Schlagwort: Ralph Kunz

23. Mai

So habt nun acht, dass ihr tut, wie euch der HERR,
euer Gott, geboten hat, und weicht nicht, weder zur
Rechten noch zur Linken.
5. Mose 5,32


Wer die Gebote Gottes gehört hat, soll sie auch befolgen,
keine Ausflüchte machen und sich nicht vom Weg ab-
bringen lassen und den Kurs behalten. Im Dialekt steht
«folgen» für «gehorchen». Ich habe es noch im Ohr: «Tüend
jetzt folge!» Immer dann, wenn wir Kinder bockten und uns
querstellten, kam diese elterliche Losung. Das war ziemlich
oft der Fall. Und es hat meistens wenig gefruchtet. Mit
Drohungen oder Belohnungen waren die Chancen, dass wir
«folgten», höher. Man kann die Pädagogik des Gesetzes in
diesem Licht sehen – und der Verdacht kommt auf, dass
auch die göttliche Erziehung an Grenzen stösst. Warum wäre
sonst der Nachdruck nötig? Könnte es sein, dass wir immer
versuchen werden, nach rechts oder links auszuweichen?
Dass der absolute Gesetzesgehorsam wider unsere Natur
ist? Der Apostel Paulus kommt in seinen Überlegungen zur
Wirkung des Gesetzes zu diesem Schluss. Nicht der Gehorsam,
sondern das Vertrauen in Gottes Güte und Erbarmen
lässt uns «folgen». In den Evangelien zeigt sich der Glaube
als Nachfolge Jesu. «Folgen» ist mehr als «Gehorsam», und
das hat auch mit Geradlinigkeit zu tun. ER ist das Vorbild,
dem wir vertrauensvoll folgen, und keine Drohung, der wir
ängstlich gehorchen.

Von: Ralph Kunz

22. Mai

Ich pries die Freude, dass der Mensch nichts Besseres
hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und
fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen
sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.
Prediger 8,15


Ist der Prediger ein Geniesser? Für eine Andacht in der Fastenwoche
würde ich sein Lob auf das Essen jedenfalls nicht
auswählen. Mit dem Spruch könnte man werben für eine
Gault-Millau-Tour! Mich erinnert er an einen anderen Spruch
des römischen Dichters Horaz, der mahnt, man soll die
kurze Lebenszeit nutzen. Horaz gibt den Rat, den Tag zu
pflücken, bevor es Abend wird. Wer sich die Mühe macht,
den Sinnzusammenhang der biblischen Carpe-Diem-Einsicht
zu erforschen, kommt allerdings auf eine andere Spur. Der
Prediger versucht sich nämlich einen Reim darauf zu machen,
warum es Gesetzesbrecher gibt, die in Saus und Braus leben,
und Gerechte, als ob sie das Gesetz gebrochen hätten. Das
schmeckt nach einer bitteren Pille. «Ein Sünder kann hundertmal
Böses tun und dennoch lang leben.» (Vers 12) Das
ist aber nur die eine Seite der Medaille. Ich höre auch: Wenn
schon gelebt, dann doch richtig gelebt. Wenn in dieser flüchtigen
Welt nichts ewig Bestand hat, dann freu dich an dem,
was Gott dir schenkt. Genussfähigkeit ist eine Gabe Gottes!
Ein anderer Meister der Wahrheit meinte ein paar Jahre
später:
«Sorget euch nicht um morgen!» (Matthäus 6,34)
Ihm glaube ich. Er hat auch die bittere Pille geschluckt.

Von: Ralph Kunz

20. April

Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem
Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Lukas 12,32

Einer meiner Lieblingsverse aus dem Evangelium … Vielleicht,
weil ich in meiner Familie zu den «Kleinen» zählte?
Meine Mutter kam auf die grandiose Idee, ihre vier Jungs in
Zweierteams zu gruppieren. Vielleicht, weil sie auf das Prinzip
«teile und herrsche» hoffte? Auf jeden Fall musste ich
als Zweitjüngster mit dem Trauma fertigwerden, nicht zu
den Grossen zu gehören. Wir Kleinen durften gewisse Filme
nicht schauen, hatten weniger Sackgeld und waren von
hochattraktiven väterlichen Aktivitäten (Herbstwettkampf
des Unteroffiziersvereins Tösstal!) ausgeschlossen. Natürlich
wiegen diese kleinen Benachteiligungen nichts gegen die
grossen Ungerechtigkeiten, unter denen verfolgte Minderheiten
leiden. Aber es sind die harmlosen Verletzungen und
Minitraumata, die uns für grössere Not sensibel machen.
Hätten wir nie ein Unrecht erlitten, wären wir nicht der
Empathie fähig. Das Evangelium sagt noch etwas anderes,
Radikaleres. Es kehrt den Spiess um. Wer jetzt unten durch
muss, kommt einmal hoch hinaus; wer jetzt den Kürzeren
zieht, wird in Zukunft zu den Siegern gehören. Was immer
dazu führt, mich jetzt zu den Benachteiligten zu zählen, wird
einmal keine Bedeutung mehr haben. Das ist grossartig für
die Kleinen und eine bittere Pille für grosse Tiere. Es würde
allen besser gehen, wenn sie diese schon jetzt schlucken.

Von: Ralph Kunz

19. April

Ich will euch retten, dass ihr ein Segen sein sollt. Sacharja 8,13

Die Losung ist ein Vers aus einem meiner liebsten Texte
im Alten Testament. Ich weiss nicht, wie oft ich ihn schon
zitiert habe. Was mich daran fasziniert? Es sind die absolut
unspektakulären, aber gerade darum so farbigen Bilder, die
der Prophet ausmalt. Er sieht alte Menschen, die in den Städten
und Dörfern auf Plätzen sitzen, Kinder, die ohne Angst
spielen, Weinberge, die wachsen und gedeihen. So sieht es
aus, wenn Gottes Schalom einkehrt. Es ist so schön und es
ist so einfach.
Und die Alternative ist so schrecklich: Wenn die Schwächsten
die Öffentlichkeit fürchten müssen, wenn Ernten vernichtet
werden, wenn es Bomben regnet. Gott verspricht:
«Ich will euch retten.» Und diejenigen, die es hören und
jetzt in Angst und Schrecken leben, wissen, was Gott sich
unter ihrer Rettung vorstellt. Denen aber, die Angst und
Schrecken verbreiten, ist es zum Gericht gesagt. Denn auch
sie wissen insgeheim, was Gott sich wünscht, und freveln
trotzdem. Und wir? Was sollen wir, die das Schreckliche
weder unmittelbar erleiden noch verursachen, mit Gottes
Wunsch anfangen? Ich glaube, wir sollen uns zu den Geretteten
zählen und uns dann ausmalen, wie unsere Dörfer und
Städte aussehen, wenn der Architekt Schalom heisst – und
alles dafür tun, dass auch andere gerettet werden. Wenn wir
zum Schluss kommen, dass es noch viel Platz hat auf unseren
Plätzen, werden wir zum Segen.

Von: Ralph Kunz

23. März

Du stillst das Brausen des Meeres und das Toben
der Völker. Psalm 65,8

Kein Mensch kann das Meer beruhigen. Es übersteigt seine
Kräfte. Was physikalisch unmöglich ist, macht erst die Metaphysik
möglich. Der Psalmist traut Gott viel zu! Wer ausser
Gott kann einen Sturm stillen? Das Bild hat sich uns Christen
eingeprägt – das Schiff, das sich Gemeinde nennt, vom
Untergang bedroht, der schlafende Jesus, der von den verängstigten
Jüngern geweckt wird, der souveräne Meister,
der den See anherrscht, als ob er ein bockiges Kind vor sich
hätte … Und dann der Friede. Bereitet es mir, dem postmetaphysischen
Wundernörgler, der ich bin, Probleme,
daran zu glauben? Ach wo! Warum soll Gottes Allmacht
mit einem Sturmtief nicht fertigwerden? Schwierigkeiten
macht mir die zweite Bildhälfte. Wer kann die Naturgewalt
der tobenden Völker bändigen? Was bringt sie zur Vernunft?
Wann hört die Schlachterei auf? Wer tritt zwischen uns, um
unserem Wüten ein Ende zu bereiten? Dagegen scheint die
Bändigung von ein paar Wellen ein Kinderspiel. Aber auf
dieses Wunder hofft der Glaube. Nicht aus Naivität, wie
manche ach so klugen Geister uns weismachen, nein, aus der
erschütternden und ernüchternden Einsicht heraus, dass wir
in all den Jahrhunderten, in denen Beterinnen und Beter mit
diesen Worten den Sturm in ihren Herzen stillten, noch nicht
weitergekommen sind – weder beim Wettermachen noch
bei der Erziehung des Menschengeschlechts.

Von: Ralph Kunz

22. März

Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte
zurückbringen und das Verwundete verbinden und
das Schwache stärken. Hesekiel 34,16

Gewisse Berufe kennen eine Selbstverpflichtung. Das kann so
aussehen: Die Berufsleute formulieren als Verein oder Gilde
ihr Ethos, bekunden ihre Absicht, bekennen sich zu ihren
Werten und leisten einen Eid. Daran erinnert die Losung.
Sie enthält als Kernaussage ein göttliches Berufsethos. Gott
kleidet seine Willenskundgebung in ein berufliches Sprachgewand
und verpflichtet sich, seine Regentschaft wie ein
guter Hirte zu versehen. Das Gotteswort verwendet ein Bild,
das im Alten Orient gerne für Regenten verwendet wurde.
Warum gerade dieser Beruf? Warum ausgerechnet dieses
Bild? Damit die ersten Hörerinnen und Hörer verstehen. Sie
sind nämlich keine Herde mehr, sehen keine grüne Aue und
keinen frischen Quell vor sich. Sie sind buchstäblich zerstreut
und damit, als vereinzelte Schafe, tödlichen Gefahren
ausgesetzt. Hat der göttliche Hirte seinen Job nicht getan?
Schwierige Frage! Die Antwort ist kompliziert. Sie führt uns
hinein in die Geschichte der Selbstverirrung Israels und das
Versagen seiner menschlichen Hirten. Was unweigerlich
neue Fragen aufwirft: Hat denn der göttliche Oberhirte die
menschlichen Berufshirten nicht im Griff? Darüber könnte
man durchaus ins Grübeln kommen. Oder sich darauf verlassen,
was der Wille Gottes ist. Schliesslich hat er einen Eid
geleistet.

Von: Ralph Kunz

20. Februar

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und
ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt,
flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Hiob 14,1–2

Ein tristes Bild, das Hiob von der menschlichen Existenz
zeichnet. Was er sagt, ist eine erschütternde Erkenntnis. Aber
die Worte sind auch schön. Sie erzeugen Resonanz, sind
grosse Literatur. Nehmen Sie die Bibel (oder das Handy)
und lesen Sie Kapitel 14 in Hiob. Was für eine Wucht! Und
doch so simpel. «Der Mensch bleibt nicht.» Hiob vergleicht
den Menschen mit einem Baum und meint: «Ein Baum
hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder
ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus. Ob
seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub
erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers
und treibt Zweige wie eine junge Pflanze. Stirbt aber ein
Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er?»
Das ist eine Anspielung auf Psalm 1 – seine bittere Widerlegung.
Denn dort heisst es, dass ein Mensch, der die Tora
studiert, wie ein Baum ist …
In Afrika habe ich gelernt, dass Bitterstoffe wichtig sind
für die Verdauung. Die Menschen kauen Colanüsse – sie
lieben das, ich fand es grauenhaft. Nur mit viel Zucker und
Wasser schmeckt es. Hiob lesen ist wie eine Colanuss. Oder
für empfindliche Geschmäcker: wie ein Schluck Coca-Cola.
Auf jeden Fall gut für die geistliche Verdauung.

Von: Ralph Kunz

19. Februar

Am Tage sendet der HERR seine Güte, und des Nachts
singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens.

