17. Juli

Heile du mich, HERR, so werde ich heil;
hilf du mir, so ist mir geholfen.
Jeremia 17,14

Jeremia, der so wortstarke Prophet, hadert. Er spricht im
Namen Gottes, aber er ist plötzlich unsicher, ob ihn dieser
Gott auch in Schutz nimmt vor den bösen Worten, die er
entgegennehmen muss (Verse 14–18). Er bittet Gott um
Hilfe, dass es ihm besser gehe. Seine fast verzweifelten Worte
machen klar, dass diese Hilfe nur noch von Gott kommen
kann. Er selbst hat getan, was er tun konnte – gegen die
Anwürfe seiner Gegner fühlt er sich allein, ja, eigentlich
im Stich gelassen. Das gipfelt dann im Ausruf «Werde mir
nicht zum Schrecken», den er aber gleich etwas zurücknimmt
und Gott ermahnt, ihm Heilung zukommen zu lassen
(Vers 17). Und im Vers 18 setzt er dann zum ultimativen
Wort-Schlag an: Zerschmettere sie mit doppelter Wucht. Es
muss schlimm aussehen in seiner Seele, aber er hofft und
bittet, fleht geradezu um Hilfe. Und braucht dabei die etwas
merkwürdige Formulierung: Hilf mir, damit mir geholfen ist.
Er bittet um Kraft für Standhaftigkeit, für Widerständigkeit
zum Durchhalten dieser schwierigen Periode.
Es gibt Zeiten, da spricht mir Jeremia aus dem Herzen;
auch wenn ich es möchte, reichen die eigenen Kräfte oftmals
nicht, um auszuhalten, was mich bedrängt. Jeremia ermutigt,
in solchen Momenten Gott anzurufen und zu vertrauen,
dass Gott hört und erhört.

Von: Hans Strub

16. Juli

Wenn der HERR nicht die Stadt behütet,
so wacht der Wächter umsonst.
Psalm 127,1

Dreimal steht «umsonst» am Anfang dieses kurzen Weisheitslieds.
Umsonst sind meine Bemühungen um einen
naturnahen Lebenswandel oder um einen Hausbau oder gar
für eine sichere Bewachung meiner Stadt, wenn nicht Gott
dabei ist. Wenn nicht Gott dieses Bemühen stützt und segnet.
Wenn nicht Gott will, dass das, was ich unternehme, gut
kommt. Oder andersherum: wenn ich nicht Gott in mein
Handeln miteinbeziehe, wenn ich nicht darüber nachdenke,
wie das, was ich im Sinn habe, in Gottes Augen aussehen
könnte. Die eingängigen Bilder haben Wirkung. Weil ich nicht
möchte, dass das, was ich tue, umsonst ist, plane ich mit Gott.
Wie aber stelle ich sicher, dass Gott das, was ich möchte,
auch will? Darauf gibt es keine sichere Antwort und keine
eindeutige Botschaft vom Himmel her. Ich verspüre in solchen
Situationen, wenn ich ehrlich bin und es zulasse, eine
Art von diffusem Unbehagen oder schwerem Herzen, Signale,
die mir eigentlich kaum entgehen, die ich aber gar nicht
immer annehmen will. Im Gegenteil: Ich suche nach Ausflüchten
oder schiebe Entscheidungen auf in der Hoffnung,
dass «es» etwas später dann «irgendwie geht» … Denn ich
möchte ja nicht, dass mein Planen umsonst ist.
Mach mich frei, Gott, zum Wahrnehmen dessen, was «recht»
ist vor dir, und gib mir die Kraft, es dann zu tun.

Von: Hans Strub

15. Januar

Die Stunde kommt, und sie ist jetzt da, in der die
wahren Beter in Geist und Wahrheit zum Vater beten
werden.
Johannes 4,23

Als Rabbi Jischmael sich aufmachte, um Gott in Jerusalem
anzubeten, begegnete ihm ein Samaritaner und fragte ihn:
«Wäre es nicht besser für dich, auf diesem gesegneten Berg
zu beten als auf jenem Misthaufen?» Mit dem «gesegneten
Berg» meinte er den Garizim, den heiligen Berg der Samaritaner.
Der Jerusalemer Tempelberg hingegen war aus samaritanischer
Sicht ein «Misthaufen». – Der kleine interreligiöse
Dialog macht deutlich, wie tief der Graben zwischen Juden
und Samaritanern damals war. Dass der jüdische Mann Jesus
in der Szene, aus der der heutige Lehrtext stammt, mit einer
samaritanischen Frau in Dialog tritt, ist eine Grenzüberschreitung
sondergleichen.
Nichtsdestotrotz bleibt Jesus der Mensch jüdischer Herkunft,
der er ist: «Das Heil», sagt er, «kommt von den Juden»
(Vers 22). Doch dann transzendiert er diese chauvinistische
Position, transferiert sich selber in jenes grenzenlose Drüben,
das in ihm hier schon, heute schon angebrochen ist. Dass das
Gebet «in Geist und Wahrheit» vollzogen wird, setzt den
Ich-Tod voraus, in dem alle personalen, lokalen, nationalen
Eigeninteressen überwunden sind. Im Johannesevangelium
wird dieser Ich-Tod symbolisiert durch das «Weggehen»
Jesu Christi: Wenn er gehe, sagt er selbst, entstehe Raum für
den «Geist der Wahrheit», der kommt (Johannes 16,7–13!).

Von: Andreas Fischer

14. Juli

Meine Geliebten, flieht die Verehrung
der nichtigen Götter!
1. Korinther 10,14

Derzeit planen wir in unserer Kirche die Erstellung eines
Mandalas durch tibetische Mönche. Doch es gibt Einwände.
Sie entsprechen dem paulinischen Appell: Wir sollen in
unserem christlichen Gotteshaus keinen fremden Göttern
huldigen. Theologisch vermag ich mich gegen das Totschlagargument
nicht zu wehren. Doch mich beeindrucken die
Mönche, die ich von früheren Mandala-Aktionen her kenne,
ihre Einfachheit, ihr Humor, ihre Demut. Ich wünschte, ich
könnte selber aus derartigen spirituellen Quellen schöpfen.
Ausserdem hat mich das Schlussritual tief berührt: Wie sie
das Mandala, an dem sie eine Woche lang konzentriert gearbeitet
hatten, verwischten und den Sand dem nahegelegenen
Rhein übergaben.
In anderem Zusammenhang ist der paulinische Appell
für mich durchaus persönlich bedeutsam: Wenn mit den
«nichtigen Göttern» der Mammon gemeint ist oder woran
sich das menschliche Herz sonst noch so hängen mag, dann
leuchtet mir der urbiblische Befehl ein, keine anderen Götter
neben der einen Gottheit zu haben. Gerade hier aber ist
die Schlusszeremonie der tibetischen Mönche eine wegweisende
spirituelle Praxis. Sie entspricht den Worten des
christlichen Mönchs und Mystikers Meister Eckhart:
«Wer sich selber gelassen und nichts für sich behalten hat,
der hat alles; denn nichts haben, das ist alles haben.»

Von: Andreas Fischer

13. Juli

HERR, von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts,
ja, mit meinem Geist suche ich dich am Morgen.

Jesaja 26,9

In der Zürcher Übersetzung lautet der Vers, treuer dem Originaltext
folgend: «Mit meiner Seele verlange ich nach dir in
der Nacht, ja ich suche nach dir mit meinem Geist in meinem
Innern.» Er gehört zu einem Jubellied, in dem Dankbarkeit,
Hoffnung und Vertrauen auf Gott in ausdrucksstarken Bildern
besungen werden (Kapitel 26). Unser Vers nun stimmt
einen anderen Ton an. Eine sehr persönliche, fast intime Szene
wird uns vor Augen gemalt: ein Mensch in der Dunkelheit der
Nacht, allein mit sich und seinen Gedanken, vielleicht unruhig
und verzagt, umgetrieben von Sorgen und Ängsten …
Was hilft, was rettet «im Dunkel unserer Nacht»?
Eine Patientin im Krankenhaus erzählt: «Verse und
Gedichte helfen mir, die alten Lieder, die ich mir still vorsage
…» Eine andere sagt: «Ich bete jeden Abend. Das beruhigt
mich.» Meine eigenen Versuche, das Dunkel mancher
Nächte zu bestehen, sind so ähnlich: Lieder, Psalmen, Beten:
«Mit meiner Seele verlange ich nach dir in der Nacht, ja ich
suche nach dir mit meinem Geist in meinem Innern.»
Wie die sehnsüchtige Suche des Beters/der Beterin gestillt
wird, bleibt offen. Vielleicht ist ja die inständige Suche, das
sich Ausrichten von Herz, Seele und Geist auf Gott, die
Ewige, den Weg. «So ihr mich von ganzem Herzen suchet,
so will ich mich finden lassen, spricht unser Gott», klingt es
im «Elias» von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Von: Annegret Brauch

12. Juli

Jetzt ist sie da, die ersehnte Zeit,
jetzt ist er da, der Tag der Rettung.
2. Korinther 6,2

Bedenkt man die Streitigkeiten, die damals in der Gemeinde
in Korinth ausgefochten wurden, und die Anfeindungen, die
Paulus von seinen Gegnern ertragen musste, dann ist das ein
erstaunliches Wort: «Jetzt ist sie da, die ersehnte Zeit, jetzt
ist er da, der Tag der Rettung.» Paulus unterstreicht damit,
was er zuvor über die verändernde, weltbewegende Kraft
der Versöhnung geschrieben hat, die mit und in Christus
in die Welt gekommen ist: «Ist jemand in Christus, so ist
er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues
ist geworden.» (Vers 17) Gott hat durch und in Christus
«das Wort von der Versöhnung» unter uns aufgerichtet
(Vers 19). Damit ist die Welt, wie wir sie kennen, sozusagen
auf den Kopf gestellt – oder auf neue Füsse. (vgl. Vers 21) Die
Botschaft von der Versöhnung ist – mit einem Begriff aus
der Organisationsberatung – eine «paradoxe Intervention»
Gottes. Sie stellt die Mechanismen, Regeln und Gesetzmässigkeiten
von Erfolg, Einfluss und Macht auf den Kopf, führt
sie ad absurdum. Sie zeigt: Nicht im «immer mehr vom
Gleichen» (mehr Waffen, mehr Quote, mehr Erregung und
Aufmerksamkeit usw.) liegt die Lösung für die Welt und ihre
Rettung, sondern in der paradoxen, schwierigen, fröhlichen,
beharrlichen Arbeit an der Versöhnung als Botschafter:innen
an Christi Statt (Vers 20). Wo das geschieht, wie klein
und unscheinbar auch immer, «ist sie da, die ersehnte Zeit».

Von: Annegret Brauch

11. Juli

HERR, wenn ich an deine ewigen Ordnungen denke,
so werde ich getröstet.
Psalm 119,52

Der Psalmist erfährt Trost, wenn er an die ewigen Ordnungen
Gottes denkt. Gemeint sind die Gebote und Weisungen
der Tora. Sie sind denen, die sich daran halten, «ein
Licht auf dem Weg» und Quelle der Zuversicht. Der Psalmist
wird nicht müde, seine Freude darüber auszudrücken.
Ein wenig irritiert es den protestantischen Freiheitsliebhaber,
der die ewige Unordnung auf seinem Schreibtisch
betrachtet. Warum ist die Ordnung so wichtig? Weil es das
ist, was den Betern von Gott geblieben war, als weit und
breit keine Schlachtopfer oder Chöre für die religiöse Versorgung
bereitstanden. Im Exil hatte die Metzgerei geschlossen.
Darum das überschwängliche Lob des Wortes. Psalm 119 ist
nicht nur der längste aller Psalmen im Psalter. Was hier von
A bis Z durchbuchstabiert wird, ist ein trotziges Bekenntnis
zum Wort. Im Trost ist auch ein Trotz. Ist Gott noch im Regiment?
Es sieht nicht so aus. Andere blasen sich auf. Aber das
Gottesvolk hat die Erinnerung an das Ursprungswort und
hält sich an das Versprechen seiner kommenden Herrschaft.
Sich an der Erinnerung festhalten und auf die Zukunft ausrichten
öffnet den Glauben für die Gegenwart des Ewigen.
Aufgespannt und gehalten vom Wort, wächst die Hoffnung.
Ohne seinen Trost läuft der Trotz ins Leere und ohne das
tägliche Trotzen gegen die falschen Herrschaften wird der
Trost zur Vertröstung.

Von: Ralph Kunz

10. Juli

Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und
mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm
kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Johannes 14,23

«Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst
und nicht der Welt?» So fragt Judas. Der heutige Lehrtext
zitiert die Antwort Jesu. Sie ist einfach zu verstehen. Jesus
spricht zu denen, die ihn lieben. Dass er sie liebt, wissen
sie. Er wäscht ihnen die Füsse (Johannes 13,1–17), nennt sie
Freunde (Johannes 15,15). Aber lieben sie ihn? Liebt Judas
ihn? Eigentlich ist es seltsam, wie Jesus antwortet. «Wer mich
liebt, hält sich an mein Wort.» Die Umkehrung würde mehr
Sinn machen. Wer sein Wort hält, der wird von ihm geliebt.
Wer tut, was er sagt, findet Gnade. Die Umkehrung verschiebt
etwas, rückt die Beziehung in den Vordergrund. Ist
das die Antwort, auf die Judas hofft? Vielleicht hat er etwas
Pompöseres, ein Machtwort, eine Demonstration der göttlichen
Herrlichkeit erwartet, die alle überzeugt? Und jetzt
beharrt Jesus auf die Liebe zu ihm und verspricht die Liebe
des Vaters, die durch ihn kommt und als Geist einwohnt.
Die Liebe ist das Entscheidende. Jetzt sollen seine Freunde
verstehen, was die Welt nicht verstehen kann. Die Offenbarung
des Christus für die Welt folgt – aber nicht so, wie es
sich Judas vorgestellt hat. Das Kreuz ist der Beweis der Liebe
Jesu zum Vater. Er hält sich an sein Wort. Und später wird er
Petrus fragen: «Liebst du mich?» Vielleicht dachte Jesus an
Judas. Ich glaube, er hätte Ja gesagt.

Von: Ralph Kunz

9. Juli

Erschienen ist die Gnade Gottes, allen Menschen zum
Heil. Sie erzieht uns dazu, der Gottlosigkeit und den
Begierden der Welt abzuschwören und besonnen,
gerecht und fromm zu leben in dieser Weltzeit.

Titus 2,11–12

Zwei Verse aus dem Brief an Titus, in denen es um den
im Alltag gelebten Glauben geht. Paulus möchte in diesem
Brief dazu beitragen, in Korinth eine geordnete Gemeinde
aufzubauen.
Im ersten Vers wird uns Freude geschenkt. Wir dürfen uns
entspannen und loslassen, denn die Gnade Gottes ist allen
Menschen zum Heil erschienen. Aber bereits im zweiten
Vers wird die Freude über das Loslassendürfen getrübt. Die
Gnade Gottes erzieht uns. Das tönt nach Anstrengung. Wir
sollen dazu erzogen werden, besonnen, gerecht und fromm
zu leben. Das wollen wir zwar alle, schaffen es aber nicht
immer. Soll es dank der Erziehung durch die Gnade Gottes
möglich sein?
Ja, wir können diesen Vers positiv betrachten: Wenn wir
ein Kind erziehen, begleiten wir es. Wir zeigen ihm, wo es in
Sicherheit spielen kann und wo es etwas zum Lernen gibt.
Wir führen es zur Ruhe, bereiten ihm ein Nest der Geborgenheit,
wo es die vielen Eindrücke des Tages verarbeiten und
sich entspannen kann. Erziehung bietet einen Schutz- und
Lernraum und ermöglicht, in der Stille zu sich selbst zu finden.
Die Flut von Reizen, Begierden und Informationen darf
ruhen. Dank der Gnade Gottes, die uns erzieht.

Von: Monika Britt

8. Juli

Gott offenbart, was tief und verborgen ist. Daniel 2,22

Wenn ich mit Menschen darüber rede, welche Rolle die
Religion in unserem Leben eigentlich noch spielt, kommt
das Gespräch über viele Umwege meist dahin, dass wir sie
am ehesten noch dort beanspruchen, wo wir mit unserem
Verstand, unserem Wissen, aber auch über alle Angebote,
die unsere Gesellschaft uns an Rat und Dienstleistung zur
Verfügung stellt, nicht hinkommen. Obwohl in unserer säkularen
Welt die Kirche aus dem Leben der meisten Menschen
verschwunden ist und wir ihre einstigen Kernkompetenzen
wie Seelsorge, Spiritualität und die Rituale zur persönlichen
Einkehr und Lebensabschnittsgestaltung individuell organisieren,
geht es eigentlich immer noch um das genau Gleiche:
Wir suchen nach einer Instanz, die uns das Nicht-Greifbare
und Nicht-Offensichtliche erklärt: Was kommt nach dem
Tod? Wie überstehe ich eine Lebenskrise? Wie gestalte ich
einen schicksalhaften Moment in meinem Leben? Aber
auch: Wie lerne ich, meinen Alltag mit allen Herausforderungen
zu bewältigen? «Gott offenbart, was tief und verborgen
ist.» Wie einfach und doch klar, dieser Vers, der
uns eine Inspiration sein kann zum Innehalten in unserem
tagtäglichen Leben. Statt uns nur an den äusseren Pflichten
und Leitplanken zu orientieren, können wir uns vornehmen,
immer mal wieder eine Pause einzulegen und nach innen zu
horchen und dort nach dem Verborgenen zu suchen.

Von: Esther Hürlimann