Monat: April 2023

30. April

Als Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er:
Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 1. Mose 28,16

Jakob hat sich mit einer List den Segen, der seinem älteren
Bruder zugestanden hätte, erschlichen und ist ausgezogen
aus seinem Elternhaus. Die erste Nacht verbringt er unter
freiem Himmel. Im Traum öffnet sich dieser Himmel, und
Jakob sieht die Himmelsleiter. Zuoberst steht Gott persönlich
und schliesst mit dem Betrüger einen Bund: «Und siehe,
ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.»
Ich bin nicht Jakob. Selten erinnere ich mich an meine
Träume und wenn doch, sind es meistens böse Träume,
aus denen ich aufschrecke. Ich habe noch nie den offenen
Himmel gesehen, keine Leiter, keinen Gott. Und dennoch
vertraue ich darauf, dass der Zuspruch Gottes auch mir gilt,
dass ich wie Jakob behütet bin, wo auch immer ich hinziehe.
Und dann gibt es diese Momente, in denen kleine Wunder
geschehen. In einem Gespräch über das unsagbar Traurige
finde ich Worte, die trösten oder zumindest dem Schmerz
eine Sprache geben. In einer Begegnung scheint etwas auf,
das mit Erkenntnis zu tun hat und mich durch einen Tag
hindurch trägt. Ich staune, dass solche Momente sich immer
wieder unverhofft einstellen. Wie Jakob habe ich vergessen,
dass Gott an allen Stätten ist und mich beschenkt. Fürwahr!

Von: Felix Reich

29. April

Den Reichen in dieser Welt gebiete, dass sie nicht stolz
seien, auch nicht hoffen auf den unsicheren Reichtum,
sondern auf Gott, der uns alles reichlich darbietet,
es zu geniessen; dass sie Gutes tun, reich werden an
guten Werken, gerne geben, zum Teilen bereit sind. 1. Timotheus 6,17–18

Der Text ist jetzt einfach, denke ich, bevor ich schreibe.
Beinahe selbsterklärend. Ich zähle zu den «Reichen dieser
Welt» und soll deshalb meinen Reichtum teilen, indem ich
etwas abgebe. Also richte ich meinen Dauerauftrag beim
Hilfswerk ein, lege nach dem Gottesdienst eine Zwanzigernote
in die Kollekte und werde so «reich an guten Werken».
Gut machbar eigentlich und recht bequem.
Wenn ich jedoch genau lese und ernst nehme, was Paulus
schreibt, ist die Sache damit nicht erledigt. Ich klammere
mich durchaus an den «unsicheren Reichtum», materielle
Sicherheit ist mir wichtig. Und hätte Paulus das mit der
Spende gemeint, hätte er vom Zehnten geschrieben: Ich soll
einen Teil meines Reichtums abgeben und gut ist.
Teilen bedeutet mehr. Teilen heisst, dass ich meine Tür
öffne für andere Menschen und verletzlich werde. Nicht ich
bestimme darüber, wie viel ich abgebe. Wer teilt, richtet sich
nach den Bedürfnissen der Bedürftigen. Und ich glaube, das
Teilen, von dem hier die Rede ist, geht über das Monetäre
hinaus: Es geht auch um Zeit, Zuwendung und Raum.

Von: Felix Reich

28. April

Wer den Harnisch anlegt, soll sich nicht rühmen
wie der, der ihn abgelegt hat. 1. Könige 20,11

Wenn mächtige Männer mit Allmachtsfantasien aneinandergeraten…
Ich lese diese Losung, während ein grausamer Krieg
herrscht. Mitten in Europa. Drohgebärden und Waffenlieferungen
werden tagtäglich medial aufbereitet, damit alle sie
mitbekommen. Ebenso die Bilder von Verbrechen und Tod.
Und jetzt auch noch hier. Ben-Hadad, König von Aram,
belagert Samaria und versucht aus Ahab, dem König von
Israel, auch noch das Letzte herauszuquetschen. Der ist
bereit, sein Silber, sein Gold, seine Frauen und seine Söhne
zu geben, darüber hinaus will er jedoch keine Zugeständnisse
mehr machen. Er lässt die Situation eskalieren und gibt
dem feindlichen König noch einen «guten» Rat mit: Wer
den Harnisch anlegt, soll sich nicht rühmen wie der, der ihn
abgelegt hat.
Vielleicht wäre ich zu einer anderen Zeit bereit gewesen,
mich auf die Geschichte einzulassen und auf den Spruch,
dass man den Sieg nicht vor dem Ende des Kampfes feiern
soll. Vielleicht hätte ich von dem Propheten erzählt, der
eingreift, und von der Wendung, die diese Geschichte durch
Gottes Eingreifen bekommt.
Heute nicht.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. April

