Schlagwort: Hans Strub

11. November

Jakob zog seinen Weg. Und es begegneten ihm
die Engel Gottes. 1. Mose 32,2

«I have a dream and I believe in angels…» So sangen ABBA vor vielen Jahren, so sang eine Frau heute an der Beerdigung von Heinz. Er hat mit seinem frühen Tod rechnen müssen, er hat seine Sachen rechtzeitig geordnet, er ist ruhig gegangen. Im Vertrauen, dass es ihm gut ergehen wird. Das hat mich tief beeindruckt. Und dann lese ich diesen lakonischen Satz von heute und denke: wie Heinz. Jakob hat eine schwierige Lebenszeit hinter sich mit viel Unrecht, viel List, viel Schmerz, den er bereitet hat. Nun ist er auf dem Weg zu seinem Bruder, den er um das Recht der Erstgeburt schändlich betrogen hatte und deshalb ausser Landes flüchten musste. Auf seinem Weg hatte er den berühmten Traum mit der Himmelsleiter (1. Mose 28,10 ff.). Auf ihr stiegen die Boten Gottes, die Engel, auf und ab. Und Gott versprach ihm Begleitung und Schutz, wohin er auch ginge. Und jetzt, da er sich der Grenze zum Bruderland nähert, vertraut er diesen Boten. Vertraut, dass sie ihn durch alle Schwierigkeiten, die kommen werden, hindurchbegleiten. Weil Gott das zugesagt hat. Das Lied heute vom Glauben an diese Engel hat die Anwesenden
richtiggehend erfasst und angerührt. Denn es macht Mut zu solchem Vertrauen. Weil es in Gott begründet ist. Dann konnten sie nach der Beerdigung «ihrer Wege gehen». Mir selbst war es, als ob uns fein ein Engel gestreift hätte…

von: Hans Strub

10. November

Weh denen, die weise sind in ihren eigenen Augen
und halten sich selbst für klug! Jesaja 5,21

Der Satz trifft. Ich kenne solche, denen dieser Ruf gilt. Manchmal bin ich selbst einer von ihnen. Wenn ich mich dabei ertappe, wie ich mir selbst in Gedanken auf die Schulter klopfe im Gefühl, das war gut, was da eben war. Und es war nicht bloss Einbildung oder grundlose Selbstüberhöhung, es war tatsächlich gelungen, eine in meinen Augen tolle Idee durch die Teamsitzung zu bringen! Und dann lese ich diesen Satz und halte erschrocken inne. Dass ich dieser Haltung hier als Wehruf begegne, trifft mich. Ich kann mich ärgern und ihn unwirsch vom Tisch fegen wollen, es bringt nichts. Er steht weiter unmissverständlich da. Ich kann mich aber auf ihn einlassen und ihn wirken lassen. Aus dem Zusammenhang sagt er mir sehr klar, dass ich meine Weisheit nicht aus mir selbst schöpfe. Dass ich sie erhalten habe, dass sie mir geschenkt worden ist. Und dass ich sie im entscheidenden Moment abrufen konnte. Aus dem Ärger ersteht langsam eine Demut. Auch wenn der Wehruf des Propheten hart ist, ist er nicht das Ende! Im Gegenteil: Er nötigt mich, selbstkritisch zu sein. Und er ermöglicht mir eine Veränderung. Was auf das erste Hinhören wie eine Verurteilung tönt, bietet mir eine neue Chance. Macht mir bewusst, dass meine Klugheit eine Gabe ist, die ich einsetzen kann – als Entsprechung und aus Dankbarkeit.

von: Hans Strub

4. Oktober

Der HERR, dein Gott, führt dich in ein gutes Land,
ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser
in der Tiefe.
5. Mose 8,7

