Monat: Januar 2022

11. Januar 2022

Wo Träume sich mehren und Nichtigkeiten
und viele Worte, da fürchte Gott!     Prediger 5,6

Das Predigerbuch (hebräisch Kohelet) beleuchtet kritisch und grundsätzlich die Situation der Menschen und ihr Verhalten, gerade auch in religiösen Dingen. Da wird zu viel «gemacht» (Opferdarbringung) und zu viel geredet (Gebete!), sagt er. Und wo das Oberhand hat, bleibt zu wenig oder gar kein Raum für das Entscheidende, das Hören. Die Gottesfurcht, die sich einstellen kann in der Ruhe, in der Achtsamkeit, in der Stille. Beim Reden und Handeln oder gar Träumen riskiert man, die Realität zu verlieren. Und merkt dabei nicht, wie alles andere «Nichtigkeit» ist – ein Wort, das im Predigerbuch immer wieder vorkommt und sehr klar zusammenfasst, worum es geht: dass die Menschen Gott in ihrem Leben, auch im Alltagsleben, Platz geben.

Auf Gott hören, auf Gottes Resonanz im grossen Raum der Welt oder im kleinen Raum meines täglichen Umfeldes. Beide Räume durchhallt Gottes Klang. Ein feiner Ton, ein leiser Hauch, ein Wort. Gott lässt sich erfahren in seiner/ihrer ganzen Grösse und Weite als liebende Kraft, die vergibt und schützt (Vers 5b). Gott gibt sich dem hörbereiten Menschen zu erkennen. Darum sei es wichtig, wird hier gesagt, sein Reden und Handeln immer wieder kritisch zu prüfen, ob es denn diesen Resonanzraum befördert oder ihn beschneidet. Oder aber Gottes Stimme durch eigene Laute übertönt. Das meint er mit dem missverständlichen Wort der Gottesfurcht.

Von: Hans Strub

10. Januar 2022

Wer kann merken, wie oft er fehlet?
Verzeihe mir die verborgenen Sünden!  
Psalm 19,13

Etwas, was dem Psalmsänger sehr wichtig ist, scheint gefährdet durch «vermessene Menschen» (Vers 14). Vor ihnen sucht er Schutz beim Schöpfergott. Diesen lobt er in einer langen Einleitung (Verse 1–7 und 8–13), die er möglicherweise aus schon bekannten Liedern zitiert. Das grosse Schöpferlob einerseits, das täglich vom Himmel erzählt und gesungen und von der Sonne unablässig um die ganze Erde herum verbreitet wird, und das tiefe Vertrauen in Gottes Wort, das in geschriebener Form überliefert ist, schaffen den Boden für seine Bitte und seine Hoffnung, dass er verschont werden möge von der Bedrohung, die über ihm schwebt. Er bezeichnet sich als «Diener» mit Verfehlungen gegenüber der Thora, die ihm vielleicht angerechnet werden könnten … Aber wer ist schon ohne Fehler, fragt er. Wer ist denn in der Lage, gegenüber dieser alle Vorstellungen übersteigenden Kraft Gottes fehlerlos zu bleiben – es ist ja gar nicht möglich, den kostbaren Gottesgesetzen zu entsprechen! Worauf er vertraut, ist das Gebet (Vers 15). Im Gebet anerkennt er seine Fehlerhaftigkeit, auch seine «verborgenen Sünden», und anerkennt so gleichzeitig die Grösse Gottes und seine Möglichkeit, ihn vor der Bedrohung zu retten. Im Gebet zeigt er sich als «Diener», nicht unterwürfig, sondern einsichtig, nicht kleinlaut, sondern demütig, nicht schuldbewusst, sondern erlösungsbereit. Das ist seine Form, um Verzeihung zu bitten und sie zu erhoffen.

Von Hans Strub

9. Januar 2022

Darum sollen wir desto mehr achten auf das Wort,
das wir hören, damit wir nicht am Ziel  vorbeitreiben.

