Monat: Juni 2023

30. Juni

Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder
aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht
gern wieder zurechtkäme?
Jeremia 8,4

Ein Volk, das sich abwendet von Gott, sich den falschen
Götzen unterwirft. Die Leidensgeschichte von Gottes Wort
und prophetische Mahnreden, welche die Uneinsichtigkeit
der Menschen beklagen. Kunstvoll erzählt, theologisch dicht
und literarisch klug komponiert, aber aus der Zeit gefallen.
Wirklich? Eigentlich klingt die Tageslosung doch beklemmend
aktuell. Der Prophet Jeremia beklagt den fehlenden
Willen zur Umkehr. Die Gestrauchelten bleiben lieber liegen,
als sich an Gott aus- und aufzurichten. Im Gegensatz zum
Storch am Himmel, zur Taube, zum Mauersegler und zur
Schwalbe, die alle «die Zeit ihrer Heimkehr» einhalten, hat
die Menschen ihr Instinkt, der Sinn für «die Ordnung des
Herrn» (Jeremia 8,7) verlassen.
Durch die Geschichte zieht sich eine blutige Spur des Unrechts
und der Gier, angesichts derer man kein Prophet sein muss,
um sich zu fragen, wo das Bewusstsein dafür auf der Strecke
geblieben ist, was Menschsein eigentlich bedeutet. Und es
bleibt zu hoffen, dass sich weiterhin immer wieder Menschen
finden, die sich nicht abfinden damit, sondern – selbst wenn
sie straucheln – aufstehen für Frieden und Gerechtigkeit, für
die Ordnung Gottes.

Von: Felix Reich

29. Juni

Ich danke unserem Herrn Christus Jesus, der mich stark
gemacht und für treu erachtet hat.
1. Timotheus 1,12

Paulus – oder sein Schüler – redet den Gemeindeleitern ins
Gewissen. Sie sollen sich von jenen abgrenzen, die «keine
Ahnung haben, wovon sie reden und worüber sie so selbstgewiss
urteilen» (1. Timotheus 1,7). Der Apostel ist mit dem
Selbstbewusstsein des Bekehrten gesegnet und hält sich für
stark genug, zu wissen, was wirklich gilt.
Wenn Predigerinnen und Prediger meinen, die Wahrheit
gepachtet zu haben, wird es ungemütlich. Wähnen sich Religionen
auf dem einzig richtigen Weg, lauert die Ideologie.
Ausgerechnet Paulus wird gerne zitiert, um Menschen herabzusetzen.
So bleibt die ihm zugeschriebene Aufforderung,
Frauen müssten schweigen in der Gemeinde, sich unterordnen
(1. Korinther 14,34) auf fatale Weise wirksam. Zugleich
liefert Paulus auch den Schlüssel zur Wahrheit: Ziel sei «die
Liebe, die aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem
Glauben kommt» (1. Timotheus 1,5).
Vielleicht helfen solche Widersprüche, eigene Wahrheiten
zu hinterfragen, ohne die Wahrheit der Liebe und der Hoffnung,
welche die Bibel verkündet und in Erzählungen und
Gleichnissen erfahrbar macht, zu relativieren. Ob Freiheit
und Würde möglich sind oder Diskriminierung und Unrecht
herrschen, ist keine Frage der Kultur. Es ist eine Machtfrage.

Von: Felix Reich

28. Juni

Ich will deinen Namen preisen für deine Güte und
Treue; denn du hast dein Wort herrlich gemacht um
deines Namens willen.
Psalm 138,2


der Ewige, die Ewige, Schechina, Adonaj, ha-Schem
«Gottes Name ist unübersetzbar» – mit dieser Überschrift
hat die Bibel in gerechter Sprache (BigS) ihren Abschnitt zum
Thema «Gottesname» überschrieben. Gott hat in der Bibel
einen Namen. Er besteht aus vier hebräischen Buchstaben,
bei denen nicht ganz genau klar ist, wie sie ausgesprochen
werden und was sie genau bedeuten. Der Name Gottes wird
seit biblischer Zeit nämlich nicht mehr direkt ausgesprochen.
Die BigS schlägt einige Übersetzungsvarianten vor, die
an die Stelle des Namens gesetzt werden können.


