Monat: Juni 2022

23. Juli

Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht;  denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.                                                                           Josua 1,9

Hollywood hat in den letzten Jahren einige apokalyptische Filme in die Kinos gebracht. Eine Szene gehört dazu: Vor der Endzeitschlacht sammelt der Präsident oder General (meistens ein weisser Mann) seine Truppen und spricht ein Wort der Ermutigung. Dann geht’s in den Kampf. Natürlich siegen die Guten. Die Rede ist wichtig. Sie appelliert an den Mut und die Entschlossenheit, erinnert an vergangene Siege und macht Hoffnung, die Schlacht zu gewinnen.

Das erste Kapitel in Josua passt in dieses Schema. Josua übernimmt die Stafette: Moses ist gestorben, Israel steht am Jordan, das gelobte Land ist in Sicht. Auch in säkularen Ermutigungspredigten läuft es darauf hinaus, dass man sich «nicht graut und entsetzt». Josua nennt aber einen Grund dafür: «Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst.» Der Führer Israels verspricht, dass Gott ein «Im-anu-El», auf Deutsch ein «Mit-uns-Gott» ist. Gott war in Ägypten, am Schilfmeer und wird den Israeliten auch bei der Landnahme beistehen. Was im Blockbuster Heldentum ist, hat in der Rede von Josua eine Glaubensdimension. Es hört sich ähnlich an und ist doch etwas anderes. Vielleicht ist das die Tragödie des biblischen Storytellings? Dass es so überzeugend ist und von weltlichen, imperialen und kolonialen Herrschaften   gerne kopiert wird.

Von Ralph Kunz

20. Juni

Du sollst keine anderen Götter haben neben  mir. 2. Mose 20,3

Vor ein paar Jahren hat der Ägyptologe Jan Assmann in seinem Buch «Der Preis des Monotheismus» eine Debatte losgetreten. Der Monotheismus habe im Unterschied zum toleranteren Polytheismus ein Problem mit Andersgläubigen und neige deshalb zur religiösen Gewalt. Das erste Gebot sei der Beleg für die These. Dass Gott sagt: «Ich bin der HERR, dein Gott» mag ja noch angehen, aber wenn derselbe Gott erklärt, «du sollst keine anderen Götter neben mir haben», lässt ihn das als Autokrat erscheinen. Warum erträgt JAHWE keinen Konkurrenten? Warum benimmt er sich wie ein eifersüchtiger Ehemann?

Ich denke nicht, dass man den Monotheismus pauschal verurteilen kann. (Das macht auch Herr Assmann nicht …) Mein Punkt: Es geht im Gebot nicht um eine religiöse Ideologie oder ein Prinzip, das durchgesetzt werden kann. Viel entscheidender ist die Gottesbeziehung. Den Boden dafür legte der Exodus. Vor den Geboten stellt sich JAHWE vor: «Ich bin der Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat.» Gott ist nicht irgendein Gott unter vielen Göttern und Israel nicht irgendein Volk unter vielen Völkern. Darum erstaunt es nicht, dass Liebe und Eifersucht in diesem Bund ein ständiges Thema sind. Frei übersetzt heisst das erste Gebot: Weil Gott keinen «Harem» hat, erwartet er von Israel Treue.

Von Ralph Kunz

19. Juni

Freigebige werden immer reicher, der Geizhals spart  sich arm.               Sprüche 11,24

Ich wuchs zusammen mit drei Brüdern in der Dienstwohnung der Zürcher Kantonalbank auf. Wir diskutierten viel am Familientisch und erfuhren einiges aus dem Berufsalltag meines Vaters. Eines Tages überraschte er uns mit einer Aussage. Als Bankverwalter hatte er auch reiche Kunden. Es gebe, meinte er, keine unglücklicheren Leute als Reiche, die Angst hätten, sie könnten ihr Geld wieder verlieren. Irgendwie machte mir das enorm Eindruck, und es kommt mir aus Untiefen der Erinnerung in den Sinn, wenn ich den uralten Spruch lese: «Der Geizhals spart sich arm.» Ja, genau! Je mehr er hat, desto ärmer wird er, weil er den Hals nicht vollkriegen kann. Er spart, weil er Angst hat. Ein reicher Geizhals ist noch ärmer dran. Der einzige Ausweg ist die Freigebigkeit. Sie ist Ausdruck einer Lebenshaltung. «Freigebig» meint hier, andern gegenüber grosszügig sein, also das zu verteilen, zu verschenken und auszuleihen, was man hat. Der Reichtum, den man so anhäuft, ist Dankbarkeit, die Dividende, die man einfährt, ist die Freude. Lässt sich das auf unser ganzes Leben übertragen? Könnte das gemeint sein, wenn Jesus sagt, wer sein Leben liebt, wird es verlieren? Vielleicht kann man den strengen Satz ein wenig mildern, wenn man ihn so dreht. Es gibt keine glücklicheren Leute als Reiche, die keine Angst davor haben, ihren Reichtum zu verschenken.

Von Ralph Kunz

18. Juni

Er sättigt die durstige Seele, und die  Hungrigen füllt er mit Gutem.                                                      Psalm 107,9

«Nur darf man über den Hunger nicht reden, wenn man Hunger hat … Wenn der Hunger am grössten ist, reden wir von der Kindheit und vom Essen», schreibt Herta Müller in dem Buch «Atemschaukel» über die Zeit in einem russischen Lager. Und dass es gefährlich sei, dem Hunger das Wort zu geben, weil er alles nimmt und verschlingt. Auch die Menschlichkeit. Darum Essensgeschichten für hungrige Ohren.

Redet im Psalm jemand, der oder die hungert, vom Gesättigtwerden?

Wenn ich in der Bibel vom Hungrig- und Durstigsein lese, so denke ich zuerst an den Durst tief in mir, den ungestillten. Wie eine Leere ist er, die ich übertünchen und stopfen, aber nicht so einfach füllen kann.

Jemand sagte einmal, dieser Durst und Hunger wachse mit jeder neuen Niederlage Gottes.

Und wenn diese zwei «Hunger» nun zwei Seiten einer Medaille wären?

Wo finde ich Gott im Angesicht des Hungers?

Warum nicht auch als Gast an meinem Tisch – fragend – ob das, was ich da auftische, bei anderen zu Hunger, miserablen Löhnen, Wassermangel und Vergiftungen führt?

Von Ulrike Müller

17. Juni

Ihr sollt die Wohltaten dessen verkündigen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht.                                        1. Petrus 2,9

«Deutschland hat Russland den Krieg erklärt – nachmittags Schwimmschule», notierte am 2. August 1914 Franz Kafka in sein Tagebuch.

Zwischen Weltgeschichte und persönlicher Geschichte ein Gedankenstrich – und ein Riss.

Als seien es zwei Welten, die partout nicht zueinander passen, so kommt es mir auch jetzt, Anfang März, vor: vor mir der Text von den Wohltaten dessen, der uns aus der Dunkelheit in sein wunderbares Licht berufen hat, und darunter und darüber die Nachrichten, wie Putins Armee immer mehr Städte und Orte in der Ukraine zerstört.

Ich kann und mag jetzt keine Wohltaten verkündigen und auch keine von irgendwoher hervorkramen.

Und doch will ich diese biblischen Worte nicht einfach beiseiteschieben. Sie müssen doch auch jetzt etwas zu sagen haben!

Der Petrusbrief richtete sich an Menschen, die in grosser Verunsicherung lebten. Und ihnen schreibt er, dass sie berufen sind. Gerufen. Auf ein Fundament. Gelegt von Jesus Christus. Auf dem stehen sie – auf dem stehe ich. Wird mir das schon zur Wohltat in dieser Zeit? Oder was kommt von dort noch? Welcher Ruf?

