Autor: Annegret Brauch

26. Oktober

Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Johannes 3,17

Das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus, in dessen Schlussteil unser Vers gehört, ist und bleibt (mir) rätselhaft. Da ist der gelehrte und geachtete Pharisäer Nikodemus, der in der Nacht zu Jesus kommt, um mit ihm über Fragen des Glaubens und des Lebens zu sprechen. Und da ist Jesus, der antwortet und doch nicht wirklich verstanden wird. Nikodemus’ vernünftige Einwände verfangen nicht vor der Botschaft, die Jesus verkündigt: dass Gottes Liebe der Welt Grund und Ziel gibt, dass Gottes Geistkraft in ihr wirksam ist und die Menschen verändert, dass Gott will, dass die Welt gerettet werde …

Die Frage drängt sich auf: Wie ist das zu glauben angesichts von Krieg und Zerstörung, von Hunger und Gewalt, von so viel Lüge und Ungerechtigkeit vor unseren Augen?

Was Nikodemus aus dem Gespräch mitnimmt, bleibt offen. Wie sähe Ihre Antwort aus? – Mein Versuch einer Antwort lautet:
Es ist leicht und schwer zu glauben und zu vertrauen; es ist ein Weg, ein Prozess; es ist ein Gehaltenwerden und ein Festhalten, es ist ein «sich dem Leben in die Arme Werfen».

Von Annegret Brauch

25. Oktober

Der HERR sprach zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? Jona 4,4

Das Gespräch zwischen Gott und Jona am Schluss des Jonabuches entbehrt, wie ich finde, nicht einer gewissen Komik. Jona ist zornig, will lieber tot sein als leben, weil Gott barmherzig und gütig ist, weil Gott sich von der Umkehr der Menschen in Ninive berühren lässt und die Stadt nicht untergeht, wie zuvor von Jona in Gottes Auftrag angekündigt (Vers 2 f.). Ist es gekränkte Eitelkeit? Ärger über den unnötigen Aufwand der weiten Reise? Jona wirkt komisch in seinem Trotz: Ich wusste es gleich – und jetzt mag ich nicht mehr!

Mir gefällt Gottes Reaktion auf Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? Gott sieht Jonas Zorn und übergeht ihn nicht einfach. Gott nimmt Jona als Gesprächspartner ernst und weitet gleichzeitig durch die Episode mit der Staude Jonas Perspektive auf Gottes Handeln (Vers 6 ff.).
Ob Jona von seinem Zorn runterkommt, bleibt in der Geschichte offen. Aber ich stelle mir vor, wie Gott und Jona neben der verdorrten Staude plötzlich in ein befreiendes und «erlösendes Lachen» (Peter L. Berger) ausbrechen.
Ja, Gott lässt sich berühren und umstimmen, Gott liebt seine Geschöpfe und will ihre Rettung – unbedingt. Und Gott hat Humor …

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit …; weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt. (H. D. Hüsch)

Von Annegret Brauch

18. Oktober

Der HERR tötet und macht lebendig, führt ins Toten- reich und wieder herauf. 1. Samuel 2,6

Der Vers bildet die Mitte des Lobgesangs der Hanna. Hanna, die Kinderlose und Geschmähte, preist Gott die EWIGE voll Freude und Dankbarkeit. Alle sollen es hören, was ihr widerfahren ist. Ihr Kummer wurde in Freude verwandelt; ihre Traurigkeit in Kraft und Dankbarkeit: «Mein Herz ist fröhlich in Gott … Mein Mund ist aufgetan gegen die, die mir feind sind, denn ich erfreue mich deiner Hilfe. Keiner ist heilig wie unser Gott, ja keiner ausser dir. Keiner ist ein Fels wie unser Gott.» (V. 1 f.)

Da steht eine Frau – aufgerichtet, kraftvoll und lebensfroh. Grösser könnte der Kontrast zu der im 1. Kapitel geschilderten Hanna nicht sein. Ihre persönliche Erfahrung wird ihr zum Spiegel für Gottes Hoheit, Treue, Güte und Gerechtigkeit. Sie erkennt und bezeugt: Gott hält die Welt in Händen; Gott zerbricht den Bogen der Starken (V. 4), Gott richtet die Bedrückten auf (Vers 8), er hält Leben und Tod in seiner Hand (V. 6).

Ich brauche solche Zeugnisse wie das der Hanna. Gerade in diesen Zeiten, wo Schrecken und Gewalt zu triumphieren scheinen.
«Unsere Hilfe steht im Namen des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat, der Bund und Treue hält ewiglich und der nicht preisgibt das Werk seiner Hände.»

Von Annegret Brauch

26. August

Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit  Psalmen,  Lobgesängen  und  geistlichen  Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Kolosser 3,16

Als es nach langen Monaten der Pandemie wieder erlaubt war, im Gottesdienst (mit Maske) zu singen, traten mir beim ersten Lied die Tränen in die Augen. Ich weiss nicht mehr, welches Lied wir gesungen haben, aber ich erinnere mich, dass mich meine Reaktion überraschte: Ich war gleichermassen ergriffen, bewegt, froh und dankbar. Das gemeinsame Singen nach so langer Zeit hatte etwas von Nachhausekommen, das Vertraute, das ich schmerzlich vermisst hatte, war wieder da. Seither singe ich aus vollem Herzen, so gut ich kann, mit oder ohne Tränen in den Augen und freue mich über die tröstende und stärkende Kraft des gemeinsamen Singens, das uns als ganz unterschiedliche Menschen zusammenbringt.

Um die heilsam-heilende Wirkung des gemeinsamen Singens wussten auch die frühen Gemeinden. Ja, es gab auch in Kolossä Streit und Unstimmigkeiten darüber, wie das Leben von Christenmenschen auszusehen hat; was gelten soll und was nicht; wie der «richtige» Weg ist; wie streng oder grosszügig die Weisungen auszulegen sind. Es gab und gibt eben nicht die eine richtige Weise. Aber es gibt Einen, der trotz und in allen Unterschieden Verbindung und Gemeinschaft stiftet: Christus. Darum «lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen» – und singt, singt gemeinsam!

Von Annegret Brauch

25. August

Ich will zu Gott rufen, und der HERR wird mir  helfen. Psalm 55,17

Was für ein Vertrauen kommt in diesem Vers zum Ausdruck! Es wächst in Bedrängnis und Angst; es versiegt nicht, trotz Anfeindung und Verrat der Freunde; es wird stark im Mut und im Wagnis, das Leben der EWIGEN in die Arme zu werfen. Der Psalmbeter, die Psalmbeterin kennt die Schrecken, die Menschen einander zufügen können, kennt die Verzweiflung und das Grauen in Todesangst, das Entsetzen über Lüge und Verrat. Er und sie rufen und klagen, flehen um Rettung, ringen mit sich und mit Gott – und sie halten stand, auf wundersame Weise: «Ich aber will zu Gott rufen, und der HERR wird mir helfen.»

In einer für sie schwierigen und bedrängenden Lebenslage schrieb Hilde Domin diesen Vers in ihr Tagebuch: Ich setzte den Fuss in die Luft, und sie trug.

Da ist es wieder dieses wundersame Vertrauen, das, fragil und doch kräftig, angefochten und doch stark, Menschen in Not und Bedrängnis zuwächst und sie trägt.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn verlassen. (Dietrich Bonhoeffer)

Von Annegret Brauch

26. Juni

Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.        Johannes 14,27

Jesus nimmt Abschied von den Seinen. Er bereitet sie darauf vor, dass es eine Zeit geben wird, in der er nicht mehr leibhaftig unter ihnen sein wird. Aber er lässt sie nicht allein:

«Der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.» (Vers 26f.)

Wie zeigt sich der Friede Christi heute in unserer durch Krieg und Gewalt, durch Leid, Angst und Tod verstörten Welt?

Ich glaube, er zeigt sich im Mut der Menschen, die sich weigern, im Bruder den Feind zu sehen, in der Kraft der Mitmenschlichkeit, in der Beharrlichkeit im Willen zum Frieden, in der Hoffnung, die nicht aufgibt.

Wo Frieden werden soll, kommt es auf die Menschen an, auf jede und jeden einzelnen, auf uns.

Mach uns zu Werkzeugen deines Friedens, unerschrocken und ohne Furcht, stärke unser Vertrauen auf deine Friedensmacht und lenke unsere Schritte auf den Weg des  Friedens.

Von Annegret Brauch

25. Juni

Jesus spricht: Ein Beispiel habe ich euch  gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.        Johannes 13,15

Jesus wäscht den Seinen die Füsse. Er, ihr Herr und Meister, ihr Lehrer und Rabbi, übernimmt den Dienst, der sonst nur den Sklaven zugemutet wird. Allen wäscht er die Füsse, auch dem, der ihn wenig später verraten wird. Das ist sein Beispiel. Es ist eine paradoxe Intervention, was er tut: unerwartet, überraschend, anders als bisher gekannt oder vertraut. Dass Petrus verstört reagiert, verwundert nicht: «Nimmermehr sollst du mir die Füsse waschen!» (Vers 8)

Eine paradoxe Intervention bricht vermeintliche Regeln, durchbricht den gewohnten Lauf der Dinge und gelernte Vorstellungen von Normalität. Sie zeigt, es geht auch anders: Der Meister übernimmt den Sklavendienst. Die produktive Kraft der Liebe gestaltet das Miteinander in der Gemeinschaft nicht als Herrschaft der einen über die anderen (vgl. Verse 34 f. und Mk 10,42 ff.).

Das Beispiel ist zugleich Jesu Vermächtnis an die Seinen:

«… damit ihr tut, wie ich getan habe.»

Wie viel Unerwartetes, Überraschendes, Anderes… trauen wir uns zu in der Nachfolge Jesu? Wie gross ist unser Zutrauen in die produktive, verändernde, manchmal paradox intervenierende Kraft der Liebe Christi, die unter uns wirksam ist? Wie wirkt Jesu Beispiel in meinem Leben?

Von Annegret Brauch

26. April

Der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben
in Christus Jesus, unserm Herrn.

Römer 6,23

«Alles hat seinen Preis!» ist ein beliebter Ausspruch einer Freundin. Mal klingt er ein bisschen resignativ, meist dann, wenn der «Preis» – für was auch immer – gefühlt zu hoch ist; mal fröhlich, wenn sie etwas Schönes erstanden hat; mal pragmatisch-abgeklärt: So ist es halt im Leben. Alles hat seinen Preis!

Bei Paulus geht es um Tod oder Leben. Der Preis für ein Leben unter der Sündenmacht ist ihm zu hoch. Im 6. Kapitel seines Briefes an die Gemeinde in Rom argumentiert er mit aller Kraft für den Weg zum Leben – rhetorisch kunstvoll, aber für uns Heutige nicht ganz leicht verständlich. Denn, so das Fazit seiner Rede: «Der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus.»

Bei Matthäus klingt es für mich einfacher, wenn Jesus sagt: «Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.» (Matthäus 5,24)
Es ist also meine, Ihre, unsere Entscheidung – als Einzelne und als Gemeinschaft, welchen Weg wir einschlagen, woran wir uns orientieren und unser Leben, unsere Lebensweise ausrichten, jeden Morgen neu. Das hat einen hohen Preis:

«Wir sind teuer erkauft!» (vgl. 1. Korinther 7,23)

Von Annegret Brauch

25. April

Es freue sich der Himmel, und die Erde sei fröhlich, und man sage unter den Völkern, dass der HERR regiert!
1. Chronik 16,31

Jede Zeit, jede Generation erzählt Geschichte neu. Die Gegenwart und ihre Lebensumstände prägen den Blick auf das Vergangene, das nun in neuer Weise verstanden wird. Dabei sagen die neuen Erzählungen und Texte häufig mehr über die Zeit ihrer Entstehung aus als über die Zeit, von der sie berichten. So auch die Bücher der Chronik, die nach der Rückkehr aus dem Exil in Babylon die Geschichte des Volkes Israel von Anfang an noch einmal ganz neu erzählen.

Alles auf Anfang also?!
Am Anfang dieses Liedes, zu dem unser Vers gehört, stehen Lob und Dank: «Danket dem HERRN, ruft seinen Namen an, tut kund unter den Völkern sein Tun! Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wundern!» (Verse 8 und 9).
Alle sollen sich mitfreuen, sogar Himmel und Erde und das Meer, Felder und Bäume (Verse 32 f.); und auch all die Menschen und Nationen, die nicht zum Volk Israel gehören. Was für ein Neuanfang!

Das passt gut zu dieser Woche, die vom Sonntag Quasimodogenitit (= wie die neugeborenen Kinder) herkommt: Etwas Neues ist geworden und ist im Werden! Wir dürfen gespannt sein und uns freuen – mit Himmel und Erde, mit Gottes Volk Israel, mit allen Menschen unter Gottes Himmel, als Töchter und Söhne, die zu Gott gehören!
Von Annegret Brauch

26. Februar

Der HERR ist mein Licht und mein Heil;
vor wem sollte ich mich fürchten?

Psalm 27,1

Wie schön, mit diesem Psalmvers den Tag zu beginnen! Kraftvoll und ermutigend, wie ein heller Sonnenstrahl auf dem Frühstückstisch, lädt er ein, sich zu erheben, sich aufzurichten zur ganzen eigenen Grösse und Schönheit. «Gott, der HERR, ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Gott, die EWIGE, ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?» Was wie eine Selbstermunterung des Beters, der Beterin klingt, ist tief verwurzelt in einer innigen Gottesbeziehung. Das betende Ich will Gott ganz nah sein: Gottes Freundlichkeit schauen und singen, Gottes Güte loben und gesegnet unterwegs sein unter Gottes Angesicht. (vgl. Vers 4 ff.)Und doch gibt es auch die anderen Erfahrungen: Angst, Einsamkeit, Verlassenheit, Bedrohung durch Feinde (Verse 9 ff.). Auch sie gehören zu (m)einem Leben, haben Raum im Gebet vor Gottes Angesicht – und verlieren ihren Schrecken: «Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte Gottes, des EWIGEN, im Lande der Lebendigen.» (Vers 13)

Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der/die Geduldige, und wer Gott hat, hat alles. Gott allein genügt. – Nada te turbe … Solo Dios! Basta!
(Teresa von Avila)

Von Annegret Brauch