9. Februar

Du Menschenkind, alle meine Worte, die ich dir sage, die fasse mit dem Herzen und nimm sie zu Ohren! Hesekiel 3,10

Es ist viel von Härte die Rede in diesem dritten Kapitel. Die Menschen sind im Exil hart geworden. Hartherzig, verhärtet, versteinert. Ezechiel kann man übersetzen mit: Gott möge hart machen. Den harten Menschen soll also der gestählte Prophet selbst mit Härte entgegentreten und ihnen Gottes Wort entgegenschleudern. Dass die Kommunikation nicht klappen wird, ist bereits vorgesehen. Trotzdem muss Ezechiel gehen, trotzdem muss er ausrichten, was Gott ihm freundlich und durchaus bekömmlich aufträgt. In scharfem Gegensatz steht das Reden Gottes mit seinem Boten zur Predigt an ein Volk, das mit dem Glauben nichts mehr am Hut hat.
Auch wenn heute der Bedeutungsverlust der Kirche innerkirchlich oft beklagt wird: Ihre Botschaft hat nie sehr viele wirklich interessiert. Was Jesus sagte, ist überall da, wo mehr besser ist als weniger, nicht brauchbar. Die Härte, die es in all den Haifischbecken von Politik, Sport und Wirtschaft braucht, verträgt sich schlecht mit der Aufforderung, die Liebe an die erste Stelle zu setzen. Aber wir Glaubenden dürfen nicht hart werden, im Sinne der von Gott enttäuschten Vertriebenen. Sondern hartnäckig freundlich verkörpern, dass die besten Momente im Leben die sind, in denen Begegnungen gelingen; in denen ich verstehe und verstanden werde.

Von: Heiner Schubert

8. Februar

Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder,
der gnädige und barmherzige HERR.
Psalm 111,4

Auch bei Psalm 111 geht es heroisch weiter. Dieser Gott lässt uns nicht los, wenn wir ihn denn ernst nehmen! Seine Gebote sollen für alle Zeiten Bestand haben. Er hat sein Volk befreit, und sein Bund mit ihm gilt für immer …
Wenn ich in die Welt schaue, habe ich nicht gerade das Gefühl, dass da sehr viele bundestreue Menschen sind. Oder anders gesagt, Menschen, die diesen Gott noch ernst nehmen. Aber was meint denn «ernst nehmen»? Für mich bedeutet es, diesen Gott mitzunehmen auf die Reise des Lebens und zu versuchen, Liebe zu streuen auf diesen Lebenswegen. Konkreter: Für mich ist das Evangelium eine Richtschnur für das gelingende Leben zusammen mit allen Lebewesen auf diesem Planeten. Es geht um gute und ehrliche Gemeinschaft, es geht um Frieden, es geht um Bewahrung der Schöpfung und unserer eigenen Art. Es geht darum, sich nicht als Gott aufzuspielen, auch wenn wir nach göttlichem Abbild geschaffen worden sind. Es geht darum, sich für andere zurückzunehmen und mit dem Schlüssel, der da Liebe heisst, zu versuchen, diese eine Welt zu einem besseren Ort zu machen bei allem, was wir hier auf Erden tun und anstellen.
Dieser eine Gott hat meiner Meinung nach diese Geschichten überliefern lassen, damit wir beim Lesen immer wieder an die goldene Richtschnur erinnert werden und nicht nur aus Eigenzweck existieren und am Ende einsam sterben.

Von: Markus Bürki

7. Februar

Gott, du bist mein Gott, den ich suche.
Es dürstet meine Seele nach dir.
Psalm 63,2

Psalm 63 ist eine Liebeserklärung an Gott. An den einen Gott, den wir suchen. Es gibt viele Götter unter dem Himmel, aber im jüdisch-christlichen Kontext reden wir von dem Einen, der sich gezeigt hat in Jesus, unserem geglaubten Christus, der ganz Mensch geworden ist und sich zu uns herabgelassen hat in unser irdisches Gewusel. Ganz nahe zu uns Menschen ist er gekommen. Das finde ich immer wieder wunderbar, weil es unseren Gott so verletzlich, echt und glaubwürdig macht. Gott ist einer von uns!
Ja, auch mich dürstet es immer wieder nach diesem Gott. Im Gebet, im Alltag, auf der Arbeit – überall versuche ich diesen einzigartigen Gott zu erhaschen und immer wieder gehe ich leer aus, bin am Abend einfach nur erschöpft, genervt und eigentlich überfordert mit all den Anforderungen. Wo ist der eine Gott? Psalm 63 geht dann noch weiter. Alle, die meinen Untergang wünschen, werden dank meines Gottes selber ins Totenreich hinabsteigen müssen, dem Schwert ausgeliefert und den Schakalen zum Frass vorgeworfen werden. Ja, dieser eine Gott kann auch ziemlich zornig werden. Es macht den Anschein, dass ich mit diesem einen Gott wirklich über Mauern springen und Bäche durchschwimmen kann, weil er mich nicht allein lässt. Und doch falle ich immer wieder auf den Boden der harten Realität zurück und schürfe mich auf. Dieser eine Gott ist mir leider oft (zu) fern. Beten, Stille, Bibelstudium können weiterhelfen.

