösen
Führern. Wie sagt es der Evangelist? «Wir haben seine Herrlichkeit
gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom
Vater, voll Gnade und Wahrheit.» (Johannes 1,16)

Von: Ralph Kunz

19. Oktober

Der HERR spricht: Wer mich ehrt, den will ich
auch ehren; wer aber mich verachtet, der soll wieder
verachtet werden.
1. Samuel 2,30

Zum alten Priester Eli kommt ein Prophet und spricht eine
Losung, die sich anhört wie ein «Auge-um-Auge-Wort».
Elis Söhne haben sich unwürdig benommen. Sie reihen sich
ein in die lange Reihe der ruchlosen Würdenträger, die ihre
Privilegien missbrauchen, Frauen schänden, das Heiligtum
plündern. Darum werden die Söhne sterben. Für den Vater
ist das bitter, aber für alle, die unter dem Treiben der missratenen
Söhne gelitten haben, ist es ein gerechtes Urteil.
Wer den Heiligen verachtet, kann nicht mit Gnade rechnen.
Gott vergilt Gleiches mit Gleichem. Passt das zu unserem
Gottesbild?
Sagt uns das Evangelium nicht etwas anderes?
Auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade dürfen alle zählen –
auch diejenigen, die schuldig geworden sind. Die Botschaft
von der Liebe Gottes ist kein Freipass für Frevler und Vergebung
keine Einbahnangelegenheit. Sie ist gebunden an die
Reue der Schuldner und ihre Bereitschaft, ihre Verfehlungen
zu bekennen, Sühne zu leisten und um Vergebung zu bitten.
Der Apostel Paulus kommt zum Schluss: «Wer stiehlt, rafft,
auch wer trinkt, andere beschimpft oder beraubt, wird das
Reich Gottes nicht erben». (1. Korinther 6,10) Wie lehrte der
Rabbi? «Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unseren Schuldigern.»

Von: Ralph Kunz

23. September

Schäme dich nicht, denn du sollst nicht
zum Spott werden.
Jesaja 54,4

So geht göttliche Seelsorge! Das stolze Israel ist am Boden
zerstört, entehrt und verlassen. Die Unfruchtbare, die von
ihrem Mann verstossen wurde, die Witwe oder die untreu
gewordene Ehefrau – sind Bilder für Israel als «Braut Gottes».
Sie nehmen das Gerichtswort auf, dass sich Gott von seinem
Volk «scheidet», und wenden sie in eine Liebes- und Treueerklärung.
«Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann […]
Denn Gott hat dich zu sich gerufen wie eine verlassene und
von Herzen betrübte Frau; und die Frau der Jugendzeit, wie
könnte sie verstossen bleiben!, spricht dein Gott.» (Vers 5 f.)
So geht göttliche Seelsorge!
Gott beschämt nicht, Gott schützt vor Spott und Hohn
und erinnert an sein Ja zu Israel. Ist es verwegen, bei diesen
Worten auch an die Kirche zu denken? Fast täglich lesen
wir von den unsäglichen Missbräuchen, die es in der Kirche
gegeben hat und die von den Verantwortlichen vertuscht
wurden. Es ist beschämend. Aber das Verrückte an diesen
Verbrechen ist, dass sich die Opfer schämen. Also sind sie es,
die zuerst das Gotteswort hören sollen. Sie wurden entehrt.
Sie sind es, denen Gerechtigkeit widerfahren muss. Dann,
aber wirklich erst dann, hören auch die reuigen Täter das
Wort der Gnade. Es muss ein Ende der Beschämung geben
– auf beiden Seiten. Aber es muss klar sein, wie der Prozess
der Heilung beginnt.