Hat denn Gott sein Volk verstossen? Das sei ferne! Römer 11,1

Die schärfste Waffe der Rhetorik ist die Frage. Das wusste
auch Paulus, der in der alten Disziplin sicherlich gut ausgebildet
war. Mit Fragen lenkt man ein Gespräch, kann die
Richtung vorgeben und wechseln. Man kann damit das
Gegenüber herausfordern, zum geistigen Austausch, sich zu
exponieren. Fragen, rhetorische Fragen eignen sich aber auch
gut, um die eigene Sicht darzustellen.
«Hat denn Gott sein Volk verstossen?» Eine Frage, über die
man trefflich diskutieren könnte. Zu der man verschiedener
Meinung sein könnte: Nun, vielleicht ja, es sieht zuweilen so
aus, fühlt sich so an und in den Schriften lesen wir …
Nein! Noch bevor eine Antwort kommen kann, folgt das
im Brustton der Überzeugung gesprochene: Das sei ferne!
Ich kann ihn mir gut vorstellen, Paulus von Tarsus. Im Eifer
des rhetorischen Gefechts. Sich nach vorne beugend. Vielleicht
zieht er eine Augenbraue hoch und fixiert sein Gegenüber
bei der provokanten Frage, die er ihm stellt: «So frage
ich nun: Sind sie gestrauchelt, damit sie fallen?»
Immer wieder dringt er im Römerbrief mit Fragen auf seine
Hörerinnen und Hörer ein, provoziert sie regelrecht, um
ihnen danach die richtige Antwort förmlich entgegenzuschreien.
Denkst du, ich mach das für mich? Das sei ferne!

Von: Sigrun Welke-Holtmann

26. April

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Titus 2,11

Nach all den Ermahnungen zu einem ordentlichen und
anständigen Lebenswandel in den christlichen Gemeinden,
die einen Grossteil des Titusbriefes ausmachen, ist dieser Vers
ein helles, leuchtendes Licht, dass einem ganz warm ums
Herz wird. Sicher gab es gute Gründe für diese vielen Ermahnungen
an die Christenmenschen auf Kreta (Kapitel 1+2)
zu Besonnenheit und Geduld, zu Keuschheit und Nüchternheit,
zu Ehrbarkeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit – und es
gibt sie bis heute. Denn bis heute bemisst sich die Glaubwürdigkeit
der Christenmenschen und ihrer Botschaft in ihrer
jeweiligen Umwelt auch an ihrer eigenen Lebensweise (vgl.
auch Matthäus 7,16 ff.).
Aber die heilsame Gnade Gottes, die allen Menschen
erschienen ist, stellt unsere Bemühungen in den Schatten –
oder bringt sie zum Leuchten. Ich glaube, es leuchtet umso
heller, je mehr wir die heilsam-heilende Gottesgnade für alle
Menschen denken und glauben: Sie ist dem unfreundlichen
Zeitgenossen auf der Strasse genauso erschienen wie den
mir Fernen und Unbekannten; den Menschen, die anders
glauben als ich ebenso wie meinen Lieben; und wohl auch
den Verblendeten und Machtgierigen, was für mich schwer
ist zu glauben…
Aber sie, die heilsame Gnade Gottes (er-)zieht uns dazu,
besonnen, gerecht und fromm zu leben in dieser Weltzeit
(Vers 12) – und das Schwierige Gott zu überlassen.

Von: Annegret Brauch

25. April

In der Finsternis erstrahlt den Aufrichtigen ein Licht,
gnädig, barmherzig und gerecht. Psalm 112,4

Diese Woche, vom Sonntag Misericordias Domini herkommend,
steht unter dem Wort: «Die Erde ist voll der
Güte des HERRN.» (Psalm 33,5) In dieser Linie steht auch
die heutige Tageslosung: «In der Finsternis erstrahlt den
Aufrichtigen ein Licht, gnädig, barmherzig und gerecht.»
Es ist die präsentische Aussageform, die beide Worte so
kraftvoll macht. Kein Fragezeichen, kein Konjunktiv, kein
Futur, kein Wenn-dann – einfach: Indikativ Präsens, Punkt.
Es sind Worte, an denen ich mich festhalte, gerade in den
Finsternissen dieser Zeit. Sie sind klar, sie fühlen sich warm
an und auch kühn; sie stärken mein Vertrauen in die verändernde
Macht der Liebe.
In einem Brief aus dem Gefängnis schreibt Rosa Luxemburg,
dass es gegen die Dunkelheit darauf ankomme, «Augen
und Ohren zu gebrauchen, um sich mit der Heiterkeit und
der Schönheit des Lebens zu verknüpfen, die überall um
uns sind.»
«In der Finsternis erstrahlt den Aufrichtigen ein Licht…»;
sie verstehen, ihre Augen, Ohren und Herzen zu gebrauchen;
sie sehen und erkennen, was andere kaum glauben können:
dass die Erde voll ist der Güte Gottes.
Ich wage und übe den kühnen Blick, der mein Angesicht
zum Leuchten bringt im Glanz der EWIGEN, die gnädig,
barmherzig und gerecht sich den Menschen zuwendet.

Von: Annegret Brauch

24. April

Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als
die Wächter auf den Morgen. Psalm 130,6

Der 130. Psalm hat die Überschrift «Aus tiefer Not». Es geht
darin um die Vergebung der Sünden sowohl des Einzelnen
wie des Volkes Israel. Und auf diese Vergebung wartet die
Seele. Was hat es mit diesem Warten auf sich? Wir kennen
es in unserer christlichen Tradition in der Adventszeit und
in der Passionszeit – beides klassische Fastenzeiten. Das Fasten
führt zu einer Konzentration, die vorher und nachher
nicht in der gleichen Stärke erreicht wird. Die Freude des
Weihnachtsfestes wie des Osterfestes ist dem gegenüber
überbordend, voller Freigebigkeit, glücklicher Gemeinschaft
und Jubel. Dagegen stelle ich mir das Warten der Seele wie
ein Tief-in-sich-Gehen vor, bei dem wir uns erforschen und
eine Art Rückschau antreten, die uns manchmal vor uns
selbst erschrecken lassen kann. Aber es gibt dabei immer
auch Hoffnung – sozusagen die Umkehr des Blicks!
Die Seele ist unser Zentrum, ich denke, der eigentliche,
tiefere Ort unserer Lebenskraft. Wenn sie auf Erlösung wartet,
ist sie nicht betrübt und unruhig wie im Psalm 130, sie
ist aufmerksam und im besten Sinn gespannt. Ich finde den
Vergleich mit dem Wächter, der auf den Morgen wartet, sehr
schön: Er hält Ausschau nach dem ersten Licht am Horizont –
nach dem Lichtstreifen, der den Tag ankündigt: So ist es auch
mit unserer Seele, die nach dem Licht der Vergebung und
nach neuer Hoffnung Ausschau hält.

Von: Elisabeth Raiser

23. April

Kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es
ist alles bloss und aufgedeckt vor den Augen dessen,
dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebräer 4,13

