Wer als Verleumder umhergeht, gibt Vertrauliches preis, wer aber verlässlich ist, behält Geheimnisse für sich. Sprüche 11,13

Als Kind hatte ich so gerne ein Geheimnis in meinem Kopf. So gerne, dass ich verkündete: «Ich habe ein Geheimnis», und alle, die das sahen und hörten, hatten nur ein Ziel: dass ich das Geheimnis preisgebe. Es waren ja kleine Geheimnisse. Heute habe ich es nicht mehr so mit den Geheimnissen. Sie sind ein Machtinstrument, das Transparenz und gemeinsames Handeln verunmöglicht. Und doch gibt es Situationen, in denen ich auf einen Text schreibe «vertraulich», selten zwar, aber dann, wenn ein zu lösendes Problem vorbesprochen werden muss. Dann bin ich dankbar, wenn das sogenannte Geheimnis nicht die Runde macht. Es gibt auch in meinem Leben Dinge, die ich für mich behalte, sie nicht teile. Das ist meine Privatsache. Und es gibt Problemlösungen, die ich noch eine Zeit lang nicht besprechen kann oder will, weil sie reifen müssen. Intransparenz aber wird zum Machtmissbrauch, wenn sie gewollt ist, wenn es darum geht, Mitarbeitende oder Partner auszuschliessen, um sie dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Geheimnisse für mich behalten kann hilfreich sein. Ich denke, es ist wichtig, diese von Intransparenz zu unterscheiden. Es ist gut, dass uns das Buch der Sprüche darauf aufmerksam macht. Denn gerade die Geschichte der Geheimnisse ist eine, die auch in der Politik und im alltäglichen Tun eine Rolle spielt.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud