23. März

Paulus sagt: Gottes Hilfe habe ich erfahren bis
zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge bei Klein und Gross.
Apostelgeschichte 26,22

Paulus ist in Gefangenschaft und rechtfertigt in einer Rede vor König Agrippa sein Dienen für Jesus Christus. Er beschreibt noch einmal seine Bekehrung, wie er als Verfolger der ersten Christen ein helles Leuchten am Himmel gesehen und die Stimme von Jesus vernommen habe und dadurch förmlich zu Boden geworfen worden sei. Jesus habe ihm dann gesagt: «Aber nun steh auf und stell dich auf deine Füsse!» Danach erwählt Jesus den gewandelten Paulus zu seinem Diener und verspricht ihm Schutz.
Ich bleibe an diesem Satz hängen: «Aber nun steh auf und stell dich auf deine Füsse.» Gerne möchte ich etwas nachspüren, was in diesem Satz für meine Ohren, meine heutigen Ohren, mitschwingt:
Aber nun steh auf und stell dich auf deine Füsse.
Bleib nicht am Boden liegen.
Warte nicht, dass ich dich aufhebe und trage.
Stell dich auf deine Füsse.
Schau um dich.
Schau auf den Weg, der dich hergebracht hat.
Schau auf den Weg, der vor dir liegt, unbekannt.
Schau auf deine Füsse, die hier stehen und dich tragen.
Und trage mich mit dir mit.

Von: Katharina Metzger

22. März

Es kommt die Zeit, da werde ich meinen Geist ausgiessen über alle Menschen. Joel 3,1

Der Prophet Joel schreibt, wie man sich dieses Ausgiessen des Geistes vorzustellen hat: Die Menschen, alte und junge, mächtige und dienende, werden Träume und Visionen haben und weissagen. Dies wird begleitet von Feuer und Rauch und einer sich verfinsternden Sonne. Es ist der Auftakt zum Tag des Herrn, der Gericht halten wird.
Träume und Visionen: welcher Art? Solche, die die Menschen überwältigen, sie klein, gottesfürchtig und demütig machen? Oder Bilder, die sie befreien von allen irdischen Bindungen?
Ein anderes Bild, ein Gegenbild: Eine Bekannte malt jedes Jahr eine Weihnachtskarte mit einer Krippe, sie liegt nun neben mir. Auch auf diesem Bild ist die Lebensrealität eine einstürzende Welt, abstrakte Formen, die an zerstörte Häuser erinnern, rahmen die Szene ein. In der Mitte gehen Josef und Maria, sie trägt das Kind, er trägt ein Schaf und legt den Arm um sie. Sie schauen nicht auf das Kind, sie schauen um sich, als müssten sie sich vor herabstürzenden Brocken in Sicherheit bringen. Aber hinter ihnen ist ein goldenes Licht, man weiss nicht, kommt es von ihnen oder kommt es auf sie herab. Auch auf diesem Bild, das mit «Anno 2024» betitelt ist, sind Katastrophe und Göttlichkeit ganz nahe beieinander. Das Göttliche hält hier kein – nach Joel: reinigendes – Gericht, aber es leuchtet, es ist da.

Von: Katharina Metzger

21. März

Es entstand auch ein Streit unter den Jüngern, wer
von ihnen als der Grösste gelten könne. Jesus aber sagte zu ihnen: Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Macht über sie haben, lassen sich als Wohltäter feiern. Unter euch aber soll es nicht so sein, sondern der Grösste unter euch werde wie der Jüngste, und wer herrscht, werde wie einer, der dient.
Lukas 22.24–26

Kain erschlägt seinen Bruder Abel ganz am Anfang der Bibel. Er hat Angst, zu kurz zu kommen, und blickt neidisch auf seinen Bruder. Das sitzt offenbar ganz tief drin in uns Menschen. Angst und Neid. Dasselbe bei den Jüngern Jesu. Ausgerechnet sie! Sie sind doch schon so lange mit Jesus mitgegangen und hätten eigentlich die neue Wirklichkeit, die Jesus gelebt hat, besser verstanden haben können. Und trotzdem streiten sie sich im Jesus-Team.


Sind es Angst und Neid, die tief in uns drinsitzen? Oder fehlt uns das Mitgefühl? Ein empathisches Bewusstsein für die Wirklichkeit der Welt und meiner Mitmenschen ist schwer auszuhalten. Jesus ging den Weg des Mitgefühls und des Selbstmitgefühls. Vielleicht können wir diesen Weg mit ihm entdecken? Nicht ein für alle Mal, sondern immer wieder. Wie du und ich wurde er von einer Frau geboren, wuchs heran, war mit Gefährtinnen und Gefährten auf den Strassen seiner Heimat unterwegs; war hungrig, durstig, traurig, fröhlich, verzweifelt, erschöpft und sterbend.

Von: Chatrina Gaudenz / Lars Syring

20. März

Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich
und gibst meiner Seele grosse Kraft.
Psalm 138, 3

Gott wird gerne angerufen. Immer wieder fordert er uns in den Psalmen auf, nicht unbedingt zum Hörer oder Handy zu greifen, aber doch irgendwie in Kontakt zu treten. (Psalm 50,15
die Telefonnummer Gottes: «Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.») Der Mensch, der Psalm 138 gebetet hat, weiss um die Konsequenzen. Er hat erfahren, dass Gott hört. Leider verrät er uns nicht, woran er das gemerkt hat. Vielleicht ist das aber auch gar nicht wichtig. Er hat ja die Folgen gespürt. Die grosse Kraft, die ihn erfüllt. Die Seele, die wieder mutig wird. Die Hoffnung, die keimt.


Die Psalmen sind religiös inspirierte Dichtung. Ihre Anfänge reichen mindestens drei Jahrtausende zurück. Dank ihren starken Sprachbildern und die in ihnen verdichteten Glaubenserfahrungen können sie mir Kraft, Trost, meiner Wut und Enttäuschung Raum, meiner Unsicherheit und meinem Zweifel Boden geben. Die Psalmen können mir helfen, «aus der Tiefe» Worte in den Himmel hinaufzuschicken. Die chassidische Tradition hat dieses Geheimnis in dem Ausruf zusammengefasst: «Verlasst euch nicht auf Wunder, rezitiert Psalmen!» Denen, die Psalmen rezitieren, geschieht, dass sie sich Gott aussetzen.

Von: Chatrina Gaudenz / Lars Syring

19. März

Paulus schreibt: Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 1. Korinther 13,12

Wir können vieles nicht verstehen. Nicht, was um uns herum passiert. Nicht, wie wir selbst im Leben stehen. Wir würden so gerne mehr wissen wollen. Doch letztlich bleibt immer noch etwas offen. Immer fehlt vom Kuchen ein Stück.
Denn jetzt sehen wir alles in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz erkannt worden bin. (Zürcher Bibel 2007)
Was ich erkenne, ist nur ein Teil. Der Spiegel spiegelt mir nicht, was ist. Ich sehe mich anders, als ich bin. Von allen ungelösten Fragen kann ich mich niemals selbst erlösen. Ich bleibe mir ein Rätsel. Mein Leben lang. Bis irgendwann. Bis dann aber bin ich auf dem Weg. Ich werde stückweise ganz. Das darf mir genügen.
Ich bin auf dem Weg. Gott ist mit mir. Dennoch fehlt immer vom Kuchen ein Stück. Ich würde doch gerne mehr davon haben. Mehr glauben, hoffen und lieben können. Von allem ein kleines bisschen mehr. Ich halte kurz inne. Gott will mit mir reden. Ich atme auf. Dann gehen wir weiter. Schritt für Schritt. Schrittweise werde ich ganz. Das darf mir genügen.

Von: Ruth Näf Bernhard

18. März

HERR, du bist meine Stärke und Kraft
und meine Zuflucht in der Not!
Jeremia 16,19

Wie oft werden solche Worte gebetet. Im Leben damals. Und im Leben heute. Wie oft werden solche Worte gesungen. Im Leben damals. Und im Leben heute. Auch von mir. Wie leicht fällt es mir, in dieses Lied einzustimmen, dass Gott mir das ist, was ich brauche. Stärke und Kraft, Zuflucht in Not. Und immer noch so vieles mehr.
Vermutlich liegt mir genau aus diesem Grund eines der vielen Taizé-Lieder besonders am Herzen. Auf der Zunge liegt es stets zuvorderst, wenn ich ansingen möchte gegen Mutlosigkeit.
Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.
Stärke und Kraft, Zuflucht in Not, Hoffnung und Freude, Zuversicht, Licht. Die Aufzählung allein macht es schon aus. Das Vertrauen kann beginnen. Gott ist mir, was ich brauche. Auch die Gemeinschaft macht es aus. Die Menschen, die mit mir die Aufzählung wiederholen und davon singen, was Gott ihnen ist. Das Vertrauen geht weiter mit anderen zusammen. Wenn ich Luft holen muss, singen andere für mich, was Gott mir ist und bleiben wird: Stärke und Kraft, Freude und Licht.

Von: Ruth Näf Bernhard

17. März

Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! Micha 7,18

Die letzten gut zehn Verse des Michabuchs sind ein Dankgebet. Gedankt wird Gott dafür, dass er trotz allem «Sünden vergibt und Schuld erlässt» – nachdem dieser Prophet in mehreren Anläufen dem Volk in und um Jerusalem vorgerechnet hat, was es alles falsch gemacht und womit es sich Gottes Zorn und alle Strafen zugezogen habe. «Ich werde die Wut des Herrn ertragen, denn ich habe gesündigt gegen ihn (…), aber er wird mich hinausführen an das Licht, ich werde seine Gerechtigkeit sehen!» (Vers 9) Eine wundervolle Aussage, an die der heutige Satz eigentlich direkt anschliesst: Nicht die Strafe ist das Letzte, nicht das Unheil oder gar der Untergang – diese Szenarien kommen bei Micha durchaus vor –,
sondern der vergebende Gott will Neuanfänge ermöglichen! Er hat «Gefallen an Gnade»! Wir können diesen Satz und die ihn umgebenden Sätze in unseren Tagen nicht oft genug lesen und hören: Gott wird seiner Welt Auswege aus chaotischen Zuständen, aus Zorn und Hoffnungslosigkeit auftun. Darum wird hier gebetet, darum können alle Menschen in aller Welt beten und bitten. Gott wird, so macht der alte Prophet hier deutlich, darauf hören, weil er ein Gott des Lebens – und der Gnade ist! Damals wie heute!

Von: Hans Strub

16. März

Ich sprach, als es mir gut ging: Ich werde
nimmermehr wanken. Aber als du dein Antlitz
verbargst, erschrak ich.
Psalm 30,7.8

Ich verstehe ihn. Eine Krankheit untergräbt manchmal das Selbstbewusstsein, wie hier bei dem Menschen, der von seiner Krankheit genesen war. Rückblickend stellte er fest, dass die Krankheit – wir erfahren nicht, um welche es sich gehandelt haben könnte – ihn tief erschüttert hatte. Auch spirituell, denn er empfand sie als eine unerwartet gottferne Zeit. Er sei heftig erschrocken, als ihn seine Kräfte verliessen – und er sich auch von Gott verlassen fühlte. Er nahm das so wahr, dass Gott ihm zürnte. Sein Gebet imponiert mir – er «rechtet» mit Gott und kämpft um dessen erneute Zuwendung (Verse 9–11). Und Gott lässt sich auf diese Form von Gebet tatsächlich ein und macht ihn gesund (Verse 12 und 13)! Im Erschrecken erkennt er, wie sehr er auf Gottes Gnade und Erbarmen angewiesen ist. Darum ringt er dann – erfolgreich. Er musste erfahren, dass alle seine Stärken und Kompetenzen plötzlich sehr eingeschränkt waren. Dass er, der sich kraftvoll und mächtig gesehen hatte, im Nu fallen könnte. Umso tiefer seine (meine?) Dankbarkeit, als er merkte, dass Gott ihn auffängt. «Denn sein Zorn währt einen Augenblick, ein Leben lang seine Gnade; am Abend ist Weinen, doch am Morgen ist Jubel.» (Vers 6) Das ist sein Jubel, der bis zu mir und uns erschallt: Gott ist da und hört auf meine Notrufe. Ich kann mit Gott reden, wie mir zumute ist. Er verlangt nicht irgendwelche Formen, nur Offenheit!

Von: Hans Strub

15. März

Wenn jemand zu Christus gehört, gehört er schon zur neuen Schöpfung. Das Alte ist vergangen, etwas Neues ist entstanden! 2. Korinther 5,17

Albert Schweitzer, dessen Geburtstag sich 2025 zum 150. Mal jährt, hat ein faszinierendes Buch mit dem Titel «Die Mystik des Apostels Paulus» geschrieben. Darin befasst er sich mit der sogenannten Rechtfertigungslehre von Paulus. Diese gilt der evangelischen Kirche als «articulus stantis et cadentis ecclesiae», als Grundsatz, mit dem die Kirche steht und fällt. Schweitzer hingegen vertritt die These, dass die «Rechtfertigung allein aus Glauben und nicht durch Werke des Gesetzes» nur ein «Nebenkrater» des paulinischen Denkens sei, der sich im «Hauptkrater der Mystik des Seins in Christus» gebildet habe.
Tatsächlich scheint es bei Paulus zwei Konzepte von Erlösung zu geben, die nicht deckungsgleich sind. Da ist auf der einen Seite die Rechtfertigungslehre, die mit juristischer Begrifflichkeit zum Ausdruck bringt, dass ich, unabhängig von meinen Taten, von Gott «gerechtfertigt» bin. Von Paulus stammen aber auch andere Aussagen, wo die Sprache keine juristische ist. Da geht es um Verbundenheit, Verwandlung, da ist keine Gerechtsprechung von aussen, sondern Transformation des «inneren Menschen».
Das ist es, was Schweitzer mit «Mystik des Seins» meint. Einer der «Sprüche paulinischer Mystik», die er seinem Buch voranstellt, ist der heutige Lehrtext.

Von: Andreas Fischer

14. März

Es ist über alle derselbe Herr, reich für alle,
die ihn anrufen.
Römer 10,12

Der christkatholische Theologe Ernst Gaugler (1891–1963), den ich nicht nur deshalb schätze, weil er einst Pfarrer im Fricktal war, wo ich heute lebe, schreibt in seinem im Zwingli-Verlag erschienenen Kommentar zum Römerbrief zu unserem Vers: Das Anrufen ist nicht einschränkend gemeint: Nur für die, die Seinen Namen anrufen. Sondern entschränkend: Nicht nur für die durch das Gesetz Gerechten, sondern für alle, Juden und Heiden in gleicher Weise, ist jetzt dieser Schatz göttlicher Gnade zugänglich, wenn sie ihn bloss «anrufen».
Weiter: Es ist nicht gemeint, dass zauberhaft-plötzlich, wenn wir nur «anrufen», automatisch die Errettung eintrete. Hinter dem Anrufen steht selbstverständlich das ganze Geheimnis der göttlichen Führung. Es ist dieses Geheimnis, welches wahrhaftiges Anrufen allererst bewirkt.
Und schliesslich: Der Reichtum Christi ist allen in gleicher Weise zugänglich. Kein Gesetz, keine menschliche Methode, kein religiöses Training steht mehr zwischen Ihm und uns, dem Reichtum seiner Liebe und unserer Armut.
Anruf genügt, ist man im Anschluss an Gaugler etwas salopp, aber zutreffend, zu sagen geneigt.
Nicht einschränkend, sondern entschränkend: Gauglers Lesart des heutigen Lehrtextes ist, wie mir scheint, uneingeschränkt zuzustimmen.

Von: Andreas Fischer