Von Ulrike Müller

16. Juni

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Denn euer himmlischer Vater weiss, dass ihr all dessen bedürft.      Matthäus 6,31.32

Wenn Jesus vom «sorgen» redet, dann meint er damit, dass sich Menschen abhängig machen und dadurch unfrei werden. Ein sich stets sorgender Mensch ist in sich gekehrt und kreist um sich selbst, sieht nicht, was um ihn herum geschieht. Jesu Forderung, sich keine Sorgen zu machen, gründet in dem Vertrauen auf Gott, der wie ein Vater für seine Kinder sorgt und ihnen das zum Leben schenkt, was sie brauchen.

Gott sorgt für Essen, Trinken und Kleidung. Gott sorgt dafür, dass die Grundbedürfnisse unseres menschlichen Lebens gestillt werden. Diese Zusage und Fürsorge galt nicht nur den Hörenden von damals vor gut 2000 Jahren. Sie gilt und betrifft uns auch heute noch. Auch wenn sich der Inhalt der Sorgen immer wieder verändert haben mag, so ist die Tatsache, dass sich Menschen Sorgen machen und Menschen Sorgen haben, geblieben.

Der heutige Lehrtext will uns Mut machen, dass wir uns einsetzen gegen unsere Sorgen, dass wir uns nicht erdrücken lassen. Suchen wir nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit.

Von Carsten Marx

15. Juni

Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!                                 Psalm 121,8

Ich bete ihn gern, diesen Psalm. Viele Erlebnisse im Zusammenhang mit Leben und Sterben sind für mich untrennbar mit ihm verbunden. Im Laufe meiner Dienstjahre als Pfarrer kann ich ihn auswendig beten. Das hilft an einem Krankenbett, wenn mir gleichzeitig verschiedenste Gedanken durch den Kopf gehen. Ausgang und Eingang, Ende und Anfang des Lebens – und die vielen Jahre dazwischen. Immer wenn ich auf Friedhöfen zu Beerdigungen unterwegs bin, gehen mir diese Gedanken durch den Kopf.

Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die wissen, dass wir sterben müssen. Aber wir glauben es nicht. Wir denken nicht daran, dass unser Leben begrenzt ist. Oft genug leben wir so, als hätten wir unendlich viel Zeit. Zeit mit einem geliebten Menschen, Zeit, um Freundschaften zu pflegen, unendlich viel Zeit, etwas Neues zu beginnen. Dennoch: Alles hat seinen Ausgang und Eingang, seinen Anfang und sein Ende.

Der heutige Losungsvers schenkt mir unendliches Vertrauen. Ich darf Gott vertrauen. Er ist bei mir. Er verlässt mich nicht. Er behütet mich. Am Ausgang und Eingang und darüber hinaus und mittendrin. Das passt wunderbar.

Von Carsten Marx

14. Juni

Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.                       Psalm 127,1

Deutlicher kann eigentlich der Kontext nicht beschrieben werden, in den all unser Tun und Lassen einzuordnen ist. Der Psalm verweist auf unser gesamtes Sozialwesen, Familie, Haus, Arbeit. Dies alles ist wichtig und doch nichts, wenn Gott es nicht behütet, bewacht und umsorgt. Eine starke Botschaft, denke ich, in einer Zeit, in der so viele Menschen sich die Verantwortung für das eigene Tun nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. Ich muss dabei an die Vereidigung der neuen deutschen Regierung denken. 2021 kam diese scheinbare «Selbstverantwortung» darin zum Ausdruck, dass mehrheitlich beim Amtseid auf die «Bezugsformel» «so wahr mir Gott helfe» verzichtet wurde. Es erinnert an so manches, was zum Kontext dieses Psalms gehört: Selbstherrlichkeit, religiöse Beziehungslosigkeit und das Bewusstsein davon, dass allein eigene Rationalität zählt.

