Autor: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

29. März

Als der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!
Matthäus 27,54

Der Tod Jesu war, so wie es Matthäus erzählt, ein Spektakel. Seit drei Stunden lag eine tiefe Finsternis über allem. Oben am Kreuz betet Jesus Psalm 22: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Ob er noch bis zum nächsten Psalm gekommen ist? «Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.» Nach seinem letzten Schrei zerreisst der Vorhang im Tempel. Der Weg zu Gott ist barrierefrei. Die Erde bebt, Felsen zerreissen und die Gräber tun sich auf. Die entschlafenen Heiligen nehme neue Wege unter die Füsse. Dass da auch der Hauptmann neue Gedanken denkt, leuchtet mir ein.

Am Abgrund, unter dem Kreuz, bekennt der Hauptmann: «Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.» Wie kann ich heute das, was wir den ersten Karfreitag nennen, mit meinem Leben verbinden? Wie kann ich es in meinem Leben bezeugen? «Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du’s so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu und, wenn ich einst erkalte, in dir mein Ende sei», so drückt es Paul Gerhardt im Lied «O Haupt voll Blut und Wunden» aus. So verbindet er jenen Tag, dessen wir heute gedenken, mit seinem Leben.

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

15. März

Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Galater 3,26

Du bist ein Kind Gottes! Ich auch. Das steht bisher nicht im Stammbuch meiner Familie. Durch meinen Glauben, weil ich mich Gott anvertraue, bin ich hineingestellt in neue Zusammenhänge. Bin Teil einer neuen Familie. O.k. Nicht alle Familienmitglieder sind mir gleich sympathisch. Aber ich ahne, es lohnt sich, sie besser kennen zu lernen. Und Jesus ist mein grosser Bruder. Er kennt Gott schon länger als ich. Von ihm erfahre ich, wie Gott ist. Ihm glaube ich seinen Gott. Ihm hinterher sammle ich meine eigenen Erfahrungen, die ich gerne mit meiner neuen Schwester Chatrina teile.

Schwester, Bruder… mir ist das etwas zu viel Familie, lieber Lars. Das ist mir zu eng. Ist das Wesentliche der jüdisch-christlichen Tradition nicht, dass sie die grosse Idee der Menschlichkeit entdeckt hat? Hat Jesus auf dem Berg nicht sie verkündet? Und hat Maria mit dem Magnificat nicht sie besungen? «Mächtige hat Gott vom Thron gestürzt. Niedrige hat er erhöht. Hungrige hat er mit Gutem gesättigt.» Umfasst die Idee der Menschlichkeit nicht mehr als eine exklusive Familie? Gehören da nicht alle dazu? Auch solche, die nicht glauben?

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

14. März

Jesus sprach zur kanaanäischen Frau: Frau, dein Glaube ist gross. Dir geschehe, wie du willst! Matthäus 15,28

Wie gross muss mein Glaube sein, bis das geschieht, was ich will? Die Frau aus Kanaan beeindruckt mich. Sie lässt nicht locker, fordert Jesus heraus. Und sie ist schon mit wenig zufrieden. Ein kleiner Anteil seiner Macht, so gross wie die Brotkrümel, die vom Tisch fallen, würde ihr schon genügen, sagt sie. Dann, so gross ist ihr Glaube, wird ihre Tochter gesund. Da ist auch Jesus beeindruckt. Und er erfüllt ihren Wunsch. Dabei bittet er selbst später in Gethsemane «Nicht was ich will, sondern was du willst, geschehe.» Mein Wille versus Gottes Willen. Wie geht das zusammen?

Geht es um die Frage: Mein Wille versus Gottes Willen? Oder eher um die Frage: Mein Wille versus meinen Glauben? Jesus betet: «Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.» Mich beeindrucken die vier kleinen Worte: «Wenn es möglich ist, …» Glauben, verstanden als Vertrauen, als Verbindung mit dem Grund, der mich hält, kann ich nur jetzt. Ich kann weder gestern noch morgen glauben. Ebenso kann ich nicht auf Vorrat atmen. Atmen kann ich nur jetzt. Glauben ebenso. Die Frau aus Kanaan entscheidet sich, jetzt zu glauben. Jesus in Gethsemane ebenso. Das ist für mich gross, im Sinne von beeindruckend.   

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

29. Januar

Alle Völker auf Erden sollen erkennen, dass der HERR Gott ist und sonst keiner mehr! 1. Könige 8,60

Auch die Menschen im Appenzeller:innenland haben von Gott gehört. Das ist ganz schön weit weg von Israel, dem Mutterland unseres Glaubens. Aber haben wir schon erkannt, dass JHWH, der Gott, der sich Mose am brennenden Dornbusch gezeigt hat, tatsächlich auch für uns da ist? «Ich bin für dich da», so können wir diese vier hebräischen Buchstaben wohl übersetzen, die in unseren Bibeln meist mit HERR wiedergegeben sind.
Na ja. Wir verhalten uns jedenfalls selten so. Meistens rennen wir anderem hinterher. Werden wir eines Tages den Unterschied zwischen Gott und Nicht-Gott erkennen?


«Gott und Nicht-Gott», das verstehe ich nicht. Wenn ich von Gott spreche, brauche ich Bilder. Ich blättere weiter im Buch der Könige: «Nach dem Feuer aber kam das Flüstern eines sanften Windhauchs.» (1. Könige 19, 12b). Im Flüstern entdeckt Elija Gott. Wo es laut ist, ist JHWH nicht zu finden. Elija geht Gott entgegen. Beide kommen aufeinander zu. Die Gottesbeziehung ist eine gegenseitige. Steckt darin das Geheimnis der Einzigkeit? «Höre, Israel: JHWH, unser Gott, ist einer. Und du sollst JHWH, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.» (5. Mose 6,4)

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

15. Januar

Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Römer 8,15

Die Kinder Gottes sind frei. Wir sind nicht länger Knechte oder Mägde irgendwelcher Menschen oder Mächte. Als Kinder Gottes nehmen wir mutig unseren Weg unter die Füsse. Zunächst so wie ein kleines Kind, das laufen lernt. Vorsichtig setzt es einen Fuss vor den anderen. Zaghaft, behutsam. Gelegentlich hält es sich fest. Wartet. Guckt, in welche Richtung es weitergehen kann. Und dann wieder los. Immer mit Blick auf das Gegenüber wackelt es den offenen Armen entgegen. Zu den Händen, die da sind, wenn es fällt.


Sorglose Kinder mag’s geben. Sorglose Erwachsene kenne ich nicht. Mit wem ich auch spreche, schon bald stosse ich auf Unbill, auf Kummer und Last: Werde ich es schaffen? Werde ich es überstehen? Ich weiss es nicht. Unter einem Geist der Knechtschaft verstehe ich einen Geist, der gefangen ist in der Sorge. «Sorget euch nicht um euer Leben. Sorget euch um Gottes Reich. Der Rest wird sich ergeben.» In seiner Predigt auf dem Berg stülpt Jesus die Reihenfolge der Sorgen um. Die Alltagssorge ist nicht die Mitte des Lebens, sondern der, der durch die Worte der Bibel zu mir spricht. Ich kann ihn Abba, Vater, nennen oder auch Imma, Mutter.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

14. Januar

So spricht der HERR: Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe, dass es komme, und meine Gerechtigkeit, dass sie offenbart werde. Jesaja 56,1

Das sind grosse Worte. Wie sollen wir das leben? Recht, Gerechtigkeit und Heil. Das sagt sich so leicht. Aber wie kriegen wir das hin? So ganz konkret? Im Grossen und im Kleinen? Ich spüre erste Anflüge von Überforderung.
Und dann ahne ich, dass ich das ja nicht allein tun muss. Das Heil Gottes ist nahe. Es kommt. Und seine Gerechtigkeit offenbart sich. Da zeigt sich etwas. Und ich vertraue darauf, dass sich so auch zeigt, wie ich mich für die Gerechtigkeit einsetzen kann. Weil mir der Detaillierungsgrad des Gesetzes ein bisschen zu gross ist, halte ich mich an das Doppelgebot der Liebe. Das ist schwierig genug.