der Name, GOTT, die Lebendige, der Lebendige, Ich-bin-da
Als Übersetzerin des ersten Buches über die Zeit der Königinnen
und Könige habe ich mir lange überlegt, welche
Variante
ich für die Übersetzung wählen möchte. Ich habe
mich für «die Ewige» entschieden. Die Texte haben dadurch
einen ganz eigenen Klang bekommen.


ha-Makom, DU, ER SIE, SIE ER, die Eine, der Eine
Ich will deinen Namen preisen für deine Güte und Treue,
denn du hast dein Wort herrlich gemacht um deines Namens
willen.


die Heilige, der Heilige

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. Juni

Jesus spricht: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel
und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was
ich euch befohlen habe.
Matthäus 28,18–20

Er hat eine lange und gewichtige Geschichte, dieser Vers. Als
Tauf- und Missionsbefehl hat er Einlass gefunden in unsere
Liturgie, in die Tauf- und Missionsgeschichte und in die
Hände von Menschen, die anderen ihren Glauben bringen
wollten, im äussersten Fall auch gegen deren Willen. Befehle
müssen halt erfüllt werden.
Im Januar war ich mit meinen Vikarinnen und Vikaren bei
der EMS in Stuttgart. Die Evangelische Mission in Solidarität
ist eine internationale Gemeinschaft aus 25 Kirchen und
fünf Missionsgesellschaften. Mission hat in unserer Zeit ein
neues Gesicht bekommen und hat nichts mehr mit Befehlen
und Zwang zu tun. Es geht um Partnerschaftsarbeit, um
Teilen, Teilen des Glaubens, Austausch von Menschen und
Teilen von Ressourcen. Mission wird dabei als eine lebensverändernde
Kraft verstanden. Gemeinsam werden die mannigfaltigen
Herausforderungen in der einen Welt und der
Weltchristenheit angegangen.
Wir waren begeistert. Hier wird die Verbundenheit im
Glauben an Jesus Christus über alle Grenzen hinweg gelebt,
in gegenseitigem Respekt und in Solidarität.
Ein Missionsbegriff, den ich gut annehmen kann, zu dem
ich mich gerne senden lasse.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

26. Juni

Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte
ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken
und Stab trösten mich.
Psalm 23,4

Es sind vertraute Worte; viele von Ihnen werden den 23. Psalm kennen, viele auch auswendig – by heart, wie man
im Englischen sagt. Seine Worte sind wie eingeschrieben in
unsere Herzen. Sie kommen mir in den Sinn, wenn es traurig
und eng um mich wird, wenn Verzagtheit und Furcht
mich bedrängen, wenn Dunkelheit die Hoffnung bedeckt:
am Grab eines geliebten Menschen, am Abend nach einem
Tag voller Schreckensmeldungen, wenn ich mich nach Trost
und Zuversicht sehne.
Vielleicht ist es eine Art Selbstermächtigung, die sich gegen
die düstere Realität stemmt. Aber ihre Kraft kommt nicht aus
mir selbst, sondern aus dem Vertrauen, das in der EWIGEN
verankert ist und mich trägt: Denn DU bist bei mir; die Erfahrung
DEINER Nähe tröstet mich.
Ja, es gibt Feinde, die mir übelwollen; ja, es gibt Dunkelheit,
Angst und Sorge in diesen ungesicherten Zeiten, die uns
umtreiben … – und doch: «Der HERR ist mein Hirte, mir
wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine
Seele, er führet mich auf rechter Strasse …»
Welch ein Trost und Segen, solche Worte im Herzen zu
tragen!

Von: Annegret Brauch

25. Juni

Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu
ihrer Zeit. Wenn sie sich auch hinzieht, so harre ihrer.

