Eure Liebe ist wie der Tau, der frühmorgens vergeht!
Hosea 6,4

Hosea ist der Prophet der harten und radikalen Sätze! Er
sieht es als seinen prophetischen Auftrag, dem Volk klipp
und klar zu sagen, wo es steht und wie es sich verhält. Er tut
das hier, indem er ein Bild umdreht, das vertraut ist und das
auch in Liebesgedichten in vielen Variationen verwendet
wird, zum Beispiel: Meine Liebe ist wie der Morgentau, der
sich sanft auf dich legt. Eben gerade nicht bei euch, sagt
Hosea, er löst sich auf, verdunstet, verschwindet. So ist es mit
eurer Liebe, mit eurer Treue (die Zürcher Bibel bleibt etwas
zurückhaltender): Sie hält nicht. Sie trägt nicht. Man kann
ihr nicht vertrauen. Man kann euch nicht trauen. Ihr macht
zwar den Anschein, als ob ihr Liebe und Treue hättet, aber
wenn man genauer hinschaut, ist da nichts. Leere. Also Lieblosigkeit,
Treulosigkeit. Das «richtige Gegenteil sind Wahrhaftigkeit
und glaubwürdiges Sein und Tun!» (Verse 5–6)
Darauf kommt es an, damals am Ende des Nordstaates Israel
wie heute. Hoseas heftige Worte stellen auch uns Fragen –
aber sie geben auch Hinweise auf Antworten. Nicht wie wir
uns geben, ist recht, sondern wie wir sind. Im Verhältnis zu
Gott und im Verhältnis zueinander. Nicht flüchtiger Tau,
sondern nährendes Wasser. Nicht frommer Schein, sondern
demütiges Sein. Hosea versteht sich als Prophet, der das
sagen muss, was nicht geht. Denen, die ihn hören, kommt
es zu, die richtigen Konsequenzen zu leben.

Von: Hans Strub