Hebräer 2,1

Der Hebräerbrief verwendet mancherorts nautische Metaphorik. Im heutigen Lehrtext etwa bezieht sich «am Ziel vorbeitreiben» auf das Bild des vom Kurs abdriftenden Schiffs, und das griechische Wort, das hier mit «achten auf» übersetzt ist, kann den Sinn haben «ein Schiff in den Hafen bringen».

Es geht, könnte man meinen, um Sicherheit. Doch der Neutestamentler Herbert Braun (1903–1991) sieht das anders. Es gehe, sagt er, um Unruhe. Wer «auf das Wort achtet», dem kommen Gewohnheiten, Gewissheiten abhanden.

Um diese «Entsicherung» bittet eine philippinische Basisgruppe mit den folgenden Worten: «Mache  uns unruhig
… wenn wir uns im sicheren Hafen bereits am Ziel wähnen, weil wir allzu dicht am Ufer entlang  segelten.»

Die Gefahr, das Ziel zu verfehlen, geht nicht vom stürmischen Meer, sondern vom sicheren Hafen aus. Es entspricht der Kernbotschaft des Hebräerbriefs («Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.» 13,14), wenn es im Gebet weiter heisst: «Mache uns unruhig, wenn wir, verliebt in diese Erdenzeit, aufgehört haben, von der Ewigkeit zu träumen.»

Von Andreas Fischer

8. Januar 2022

Es ist der Glaube eine feste Zuversicht dessen,
was man hofft, und ein Nichtzweifeln
an dem,  was man nicht sieht.          
Hebräer 11,1

Dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nicht der Gott der Philosophen und Gelehrten sei, wie der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) einst in seinem Mémorial schrieb, das gilt nicht für den heutigen Lehrtext. Es gilt umso weniger, wenn man diesen sachlicher, weniger subjektiv und näher am griechischen Original übersetzt:

«Glaube ist Verwirklichung von Erhofftem, Beweis für Dinge, die man nicht sieht.»

Das klingt tatsächlich «philosophisch und gelehrt». Da tauchen – mancherorts als bibelfremd bezeichnete – platonische Denkformen auf: Diese Welt sei nur Abschattung jener anderen, göttlichen.

Ebendiese Denkformen halte ich für hochaktuell. Nur ein Glaube, der das Unverfügbare, Transzendente, «das, was man nicht sieht», als etwas Gewisses realisiert – einem mathematischen «Beweis» gleich, wird endlich bereit und befähigt sein, die weltlichen Sicherheiten und Abhängigkeiten, die Kontrollmechanismen, Besitztümer und Süchte loszulassen und gelassen zu werden.

Von Andreas Fischer

7. Januar 2022

Du sollst heute wissen und zu Herzen nehmen,  dass der HERR Gott ist oben im Himmel und unten auf Erden und sonst keiner.        5. Mose 4,39

Dies ist wohl die Woche der «mitreissenden Texte»! Gestern die abtörnenden Worte, heute also das Buch Deuteronomium, die Sammlung der Aussagen Mose an seinem letzten Lebenstag. Mose macht hier noch einmal den Rundumschlag. Er warnt, wirbt für seinen Gott und weist auf das Gesetz hin.

Für Glaubende spricht Mose hier eine Selbstverständlichkeit aus. Luther hat das in seinem kleinen Katechismus «du sollst keine anderen Götter haben – neben mir» genannt. Und doch, diese «Selbstverständlichkeit» wird täglich einer Prüfung auf Herz und Nieren unterzogen. Bei jedem Schritt unseres Lebens müssten wir uns fragen: «Ist das im Sinne unseres Gottes?» Oder anders formuliert: «Sind wir noch im Windschatten des Heiligen Geistes?»

Hand aufs Herz – ist das unsere Lebensrealität? Bei vielen von uns, so auch bei mir, schwingt diese Frage mit, aber sie ist nicht immer an erster Stelle.

Ich glaube, es geht letztendlich darum, dass wir diese Frage nicht vergessen, sie mitschwingen lassen und hin und wieder stehen bleiben und sie ganz «zu Herzen nehmen».