Psalm 42,9

Der Psalmvers passt zum Sonntag! Was der Beter sagt,
hört sich an wie ein Radioprogramm. Tagsüber ist Gottes
Güte auf Sendung und in der Nacht ist Musik angesagt.
Schön beschaulich und erbaulich. Aber leider ist es nicht so
gemeint. Hier klagt einer bitterlich. Jetzt ist Nacht. Er ist am
Singen und eine Strophe seines Songs geht so: «Was betrübst
du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf
Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit
seinem Angesicht.» Wir hören einem Bluessänger zu, der
sich selbst Mut zuspricht. Für ihn ist nicht Sonntag, für ihn
ist Alltag. Und doch hält er sich an den Gott seines Lebens.
Ich bin dem Sänger dankbar, hat er sein Elend nicht für sich
behalten und seinem Schmerz Ausdruck verliehen. Ob ihm
bewusst gewesen ist, dass er uns einen Trost schenkt? Vielleicht!
Was mich tröstet, ist diese wunderbare Wendung
«Gott meines Lebens». Sie erinnert mich an eine Liebeserklärung.
Sagte nicht jemand vor Jahren einmal zu mir: «Du
bist der Mann meines Lebens»? Es ist nur ein Vergleich! Die
«Frau meines Lebens» betet mich nicht an … Aber letztlich
lebt auch der Glaube von der gegenseitigen Liebe. Und die
ist auch bei unserem Bluessänger noch am Leben. Wenn das
keine Sonntagsbotschaft ist …

Von: Ralph Kunz

23. Januar

Lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue
auf dich!
Psalm 25,20

Der Ausdruck «zuschanden werden» ist nicht gerade Alltagssprache.
Wir sagen «lass mich nicht scheitern» oder
«enttäusche mich nicht». In der altertümlichen Wendung
«Schande» steckt aber etwas drin, das moderne Übersetzungen
verpassen. Die Angst des Beters ist es, in Schande zu
geraten, gedemütigt und beschämt zu werden, dass andere
auf ihn zeigen und über ihn spotten: «Schau nur, was für
ein Versager!» Dass die Feinde triumphieren, ist die Schreckensvorstellung
schlechthin. Davor soll Gott ihn bewahren.
Was uns zunächst fremd erscheint, ist beim näheren
Hinsehen sehr aktuell. Wie wichtig ist es doch bis heute,
dass Menschen ihr Gesicht wahren können. Selbst wenn
sie schuldig geworden sind und sich ihrer Schuld bewusst
sind, hoffen sie, dass die Ankläger ihnen einen Rest Würde
lassen. Feinde sind Menschen, die die Schwäche der Gegner
gnadenlos ausnutzen, um sie fertigzumachen. Sie nutzen
die Schwachstelle. Das kann die moralische Schuld sein, ein
Mangel an Mut, ein Fehler … Der Beter bittet um Bewahrung
seiner Seele, um Vergebung und den Beistand Gottes. Früher
oder später wird er straucheln. Das ist menschlich. Aber er
weiss, dass Gott nicht gnadenlos verurteilt. Er traut Gott. Das
kann lebenswichtig werden, wenn weniger gnädige Richter
ein Urteil fällen.

Von: Ralph Kunz

22. Januar

Einen andern Grund kann niemand legen ausser dem,
der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
1. Korinther 3,11

Wenn Paulus über den Grund redet, hat er seine Gründe. Die
Gemeinde in Korinth ist daran, den Boden unter den Füssen
zu verlieren. Es gibt offensichtlich ein paar besonders einflussreiche
Gestalten in der kleinen Gemeinschaft, die meinen,
sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen und es sei okay,
andere um sich scharen, die sie bewundern. Korinth wird zu
einer Gemeinde für charismatische Rosinenpicker – nomen
est omen. Ob Rosinen, Sultaninen oder Korinthen: Paulus
ist das Tuttifrutti unheimlich. Haben wir es mit einer ersten
Sektenbildung zu tun? Jedenfalls stellt der Apostel die Möchtegern-
Erleuchteten samt ihren Anhängern gehörig in den
Senkel. Wie macht er das? Indem er sie an das Fundament
erinnert. Der Vergleich ist vielleicht etwas gewagt, aber mir
leuchtet er ein. Paulus verweist die Ekklesia auf ihre Verfassung.
Er sagt: «Passt auf, wenn ihr in eurem Enthusiasmus
euch selbst zu religiösen Autoritäten erklärt. Unsere Glaubensbasis
hat ein anderer gelegt, Jesus Christus.» Sagt er, der
Gründer der korinthischen Gemeinde.
Wir brauchen von Zeit zu Zeit einen theologischen Bodenleger.
Irre ich mich, oder ist unsere Kirche diesbezüglich in
einer schlechten Verfassung? Genug Studentenfutter für
einen Sonntag …

Von: Ralph Kunz