Schlagwort: Hans Strub

29. Mai

Mein ist das Silber, und mein ist das Gold, spricht der
HERR Zebaoth.
Haggai 2,8


«Und an dieser Stätte werde ich Frieden schenken!» So
schliesst der Prophet Haggai seine Rede ab, die er im Namen
Gottes zum Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem hält.
In erster Linie ist es an die für den Bau Verantwortlichen
gerichtet. Gott wird das neue Haus mit seinem Geist füllen,
mit allen Kostbarkeiten, mit Silber und Gold. Womit
auch immer der neue Tempel geschmückt und ausgestaltet
wird, alles wird dafür stehen, dass Gott von diesem Zentrum
aus sein Friedenswerk verbreiten wird. Anders gesagt:
Es wird Gott sein, der mit seinem Geist den Frieden bringt,
aber er braucht Menschen dazu, die die konkrete Arbeit zu
übernehmen bereit sind. Er ermutigt sie, mit Engagement
zu bauen und so ihren Teil beizutragen. Frieden wird nicht
vom Himmel fallen, sondern muss mit der Hände Arbeit in
dieser Welt errichtet werden. Dazu braucht es alle Kräfte
und auch alle Ressourcen (dafür stehen hier «Silber und
Gold»). Indem Haggai hier direkt Serubbabel und Jehoschua
anspricht, spricht er alle an – und über die Zeiten hinweg
auch uns hier und heute: Frieden kann entstehen, wenn alle
an ihrem Ort ihre Kräfte dafür einsetzen. Gott beschützt
diese Arbeit und verheisst, dass er sie zum Ziel führt. Wir
wissen, wie mühsam und kräftezehrend das stets ist. Aber
die Verheissung ist gesetzt und gilt: Gott wird Frieden
ermöglichen und schaffen! Durch seinen Geist.

Von: Hans Strub

11. Mai

So spricht der HERR: Wie wenn man noch Saft in der
Traube findet und spricht: Verdirb es nicht, denn es ist
ein Segen darin!, so will ich um meiner Knechte willen
tun, dass ich nicht alles verderbe.
Jesaja 65,8


Hinter diesen Sätzen des Propheten steht eine heftige Auseinandersetzung
unter den Israeliten, zwischen denen, die
Gott vertrauen, und denen, die sich anderen Gottheiten
zugewandt haben (Glück und Schicksal, Vers 11). Das erregt
den Zorn Gottes, aber – und das ist der verheissungsvolle
Teil des Verses 8 – er wird deswegen nicht Verderben bringen
über alle! Er wird jene Teile des Volkes verschonen, die
auf ihn vertrauen. Das schöne Bild vom «Restsaft» in den
Trauben spricht hier für sich! Mit dem Wort «alles» wird
aber eine andere Realität angesprochen – und das ist der
unheilvolle Teil des Verses: Einige werden ausgestossen werden,
weil sie den Kontakt zum lebendigen Gott abgebrochen
haben. Es sind jedoch nicht fremde Feinde, von denen an
vielen Stellen in der Bibel die Rede ist – es sind Leute aus
den eigenen Reihen, die abtrünnig geworden sind. Denen
Gott vielleicht als zu unsichere Instanz vorgekommen ist.
Oder denen erhoffte Veränderungen zu langsam vorangegangen
sind. Oder die bessere Möglichkeiten gesehen haben,
Probleme mit eigenen Mitteln zu lösen, als Gott darum zu
bitten. Wenn ich mein eigenes Verhalten kritisch betrachte:
Wo stehe ich eigentlich? Oder: Stehe ich wirklich jederzeit
auf der Seite «seiner Knechte»?

Von: Hans Strub

10. Mai

Ist mein Arm denn zu kurz, dass er nicht erlösen kann?
Oder habe ich keine Kraft, zu erretten?
Jesaja 50,2


«Warum war niemand da, als ich kam? Gab keiner Antwort,
als ich rief?» Gott ist es, der durch den Propheten so fragt.
Es sind Fragen, die treffen. Auch heute. Gab es nicht auch
bei mir Momente, in denen ich an Gott zweifelte? In denen
ich mich angesprochen fühlte, aber so tat, als wäre nicht
ich gemeint? Etwa als ich merkte, dass es meinem Arbeitskollegen
schlecht ging, ich aber wegsah, damit ich nicht in
eine unübersichtliche Situation hineingezogen würde. Mit
diesen Fragen fühle ich mich ertappt. In jenen entscheidenden
Augenblicken, als ich meine Hilfe hätte anbieten
sollen, habe ich nur an mich gedacht. Und die Möglichkeit,
dass Gott da auch eingreifen könnte, dass ich ihn um Hilfe
angehen könnte, schlicht nicht in Betracht gezogen. So ist es
offensichtlich den Jerusalemern damals auch ergangen: Sie
beklagten sich über den schleppenden Wiederaufbau der
Stadt nach dem Exil, und sie hatten aus dem Blick verloren,
dass Gott ihnen in der Vergangenheit immer und immer
wieder neue Anfänge geschenkt hatte. Dass er seine Kraft
erwiesen hatte, dass er gerettet hatte, dass er die Rückkehr
der Exilierten ermöglicht hatte. Die unüberhörbare Anklage
soll weder zu Angst noch zu Trotz verführen, sondern zu
einer Portion Selbsterkenntnis und erhöhter Achtsamkeit
in Zukunft. Und zu erhöhtem Zutrauen in Gottes Möglichkeiten,
die grösser sind als mein Verstand.

Von: Hans Strub

4. April

Fürchte dich nicht, liebes Land, sondern sei fröhlich
und getrost; denn der HERR hat Grosses getan. Joel 2,21

Offensichtlich ist es nötig, Joels «Fürchte dich nicht!» und
sein «fürchtet euch nicht!» (Vers 22). Offensichtlich redet er
in eine Situation hinein, die von politischen, wirtschaftlichen
und auch wettermässigen Gefahren bedroht ist. Wenn dann
einer kommt und sagt, man solle fröhlich und getrost sein,
tönt das zunächst naiv und unbedarft. Aber der so redet,
gibt als Quelle dafür niemand anderen als Gott an. Den
Gott, der immer wieder an seinem Volk «Grosses» getan
hat – und jetzt weiter tut! So verändert sich seine Botschaft
und wird zu einer Zusage, einer Verheissung, die abgedeckt
ist durch Gottes Willen, dem Volk Leben und Sicherheit
zu geben (Verse 20–22). «Ihr, Kinder Zions», so heisst es
dann in Vers 23, «jubelt und freut euch am Herrn, eurem
Gott…». Das entspricht dem Aufruf, sich nicht zu fürchten,
was immer auch ist und kommen mag. Anders gesagt: Nicht
die bange Sorge um eine Zukunft, die auch bedrohlich sein
könnte, soll uns beherrschen, sondern die Freude darüber,
was jetzt ist und was Gott uns jetzt bereitet. Es ist ein Aufruf
zum gegenwärtigen Leben, und den dürfen wir in dieser Karwoche
ganz besonders deutlich hören! Durch die Annahme
der Passion hat Gott ein für alle Mal in aller Deutlichkeit
gezeigt, dass er oder sie das Leben der Welt und der Menschen
will. Und dass deshalb die Furcht dem Dank und dem
Jubel Platz machen soll. Und darf!

Von: Hans Strub

3. April

Ich habe den HERRN allezeit vor Augen. Psalm 16,8

Erst auf einen zweiten Blick fällt auf, dass es sich bei diesem
Jubelpsalm um den Dank eines Menschen handelt, der
unter dem schweren Vorwurf stand, vom Glauben abgefallen
zu sein und der gar von einem Todesurteil bedroht war
(Vers 10). Weil er seinen Gott «allezeit» vor Augen hat und
hatte und weil dieser Gott ihn nicht im Stich liess («mir zur
Rechten steht», Vers 8b), steht er heute wieder aufrecht
da. Und kann er seinen Gott loben und ihm dankbar sein.
Er muss erfahren haben, dass sein Leben und sein Schicksal
(sein «Los», Vers 5) nicht mehr in seiner Hand lagen, dass
er also dem Urteil anderer ausgeliefert war. Aber da habe er,
so bekennt er, gespürt, wie dieses «Los» in Gottes Händen
lag. Wie er darauf vertrauen musste und durfte, dass Gott
ihn nicht aus seinen Händen fallen lässt. Auch wenn es zum
Glück nicht immer gleich um Weiterleben oder Sterben
geht, ist mir die Erfahrung sehr bekannt, dass plötzlich eine
Situation eintreten kann, in der ich nicht mehr selbst über
meine Zukunft entscheiden kann. In der ich auf die Hilfe von
Gott und seinen Schutz existentiell angewiesen bin. Als sie
dann kam, habe ich im Gebet «Danke» gesagt. Aber laut
und gar in einer gewissen Öffentlichkeit, wie es der Psalmsänger
hier tut, machte ich dies kaum je. Für ein nächstes Mal
nehme ich mir die Abwandlung eines bekannten Bonmots
vor: «Erfahre Gutes und rede davon!» Gott laut danken
und seine/ihre Güte preisen (Vers 7) – das sollten wir tun …