Das sind grosse Worte, ohne Frage, und unser Raum, sie zu kommentieren, ist klein. In einem Buch mit Aphorismen des österreichisch-israelischen Autors Elazar Benyoëtz las ich kürzlich: «Die Augen täglich in einen heiligen Text tauchen, ein Wort bedenken, eins beherzigen, eins in Erinnerung behalten. Das ist genug gelesen.» Gott spricht. Diesen Satz bedenke ich heute. Wahre das Recht. Diese Worte beherzige ich heute. Mein Heil ist nahe. Dieses Versprechen behalte ich in Erinnerung. Das genügt mir für heute. Genug gelesen, genug geschrieben.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

29. September

Wie sollen sie hören, wenn niemand da ist,
der verkündigt?
Römer 10,14

Nimmt Paulus hier vorweg, was uns in der Schweiz bald
blüht? Wenn die Statistik recht hat, sind 2030 70 Prozent
aller jetzt aktiven Pfarrerinnen und Pfarrer aus Altersgründen
nicht mehr im Amt. Der Nachwuchs kann die klaffende
Lücke nicht stopfen. Wie wird Kirche dann aussehen? In den
anderen kirchlichen Berufen sieht es ja keineswegs besser
aus. Doch das ist kein Grund zur Sorge. Wir steuern auf eine
Kirche zu, die endlich ernst macht mit dem Priestertum aller
Getauften. Wir sind ja alle aufgerufen, an Gottes Reich mitzubauen.
Und Zeugnis abzulegen, zu zeigen, was wir lieben
und worauf wir vertrauen.


Zum Stichwort Zeugnis ablegen und zeigen, was wir
lieben und worauf wir vertrauen, kommt mir ein Artikel
in den Sinn, den ich vor Jahren in einer Zeitschrift las und
nicht mehr vergessen
will. Darin wird erzählt, wie Delfine
reagieren,
wenn sie im Mittelmeer auf ein Boot voller
Flüchtlinge in Seenot treffen. Die Delfine suchen sofort nach
Rettungsschiffen. Wenn sie auf solche stossen, führen sie
diese zu den Menschen in Lebensgefahr. Menschen lassen
Mitmenschen im Mittelmeer ertrinken, Delfine aber hören
den Ruf der Not und antworten. Hat ihnen jemand ohne
Worte verkündigt?

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

14. Juli

Denn ihr alle seid Kinder des Lichts und Kinder
des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von
der Finsternis.
1. Thessalonicher 5,5

Das Lagerfeuer war für die Menschen im Orient der zentrale
Ort. Nach getaner Arbeit trafen sie sich in vertrauter Runde.
In der Nähe des Feuers gab es Wärme und Geschichten.
Wenn die Flammen züngeln, werden wir wesentlich. Mit
dem Blick ins Feuer vertrauen wir uns an, was uns überlebenswichtig
ist.
Die kleinen Funken, die vom Feuer aus ihre Reise starten,
heissen «Kinder des Lichts». Sie haben nur den Moment. Es
gibt kein Davor und kein Danach. Sie glühen. Sie leuchten.
Sie strahlen aus. Sie geben Kunde von dem, was sie trägt. Sie
sind – nur für einen Moment – Träger des Lichts. Es ist ihr
Moment. Mehr braucht es nicht.

Das Lagerfeuer brennt weiter. Es glüht, zischt, knallt und
qualmt für Stunden. Dann steigt das Morgenrot auf. Es
bringt der Erde das Leben zurück, all das, was heiter und licht
ist. Es vertreibt das Dunkle. Jeden Tag von neuem. Es lohnt
sich, einmal frühmorgens dem Eroberungszug des Lichts zu
folgen. Der erste Schimmer im Osten, der den Orion verblassen
lässt, die steigende Helle, die dann plötzlich die höchsten
Gipfel und Grate streift, auf den Firnen rosarote Teppiche
ausbreitet und auf den Firngraten den neuen Tag anzündet.

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz