Kategorie: Texte

8. April

Christus hat euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fussstapfen. 1. Petrus 2,21

Werde ich nach meinen Vorbildern gefragt, so trifft diese Frage voll ins Schwarze. Denn mein Leben ist voller Menschen, die mich inspirieren, motivieren und in mir etwas wecken, das ich ebenfalls erreichen und zum Blühen bringen möchte. Oder bei denen ich einen Umgang mit dem Leben beobachte, den ich als klug und nachahmenswert empfinde. Mehrheitlich handelt es sich um Menschen aus meinem persönlichen Umfeld: meine Grossmutter, die sich in einer beruflichen Männerdomäne einen Namen schuf. Meine Eltern, die sich so manchen gesellschaftlichen Konventionen entzogen und doch sozial engagiert sind. Dann natürlich Lehrerinnen und Lehrer, die mich mit ihrer Faszination für ihr Fachgebiet begeisterten und förderten.

Sicher gibt es auch Menschen des öffentlichen Lebens, die mich in ihren Bann ziehen. Interessanterweise habe ich mich noch nie gefragt: worin mir Christus ein Vorbild sein könnte. Vielleicht ist er einfach zu gross, zu weit entfernt oder zu abstrakt? Oder weil ich mir ein Leben mit Jesus als Vorbild zu demütig, ja unterwürfig und etwas freudlos vorstelle? Vielleicht aber auch, weil ich mir bisher meine Vorbilder zu sehr im äusseren Leben gesucht und mich nie gefragt habe, wo sich in meinem Inneren verborgene Spuren befinden, die zu einem ganz eigenen Vorbild führen könnten? Wieso also heute nicht einmal nach Fussstapfen suchen, die hin zu meiner eigenen Essenz führen, worin ich für mich selbst Inspiration und damit vielleicht auch für andere Vorbild sein könnte?

Von: Esther Hürlimann

7. April

Die Israeliten sprachen zum HERRN: Wir haben gesündigt, mache du es mit uns, wie dir’s gefällt; nur errette uns heute! Richter 10,15

Nein, wir sind nicht bloss schwach geworden bei einer
süssen Verführung. Nein, wir haben nicht bloss aus Faulheit
oder Gedankenlosigkeit etwas gesagt oder getan, was unanständig ist. Nein, wir haben nicht mutwillig oder trotzig
das missachtet, was man den «moralischen Kompass»
nennt oder auch den «gesunden Menschenverstand».
Viel schlimmer und zugleich viel heikler, weil es so schnell
passiert: Wir sind aus der Liebe ausgestiegen. Wir haben
ihrem Zug nicht mehr nachgegeben, ihren Schub nicht mehr
genutzt. Obwohl wir tief in uns wussten, dass das hier und
jetzt nicht möglich ist, haben wir gemeint, wir könnten einen
Kompromiss machen: Die Liebe irgendwie kombinieren mit
unserem Sicherheitsbedürfnis oder unserem Wunsch, uns
allen anzupassen, mit unserer Lust auf Einfluss oder unserem Hang nach Bequemlichkeit. Eben: Wir haben gesündigt,
und jetzt kriegen wir es nicht mehr hin, sondern sind dir
ausgeliefert. Wenn du nicht du wärst, der gnädige, barmherzige, freundliche, das Leben schaffende und schützende
Gott, müssten wir vor Angst vergehen. Aber weil du du
bist, überlassen wir uns dir und deiner Gnade. Wir verlassen
uns darauf, dass du uns in Sicherheit bringst, in die Freiheit
führst, leben lässt.

Von: Benedict Schubert

6. April

Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Kolosser 3,16

Spannend, dass «wohnen» in der Bibel öfter mal vorkommt. Wie wollen wir wohnen? Das ist nicht nur für mein eigenes Wohlbefinden, sondern für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ja – angesichts des Verbrauchs von Ressourcen wie Boden oder Energie zum Heizen, Kühlen, Kochen – für das Überleben unseres Planeten entscheidend.
Aber nicht im Zusammenhang mit einem gemütlichen Küchentisch oder dem Bedarf an Sanitäranlagen ist hier vom Wohnen die Rede. Der Kolosserbrief plädiert dafür, dass das Wort Christi in unseren Wohnungen reichlich Platz haben soll. Als Reformierter stelle ich mir beim «Wort Christi» immer auch eine Bibel vor. Aber das Wort Christi ist nichts für die Wohnwand. Es soll Platz finden am Tisch. So, wie in der jüdischen Pessachtradition ein Stuhl frei bleibt für den Propheten Elia, der kommen könnte, um die Ankunft des Messias anzukündigen. Das Wort Christi wohnt mit, wenn wir in der Gemeinschaft voneinander lernen, wenn das Leben gefeiert und wenn gesungen wird. Und es hat einen Ort, wenn alle ein sicheres Dach über dem Kopf haben, und wenn Wohnen sich nicht darin erschöpft, den Schlüssel drehen zu können, um die Welt draussen zu halten.

Von: Matthias Hui

5. April

Ich will gedenken an meinen Bund, den ich mit dir geschlossen habe zur Zeit deiner Jugend, und will mit dir einen ewigen Bund aufrichten. Hesekiel 16,60

«Der Bund». Er liegt jeden Tag auf dem Frühstückstisch unserer Wohngemeinschaft. Eine traditionsreiche Schweizer Tageszeitung, die sich auf die Gründung des Bundesstaates bezieht und in der Bundeshauptstadt erscheint. Bei «Bund» denke ich zuerst an den föderalistischen Zusammenschluss, in dem wir leben, und nicht an den Bund, den Gott nach der Bibel mit den Menschen geschlossen hat. Hat der Zeitungstitel nichts mit der göttlichen Zusage zu tun? Immerhin steht in der Präambel der schweizerischen Bundesverfassung «Im Namen Gottes des Allmächtigen», und das deutsche Grundgesetz spricht am Anfang von der «Verantwortung vor Gott und den Menschen». Das mag in einer säkularen Gesellschaft überlebt sein. Aber in der schweizerischen Präambel steht eben auch, dass «die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen», und im deutschen Grundgesetz ist das Recht auf Widerstand festgeschrieben für den Fall, dass Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat zerstört werden könnten. Das Versprechen auf ein gutes, gerechtes Leben für alle ist da. Die Verfassung erinnert uns daran. Und die Bibel ermutigt uns, auch in dürftigen Zeiten, in denen Mächtige Leben vernichten, den Glauben daran und die Arbeit dafür nicht aufzugeben.

Von: Matthias Hui

4. April

Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der Herr, der dies alles tut. Jesaja 45,67

«Ich bin der Herr und keiner sonst, ausser mir gibt es keinen Gott. Ich gürte dich, auch wenn du mich nicht erkannt hast, damit sie erkennen, vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang her, dass es keinen gibt ausser mir. Ich bin der Herr, und keiner sonst. Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft, ich, der Herr, bin es, der all dies vollbringt.» In den Versen 5–7 erstellt Gott gewissermassen ein Selbstporträt. Ein sehr umfassendes, aber auch ein sehr klares: Gott kann alles, und er/sie spannt alle ein für den Erweis seiner Vollmacht. Auch den fremden König Kyros. Dieser ist es, der den nach Babylon deportierten Volksteilen die Rückkehr ermöglicht. Den Neuanfang. Gott braucht Menschen zum Vollzug seiner/ihrer Pläne. Auch fremde, unerwartete. Denn Gott ist nicht einfach – Gott ist in Beziehung. Zur Welt. Zu dem, was geschaffen ist. Zum Licht wie zur Finsternis, zum Frieden wie zum Unheil. Er/sie setzt diese Pläne um, für das Volk, für die Menschen, auch für mich. So bekomme ich Anteil an seiner/ihrer Macht und Gestaltungskraft. Und kann erkennen, dass selbst unheilvolle Erfahrungen auf Gott zurückgehen. Dadurch aber werden auch sie ansprechbar im Gebet. Denn nur Gott ist es, der auch heilen kann. Welche Hoffnung!

Von: Hans Strub

3. April

Sie sollen erfahren, dass ich der Herr bin, wenn ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe. Hesekiel 34,27

Gott befreit und schenkt neues Leben. Diese Quintessenz aus den Prophetenworten an das Volk (die «Schafe») hatte damals eine starke politische Bedeutung, sie hat heute eine grosse Bedeutung, individuell wie politisch, und sie wird auch in der Zukunft Bedeutung haben. Hesekiel – oder Ezechiel – nimmt  die Osterbotschaft vorweg. Was damals den Nachkommen des idealisierten David gesagt wurde, wird spätestens seit Ostern auf Jesus, den Nach-Nachfolger Davids, übertragen. Befreiung und Errettung als etwas, worauf Verlass ist. Das «gedeckt» ist, weil es Gottes Wort ist. Es trifft mich genau dann, wenn ich trübsinnig bin. Wenn die Weltgeschichte eine Wendung genommen hat, die mir Angst macht. Wenn im privaten Bereich erwartete Erfolge nicht eintreten und eine starke Depression im Anzug ist. Wenn Beziehungen auf einen Bruch hinsteuern. Wenn ich mich immer einsamer fühle mit den schweren Gedanken, die mich mutlos machen und mich lähmen. Da hinein fällt das grosse Gotteswort, das Neues zusagt und verspricht: dass die drohende Sonnenfinsternis um mich und in mir vorbeigeht und es hell wird. Dass die Weltgeschichte nicht an ihr Ende kommt, sondern dass bislang unbegangene Wege sich auftun. Ich darf mich auf diese noch unglaublich erscheinende Öffnung in meinem Leben und in der Welt einlassen. Gott hat sie versprochen, weil er Gott ist. Und wir das erkennen.

Von: Hans Strub

2. April

Die Jünger nötigten Jesus und sprachen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Lukas 24,29

Weisst du, ich überlege mir gerade, wie oft ich wohl diesen Kanon schon gesungen habe. Zu welchen Zeiten. Und an welchen Orten. «Herr, bleibe bei uns!» Damals, als junges Mädchen oder fast schon als Frau, in einer Bibelgruppe, inbrünstig und vom eigenen Glauben begeistert, unterstützt durch Gitarrenklänge eines Leiters, in den wir ein bisschen verliebt waren. Und dann im Heim, wenn wir als Team und mit den Kindern draussen unter der grossen Linde in dieses Abendlied einstimmten und fast nicht mehr aufhören konnten damit, mit Kindern, die eigentlich nicht singen wollten und sich dennoch vom Singen tragen liessen. Und dann im Gottesdienst in der vollen Kirche, wie von einem heiligen Schauer erfasst, berührt durch die Kraft der Worte, durch die Kraft des Gesangs, der eigentlich schon kein Bitten mehr ist, sondern Gewissheit, dass du bleibst. Und dann in kleiner Runde am Grab, wo uns die Stimmen zu versagen drohten, weil so viel Hoffnung gestorben war, wir aber das Singen nicht lassen konnten, weil was im Leben geholfen hatte, vielleicht nun auch beim Abschied hilft. Und dann so oft auch allein gebetet, nicht gesungen, nur gebetet, ich für mich.

Weisst du, jetzt überlege ich mir gerade, wie oft ich dir dafür gedankt habe, dass du über Nacht geblieben bist.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. April

Lernt Gutes tun! Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten! Jesaja 1,17

Das wollen wir lernen. Gutes zu tun. Wir geben uns Mühe. Tag für Tag. Und manchmal gelingt es. Dass aus der Absicht, Gutes zu tun, Gutes entsteht. Für alle, die beteiligt sind.

Das wollen wir lernen. Das Recht zu suchen und den Unterdrückten zu helfen. Wir geben uns Mühe. Tag für Tag. Und manchmal gelingt es. Dass wir verstehen, was Recht sein könnte. Und wir uns auf die Seite der Schwächeren stellen.

Im Wortlaut der Zürcher Bibel gibt es innerhalb dieses Verses noch einen Einschub: «Weist den, der unterdrückt, in seine Schranken!» Dieser Satz hat es in sich. Und hat Konsequenzen. Gutes tun und den Schwächeren helfen, ist eine ehrenhafte Sache. Wir können mit Nächstenliebe punkten. Doch den Stärkeren in seine Schranken weisen, damit es weniger Schwächere gibt, das braucht Mut. Man macht sich damit nicht beliebt.

Das möchte ich lernen. Auf die Einschübe zu hören und mich zu wehren. Mit ein bisschen mehr Biss durch den Tag zu gehen. Und mit etwas weniger Poesie. Beliebtheit ist von kurzer Dauer. Ich möchte in Liebe unterscheiden lernen. Was wann und wo gefragt sein könnte.

Von: Ruth Näf Bernhard

31. März

Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckrige zur Ebene. Jesaja 42,16

Ostern! Kein Tag im christlichen Kalenderjahr ist von so wuchtiger Bedeutung. Die Auferstehung Jesu ist die Essenz unseres Glaubens. Und jedes Jahr habe ich das Gefühl, die barocken Fanfaren des Oster-Oratoriums ein wenig auch in unserer säkularen Welt klingen zu hören. Ich empfinde an diesem Tag jeweils eine festliche Verbundenheit mit meiner christlichen Identität. Die ganze Fülle ist da: Erlösung, Verwandlung, Glück, Liebe. Finsternis wird zu Licht. Höckriges wird zur Ebene. Jedes Leid hat ein Ende. Alles wird gut!

Doch schleichen sich in diesen wundervollen österlichen Lobgesang auf all die kraftvollen Dinge unseres Glaubens auch Wolken voller Rätsel. Wie die ratlosen Angehörigen vor dem leeren Grab frage ich mich angetrieben von unserer glaubensfernen Vernunft: Vielleicht war die Folterung am Kreuz gar nicht das Lebensende von Jesus von Nazareth? Waren da nicht doch heimliche Retter im Spiel, die den vermeintlichen Messias lebend ins Ausland schmuggelten? Das leere Grab nur eine raffinierte Inszenierung?

Anerkenne ich Ostern als Moment, in dem ich ganz bewusst meinen christlichen Glauben feiern möchte, so lege ich an diesem Tag all diese Fragen für einmal in ein symbolisches Grab. Ich probiere es, dieses Wunder der Auferstehung auf mich wirken zu lassen, sodass Unerkanntes und Verborgenes aufleben kann. Das tolle Jesajawort ebnet dafür den Weg, um finstere Wolken und höckrige Böden zu passieren und diese Verwandlung zu neuem Sein in uns zu feiern.

Von: Esther Hürlimann

30. März

Der Herr macht sich auf, dass er sich euer erbarme. Jesaja 30,18

Gott rettet, die aufs falsche Pferd setzten. Gott erbarmt sich über die, die lieber eine Versicherung zu viel abschliessen. Er erbarmt sich über jene, die Vertrauen durch Kontrolle ersetzen, Gutmütigkeit mit erhöhter Alarmbereitschaft vertauschen und ihren eigenen Lebensraum beschneiden, um sich sicherer zu fühlen.

Noch ist Gott nicht da. Er ist erst daran, sich aufzumachen. Es braucht noch ein wenig Geduld, bis sein Erbarmen Früchte trägt in meinem bedrohten Alltag.

Sein Erbarmen brauche ich in der Tat, in meinem hasenfüssigen Leben und meiner Unfähigkeit, zu wissen, was übermorgen ist. Jesaja schreibt, als zöge mir Gott meinen schönen Teppich unter den Füssen weg, der mir Sicherheit gibt und den Bereich abgrenzt, den ich gerade noch so zu überschauen vermag. Gott lockt mich ins Weite, indem er mir die Vergeblichkeit meiner Bemühungen vor Augen führt, das, was zählt, wirklich im Griff zu haben. Selbstverständlich hoffe ich, die mir anvertrauten beruflichen Aufgaben zur Zufriedenheit der Auftraggeberin zu erfüllen. Es geht bei dem, was Gott mir mit Hilfe von Jesaja ausrichtet, um das grosse Ganze; das, worauf ich setze und wonach ich mich richte. Jesaja bewahrt mich davor, zu klein zu denken von Gott und zu kleinräumig vom Leben, das er mir anvertraute. Ich soll es nicht kaputtsorgen. Darum hoffe ich sehr, dass er heute rechtzeitig eintrifft.

Von: Esther Hürlimann