Von: Markus Bürki

6. Februar

Der HERR sprach: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. 1. Mose 8,21

Wie kann Gott darauf reagieren, dass im Denken des Menschen schlechte Pläne entstehen? Der Text von der grossen Flut stellt zwei verschiedene Optionen dar. Am Anfang der Erzählung bereut Gott, dass er den Menschen geschaffen hat. Denn «alles, was in seinem Planen und Denken geformt wird, ist nur böse den ganzen Tag» (1. Mose 6,5). Gott beschliesst, den Menschen vom Erdboden «wegzuwischen». Allerdings nicht ganz – in der Arche überlebt Noah mit seiner Familie. Das Losungswort steht dann am Ende der Flut-Erzählung. Jetzt entscheidet sich Gott für die zweite Möglichkeit: Nie wieder! Zwar hat sich wenig daran geändert: «Was im Denken des Menschen geformt wird, ist böse von seiner Jugend an.»
Aber nun kommt Gott in einem Selbstgespräch zu einem ganz anderen Schluss: «Nicht noch einmal werde ich die Erde verfluchen wegen dem Menschen. Und nicht noch einmal werde ich alles Lebendige schlagen, wie ich es gemacht habe.» Gott entscheidet sich, die Verfehlungen des Menschen zu ertragen, und gibt dem Leben eine dauerhafte Zukunft. Er wird es nie wieder zulassen, dass falsche Pläne des Menschen zur vollständigen Vernichtung führen. So bekommt der Mensch die Chance, aus Fehlern zu lernen.

Von: Andreas Egli

5. Februar

Der Knecht Gottes sprach: Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Jesaja 50,6

Der Prophet hat die Berufung, zu den Menschen zu reden, sodass sie neue Kraft finden, wenn sie müde sind (Vers 4). Gestärkt werden soll die Hoffnung, dass Gott zurückkehrt nach Jerusalem, dass es für das Volk eine Zukunft gibt. Aber nicht alle Angesprochenen sind für die gute Botschaft empfänglich. Bei denen, die gar keine Hoffnung mehr haben, kann die Niedergeschlagenheit in offene Aggression umschlagen. Der Prophet bekommt diesen Widerstand zu spüren. Leute geben ihm Schläge auf den Rücken, sie wollen die Haare seines Barts ausreissen. Sie beschimpfen ihn und spucken ihm ins Gesicht. Er lässt sich vom Gegenwind nicht entmutigen, sondern bleibt standhaft bei seinem hoffnungsvollen Auftrag.
Was gibt ihm die Kraft dazu? Die eine Kraftquelle ist, dass er als «Knecht» gelernt hat, auf Gott, seinen Herrn, zu hören –
immer wieder, jeden Morgen neu. Die zweite Kraftquelle ist die Überzeugung, dass diejenigen, die gegen ihn sind, nicht das letzte Wort haben werden. Weil Gott dem Propheten beisteht, werden sie ihm sein Vertrauen, seine Würde, seine innere Stärke nicht wegnehmen.
Alle Menschen, die Gott mit Ehrfurcht begegnen, können dies vom Knecht Gottes lernen.