Der Lebenskompass ist da und immer verfügbar, aber lesen müssen wir ihn für uns – manchmal alleine.

Von: Rolf Bielefeld

6. Januar

Ich will sie reinigen von aller Missetat, womit sie
wider mich gesündigt haben, und ich will ihnen vergeben.                           
Jeremia 33,8

Vier Worte: reinigen, Missetat, gesündigt, vergeben… und ich habe eigentlich schon keine Lust mehr.

Jeremia hatte den Untergang Jerusalems verkündet, wenn das Volk sich nicht unter Gottes Herrschaft stellen würde –, und er sollte mit dem Untergang, etwa 50 Jahre später, Recht behalten.

Also für uns heute: Den Zehn Geboten und den Seligpreisungen immer folgen, und der Untergang wird abgewendet? Das ist natürlich ziemlich simpel gedacht, aber in der Einfachheit liegt auch eine gewisse Kraft.

Die in der Bibel verewigten Gebote verfolgen eigentlich immer das gleiche Ziel, das Leben miteinander in Frieden und Harmonie zu bewältigen. Dem Gott der hebräischen Bibel werden so manchmal ziemlich drastische Mittel zugetraut, um zu bewirken, dass das Ziel erreicht wird. In Jesu Leben und Predigt verändern sich die Mittel erheblich, indem die Menschen immer wieder auf die Liebe und die aus ihr erwachsene Kraft verwiesen werden.

Nun werden nicht mehr «Feinde vernichtet», sondern die «Reinigung von Missetat» basiert auf Einsicht und dem Wunsch und der Bitte nach Vergebung. Der Gott, der mich dazu befähigt, Fehler zu erkennen, um Verzeihung zu bitten und Vergebung anzunehmen, das ist der Gott, der mir in meinem Leben begegnet ist.

Von: Rolf Bielefeld

5. Januar

Der HERR spricht: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.          2. Mose 33,19

Mose bleibt ein Mensch. Zwar hat er eine besondere Nähe zu Gott. Den Bund mit Gott, der gebrochen wurde, kann er erneuern. Aber sein Wunsch, dass er Gottes Herrlichkeit sehen darf, wird ihm nicht erfüllt. Ein Bild von Gott, das man dauerhaft anschauen könnte, gibt es eben nicht.

Möglich sind andere Arten, von Gott etwas wahrzunehmen. Der Text führt dies in verschiedenen Durchgängen aus. Gott zeigt seine Güte, aber nur «im Vorbeigehen». Gott nennt seinen Namen, mit dem man ihn anrufen kann. Gott schenkt seine liebevolle Zuwendung und sein barmherziges Mitgefühl. Aber er bleibt frei in der Entscheidung, wem er diese Zuneigung gibt. Und nochmals erscheint das Bild vom Vorbeigehen: Mose muss sich in einer Felsspalte verstecken, während Gott vorbeigeht. Gottes Angesicht kann er nicht sehen. Erst «hinterher», erst «im Nachhinein» kann er von Gott etwas erkennen. Erst im Rückblick kann ein Mensch sagen: Da habe ich von Gottes Zuwendung und von seinem Mitgefühl etwas gespürt. «Er sprach: Ich selbst werde alle meine Güte vor deinem Gesicht vorbeigehen lassen. Und ich werde den Namen JHWH vor deinem Gesicht ausrufen. Ich zeige meine Gnade dem, dem ich meine Gnade zeige. Und ich zeige mein Mitgefühl dem, dem ich mein Mitgefühl zeige.»

Von Andreas Egli

4. Januar

Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig! Denn auf dich traut meine Seele.                
Psalm 57,2

Mit einem Morgenlied beginnt der Betende den neuen Tag. Zwar kennt er Situationen, vor denen er sich fürchtet. Er findet im Psalm Worte für sie und will ihnen nicht ausweichen. Ein Unglück, das ihn getroffen hat, ist vielleicht noch nicht vorbei. Manchmal gibt es Mitmenschen, die ihm vorkommen wie Raubtiere. Oder wie Feinde, die ihm eine Grube graben wollen – und dann selbst hineinfallen. Aber das Gebet hilft, nicht in dunklen Gedanken gefangen zu bleiben, sondern die Augen für das Licht zu öffnen.
Der Psalmbeter wendet sich mit der Bitte an Gott: Zeige mir deine wohlwollende Zuneigung. Lass deine Gnade bei mir leuchten, wie das Morgenlicht des neuen Tages aufstrahlt. Mit einem starken Bild drückt er sein Vertrauen zu Gott aus: Bei dir finde ich einen geschützten Raum. Wie ein junger Vogel sich geborgen fühlt beim Muttertier, das seine grossen Flügel über ihm ausstreckt. «Sei mir gnädig, Gott. Sei mir gnädig. Denn bei dir findet meine Seele Schutz. Im Schatten deiner Flügel finde ich Schutz, bis das Unglück vorbeigeht.»

All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad und grosse Treu, sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag.

Von Andreas Egli

3. Januar

Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid.     Epheser 1,1

Augen des Herzens. «Man sieht nur mit dem Herzen gut», schreibt Antoine de Saint-Exupéry im «Kleinen Prinzen». Wir kennen den Ausdruck, dass das Herz einem aufgehe. Gottfried Keller dichtete: «Trinkt, oh Augen, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluss der Welt.» Nur wessen Herz beteiligt ist, kann so etwas sagen.

Nun aber: Wo liegt die Hoffnung? Im Jenseits oder geht es auch um die Hoffnung im Diesseits? Für mich ist es so, dass wir beides brauchen, Hoffnung im Diesseits und auf das Jenseits. Es lebt sich einfach besser damit.

Hoffen ist verwandt mit «hüpfen». Als siebenjähriges Kind hüpfte ich im Garten zum Tor und war einfach glücklich. Man kann auch zu lange hoffen und aus einer vertrackten Situation nicht herauskommen. Da täte allemal ein Entschluss not, um eine befreiende Tat zu beginnen.

Schlimm ist die Hoffnungslosigkeit. Da gibt es keine Zukunft, keine Perspektive, und nur Geduld führt aus der Depression. Von ihr weiss man, dass sie einmal aufhört, aber nicht wann. Wenn sich dann endlich die bleierne Decke hebt, fällt zögerlich Licht ein, die Hoffnung nimmt zu, und es wird möglich, wieder an den «Gott der Hoffnung», wie   Luther formulierte, zu glauben.

Von Kathrin Asper

2. Januar 2022

Leben wir, so leben wir dem Herrn;
sterben wir,  so sterben wir dem Herrn.
Darum: wir leben  oder sterben,
so sind wir des Herrn.         Römer 14,8

Diesen Text kennen viele auswendig. Oft wird er an Beerdigungen gesprochen.

Was sagt der Text? Keiner lebt für sich allein, und niemand stirbt sich selber. Wir sind also aufgehoben, gehören zu einer allgegenwärtigen, ewigen Kraft, sind nicht verloren und können nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Das ist tröstlich und wer so empfindet, dem ist das eine Lebenshilfe, es schenkt ihm Vertrauen und Trost.

Was aber, wenn jemand nicht so empfindet? Derer sind viele. Sie fühlen sich verloren und trostlos oder aber überspielen das Nicht-Verankertsein durch lautes Getöse, Aktivismus, Egozentriertheit und Wichtigtuerei.

Dietrich Bonhoeffer schrieb: «Die Befreiung liegt im Leiden darin, dass man die Sache ganz aus den eigenen Händen und in die Hände Gottes legen darf.»
Wie kommt man dazu? Wenn man das Gefühl des Aufgehobenseins nicht hatte, so ist es Gnade und Geschenk, so fühlen zu dürfen. Aber am allerwichtigsten ist es, geschätzt, geliebt zu werden und das Gefühl zu haben, willkommen zu sein. Das Kind braucht Andere, wir brauchen das Du, um das Gefühl zu haben, wertgeschätzt zu werden. Auf diesem Boden wächst das Vertrauen in ein metaphysisches Gehaltensein.

Von Kathrin Asper