Von: Hans Strub

11. März

Mose sprach: Siehe, ich lege euch heute vor den Segen
und den Fluch: den Segen, wenn ihr gehorcht den
Geboten des HERRN, eures Gottes, die ich euch heute
gebiete; den Fluch aber, wenn ihr nicht gehorchen
werdet den Geboten des HERRN, eures Gottes. 5. Mose 11,26–28

Bevor in der grossen und langen Abschiedsrede des Mose
alle Gesetze dem Volk ein weiteres Mal präsentiert werden,
hört es hier gewissermassen Einleitung und Überschrift: Gott
erbittet, erhofft und erwartet, dass das Volk ihn als den einzigen
Gott ernst nehme, dass es sich bewusst mache, was alles
dieser Gott seinem Volk an Gutem beschert hat und wie
er ihm in Kürze ein gesegnetes, fruchtbares Land schenken
wird ennet der Wüste und dem Jordan. Wenn es alles, was
Gott erwartet und erhofft und auch fordert (das hebräische
Verb bringt auch etwas von Gottes «Werben» um sein Volk
zum Ausdruck) – wenn es also das befolgt, dann wird Gottes
Segen über ihm sein, die ganze Zeit. Gott rechnet damit, dass
es auf sein Werben eingeht, dass es für alle Zeit den Segen
erhalten wird. Dennoch soll es sich stets auch des Abgrunds
bewusst bleiben, in den es bei andauernder und bewusster
Nichtbefolgung stürzen könnte. Es ist die Grundhaltung
Gottes, in der anschliessend die vielen Satzungen formuliert
werden: das Wohlwollen und das Zutrauen, das Volk werde
seine Nähe bewahren. So «behütet» Gott sein Volk! Damals
wie heute und in alle Zukunft! So ist unsere Welt heute und
morgen behütet.

Von: Hans Strub

10. März

Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.
Psalm 121,4

Eine wunderschöne Erweiterung des alten und weiterhin
gebräuchlichen «Bhüeti Gott!» – ein Reisesegen, wohl für
einen Wallfahrer. Nicht von «irgendwem» von den Bergen
herab ist Hilfe oder Schutz zu erwarten (Vers 1), sondern
einzig von Jahwe, deinem Gott! Oder, wie es in unserem heutigen
Vers heisst, vom Gott ganz Israels. Er ist der «Hüter»,
er behütet in jeder Situation. Fünfmal im kurzen Psalm
erscheint dieses Wort, fünfmal zeigt es an, wie Gott behütet
(vor Sonnenstich etwa oder vor allem Bösen, Verse 5–8).
Bei Tag und bei Nacht, ohne Unterbruch. Gott ist da und
braucht keine Pause. Sein Behüten ist dauerhaft, sein Schutz
ist grenzenlos. Er gilt dem einzelnen Menschen wie dem
ganzen Volk. Im Alltag verwenden wir diesen feinen Begriff
vor allem, wenn es um kleine Kinder geht: Eine umsichtige
ältere Person sorgt dafür, dass dem kleinen Menschen nichts
zustösst, dass er sich nicht verletzt, dass er nicht irgendwo
hingerät, wo ihm ein Sturz oder anderes «Ungfehl» droht.
Genauso wie ein kleines Kind nicht wissen kann, was für es
gefährlich werden könnte, kann man es auf einer Reise nicht
im Voraus wissen. Umso zuversichtlicher macht ein Reisesegen.
Da wird mir bewusst, dass ich begleitet bin. Was der/
dem Einzelnen zugutekommt, gilt für das ganze Volk. Gott
behütet seine Menschen, wohin sie auch gehen, in welche
ungewisse Zukunft sie unterwegs sind! Danke, Gott, für
diese Gnade! «Bhüetech Gott!»

Von: Hans Strub

4. Februar

Jakob gelobte Gott: Von allem, was du mir gibst,
will ich dir den Zehnten geben.
1. Mose 28,22

Jakobs Gelöbnis steht am Ende seines berühmten Traums, in
dem er eine Treppe (oder Leiter) sieht von der Erde bis in den
Himmel und von der herab Gott ihm Land, Nachkommen,
Zukunft und zuletzt Segen zuspricht (Vers 15): «Und siehe,
ich bin mit dir und behüte dich, wohin du auch gehst, und
ich werde dich in dieses Land zurückbringen; denn ich verlasse
dich nicht, bis ich getan, was ich dir gesagt habe.» Ob
dieser umfassenden und grenzenlosen Verheissung erwacht
Jakob im Heiligtum von Beth-El (Haus des El, Haus Gottes).
Und er gelobt seinerseits, dass dieser ihm erschienene
Gott für alle Zeiten sein Gott sein soll. Und er ihm dienen
will und danken, eben mit dem Zehnten. Auch wenn
die Verzehntung schon früher im Genesisbuch vorkommt
(1. Mose 14,20), wirkt sie hier fast etwas unbeholfen und
wenig passend zu dem, was ihm im Traum widerfahren ist.
(Man geht deshalb davon aus, dass die letzten Verse ein
späterer Zusatz sind.) Aber sie soll zeigen, dass Jakob den
göttlichen Segen nicht nur dankend entgegennimmt, sondern
auch an seinem Platz etwas tun will dafür. Nicht einmalig,
sondern wiederkehrend, weil auch der Segen für immer
wirkt. Jakobs «Gelöbnis» ist eine Selbstverpflichtung, weil er
weiss, was ihm Gott Gutes getan hat. Dieser Segen hält bis
auf den heutigen Tag – und weit über ihn hinaus! Gilt das
für unsere Selbstverpflichtung auch …?

Von: Hans Strub

3. Februar

Wie kehrt ihr alles um! Als ob der Ton dem Töpfer
gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister:
Er hat mich nicht gemacht!, und ein Bildwerk spräche
von seinem Bildner: Er versteht nichts!
Jesaja 29,16

Gott sieht alles und durchschaut alles. Gott weiss, worauf
Menschen im Verborgenen sinnen, was im Untergrund
geplant wird, wo Wahrheit ins Gegenteil verkehrt wird,
wo Fake News das Feld beherrschen, wo sich Menschen
über andere erheben und besser sein wollen als jene. Wo
Geschichte umgeschrieben wird, damit sie instrumentalisiert
werden kann. Wo Zusammenhänge zwischen Schöpfer
und Geschöpf umgekehrt werden, wie hier zwischen Töpfer
und Ton oder zwischen Maler und Bild. So handle das Volk,
lässt Gott Jesaja sagen (Verse 1–15) – und man muss erwarten,
dass nun als Strafe dafür das grosse Unheil verkündet
wird. Doch dann folgt unerwartet das grosse Aber. Auch
wenn nichts von all dem bösen Tun Gott verborgen ist,
sagt er dennoch: Siehe, ich werde an diesem Volk weiterhin
wundersam handeln, wundersam und überraschend …
Und dann folgen weitere Gottessätze dieser Art, dass man
nur staunen kann (Verse 17–24)! Da stellt Gott wieder in
den Senkel, was schief war, da wird Hoffnung ganz konkret
genährt, da zeigt sich Gott als vergebender Gott, der das
Leben schenkt. Weil er es will. Für alle in allen Zeiten, wie
immer sie auch sind, was immer sie auch tun …

Von: Hans Strub

11. Januar

Der HERR hört mein Flehen; mein Gebet nimmt
der HERR an.
Psalm 6,10

So endet ein verzweifeltes Gebet um Erlösung von Krankheit
oder Unheil oder Depression. Erschöpft sei er, schwach und
matt und bedrängt. Er fühlt sich am Ende seiner Kräfte. Und
da geschieht etwas Unerwartetes, plötzlich wird er laut und
klar: «Weicht von mir, ihr Übeltäter, denn Gott hat mein
lautes Weinen gehört.» (Vers 9) Mit einem Mal erwächst
ihm Kraft zum Aufbegehren, zum Widerstand. Und er nennt
gleich den Grund dafür: Gott hat mich gehört und mein
Gebet angenommen. Das Eingeständnis der Schwäche gibt
Kraft! Verzweiflung und Erschöpfung zuzugeben, verändert
vieles. Weinen oder gar Flehen ist gesund und befreit die
Seele und den Körper aus dem (angeborenen) Drang, es
aus eigener Kraft schaffen zu wollen. Was da und dort in
populären Ratgebern zu lesen ist, wird hier in aller Offenheit
und Klarsicht vorgelebt: Es ist eben nicht ein Zeichen von
Schwäche, sein Schwachsein zuzugeben und auszusprechen.
Wer dazu steht, dass sie / er am Ende der eigenen Möglichkeiten
angelangt ist, schafft Raum für Hoffnung, kann Hilfe
annehmen. Der Mensch, der hier betet, kann aufstehen, weil
er ehrlich genug ist, seinen Zustand zu benennen. Aus seinem
rückhaltlosen Gebet erwächst ihm Kraft. Gott wird in
der Schwachheit mächtig. Er ermächtigt auch mich. Das ist
Gnade.

Von: Hans Strub