Am Ende des langen Abschnitts, aus dem unser Vers stammt,
steht die «Erklärung», weshalb dieser Abschnitt aus der
Schlussrede des Mose vor dem Übergang ins verheissene
Kanaan notwendig ist: Du (Israel) bist ein halsstarriges Volk
(Vers 9,6). Auch nach vierzig Jahren Wanderung durch wüstes
Land ohne Wasser, ohne Vegetation, hat das aus der
Sklaverei herausgeführte Volk die Dankbarkeit nicht hervorgebracht,
die eigentlich selbstverständlich wäre. Denn, wird
hier gesagt, dass es nun so weit gekommen ist, ist in keiner
Weise das Verdienst dieser Menschen. Und schon gar
nicht, dass jetzt, ennet dem Jordan, ein Land wartet, wo
alles anders und Wasser und noch viel mehr im Überfluss
da sein wird. Es ist Gott allein, dem dieser ganze wundersame
Vorgang zu verdanken ist. Es gibt keinen Anspruch
auf dieses Land! Es wird ein weiteres Geschenk sein von
Gott, wie seinerzeit das Manna vom Himmel und das Wasser
aus dem Felsen. Das sollt ihr nie vergessen, mahnt der
bald sterbende Anführer. Seine Worte gelten weit über den
damaligen konkreten
Anlass hinaus: Was wir haben und
nutzen können, ist Gottesgeschenk.
Das zu vergessen, wäre
Undank – auch von uns.

Von: Hans Strub

3. Oktober

Bewahre mich, Gott; denn ich traue auf dich.
Psalm 16,1

Wer Gott bittet, «bewahrt» zu werden, lebt in einem unsicheren
Zustand. Ist sich bewusst, dass die Zukunft nicht
einfach feststeht, sondern sich jederzeit anders entwickeln
kann als erwünscht und erhofft. Gott soll mich in seinen
Schutz nehmen, mich an einen sicheren Ort geleiten oder
mir Gewissheit geben, dass ich nicht allein und allen möglichen
Gefahren ausgeliefert bin. Ich bin, so wie der Psalmist
hier, darauf angewiesen, dass Gott mich in seine Obhut
nimmt. Und ich bitte darum, dass er mich gut und sorgsam
bewahrt, so wie ich selber einen kostbaren Gegenstand
sorgfältig verwahre. Ich kann unseren Gott darum bitten,
weil ich zutiefst überzeugt bin, dass das möglich ist. Ich
traue es Gott zu, denn er steht fest in jedem Sturm meines
Lebens und hält treu zu mir. Auch dann, wenn ich es
«nicht verdient» habe. Denn genau darum geht es bei diesem
Wort: Ich muss mich Gott nicht «würdig» zeigen – ich
kann darauf bauen, dass er mich kennt und erkennt. Und ich
kann jederzeit und überall bitten. Beten. Meine geschwächte
Zuversicht zugeben, aussprechen. Im Wissen darum, dass ich
nichts verbergen muss vor Gott, was er nicht schon kennt.
Die indogermanische Wurzel «tr*» in «trauen/treu» sagt
genau das aus: Gott ist da wie ein starker Baum, der nie
fällt, an den ich anlehnen kann und der mir zum sicheren
Ort wird.

Von: Hans Strub

11. September

Besser ist es, beim HERRN Zuflucht zu suchen,
als Menschen zu vertrauen.
Psalm 118,8

Ein grosses Danklied wird hier gesungen, wohl anlässlich
eines Festes für Jahwe, den Gott des Lebens, der Gnade,
der Rettung, des Lichts. Diesem Gott wird hier gesungen,
denn auf ihn ist Verlass. Bei ihm ist Sicherheit, Schutz, Trost,
Gerechtigkeit. Bei ihm ist Zuflucht in schwerer Zeit – viel
mehr, als man sie bei einem Menschen oder gar bei einem
Fürsten (Vers 9) finden könnte. Es stimmt für mich, dass ich
in belasteten Zeiten, vor schwierigen Gesprächen, bei einem
Unglück bete. Im Gebet finde ich ein Stück Ruhe. Zuflucht
zu Gott. Zugleich stelle ich aber fest, dass ich in solcher Zeit
auch die Nähe von Menschen suche. Vielleicht nicht zuerst
das Gespräch oder das gemeinsame Weinen, sondern die
Ruhe. Den Schutzraum des gemeinsamen Schweigens. Ist
das Ausdruck des Zweifels am Zufluchtsort Gott? Oder trägt
Gott in solchen Augenblicken das Gesicht und das einfühlsame
Herz des Menschen, an den ich mich anlehne? Das
kann kein Entweder-oder sein, vielmehr ein Sowohl-als-auch.
Ich darf mich gerne an andere Menschen wenden oder für
sie da sein in der Not. Denn ich weiss, dass Gott gewissermassen
dahinter oder daneben steht – und mitträgt. Als Gott
des Lebens für das Leben!
Danke, Gott, dass du zu jeder Zeit offene Arme hast für alle,
die dich brauchen.