Von: Ralph Kunz

22. September

Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und
Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen
um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen
Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Jesaja 55,5

Meine Kirche nennt sich Volkskirche. Der Name erinnert an
andere Volksverbindungen: Volksbank, Volksbibliothek oder
Volksschule. Man kennt das. Am liebsten ist mir die Volksmusik.
Mit anderen zusammen einen lüpfigen «Ländler»
zu spielen, ist eine schöne Sache. Zum Reiz der Volksmusik
gehört auch der Wechsel in die musikalischen Klangwelten
anderer Völker. Es gibt nicht nur Appenzeller! Die Iren oder
die Schweden haben es auch drauf. Die «neue Volksmusik»
wagt Überkreuzungen und Begegnungen. Wenn ich es recht
bedenke, bin ein Völkermusikfan …
Und Gott? Gott ist ein Völkerkirchenfan. So steht es
geschrieben und so haben es die Propheten kundgetan.
«Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe,
spricht der HERR; ich will sie heilen.» (Jesaja 57,19) Gott
weitet die Erwählung des Volkes zur Erwählung der Völker.
Er kreuzt die Nationen. Wie modern das ist! Und ich denke,
wie antiquiert «Volkskirchen» sind, wenn sie das Volk mit
der eigenen Nation verwechseln.
Wenn es das Ziel ist, mehr Völkerkirche zu werden, hat
die Volkskirche noch einen weiten Weg vor sich. Wollen wir
ihn gehen? Wollen wir neue Musik spielen? Ich bin sicher, es
würde lüpfiger in der Kirche.

Von: Ralph Kunz

20. August

Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 1. Mose 1,3

Licht ist geschaffen! Die Einsicht ist erhellend und lässt doch
im Dunkeln, woher es kam. Die Antwort auf diese simple
Frage verschwindet in einem schwarzen Loch. Erst zwei simple
Aussagen bringen Licht ins Dunkel. «Gott sprach, es
werde Licht» und das hat zur Folge, dass «Licht ward». Also
ist Gott die Lichtquelle oder wissenschaftlich gesprochen die
ultimative Energiequelle, der Ursprung der Lebensexplosion
oder des sich ausdehnenden Alls.
Ob teleskopisch oder mikroskopisch unterwegs, auf Galaxien
wandernd oder in Viren bewandert – es braucht auch
die aufgeklärte Wissenschaft eine Lichtquelle. Was sagt denn
die Bibel anderes? Sie sagt es anders. Gott spricht Licht. Man
kann das als Mythos abtun oder als naives menschenförmiges
Gottesbild. Und hätte eine wichtige Lektion nicht verstanden.
Als die Welt das Lebenslicht erblickte, hat es sozusagen
Klick gemacht. Der Lichtschöpfer hat auch Lichtempfänger
geschaffen. Wir sind die angestrahlte, angeleuchtete und aufgeklärte
Welt. Wir sind auch für die Verdunkelung mitverantwortlich,
die zur Sprache und ans Licht gebracht werden
muss. Es ist diese andere, nichtphysikalische Erleuchtung,
die wir dringend nötig haben, wenn wir nicht im schwarzen
Loch verschwinden wollen. Denn die Frucht dieses Lichtes
ist «Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit» (Epheser 5,9).

Von: Ralph Kunz

19. August

Du, HERR, du kennst mich, du siehst mich und prüfst,
ob mein Herz bei dir ist.
Jeremia 12,3

Gott prüft, ob sein Prophet mit dem Herzen ganz bei ihm
ist. Wie geht das? Gott kann das einfach, meint der Prophet.
Jeremia weiss sich erkannt und gesehen. Für viele ist diese
Vorstellung irgendwie gruselig. Der göttliche Röntgenblick
lässt wenig Spielraum für Privacy. Big Brother lässt grüssen,
der Datenschutz auf sich warten. Dem Propheten stellt sich
diese Frage gar nicht. Ihm geht es um die Prüfung des inneren
Menschen, darum, dass keiner verborgen bleibt, der Böses
redet (Weisheit 1,8). Wer meint, sich vor Gott verstecken zu
können, ist schlicht und einfach ein Tor oder eine Närrin.
Gott sieht ins Verborgene (Matthäus 6,6). Und was Gott
sieht, ist durchschaut. Die Redewendung «auf Herz und Nieren
prüfen» kommt dem ziemlich nahe. Sie stammt übrigens
auch von Jeremia (11,20) und meint, dass mein Geist (Herz)
und meine Gefühle (Nieren) Gott nicht verborgen bleiben.
Wäre denn ein Big Brother, eine Big Mother, Big Father oder
Big Sister so schlimm? Ja, das wäre es. Das «Big» muss uns
misstrauisch machen. Es ist ein menschliches Missverständnis,
dass Gott ein Kontrollfreak ist. Die Bibel sagt etwas anderes.
Sie lobt die Macht, die sich so klein macht, dass sie uns
verborgen bleibt. Wie komme ich zur Gewissheit, dass sie
es gut mit mir meint? Jesus hat Gott erkannt, gesehen und
geprüft. Sein Herz ist bei Gott.
Das genügt.

