Monat: Juni 2023

10. Juni

Selig sind, die da geistlich arm sind;
denn ihrer ist das Himmelreich.
Matthäus 5,3


Ich habe wegen des «geistlich arm» nach einer anderen
Übersetzung gesucht und in der «Volxbibel» folgende
gefunden: «Herzlichen Glückwunsch! Hart feiern können
die Leute, die nicht so gut checken, wo es spirituell langgeht.
Die nichts haben, mit dem sie Gott beeindrucken könnten.
Sie werden mit Gott dort leben, wo er der Chef ist.»
Geistlich arm würde ich nach dieser Übersetzung so verstehen:
weder vertieftes Wissen noch felsenfeste Überzeugungen
von einer Glaubenspraxis zu haben. Würde das auf
mich zutreffen? Ja, und auch nein: Ich bin nicht arm. Weder
materiell noch – behaupte ich – geistlich. Deswegen kann
ich nicht über Armut schreiben. Denn ich kann mich auf
vieles verlassen: auf meinen Monatslohn, auf mein Haus,
auf die medizinische Versorgung, auf die Ausbildung meiner
Kinder, auf die Ferien … Ich kann mich verlassen auf die
Liebe meiner Nächsten, auf das Äussern und Diskutieren von
Gedanken, auf Tätigkeiten, die mich erfüllen, auf ein Leben
voller Möglichkeiten. Ich verlasse mich auch darauf, dass
es nicht schlimm ist, wenn ich im Glauben zweifelnd und
fragend bin, ich darf trotzdem in spirituellen Gruppen mit
dabei sein. Aber wenn ich all diese Gewissheiten loslassen
müsste? Irgendwo fremd, unverstanden und womöglich arm
sein müsste? Würde ich dann verzweifeln oder durch diese
Armut gerade für Neues, Unerwartetes offen werden?

Von: Katharina Metzger

9. Juni

Der HERR, dein Gott, wandelte dir den Fluch in
Segen um, weil dich der HERR, dein Gott, lieb hatte.
5. Mose 23,6

Fluch und Segen. Beim heutigen Text ist es Bileam, der das
Volk Israel verflucht haben soll. Weiter heisst es, wie Gott
auf diesen Fluch reagierte: «Aber der Herr, dein Gott, wollte
nicht auf Bileam hören …», und dann folgt obiger Vers.
Hier stehen also menschliche Wünsche und Verwünschungen
und göttliche Kräfte in Verbindung miteinander. Und es
kommt mir so vor, als ob es dem Volk Israel erst hinterher
bewusst geworden wäre, dass es inmitten dieser guten und
schlechten «Sendungen» stand.
Als Wesen, das Fluch oder Segen empfängt, ist man also
immer irgendwie ausgeliefert. Können wir da nicht auch
selbst etwas in die Hand nehmen? Vielleicht das: Vor ein paar
Tagen hat mir eine Nachbarin, die nicht sonderlich religiös
ist, erzählt, sie habe ihren Kindern immer gesagt, sie dürften
nicht «Gopferdammi» sagen. Und ich erinnerte mich,
dass meine Mutter uns Kindern das auch so beigebracht
hatte. «Warum denn? Was heisst das überhaupt?», hatten
wir damals zurückgefragt. «Das heisst: Der Liebgott sell mi
nümm gärn ha», hatte meine Mutter erwidert. Ich übersetze
noch etwas weiter: Das würde heissen, sich selbst dem Fluch
und nur dem Fluch auszusetzen und jegliche Verbindung zur
Liebe zu kappen.

Von: Katharina Metzger

8. Juni

Boas sprach zu Rut: Du bist gekommen zu dem HERRN,
dass du unter seinen Flügeln Zuflucht hättest.
Rut 2,12


Es gibt Sätze in der Bibel, die uns wegen ihrer Weisheit faszinieren
oder weil sie in uns ein Glücksgefühl der Erkenntnis auslösen.
Dann aber gibt es auch Verse, die uns wegen einer sprachlichen
Irritation, ja einem Unverständnis in ihren Bann ziehen.
Bei diesem Ausschnitt aus dem Buch Rut bleibe ich an diesem
Konjunktiv am Schluss haften: «dass du unter seinen Flügeln
Zuflucht hättest.» «Hättest du gerne!» klingt fast zynisch mit.
Du suchst Schutz dort, wo du ihn sowieso nicht findest.
Der Satz lässt sich vermutlich nur eingebettet in die
Geschichte von Rut verstehen. Die junge Witwe kommt in ein
fremdes Land auf der Suche nach einem neuen Mann – ein
kolossal schutzloser, verletzlicher Zustand für Rut. Ihr einziger
Halt ist ihre Schwiegermutter Naomi, die sie begleitet und in
ihrem Gottvertrauen stärkt.
Der Satz fällt in der ersten Begegnung zwischen Rut und
Boas, einem wohlhabenden Bauern. Er erkennt in Rut offenbar
ihr Vertrauen und ihre Hoffnung auf einen Ort, der sie in ihrer
Schutzlosigkeit aufnimmt. Ob es ihm imponiert? Oder ob er es
einfach nur abschätzig kommentiert?
Letztendlich findet Rut ein doppeltes Flügelgespann, das sie
beschützt: eine neue Beziehung und die Integration in eine
neue Gesellschaft. Zudem wird ihre Hoffnung auf eine göttliche
Fügung belohnt, auf die sie trotz eines verunsichernden «Hättest
du gerne!» vertraute.
Dass Rut später zur Stammmutter der Israeliten wird und
jährlich im jüdischen Erntefest Schawuot gefeiert wird, sollte
uns ermutigen, an das Unmögliche zu glauben und dabei auch
ein zynisches «Hättest du gerne!» zu überhören.

Von: Esther Hürlimann

7. Juni

Wandelt auf dem Weg, den euch der HERR, euer Gott,
geboten hat, damit ihr leben könnt.
5. Mose 5,33


Den Abschluss der Tora, der kostbaren Sammlung der Weisungen
der Ewigen, bildet der Aufruf zur klaren Entscheidung
zwischen Segen und Fluch, Leben und Tod. Weil Gott
der Gott des Lebens ist, fleht Gott sein Volk förmlich an,
es solle sich für das Leben entscheiden, unter dem Segen
weitergehen, nicht unter dem Schatten eines Worts, das die
Kraft hat, unser Leben zu beschädigen.
Es geht um eine grundsätzliche Ausrichtung – und darum,
sie täglich mehrmals in die kleinen Entscheide zu übersetzen,
die ich auf meinem Weg zu treffen habe. «Wandeln» sollen
wir (nicht einen rigiden frommen Moralismus vertreten; das
wäre viel zu billig); ich soll mich bei jeder Weggabelung fragen:
Führt der Weg zum Leben eher links oder rechts durch?
In welcher Richtung kommt zum Ausdruck, dass und wie ich
glaube, hoffe und liebe? Wo wird deutlicher sichtbar, dass ich
Jesus nachfolge? Was bedeuten in der Praxis mein Bekenntnis
und mein Vertrauen, dass «Leben» genau so geht, wie
er es vorgelebt hat?
Es geht um Leben oder Tod. Das muss uns aber deshalb
nicht unter Druck setzen, weil wir uns darauf verlassen: Gottes
Geistkraft leitet uns. Und Gottes Barmherzigkeit fängt
uns ab und lässt uns umkehren, wenn wir uns auf Abwege
begeben.

Von: Benedict Schubert

6. Juni

Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf
dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und
brachte sie zu dem Menschen. Und der Mensch gab
einem jeden seinen Namen.
1. Mose 2,19.20


Geht es in diesen Sätzen am Anfang der Bibel um den Menschen
und wie ihm die Tiere zugeordnet sind? Oder lesen wir
aus der Bibel auch etwas über Tiere heraus, über ihre Würde,
ihr Leiden, ihr Recht? Bezieht sich Biblisches, wie Gerechtigkeit
und Nächstenliebe, auch auf Tiere?
Wenn der Mensch jedem Tier seinen Namen zuordnet,
um Antilopen, Mücken und Legehühner zu kategorisieren,
zu sezieren und Kosten und Nutzen festzulegen, hat das mit
einem fehlgedeuteten «untertan machen» zu tun.
Wenn der Mensch seinem Büsi und seinem Labrador einen
Namen gibt und diese Individuen nie auf den Fleischmarkt
werfen würde, aber fröhlich Stücke anonymer Schweine grilliert
und in der Bratwurst kein Kalb mit Namen mehr sieht,
ist er auf halbem Weg stecken geblieben.
Wenn der Mensch die Tiere auf dem Felde und die Vögel
unter dem Himmel bestaunt und ihnen einen kollektiven
oder individuellen Namen gibt, um jedes einzelne als einzigartiges
Mitgeschöpf wahrzunehmen, dann ist dies der
Anfang von etwas Neuem – von einem neuen Himmel und
einer neuen Erde, wie es am Schluss der Bibel heisst. Dieser
Bibel, die vielleicht wirklich auch ein Buch für Tiere ist.

Von: Matthias Hui

5. Juni

Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus
Jesus, so lebt auch in ihm, verwurzelt und gegründet in
ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid,
und voller Dankbarkeit.
Kolosser 2,6–7


Kennen Sie Menschen, die Ihnen eine Idee davon geben,
was es bedeuten kann, «verwurzelt und gegründet» in Jesus
Christus zu leben – weit über ein frommes Lippenbekenntnis,
über den abstrakten Begriff «Nachfolge» hinaus?
Kürzlich ist ein Bekannter von mir gestorben. Sein Ethos
fand er in der Bergpredigt. Über seinem Pult hing ein Plädoyer
von Martin Luther King Jr. für Feindesliebe, weil nur diese
Liebe die Welt wirklich transformieren könne. Ueli, so hiess
mein Bekannter, machte ernst mit der aktiven Gewaltfreiheit.
Er verweigerte den Militärdienst. Unzählige Menschen
lernten in Seminaren bei ihm Methoden schöpferischer
Gewaltfreiheit kennen. In Aktionen gegen Waffenschauen,
in der Anti-AKW-Bewegung, in Netzwerken mit Geflüchteten
setzte er manches um. Inspiriert von Mahatma Gandhi
pflegte er einen einfachen Lebensstil und hielt manuelle
Arbeit hoch – so als regelmässiger Bergheuer.
Er hat sehr beharrlich und treu versucht, sein Leben in der
Bergpredigt zu verwurzeln. Der bärtige Friedensarbeiter hat
längst nicht alles geschafft.
Auf jeden Fall: Für Lebensentwürfe und Glaubensspuren
von Menschen wie Ueli bin ich voller Dankbarkeit.

Von: Matthias Hui

4. Juni

Der HERR ist gerecht in allen seinen Wegen
und gnädig in allen seinen Werken.
Psalm 145,17


Es ist ein Psalmvers, der Einspruch weckt: Wenn ich in die
Welt schaue und sehe, wie viel «schief» läuft und unzählige
Menschen leiden lässt – wie soll ich da glauben, dass Gott
gerecht ist? Es sind solche Zweifel, die genuin zum Glauben
gehören. Sie sind es aber auch, die deutlich machen, dass
der Gottesglaube nicht davon ausgehen darf, dass Gott einfach
alles richtet. Denn dieser Gott, zu dem wir beten, dem
wir nichts weniger zutrauen, als dass er den ewigen Frieden
aufrichten kann – dieser Gott hat Menschen geschaffen,
die frei sind. Die ihre Handlungen und ihre Planungen frei
gestalten können. Sie können sich dabei an dem ausrichten,
was Gott über alle Zeiten hinweg immer und unablässig
über Propheten und durch Jesus von Nazareth gezeigt und
gesagt hat. Aber diese Freiheit bedeutet eben, dass sie sich
auch an selbst entwickelten Prinzipien orientieren können.
Das verändert die Stossrichtung des Einspruchs: Nicht Gott
ist es, der eben auch ungerecht handelt und ungnädig ist,
sondern da, wo wir Widersprüche festzustellen meinen, sind
es Folgen der Anwendung von menschlichen Prinzipien. Ein
Gotteslob-Psalm wie der, aus dem der heutige Vers stammt,
ist eine Art Mahnmal, das zum Nachdenken bringen kann:
Wie sehr spielen in meiner Lebensausrichtung Gottesprinzipien
eine Rolle? Und inwieweit habe ich mich mit meinen
eigenen Prinzipien eingerichtet?

Von: Hans Strub

3. Juni

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter
und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel.

Sacharja 9,9


Über viele Jahrhunderte galt der Esel als königliches Reittier.
Deshalb reitet der neue Friedefürst auf diesem Tier in die
Stadt ein. Das Bild ist vertraut – tatsächlich übernimmt die
Palmsonntag-Geschichte diese Bildtradition: Jesus reitet auf
einem Esel in die Stadt ein. Wer Frieden bringt oder verkündet,
muss demütig sein, so wie ein Eselreiter demütig ist.
Und er muss den Waffen entsagen – Frieden schliessen aufgrund
militärischer Stärke wird hier ausgeschlossen! Denn
der folgende Vers lautet: «Und ich werde die Streitwagen
ausrotten in Efraim und die Pferde in Jerusalem. Und der
Kriegsbogen wird ausgerottet.» (Vers 10). So verheisst Gott
den Nationen
Frieden. Eine starke Ansage gerade an unsere
Welt! Frieden entsteht in der Geschichte und bis heute,
wenn ein Aggressor besiegt ist und wenn ihm langfristig die
Möglichkeit genommen wird, sich wieder aufzurüsten. Es ist
eine Herausforderung an unser Denken und Handeln, wenn
hier von einem Frieden ohne weitere Waffen geredet wird.
Man kann diese Sätze als fromm und naiv abtun. Man kann
sie aber als Massstab nehmen, um die Differenz zu bemessen,
die zwischen Weltrealität und Weltvision liegt. Und als
nötigen und auf lange Sicht hilfreichen «Stachel im Fleisch»
der heute politisch für den dauerhaften Frieden Verantwortlichen.
Gottes Vision ist gesetzt!

Von: Hans Strub

2. Juni

Der Friede Christi regiere in euren Herzen;
zum Frieden seid ihr berufen als Glieder des
einen Leibes. Und dafür sollt ihr dankbar sein.

Kolosser 3,15


Eigentlich sind wir zum Frieden berufen. Als Glieder des
einen Leibes. Eigentlich wäre das so. Wenn da nicht so viel
anderes wäre. Wenn da nicht anderes in unseren Herzen
regierte. Und nicht der Friede Christi.
Nur heute nicht neidvoll auf andere schielen.
Nur heute nicht schlecht über andere reden.
Nur heute nicht sich um sich selber drehen.
Eigentlich sind wir zum Frieden berufen.
Wir könnten uns mitfreuen, wo etwas gelingt.
Wir könnten «STOPP» sagen, wo gelästert wird.
Wir könnten hinhören, was andere bewegt.
Eigentlich wäre es gar nicht so schwierig. Könnte man
meinen. Das kriegen wir doch hin. Diese Beispiele sind doch
ganz banal. Ich bin nicht neidisch. Ich rede nie schlecht über
jemanden. Ich drehe mich nie nur um mich selber.
Schön für Sie!
Was mich betrifft, so bitte ich darum, dass der Friede Christi
in meinem Herzen regiere. Gerade dann, wenn ich meine, es
sei ganz banal.

Von: Ruth Näf Bernhard

1. Juni

Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner
Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden
und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit
ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

Philipper 3,10–11


Die Kraft seiner Auferstehung möchte ich erkennen. Nicht
nur am Ostermorgen. Sondern an jedem neuen Tag. Auch
heute eines meiner Lieblingslieder singen: «Jesus lebt, mit
ihm auch ich!»
Jesus lebt! Die Grundmelodie meines Glaubens. Sie trägt.
Selbst Misstöne bringen sie nicht zum Verstummen. Auch
wenn mir zuweilen die Stimme bricht. Da wird von anderen
weitergesungen. Was ich glaube. Woraus ich lebe. Bis ich es
wieder singen kann. Mit ihm auch ich! Durch die Kraft seiner
Auferstehung bleibe ich belebt.
Jesus lebt! Jede Strophe beginnt mit diesem Bekenntnis. Und
weil jede Strophe damit beginnt, endet auch jede in derselben
Weise: «Dies ist meine Zuversicht.» Genau genommen
also gar kein Ende. Denn Zuversicht bleibt. Länger als jede
einzelne Strophe. Über das ganze Lied hinaus.
Jesus lebt! Mit ihm auch ich! Durch ihn in mir die Zuversicht.
Auch heute. Über mich hinaus.

Von: Ruth Näf Bernhard