Von: Hans Strub

10. September

Gott hat mich wachsen lassen in dem Lande
meines Elends.
1. Mose 41,52

Josef hat mit Asenat in Ägypten einen zweiten Sohn gezeugt.
Er gibt ihm den Namen Efraim, was so viel heisst wie «Gott
hat mich fruchtbar gemacht». Der seinerzeit ausgesetzte
Sohn und Bruder der israelitischen Grossfamilie von Jakob
macht beim Pharao eine kometenhafte Karriere und wird
zum Wesir über das ganze Land eingesetzt. Deshalb dankt er
seinem (israelitischen!) Gott, dem er trotz allem treu geblieben
ist und dem er im Auf und Ab seines Lebens weiter treu
bleiben wird. Die Josef-Legende führt diesen Satz aber gleich
anschliessend nochmals weiter aus: Josef hat in den sieben
Jahren mit reichen Ernten grosse Mengen Korn gespeichert.
Dann aber kommen die «mageren Jahre» und bringen
eine Hungersnot übers Land, ja über die ganze Region der
Levante. In Ägypten aber liegt Korn, und dafür kommen
Menschen von überall herbei – auch aus Israel und auch
die Grossfamilie Jakobs! Die Legende berichtet daraufhin
vom Zusammentreffen der Brüder, bei dem sie Josef nicht
erkennen. Gott hat, so macht die Legende deutlich, in jeder
Situation unerwartete Möglichkeiten, Leben zu ermöglichen
und Leben zu schenken. Und er kann angetanes und erlittenes
Unrecht vergeben. Die lange Josef-Geschichte zeigt
das in mehreren «Schlaufen». Sie nimmt uns Heutige beim
Lesen und Hören mit und verstärkt so die Gewissheit, dass
dieser Gott auch bei uns und jetzt wirkt.

Von: Hans Strub

4. August

Sei nicht schnell mit deinem Munde und lass
dein Herz nicht eilen, etwas zu reden vor Gott;
denn Gott ist im Himmel und du auf Erden;
darum lass deiner Worte wenig sein.
Prediger 5,1

Wir wissen nicht, wer genau der Verfasser des Kohelet, des
Predigerbuchs, ist. Hier tönen seine Worte so, als ob sie aus
einem Kurs für kirchliche Mitarbeitende stammen würden.
Sie sind aber etwa ums Jahr 200 vor Christus entstanden!
Was hier und im ganzen (kurzen) Abschnitt gesagt wird,
gilt heute genauso wie damals: Entscheidend ist nicht, was
getan oder was gesagt wird – entscheidend ist, dass zunächst
gehört wird (vorangehender Vers)! Tempeldienst – wir können
ihn hier und heute ruhig als Gottesdienst verstehen –
beginnt mit einer hörenden Haltung. Das bewirkt, dass
das eigene Wort, das dann gesagt wird, mit Zurückhaltung
gesagt wird. Es geht nicht um mich, es geht um Gott! Und
um meinen Respekt vor ihm/ihr. Diesen zeige ich durch
einen bedachten, achtsamen Umgang mit der Art, wie ich
rede. Es ist geradezu rührend, wie ausführlich der Prediger
hier ist, wie genau er seine Anweisungen gibt, wie direkt er
spricht und wie eindeutig er Hören, Denken, Reden und
Handeln (rituelles Tun) in eine Reihenfolge bringt; das Reden
folgt erst an dritter Stelle! Weil der Prediger jedoch kein
Kursleiter ist, gelten seine Mahnungen schlicht allen und
jederzeit.