Von: Ralph Kunz

23. Juli

Wer aus Gott geboren ist, den bewahrt er
und der Böse tastet ihn nicht an.
1. Johannes 5,18

Ich lese in der Wochenendbeilage der Zeitung einen Artikel
über gute Taten. Offensichtlich fühlte sich die Autorin
bemüssigt, etwas Spirituelles zum Thema beizusteuern.
Unter dem Titel «Karma» belehrt sie mich, dass ich durch
gute Taten auf meinem transzendenten Konto Punkte sammeln
könne. Je mehr Punkte, desto höher der Schutz vor
bösen Einflüssen. Wow! Es fehlte nur noch der Hinweis, dass
man sich Sonderpunkte holen kann, wenn für Auslagen im
Zusammenhang mit guten Taten eine Cumulus-Karte verwendet
wird. Ich habe die Zeitung zum Altpapier getan, weil
solide Abfallentsorgung gutes Karma macht! Spotte ich? Ich
bekenne mich schuldig! Aber mir ist auch klar, dass die heutige
Losung säkularen Mitmenschen genauso esoterisch vorkommen
muss wie mir das Karma-Konto (dessen Punktestand
durch den Spott ins Minus gerutscht ist …). Wie kann
man aus Gott geboren werden? Wie muss man sich das
vorstellen? Und warum bringt mir eine solche Geburt Schutz
vor dem Bösen? Vielleicht ist das die entscheidende Pointe
des Gottvertrauens. Gott ist mir als Gebärerin meiner Seele
näher als die Vorstellung, für die Ewigkeit zu punkten. Meine
Beilage zum sonntäglichen Wochenanfang – fragen Sie sich:
Bin ich aus Gott geboren? Antworten Sie mit einem kräftigen
Ja. Wer glaubt, wird bewahrt.

Von: Ralph Kunz

22. Juli

Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns
jubeln und fröhlich sein über sein Heil.
Jesaja 25,9

Der heutigen Losung gehen sechs Wörter voraus: «Zu der
Zeit wird man sagen.» Das ist zweimal wichtig für das Verständnis:
Erstens geht es um die Zukunft und zweitens um
die Sprechenden. Der Prophet stellt sich vor, es kommt der
Tag, an dem eine Gruppe sagen wird: «Jetzt ist eingetreten,
was wir uns erhofft haben, heute ist es wahr geworden,
was uns prophezeit wurde.» Das ist schon ein starkes Stück
und ziemlich dreist. Eigentlich prophezeit der Prophet die
Erfüllung seiner Prophetie! Warum aber bleibt er so allgemein?
Wer ist «man»? Jetzt wird’s noch dreister. Im Gesicht
des Propheten sind es alle Völker, die so reden. Alle sind zu
einem Mahl von «reinem Wein und fetten Speisen» eingeladen
– ein Graus für gesundheitsbewusste Diät-Freaks.
Aber zur dreisten Prophetie passt das feiste Menü. Geladen
sind alle Menschen, also alle Ethnien und Kulturen– auch
diejenigen, die altertümlich «Heiden» genannt werden. Sie
feiern an dieser Multikulti-Party zusammen mit Israel, als
ein Volk, weil die «Hülle, mit der alle Völker verhüllt sind»,
von ihnen weggenommen sein wird. Was sagen wir heute zu
dieser dreist-feisten Vision? Glauben wir daran? Wir warten
auf ihre Erfüllung.
Es ist der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft,
und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Hebräer 11,1

Von: Ralph Kunz