Habakuk 2,3

Es ist eines der eindrücklichsten Lieder, die ich bei meinem
ersten Kirchentag 1975 in Frankfurt kennengelernt habe. Mit
der unverwechselbaren Melodie von Peter Janssens begleitet
es mich bis heute. Text und Melodie strahlen unbeirrte
Hoffnung aus, die Kraft und den Mut des langen Atems,
die eigensinnige Beharrlichkeit des Glaubens, das Vertrauen
auf Gottes Verheissung von Frieden und Gerechtigkeit auf
seinem Erdkreis, das ich auch bei Habakuk finde: «Wenn sie
sich auch hinzieht, so harre ihrer.»
Denn:
Es kommt die Zeit, / in der die Träume sich erfüllen,/ wenn
Friede und Freude und Gerechtigkeit / die Kreatur erlöst./
Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand …
Es kommt die Zeit, / in der die Völker sich versöhnen,/ wenn
alle befreit sind und zusammenstehn / im einen Haus der
Welt. / Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand …
Es kommt die Zeit, / da wird der Erdkreis neu ergrünen / mit
Wasser, Luft, Feuer, wenn der Menschen Geist / des Schöpfers
Plan bewahrt. / Dann gehen Gott und die Menschen Hand in
Hand, / dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand.

Der Prophet Habakuk verkörpert diesen langen Atem.
Trotz und in all dem Schweren, das er erleben musste, kann
er singen: «Aber ich will mich freuen des HERRN und fröhlich
sein in Gott, meinem Heil. Denn der HERR ist meine Kraft …»

(Kapitel 3,18 f.)

Von: Annegret Brauch

24. Juni

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR
von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe
üben und demütig sein vor deinem Gott.
Micha 6,8

Das 6. Kapitel des Propheten Micha liest sich wie eine
Gerichtssitzung. Gott ruft das Volk Israel zur Rechenschaft
und es endet mit der Androhung einer ziemlich deftigen
Bestrafung. Der Grund sind, wie so oft, die vielen Lügen und
Falschreden der Mächtigen, die schamlose Bereicherung der
Reichen. Dazwischengeschoben ist die Frage: Soll ich, der
Angeklagte, etwa meinen Sohn opfern, um Gott zu besänftigen?
Oder soll ich Kälber als Brandopfer bringen? Darauf
antwortet Micha ganz einfach, in meinen eigenen Worten:
Du weisst doch ganz genau, was gut ist und das Leben fördert
und damit gottgefällig ist: Halte einfach Gottes Gebote
und begegne deinen Mitmenschen mit Liebe. Wozu sonst
hast du diese Weisungen fürs Leben erhalten?
Es klingt so einfach – und ist offenbar doch so schwer. Die
Versuchungen des Reichtums und der Macht sind offensichtlich
grösser und mächtiger als die guten Lebensregeln,
die wir in Gottes Wort und Gottes Geboten hören.
Das gilt in mancher Hinsicht auch heute und ist offensichtlich
in der menschlichen Natur angelegt. Versuchungen des
Teufels nannte man das früher. Um ihnen zu widerstehen,
sind diese uralten Weisungen Gottes noch immer ein eindrückliches
ethisches Bollwerk. Und wir tun gut daran, uns
danach zu richten.

Von: Elisabeth Raiser

23. Juni

Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in
ihren Synagogen und predigte das Evangelium
von dem Reich und heilte alle Krankheiten
und alle Gebrechen im Volk.
Matthäus 4,23

Diese kurze Beschreibung von Jesu Wanderung durch Galiläa
erscheint mir schon wie eine Vorwegnahme des Reiches
Gottes, von dem Jesus predigt. Wir bitten im Vaterunser
noch zweitausend Jahre später um das Kommen des Reiches
Gottes. Und da stellen sich uns ja oft die Fragen: Wo ist es, wo
bleibt es, gibt es schon Anzeichen seiner Verwirklichung, lebt
es vielleicht schon mitten unter uns? Wir spüren es manchmal,
aber es entgleitet uns auch immer wieder. Der, während
ich schreibe, noch immer wütende Krieg in der Ukraine ist
ein solches Entgleiten, aber auch viele andere menschengemachte
Katastrophen.
Und doch gibt es die grosse Hilfsbereitschaft für die Opfer,
die oft mit grossem Mut, Fantasie, unendlicher Nächstenliebe
und oft einer wahren Aufopferung der Helfenden verbunden
ist. Das erscheint mir immer wieder wie ein Zipfel
des Reiches Gottes. Es ist offensichtlich in uns Menschen
schon angelegt und es kann sich entfalten.
Jeder Schritt zum Frieden, der auch nur ein Menschenleben
rettet, gehört, denke ich, auch zu diesem Zipfel des
Reiches Gottes.
Ich stelle mir Jesu Wanderung durch Galiläa dankbar und
voller Hoffnung vor meinem inneren Auge vor. Mit dieser
dankbaren Hoffnung möchte ich den heutigen Tag beginnen.

Von: Elisabeth Raiser

22. Juni

HERR, gedenke doch an deinen Bund mit uns und
lass ihn nicht aufhören!
Jeremia 14,21

Es herrscht eine Dürre im Land. Kein Gras wächst, die Tiere
verhungern, alles ist leblos geworden. Jeremia erzählt Gott
davon, verzweifelt. Und immer wieder die Schuld, immer
wieder die falschen Propheten. Die Bitte um die Erinnerung
an den Bund, den Gott mit Mose geschlossen hat,
soll Gott davon überzeugen, Hilfe zu bringen. Aber Jeremia
bittet nicht konkret um Regen. Er bittet darum, dass Gott
den «Bund nicht aufhören lässt». Er bittet um die Lebendigkeit
der Beziehung zu Gott, der Lebendigen, bittet um
Erhalt der Zuwendung. Und das ist gerade das Schwierige:
Einerseits können wir der Lebendigen alle unsere ganz konkreten
Anliegen, unsere Bitten, auch die Bitte um Regen in
Somalia anvertrauen. Wir lernen aber auch, dass wir damit
unsere Beziehung zu Gott leben und ihm und ihr die Erfüllung
unserer Bitten überlassen müssen. Die Erinnerung an
den Bund lässt auch uns heute zuversichtlich sein. Denn
Gott, die Lebendige, wird ihn nicht vergessen. Das Leben,
Sterben und Auferstehen Jesu sind dafür der grosse, lebendig
machende Beweis. Darum: Hören wir nicht auf, um Regen
zu bitten. Setzen wir uns aber gleichzeitig mit aller Kraft
dafür ein, dass dem Klimawandel unser Verzicht und unser
erneuerter Lebensstil entgegengesetzt werden. Denn die
Erinnerung an den Bundesschluss soll uns ermutigen und
uns Kraft schenken.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

21. Juni

Die Angst meines Herzens ist gross;
führe mich aus meinen Nöten!
Psalm 25,17

Sofort denke ich an Else Kähler, die ehemalige Studienleiterin
auf Boldern. Sie sagte mir vor langer Zeit bei einem Gespräch
zum Thema Angst: «Als ich ganz fest krank war, habe ich
gebetet, Gott solle mir die Angst wegnehmen. Das nützte
einfach nichts. Dann habe ich gemerkt, dass ich Gott bitten
sollte, in der Angst bei mir zu sein. Dann wurde ich gesund.»
Die Lebendige an meine Seite, sie ist da und hilft. Die Zürcher
Bibel übersetzt den heutigen Text so: «Ängste bestürmen
mein Herz, führe mich hinaus aus meiner Bedrängnis.» Es
ist wirklich ganz schlimm, wenn das Herz von der Angst
bestürmt wird. Dann wütet es in mir. Und es ist naheliegend,
zuerst einmal darum zu bitten, dass die Angst weggenommen
wird. Aber offenbar wird uns auch in unserem Text ein
anderer Weg empfohlen: «Führe mich aus meinen Nöten,
oder führe mich aus der Bedrängnis.» Gott, die Lebendige,
um ihre Führung zu bitten, heisst, ihr zuzutrauen, dass es
einen Weg gibt. Um die Führung anzunehmen und den Weg
zu gehen, braucht es mein Vertrauen und es braucht meine
Kraft, aufzubrechen und zu gehen und nicht in der Angst zu
verharren. Es braucht die Lebendige und es braucht mich.
Der Weg mag lang sein, aber er verspricht Heilung.
Danke, dass du immer mit uns gehst.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud