Es kommt die Zeit, da werde ich meinen Geist ausgiessen über alle Menschen. Joel 3,1
Der Prophet Joel schreibt, wie man sich dieses Ausgiessen des Geistes vorzustellen hat: Die Menschen, alte und junge, mächtige und dienende, werden Träume und Visionen haben und weissagen. Dies wird begleitet von Feuer und Rauch und einer sich verfinsternden Sonne. Es ist der Auftakt zum Tag des Herrn, der Gericht halten wird.
Träume und Visionen: welcher Art? Solche, die die Menschen überwältigen, sie klein, gottesfürchtig und demütig machen? Oder Bilder, die sie befreien von allen irdischen Bindungen?
Ein anderes Bild, ein Gegenbild: Eine Bekannte malt jedes Jahr eine Weihnachtskarte mit einer Krippe, sie liegt nun neben mir. Auch auf diesem Bild ist die Lebensrealität eine einstürzende Welt, abstrakte Formen, die an zerstörte Häuser erinnern, rahmen die Szene ein. In der Mitte gehen Josef und Maria, sie trägt das Kind, er trägt ein Schaf und legt den Arm um sie. Sie schauen nicht auf das Kind, sie schauen um sich, als müssten sie sich vor herabstürzenden Brocken in Sicherheit bringen. Aber hinter ihnen ist ein goldenes Licht, man weiss nicht, kommt es von ihnen oder kommt es auf sie herab. Auch auf diesem Bild, das mit «Anno 2024» betitelt ist, sind Katastrophe und Göttlichkeit ganz nahe beieinander. Das Göttliche hält hier kein – nach Joel: reinigendes – Gericht, aber es leuchtet, es ist da.
Von: Katharina Metzger