27. September

In Gottes Hand sind die Tiefen der Erde, und
die Höhen der Berge sind auch sein.
Psalm 95,4

Es gibt so viele Gründe, Gott zu loben und ihm zu danken.
Das ruft mir heute der Beter/die Beterin des 95. Psalms zu,
ja fordert mich regelrecht auf, einzustimmen: Lasst uns mit
Dank vor ihn kommen und jauchzen! Und dann zählt er
die Extreme auf. Die Grösse Gottes – grösser als alle Götter,
König über sie. Herrscher über die höchsten Höhen und die
tiefsten Tiefen, Schöpfer des Meeres und des Trockenen –
und damit von allem.
Von einem Ende zum anderen Ende – Gott.
Von ganz oben bis ganz unten – Gott.
In einer Hand – Gott.
Ich merke, wie er mich anspricht, der Gott der Extreme,
gross und in schöpferischer Kraft. Und wie ich sie gerade
auch in den Extremen suche. In meinen eigenen Extremen.
Wie ich sie brauche, gerade da.
In den tiefsten Tiefen, den Abgründen, vor denen ich
stehe und manchmal schon mitten im freien Fall bin. Wenn
Dunkelheit
mich umgibt und meine Hand in der Leere die
seine sucht.
Oder auf den höchsten Höhen, auf denen mir langsam
schon die Luft dünn wird und mich ein Schwindel zu überwältigen
droht. Vor Glück und Erfüllung. Klatsch ab, damit
ich es knallen höre.
Es gibt so viele Gründe, Gott zu loben und ihm zu danken.
Auch zwischen den Extremen.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

26. September

Geh hin in dein Haus zu den Deinen und verkünde
ihnen, welch grosse Dinge der Herr an dir getan und
wie er sich deiner erbarmt hat.
Markus 5,19

«Geh doch nach Hause.» Der Mann, zu dem Jesus diesen
Satz sagt, hat schon lange kein Zuhause. Er kann nicht mit
anderen Menschen zusammenleben, denn er ist oft «ausser
Rand und Band». Man nennt ihn einen «Besessenen», später
wird man den Begriff «Tobsüchtiger» benutzen. Seine
tiefe innere Erregung findet in unkontrollierbaren Wutausbrüchen
eine Entladung. Dieser Mensch lebt nicht nur
äusserlich unbehaust, sondern ist auch nicht Herr in seinem
eigenen Körper.
Wie schwer es uns fällt, mit einem solchen Menschen
umzugehen, wie gross die Angst vor ihm! Erwachsene mit
derlei Tobsuchtsanfällen hat man zur Zeit Jesu in Ketten
gelegt, heute werden sie mit Psychopharmaka «ruhiggestellt
». Jesus lässt sich von all der Angst und Unruhe nicht
anstecken. Er begegnet dem Gepeinigten mit grosser Souveränität.
Plötzlich ändert sich alles. Gerade noch hin und her
gerissen, findet jener nun Ruhe, findet zu sich.
Im Gegensatz zu anderen, die Jesus auffordert, ihm nachzufolgen,
gibt er diesem Mann, der dazu willens wäre, den Auftrag,
nach Hause zu gehen. Daheim im heidnischen Gerasa,
von wo man ihn wegen seiner Krankheit weggewiesen hat,
dort soll dieser Mensch beginnen, von der Macht Gottes
und von seiner Befreiung zu berichten. Was für ein Auftrag:
Geh nach Hause!

Von: Barbara Heyse-Schaefer

25. September

Des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt,
das hält er gewiss.
Psalm 33,4

Das Wort heisst «ja».
Ja zu dir, ja zu mir, ja zu uns allen.
Um es wahrzunehmen, braucht es keine App
und keine KI. Nur wache Sinne.
Es funkelt mich an, wenn ich den Fenchel
mit der Brause giesse – unzählige winzige Tröpfchen
in den filigranen Blättern funkeln wie Diamanten
in der Morgensonne. Es begegnet mir
als Liebgottkäferli auf einer Schafgarbe.
Ich höre es als «si, si, si» von den Mauerseglern,
die hoch oben in Gruppen durch die Lüfte kurven.
Sogar im lauten Quaken der Frösche ist es.