Dies gab es wohl auch zu Salomos Zeiten. Deshalb betont der Psalm, dass all unser Tun der Verortung in der Allsorge Gottes bedarf. Der Sorge für die Schöpfung, dem Beziehungsgeflecht, von dem wir Teil sind. Auch dann, wenn sich der Mensch dieser Teilhabe nicht mehr bewusst ist. Denn dann gleicht der Mensch dem Wächter, der hütet und dem doch die Aufgabe misslingt, wenn nicht letztlich Gott, wie der gestrige Text sagte, mit Gerechtigkeit und Allsorge den Schutzrahmen stellt.

Von Gert Rüppell

13. Juni

Erhöre uns nach der wunderbaren Gerechtigkeit, Gott unser Heil (der du bist die Zuversicht aller auf Erden und fern am Meer).                                         Psalm 65,6

Der heutige Text ist der Scheitelpunkt des 65. Psalms, was sehr schön deutlich wird, wenn wir den ganzen Vers lesen. Um Erhörung im Kontext der Gerechtigkeit Gottes bittet der Psalmist. Ein Ruf um Vergebung? «Wohl dem, der seine Missetat erkennt und sich zu Gott wendet.» (Verse 4–5) Jenem Gerechten also, so zeigt die zweite, hier mitzitierte Hälfte des Verses, der nicht nur Macht, Kraft und Vergebung im «Portemonnaie» seiner Gerechtigkeit hat, sondern auch die Zuversicht seiner gesamten Schöpfung darstellt. Die Fröhlichkeit, die dies auslöst, wird in wunderbaren Worten beschrieben. Sie verdeutlichen, warum der Psalmist von Heil und Zuversicht aller auf Erden und fern am Meer redet. Um die Fülle des Heils zum Ausdruck zu bringen und so gegen die Missetat so recht abzugrenzen, greift er in das gesamtschöpferische Vokabular: Wasser die Fülle, feuchte Schollen, reiche Ernten, grünende Steppen, grosse Herden und saftige Kornfelder. Wer sollte da nicht jauchzen und singen und Gott, unser Heil, um Erhörung anrufen? Um uns in dieses Heil, diese seine Wohlfahrt, dieses sein Haus (Vers 5) aufnehmen zu lassen, nach all dem, was wir verbockt haben. Auf dieses Handeln, diese Gerechtigkeit Gottes, diese seine Gnade zielt ja letztlich auch unser tägliches Hoffen im Wissen um das Wirkungsfeld seiner Barmherzigkeit.

Von Gert Rüppell

12. Juni

Du sollst der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen folgen.     2. Mose 23,2

Dazu gibt es eigentlich nichts zu sagen, und das Bild von der breiten Strasse ins Verderben, wie Jesus es gezeichnet hat, bestätigt uns darin. Unsere Losung fordert Nonkonformismus und gibt Mut zum Unbequemen, auch zur Einsamkeit. Vielleicht liegt darin aber auch eine Versuchung zur moralischen Überlegenheit, die Versuchung des gebildeten Mittelstandes gegenüber der Massenkultur, die Versuchung des ethischen Perfektionismus in den Kirchen, die beispielsweise in der Pandemiezeit über die staatlich definierten Einschränkungen hinausgingen, die Versuchung, den eigenen Weg als den einzigen Weg zum Guten zu sehen.

Dagegen steht die Warnung «Richtet nicht!». So müssen wir den Widerspruch aushalten: Wir suchen danach, was das Gute, was Gottes Wille ist, sollen uns mit Überzeugung dafür einsetzen, müssen uns aber zugleich fragen lassen, ob diese Überzeugung richtig ist und richtig bleibt, ob sie Raum lässt für die Barmherzigkeit, die untrennbar mit dem Weg zum Guten verbunden ist. Der Lehrtext weist die Antwort: wahrhaftig sein in der Liebe.

Das ist der Liebe freundlich Amt, dass sie zurecht bringt, nicht  verdammt.

(Viktor Fr. von Strauss und Torney, 1843, RG 802)

Von Andreas Marti