Von: Hans Strub

3. August

Eure Liebe ist wie der Tau, der frühmorgens vergeht!
Hosea 6,4

Hosea ist der Prophet der harten und radikalen Sätze! Er
sieht es als seinen prophetischen Auftrag, dem Volk klipp
und klar zu sagen, wo es steht und wie es sich verhält. Er tut
das hier, indem er ein Bild umdreht, das vertraut ist und das
auch in Liebesgedichten in vielen Variationen verwendet
wird, zum Beispiel: Meine Liebe ist wie der Morgentau, der
sich sanft auf dich legt. Eben gerade nicht bei euch, sagt
Hosea, er löst sich auf, verdunstet, verschwindet. So ist es mit
eurer Liebe, mit eurer Treue (die Zürcher Bibel bleibt etwas
zurückhaltender): Sie hält nicht. Sie trägt nicht. Man kann
ihr nicht vertrauen. Man kann euch nicht trauen. Ihr macht
zwar den Anschein, als ob ihr Liebe und Treue hättet, aber
wenn man genauer hinschaut, ist da nichts. Leere. Also Lieblosigkeit,
Treulosigkeit. Das «richtige Gegenteil sind Wahrhaftigkeit
und glaubwürdiges Sein und Tun!» (Verse 5–6)
Darauf kommt es an, damals am Ende des Nordstaates Israel
wie heute. Hoseas heftige Worte stellen auch uns Fragen –
aber sie geben auch Hinweise auf Antworten. Nicht wie wir
uns geben, ist recht, sondern wie wir sind. Im Verhältnis zu
Gott und im Verhältnis zueinander. Nicht flüchtiger Tau,
sondern nährendes Wasser. Nicht frommer Schein, sondern
demütiges Sein. Hosea versteht sich als Prophet, der das
sagen muss, was nicht geht. Denen, die ihn hören, kommt
es zu, die richtigen Konsequenzen zu leben.

Von: Hans Strub

11. Juli

Es gibt nichts Besseres, als dass ein Mensch fröhlich sei
in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil.
Prediger 3,22

Gott schenkt Leben und alles, was dazugehört. Des Menschen
Teil ist es, all das zu nutzen, diese Gabe anzunehmen
und «das Beste daraus zu machen». Und sich daran und
darüber zu freuen, solange er kann. Das bedeutet dann auch,
meine tägliche Arbeit als etwas zu sehen, das mir gegeben
ist. Das mag zunächst eigenartig tönen, weil diese Arbeit
von vielen als etwas verstanden wird, das mir aufgegeben ist,
das ich also tun muss. In das ich alle meine Lebensenergie
stecken muss, um der Aufgabe entsprechen zu können. Ob
danach überhaupt noch Zeit und Kraft bleiben für das Lustvolle
im Leben, ist sehr offen. Wenn der Prediger hier vom
«Fröhlichsein in der Arbeit» spricht, tönt das zunächst überraschend.
Von seinen Grundbedeutungen her meint «fröhlich
» sowohl ausgelassen als auch weise oder verständig. So
bekommt die Formulierung eine andere Farbe: Der Mensch
soll Leben und Arbeit als Geschenk Gottes verstehen und
mit beiden deshalb weise und verständig umgehen. Das
«fröhliche» Arbeiten ist so die dankbare Annahme dieses
Geschenks. Eine Aussage, die meine Einstellung sowohl zum
Leben als auch zum Arbeiten verändern kann. Denn zum
Annehmen gehört das Gestalten, und dazu bin aufgerufen
und befähigt. Von Gott.

Von: Hans Strub

10. Juli

Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen
vor dem HERRN, der uns gemacht hat.
Psalm 95,6

Weder niederknien noch verbeugen gehört zu den bei Reformierten
gebräuchlichen Ritualen oder liturgischen Bewegungen.
Schon gar nicht niederwerfen. Dennoch kennen wir
Ehrfurcht vor dem Schöpfer ebenso wie Dankbarkeit fürs
Begleitet- und Bewahrtwerden. Persönlich bringe ich das im
Gebet zum Ausdruck. Ich verbeuge mich gewissermassen
innerlich – ohne dass es jemand sieht. Gibt es konkrete Hindernisse,
die mich am äusseren Ausdruck hindern, oder ist es
schlicht meine Gewohnheit, weil ich es nicht anders gelernt
und eingeübt habe? Denn eigentlich möchte ich mich nie
und nirgends dafür schämen, dass ich Ehrfurcht und Dankbarkeit
empfinde. Im Gegenteil, diese unmittelbare Beziehung
zum Schöpfer ist mir wichtig. Ich bin mir täglich sehr
bewusst, wie stark mein Leben davon bestimmt ist. Wenn
ich nun den ganzen Psalm lese, nehme ich mir vor, das auch
zu zeigen. Zum Mindesten davon zu reden, im kleinen Kreis
oder allenfalls gar öffentlich. Die «angeborene» protestantische
Innengläubigkeit taugt wenig, um auch andere dafür
zu gewinnen, ihre eigene Geschöpflichkeit wahrzunehmen
und sie auszudrücken. Und um das uralte Gotteslob, dem
hier Sprache verliehen wird, in meiner Sprache von heute
weiterzusagen. So, wie es in Vers 1 heisst: Kommt, lasst uns
dem Herrn jubeln und jauchzen, dem Fels unserer Hilfe!

Von: Hans Strub