Das Ja schützt uns davor, von Widrigkeiten
überwältigt zu werden.
Es hilft, zu hoffen und weiter an das gute Leben
zu glauben, Aufgaben anzupacken.
Es hilft, uns selber und andere anzunehmen,
mit allen Unzulänglichkeiten und Macken.
Es hilft uns, dankbar das Gute zu erkennen
und nicht zu verzweifeln angesichts
der täglichen Schreckensnachrichten
aus allen Ecken unserer fragilen Welt.


Manchmal ist es sehr leise, das Ja, aber es ist da.

Von: Heidi Berner

24. September

Ein Samariter, der auf der Reise war, kam dahin; und
als er den Verletzten sah, jammerte es ihn; und er ging
hin zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn
in eine Herberge und pflegte ihn.
Lukas 10,33–34

Aus meinen Reisenotizen vom 8. April 2023:
Auf einer Treppe zur Unterführung
am Rondo Waszyngtona in Warschau
liegt ein Mann. Er stöhnt, blutet im Gesicht.
Ich hoffe, es hilft ihm jemand, der Polnisch kann.


Ich war dem Verletzten keine Nächste.
Denn er ist es, der das entscheidet,
wie in der Geschichte vom barmherzigen Samariter.
Das habe ich vor Jahren nach einer Predigt kapiert.
Es geht nicht um Nächstenliebe von oben herab, herablassend.
Sondern von unten her –
bestenfalls auf Augenhöhe.


Wie viele gingen wohl an jenem Mann vorbei – wie ich?
Ich hoffe fest, dass er Hilfe erhielt,
an diesem Karsamstag, an dem die Menschen
doch milde gestimmt und empfänglich waren,
sich auf Ostern freuten. Viele sahen wir
mit Körbchen voller Lebensmittel,
die sie bei den Kirchen segnen liessen.
Segen zum Weitergeben.

Von: Heidi Berner

23. September

Schäme dich nicht, denn du sollst nicht
zum Spott werden.
Jesaja 54,4

So geht göttliche Seelsorge! Das stolze Israel ist am Boden
zerstört, entehrt und verlassen. Die Unfruchtbare, die von
ihrem Mann verstossen wurde, die Witwe oder die untreu
gewordene Ehefrau – sind Bilder für Israel als «Braut Gottes».
Sie nehmen das Gerichtswort auf, dass sich Gott von seinem
Volk «scheidet», und wenden sie in eine Liebes- und Treueerklärung.
«Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann […]
Denn Gott hat dich zu sich gerufen wie eine verlassene und
von Herzen betrübte Frau; und die Frau der Jugendzeit, wie
könnte sie verstossen bleiben!, spricht dein Gott.» (Vers 5 f.)
So geht göttliche Seelsorge!
Gott beschämt nicht, Gott schützt vor Spott und Hohn
und erinnert an sein Ja zu Israel. Ist es verwegen, bei diesen
Worten auch an die Kirche zu denken? Fast täglich lesen
wir von den unsäglichen Missbräuchen, die es in der Kirche
gegeben hat und die von den Verantwortlichen vertuscht
wurden. Es ist beschämend. Aber das Verrückte an diesen
Verbrechen ist, dass sich die Opfer schämen. Also sind sie es,
die zuerst das Gotteswort hören sollen. Sie wurden entehrt.
Sie sind es, denen Gerechtigkeit widerfahren muss. Dann,
aber wirklich erst dann, hören auch die reuigen Täter das
Wort der Gnade. Es muss ein Ende der Beschämung geben
– auf beiden Seiten. Aber es muss klar sein, wie der Prozess
der Heilung beginnt.

Von: Ralph Kunz

22. September

Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und
Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen
um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen
Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Jesaja 55,5

Meine Kirche nennt sich Volkskirche. Der Name erinnert an
andere Volksverbindungen: Volksbank, Volksbibliothek oder
Volksschule. Man kennt das. Am liebsten ist mir die Volksmusik.
Mit anderen zusammen einen lüpfigen «Ländler»
zu spielen, ist eine schöne Sache. Zum Reiz der Volksmusik
gehört auch der Wechsel in die musikalischen Klangwelten
anderer Völker. Es gibt nicht nur Appenzeller! Die Iren oder
die Schweden haben es auch drauf. Die «neue Volksmusik»
wagt Überkreuzungen und Begegnungen. Wenn ich es recht
bedenke, bin ein Völkermusikfan …
Und Gott? Gott ist ein Völkerkirchenfan. So steht es
geschrieben und so haben es die Propheten kundgetan.
«Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe,
spricht der HERR; ich will sie heilen.» (Jesaja 57,19) Gott
weitet die Erwählung des Volkes zur Erwählung der Völker.
Er kreuzt die Nationen. Wie modern das ist! Und ich denke,
wie antiquiert «Volkskirchen» sind, wenn sie das Volk mit
der eigenen Nation verwechseln.
Wenn es das Ziel ist, mehr Völkerkirche zu werden, hat
die Volkskirche noch einen weiten Weg vor sich. Wollen wir
ihn gehen? Wollen wir neue Musik spielen? Ich bin sicher, es
würde lüpfiger in der Kirche.

Von: Ralph Kunz

21. September

Mich sollst du fürchten und dich zurechtweisen lassen.
Zefanja 3,7

Was ist es wohl, was mir eine Blockade beim Schreiben zur
heutigen Losung beschert? Ist es meine Mühe, mich zurechtweisen
zu lassen? Ist es mein Glaube an das Gute, das Lebendige,
was mir die Auseinandersetzung mit der Anweisung,
Gott zu fürchten, so schwierig macht? Bin ich mitgemeint,
denn der Text richtet sich nicht an mich, sondern an die
Stadt Jerusalem. Das Buch Zefanja handelt ja von prophetischen
Gerichtsworten und prophetischen Heilszusagen. Und
die gibt es eben nicht so rasch ohne das Zutun derjenigen,
an die sie gerichtet sind. Aber es lohnt sich, etwas weiterzulesen
in diesem Buch des Propheten. Denn die Zusage, dass
Gott, die Lebendige, ihr Volk sammeln und es gut kommen
wird, schenkt Hoffnung und Leben. Die Heilszusage ist nicht
an einzelne Menschen gerichtet, sondern an viele, die sich
zusammentun sollen, um mit der Lebendigen unterwegs zu
sein und mit ihr das Leben zu gestalten. Und das geht wohl
nicht, ohne zu überlegen, ohne nachzudenken über den Weg
und ohne die Lebendige zu bitten um ihr Geleit, ihr Vergeben,
ihre Zuwendung zu allen Menschen. Die Blockade ist
aufgehoben. Ihr macht ein Nachdenken darüber Platz, was
ich wohl anders anpacken könnte in meinem Leben – nicht
nur, um die Heilszusage wahrzunehmen, sondern auch, um
immer wieder neu zu fragen nach dem Tun der Gerechtigkeit
und des Friedens.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

20. September

Wer den HERRN fürchtet, hat eine sichere Festung.
Sprüche 14,26

Oder wie die Zürcher Bibel übersetzt: «In der Furcht des
HERRN liegt feste Zuversicht, es wird auch den Kindern
eine Zuflucht sein.» Es ist wohl das Zusammenkommen
von «Furcht» und «Zuversicht», das mir auf die Sprünge
hilft. Denn eine Festung ist mit Angst, Verschlossenheit,
dicken Mauern verbunden. Die Zuversicht hingegen gibt
mir Raum und lässt mich mit einem geraden Rücken und
offenen Augen in die Welt blicken. Die Furcht vor Gott,
der Lebendigen, weist mich darauf hin, dass sie da ist, mitten
in meinem Leben. Das hat mit Angst nichts zu tun.
Vielmehr gibt mir das Vertrauen in dieses Dasein Gottes.
Dieses Vertrauen gibt Kraft. Und lässt manchmal nach, weil
vieles schiefläuft, weil sich Erschöpfung breit macht oder
ich einfach den Glauben verloren habe, dass unsere Welt
gerechter oder friedlicher werden könnte. So wird der Raum
auch da weit, wo er droht wegzufallen und mein Leben zu
einer Festung zu machen. In der Festung begegne ich keinen
Menschen, die mit mir den Weg gehen oder mir diesen gar
zeigen. Raum für meine Zuflucht und meine Zuversicht wird
mir doch so oft von Menschen eröffnet, denen ich begegne,
ein Lachen mit ihnen teile, ihnen in die Augen schaue mit
einem Wort oder zwei Sätzen als «Aufsteller».

Danke für alle Zuversicht, die von dir kommt.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

19. September

Es begab sich aber zu der Zeit, dass Jesus auf
einen Berg ging, um zu beten; und er blieb über
Nacht im Gebet zu Gott.
Lukas 6,12

Jesus sah ungefähr aus wie ein Flüchtling aus Syrien, nicht wie
unzählige Altarbilder es uns weis(s)machen. Wenn er blond
gewesen wäre, hätten sie es überliefert. Ist das Jesusbild vor
den inneren Augen aber einmal geprägt, kann man es nur
unter grosser Anstrengung neu zeichnen.
Das betrifft nicht nur sein Auftreten, sondern noch viel
mehr sein Wirken. Ich sehe Jesus beim ersten und zweiten
Gedanken immer unterwegs, auf einem staubigen Weg, bei
einem Essen, zu dem er sich selbst eingeladen hat, immer
mitten unter den Leuten, überall und nirgends, verwickelt
in unzählige Gespräche und Geschichten mit Freundinnen
und Freunden, mit Pharisäern, mit Feinden, mit Unbekannten.
Er ist initiativ, aktiv, natürlich auch am Sabbat zum
Wohle der Menschen. Viele Nachfolgerinnen und Nachfolger
haben sich seither in erster Linie an diesem Aktivismus
orientiert und haben deshalb sehr viel gearbeitet. Gerade
lese ich in einem Buch zur jüngsten Diakoniegeschichte,
wo ein pensionierter Unternehmensberater bekennt: «Der
Grat zwischen dem protestantischen Arbeitsethos und
ungebremster
Betriebsamkeit und Selbstausbeutung ist
schmal.» (Freimut Hinsch)
Jesus betet eine ganze Nacht, er nimmt sich Zeit, obwohl es
selbstverständlich viel zu tun gäbe. Das gibt mir zu denken.

Von: Dörte Gebhard

18. September

Paulus schreibt: Ich bitte euch, vor Gott einzutreten
für alle Menschen in Bitte, Gebet, Fürbitte und
Danksagung.
1. Timotheus 2,1

Als unsere Kinder klein waren, sprachen wir mit ihnen täglich
ein Abendgebet. Darin kamen die Menschen vor, die
uns tagsüber begegnet waren, im Kindergarten oder daheim
auf Besuch. Am Schluss musste es eine Zusammenfassung
geben, denn oft waren es viel mehr, als vor dem Einschlafen
noch einzeln aufgezählt werden konnten. So beendeten wir
das Gebet mit den Worten «… und für alle, die wir kennen»,
worauf unser Sohn eines Tages diesen Schluss wiederum
ergänzte mit «… und für alle, die wir nicht kennen». Wir
behielten das bei, denn nur so wird wirklich für alle gebetet.
Im 1. Timotheusbrief wird eine schwere Aufgabe gestellt,
die man leicht überliest, wenn man gleich überlegt, was es
denn zu bitten und zu danken, zu klagen und zu loben gibt.
Der Horizont ist viel weiter, als wir manchmal meinen, wenn
wir zum Beten die Augen schliessen. Es soll für alle gebetet
werden: für die Lieben, die Liebsten, die Familie, und für die
Fremden und Fernen auch. Fürbitte halten wir gern für die
Sympathischen und Vertrauten, aber für die Unfreundlichen
und Mühsamen kommt es erst recht darauf an. Natürlich
fallen uns sofort die Alten und die Armen, die Schutzlosen
und Ohnmächtigen ein, aber beten wir genug für einen Herzens-
und Sinneswandel der Diktatoren und Folterer, der
Gewalttäter und Terroristen? Sie sind auch Menschen, daher
bitten wir auch für sie, dass Gottes Wille geschehe.

Von: Dörte Gebhard