Von: Andreas Egli

4. Februar

Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeisst? Jeremia 23,29

Feuer bringt Wärme – Feuer kann zerstören. Ein Hammer ist ein Werkzeug – ein Hammer kann zerschmeissen. Jeremia führt einen Diskurs mit anderen Propheten. Er spricht von Lüge, von Zerwürfnis. Er ist ein theologisch gebildeter Priester und Prophet. Aber, so scheint es mir, er ist vor allem überzeugt von Gottes Wort. Es geht vor allem um das Bekenntnis, dass Gott in der Welt wirksam ist, bei den Menschen ist und auf ihrer Seite steht. Gott, die Lebendige, greift ein in das Geschehen der Welt. Was will Gott uns heute sagen? Diese Frage stellt Jeremia, und diese Frage beschäftigt mich immer wieder neu. Wie kann ich die Stimme der Lebendigen hören? Wo ist diese lebendig machende Stimme in unserer Welt? Die einen finden sie im Diskurs mit anderen Menschen. Andere finden sie in der Stille, im Gebet. Für mich ist dies wichtig, denn ich bitte um den guten Geist Gottes, dass er mich begleitet, nährt und meinen Glauben stärkt. Ich bin dankbar, dass ich mit dieser Bitte nicht allein bin. Zwar sitze ich nicht am Feuer, sondern gehe meinen Weg in der Welt. Die Stimme der Lebendigen hilft, diesen Weg zu gehen.
Schenke du uns die Kraft, immer wieder neu auf deine Stimme zu hören und daraus Vertrauen zu schöpfen.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

3. Februar

Die Hand Gottes war über uns, und er errettete uns. Esra 8,31

Das Buch Esra berichtet über zwei Rückkehren. Die Ausgewanderten wussten die Hand Gottes über ihnen. Und sie hielten inne für ein Fasten. Die Hand Gottes sollte sie ganz beschützen. Sie brauchten kein militärisches Geleit und keinen anderen Schutz. Kann es sein, dass sie eine Kultur der Gewaltfreiheit lebten? Oder ist das nur ein frommer Gedanke von mir? Ist es nur ein Traum, dass Menschen ohne Vorurteile leben, ohne Ausgrenzung, ohne Angst voreinander?
Gerne versuche ich eine Umkehrung: leben mit offenem Herzen und offenen Augen, das Gute in den Menschen und ihrer Kultur entdecken, die eigenen Ängste benennen und mit Freund:innen besprechen; Negatives abbauen und durch wertvolle Erfahrungen ersetzen. Ich träume von einer Kultur der Gewaltfreiheit bei uns und weltweit. Und ich träume von der Kraft, die von der Lebendigen geschenkt wird, durch ihre Hand, die mich beschützt und stärkt. Träume helfen, immer wieder Schritte in Richtung Frieden und Gerechtigkeit zu tun, weil sie Ziele setzen, Ziele, die unerreichbar scheinen. Der Glaube an die schützende Hand Gottes ist ein Ziel, das wir manchmal spüren und manchmal einfach darum ringen dürfen.
Halte du deine Hand über uns und über deiner ganzen Schöpfung.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

2. Februar

Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Hebräer 11,8

Abraham wurde hochbetagt seiner Sicherheiten beraubt. Als er dachte, alles im Leben schon hinter sich zu haben, hatte er mehr Ungewissheit vor sich, als er sich vorstellen konnte. Er wusste nicht, was kommt, aber er zog los.
Später zog er weiter, weil eine Hungersnot kam, weil er sich also in einen Wirtschaftsflüchtling verwandeln musste (Genesis 12,10). Aber: «Freude aus Verunsicherung ziehn – wer hat uns das denn beigebracht?» (Christa Wolf)
Abraham hat diese Zuversicht unmittelbar von Gott gelernt. Der Hebräerbriefschreiber und der amerikanische Psychologe H. B. Gelatt finden, wir sollten es auch lernen. Gelatt schrieb schon vor 35 Jahren: «Vor einem Vierteljahrhundert war die Vergangenheit bekannt, die Zukunft vorhersagbar, und die Gegenwart veränderte sich in einem Schrittmass, das verstanden werden konnte. […] Heute ist die Vergangenheit nicht immer das, was man von ihr angenommen hatte, die Zukunft ist nicht mehr vorhersehbar, und die Gegenwart ändert sich wie nie zuvor.»
Gelatt täuschte sich ein bisschen, denn herausfordernde Zeiten gab es immer, sie sind nicht neu. Abraham täuschte sich nicht: Auf Gott ist Verlass. Denn er kommt mit, heraus aus allem, was war, seien es auch Vaterland und Muttersprache, hinein in alles, was kommt. Alter schützt vor Neugier nicht.

Von: Dörte Gebhard

1. Februar

Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. Römer 14,9

Eine stark lädierte Schuppentür aus Holz, aus den Angeln gerissen, liegt am Boden. Teufelchen, die aussehen wie eine Kreuzung aus Eidechsen und Eichhörnchen, wuseln aufgeregt herum, können aber nichts mehr ausrichten. In der Mitte steht Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, der die Toten aus ihrem Reich ins ewige Leben führt. Er fängt bei Adam und Eva an. Dieses (farben-)frohe Bild in all seinen Variationen illustriert den trockenen Text im Apostolischen Glaubensbekenntnis: «hinabgestiegen in das Reich des Todes». Der Abstieg Christi in die Unterwelt ist ein bedeutendes Motiv in der christlichen Ikonografie und ist in den orthodoxen Ostkirchen bis heute das wesentliche Osterbild.
Die Vorstellung mag naiv scheinen. Der Trost dahinter ist es nicht. Die Toten werden nicht sich selbst und dem Tod überlassen. Sie werden herausgerissen ins künftige Leben.
Wenn Sie nun die langen Reihen der Verstorbenen vor sich sehen, kommen Ihnen gewiss zuerst Ihre Lieben entgegen. Dann aber die ganz anderen, die man nie mehr wiedersehen wollte. Sie können nun nicht weiterleben und weitermachen wie zuvor, denn Christus ist der Herr und die «Hölle» künftig leer. Gisbert Greshake schreibt, wieder ganz trocken: «Indem Gott selbst in den Machtbereich des Todes tritt, hört dieser auf, die Zone der Gottesferne, der Beziehungslosigkeit und Finsternis zu sein.»

Von: Dörte Gebhard

Mittelteil Januar / Februar

Gedanken zur Jahreslosung von Hans Strub

Prüft alles und behaltet das Gute! 1. Thessalonicherbrief 5,21

«Heb der Sorg! Und bhüeti Gott!» So sagte meine Grossmutter
oft beim Abschied. Die vertrauten Wünsche taten
gut. Aber je älter ich wurde, desto weniger verstand ich, was
damit gemeint sein sollte. Anders als im «Behüte dich Gott»,
mit dem ich dem Schutz einer anderen, höheren Instanz
anbefohlen wurde, erhielt ich mit dem ersten Satz einen,
wie mir schien, unmöglichen Auftrag: Was war eigentlich
gemeint? Wie könnte ich das selber bewirken für mich? Es
dauerte einige Zeit, bis ich merkte, dass mir damit nicht nur
Verantwortung für mein eigenes Leben übertragen, sondern
auch die Freiheit zugesagt wurde, mit ihm zu machen, was
mir geeignet oder tauglich schien für meine Gegenwart und
Zukunft. Ich bin zugleich schutzbedürftig und selbstverantwortlich.
Ich darf mit Gottes Behütung rechnen, und ich
darf, nein, ich muss! auch für mich selbst sorgen.

Die Quelle
Am Ende des ältesten überlieferten Paulusbriefs (und damit
des ältesten Textes im Neuen Testament!) stehen vor den
Grussworten einige knappste Sätze, die sich wie eine Zusammenfassung
von Verhaltensweisen lesen, die sich aus dem
neuen Glauben ergeben, der im Leben, in den Handlungen
und den Worten des Jesus von Nazareth gründet. Von ihm
Mittelteil
ist Paulus bekehrt worden – nun wird aus dem Bekehrten
der leidenschaftliche Verkünder seiner Taten und Reden. An
die kürzlich gegründete Gemeinde in Saloniki (Griechenland)
schreibt er:
«Freut euch immer, hört nicht auf zu beten, sagt Dank in
jeder Lage, denn dies will Gott von euch in Christus Jesus.
Löscht die Geistkraft nicht aus, verachtet Prophezeiungen
nicht, doch prüft alles und behaltet das Gute. Haltet euch
vom Bösen fern, wie auch immer es aussieht!» (Übersetzung
aus «Bibel in gerechter Sprache» und «Basisbibel»)


Das Gute
Das Gute (griechisch: to kalón) meint das, was für mich
taugt, was meinem Leben gleichzeitig Boden und Zukunft
geben kann. Was zu mir passt, für mich also geeignet ist, gut
ist für das Eigene, was meiner äusseren und inneren Lebensform
entspricht, was meine «persona» (so, wie ich bin im
umfassenden Sinn) unterstützt und fördert. Das also, was
ich brauche, um so zu leben, wie es in mir angelegt ist und
wie ich es mir angeeignet und damit zu einem integralen,
unablösbaren Teil meines Selbst gemacht habe.


Prüfen
Das kommt mir aber nicht automatisch zu, von selbst, von
aussen oder vom Himmel geschickt, sondern da werde ich
nun eingeladen (oder noch mehr: aufgefordert, gar herausgefordert),
alles, was um mich ist, was auf mich zukommt,
was mir attraktiv erscheint, was mich begeistert … genau
anzuschauen, zu erwägen, eben zu «prüfen» (griechisch:
dokimázete). Also nicht spontan, ohne nachzudenken etwas
nehmen und mir zu eigen machen, mich etwas hinzugeben,
für das ich später Begründungen finden muss, die mir selber
nicht mehr klar werden, zum Beispiel einer Sache, einer verlockenden
Aufgabe, einer politischen Idee oder einer auf den
ersten Blick schlüssigen Theorie. Das «Prüfen» ist zweifellos
ein wichtiger Vorgang, aber auch ein oft zu schwerfälliger,
der mich geradezu am Leben hindert.


Behalten
Da kommt mir das andere Verb im kurzen Satz entgegen:
«behaltet» (griechisch: katéchete). Es hat für mich einen liebevollen,
entgegenkommenden, entlastenden Oberton: Haltet
das, was sich beim Prüfen als Ergebnis ergeben hat, erst
einmal fest – und testet es aus. Beobachtet genau, wie es bei
euch und in euch, auf euch und durch euch wirkt. Nehmt es
als vorläufige Orientierung und schaut, ob es wirklich taugt.
Seid dabei aufmerksam und selbstkritisch und seid ehrlich
bereit, allfällige Unstimmigkeiten, Ungenauigkeiten festzustellen
und zu verändern (im Unterricht in Chemie und
Physik habe ich gelernt, dass das Experiment immer recht
hat!). Das bedeutet dann halt, den ganzen Prozess erneut
zu starten und durchzuziehen, auch wenn’s mühsam ist …

Für alle
Ein Weiteres kommt hinzu: Erst im letzten Abschnitt habe
ich das Briefzitat wirklich wörtlich genommen: Es ist im
Plural geschrieben und an die junge Gemeinde in Thessalonich
gerichtet. Es passt durchaus auch auf jede/jeden Einzelnen,
aber hier spricht Paulus ganz klar von «ihr/euch».
Das heisst, dass der beschriebene Prüfprozess als Gemeinde,
als Gemeinschaft durchlaufen werden soll – die gewählten
Verbformen sind eindeutige Imperative und meinen, dass
das zu einer Gemeinde in der Nachfolge Christi gehört.
Fast alle Anweisungen im Alten und im Neuen Testament
sind im Plural formuliert, zentrale Beispiele sind die Zehn
Gebote oder das Unservater. Der Glaube, von dem die ganze
Bibel spricht, ist kein individualistischer, sondern er ist auf
die Gemeinschaft der Glaubenden gerichtet. Und darüber
hinaus letztlich auf alle anderen und auf die ganze Welt.
Wenn in der Jahreslosung vom Prüfen und Behalten die
Rede ist, dann geht das also weit über das Persönliche hinaus;
es ist eingeschlossen und mitgemeint, aber die Anforderungen
und Herausforderungen erschöpfen sich nicht darin. Sie
betreffen das Leben aller Menschen (im ersten Testament
steht dafür sehr oft der Begriff «Volk»), wo immer sie auch
sind, was immer sie auch beschäftigt, wo immer auch Armut
herrscht oder Ungerechtigkeit oder Krieg. Das ist immer
etwas, das die ganze Gemeinde betrifft.


Für heute
Oder für heute übersetzt: alle Kirchen und Gemeinschaften
von Menschen, die ganze Politik. Es gibt keine Bereiche, die
nur bestimmte Gruppen etwas angehen. Im «ihr/euch» sind
immer alle dabei. Hunger oder Krieg gehen alle etwas an.
Und alle sind aufgerufen, hier das Rechte zu tun!
Politisches Denken ist den Glaubenden genauso aufgetragen
wie diakonisches Handeln gegenüber den Schwachen
der ganzen Gesellschaft.


Wünsche
«Heb der Sorg! Und bhüeti Gott!»
Die eingangs wiedergegebenen Wünsche auf den Weg sind
zwar individuell adressiert, aber eigentlich stehen sie in
einem viel weiteren Rahmen.
«Hebed euch Sorg!» und «Bhüet euch Gott!»
So betreffen die Wünsche den Weg der ganzen Gesellschaft
dieser Welt. Uns allen ist Gottes Schutz zugesagt, uns allen
kommt die Aufgabe zu, zu prüfen, was für alle jetzt gut und
tauglich ist, damit die Welt eine gute Zukunft hat!
Auf ein gutes Jahr!

Von: Hans Strub