Dieser Satz des Paulus ist wohl eine der biblischen Vorlagen
für den Ausspruch, den ich früher in der Sonntagsschule
gehört habe und der in so vielen Familien den Kindern
eingetrichtert worden ist, damit sie sich keine Streiche
und Dummheiten und Lügen leisten, nämlich: «Der liebe
Gott sieht alles.» Das hat bei vielen Kindern ein eher
angsterregendes Gottesbild hinterlassen, das oft bis ins
Erwachsenenalter bestehen bleibt. Dabei gibt es die andere,
tröstliche, bergende Seite dieses «von Gott Gesehenwerdens
», wie sie im Psalm 139 so wunderbar ausgedrückt
wird: «HERR, du erforschst mich und kennst mich. Ich sitze
oder stehe auf, so weisst du es; du verstehst meine Gedanken
von ferne» (Verse 1 und 2).
«Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äussersten
Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und
deine Rechte mich halten.» (Verse 9 und 10)
Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Diese
Gewissheit kann uns tragen, uns Mut geben, auf unserem
Lebensweg einiges zu wagen, was nicht vorgegeben, aber
kühn ist. Natürlich sollten wir dafür Rechenschaft ablegen,
wie Paulus schreibt; aber Gottes Gnade begleitet uns auch
dabei. So verstehe ich auch die schöne diesjährige Jahreslosung:
«Du bist ein Gott, der mich sieht.»

Von: Elisabeth Raiser

22. April

HERR, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben
muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.
Psalm 39,5

So what? «Der Tod, radikal normal» war der Titel einer
bewegenden und befreienden Ausstellung diesen Sommer
im Kulturzentrum Vögele. Wenn das Sterben und der Tod
nahe kommen als das, was zum Leben gehört, dann dürfen
und sollen wir uns mit unserem Leben auseinandersetzen
und es so einrichten, dass es eben auch zu Ende gehen kann
und darf. Das ist mir nahegekommen. Aber mir ging es gut,
ich war nicht krank. Der Dichter des heutigen Psalmwortes
ist offenbar in einer anderen Verfassung. Es geht ihm sehr
schlecht und er bittet Gott, dieser Situation ein Ende zu
bereiten, allerdings nicht ohne auch darum zu bitten, das
Ziel des Lebens zu erfahren. Was war sein Ziel? Was ist mein
Ziel? Es gibt kleine und grosse Ziele, es gibt die Fragen, ob
ich sie erreiche oder eben nicht.
Alles nicht so wichtig, meine ich, denn das Leben ist ein
Weg, den ich gehe, auch spontan und hoffentlich mit vielen
Überraschungen, die die Ziele immer wieder verändern. Und
auf diesem Weg denke ich, dass einmal die Stunde kommt,
in der alle Ziele erreicht sind und mein Leben hier ein Ende
hat. Wir sind in der Zeit nach Ostern und haben uns daran
erinnert, dass der Tod nicht das Letzte ist, sondern eben das
Leben. Uns daran auszurichten, ermutigt, stärkt und tut gut.
So what?

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

21. April

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. 2. Mose 20,16

Unweigerlich fühle ich mich versetzt in die dritte Klasse, wo
uns in der Christenlehre die Zehn Gebote eingehämmert
wurden als moralischer Wegweiser. Zwar ist nach all den
vielen Jahren die Angst vor dem strafenden Gott längst dem
Glauben an Gott, den Befreier, die Lebendige, die Ermutigerin,
gewichen. Und so lese ich den heutigen Text als Teil der
Worte, die von Gott an das Volk gerichtet waren, um die
Menschen damals daran zu erinnern, dass die Lebendige
mitgeht, aber auch Aufgaben bereit hat für sie. Den ganzen
Dekalog lese ich nicht mehr als moralischen Anspruch,
sondern als Aufgabe, meine Beziehungen zu Gott und den
Menschen und der ganzen Schöpfung solidarisch zu leben.
Denn, so lerne ich, jedes der Gebote ist auf die Menschen
ausgerichtet, darauf, gut mit ihnen zusammenzuleben. Die
Zürcher Bibel übersetzt die heutige Losung: «Du sollst nicht
als falscher Zeuge aussagen wider deinen Nächsten.» Der
oder die Nächste rückt ins Zentrum und nicht meine allfälligen
Vorteile einer Falschaussage. Ein hoher Anspruch für
Menschen, die ihm gerecht werden sollen. Es ist nicht ein
moralischer Anspruch, sondern Teil der Identität der Menschen,
die mit der Lebendigen unterwegs sind. Und diese
Identität kommt von Gott, der den Dekalog direkt zu den
Menschen gesprochen hat. Und Identität hilft, stark zu sein.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud