Autor: Dörte Gebhard

19. November

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner grossen Barmherzigkeit wieder- geboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.          1. Petrus 1,3

Es ist eine schwere Geburt, wenn die Hoffnung wieder zur Welt kommt. Hoffen kann ein Mensch weder durch Zwang noch auf Befehl. Hoffnung lässt sich auch nicht einfach erzeugen durch viel gutes Zureden oder gut gemeinte Ratschläge. Wenn sich die Hoffnung allzu leicht einstellt, dann ist sie oft naiv und leichtfertig, jedenfalls nichts Ernstes und nichts mit Hand und Herz, höchstens blauäugig.

Die Hoffnung wird im Verborgenen gebildet. Sie braucht Zeit, um zu wachsen und zu reifen, ehe sie sichtbar zur Welt gebracht werden kann.

Es ist sogar für Gott eine schwere Geburt, bei der nicht selbstverständlich ist, dass die Hoffnung  auch  lebendig zur Welt kommt, dass sie alles potenziell Tödliche über- lebt: Gleichgültigkeit, Trägheit und Bequemlichkeit, ganz zu schweigen von Angst und Enttäuschungen.

Wie schwer muss die Geburt von hoffenden Menschen sein, die an Gräbern stehen müssen, die den Tod vor Augen haben?! Genauso schwer wie die Auferweckung der Toten.

Statt nun unsere begrenzten Möglichkeiten zu beklagen, gekränkt zu reagieren und neidisch auf den zu schauen, der es eben kann, findet sich im 1. Petrusbrief die hoffnungsvolle Perspektive, Gott von Herzen zu danken. Gelobt sei Gott!

Von Dörte Gebhard

18. November

Der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.     1. Mose 12,1

So was kommt doch heute bei uns nicht mehr vor?! Dass ein steinalter Mann seine Siebensachen packen muss? Weg und auf den Weg muss?

Wie oft das vorkommt! Überwiegend sind es aber hochbetagte Frauen, die fort aus allem Vertrauten müssen, weg aus allem Gewohnten… Ins Pflegeheim. Bei Abram waren es insgesamt mindestens 1478 km von Haran nach Ägypten. Vom «Daheim» seit 60 oder 70 Jahren ins Alterszentrum kann es innerlich noch viel weiter sein, auch wenn es nur einen Kilometer weit ist. Die Zukunft ist vage. Abram erfährt gar nichts Genaues von seinem Gott. Er soll aufbrechen «in ein Land, das ich dir zeigen will», spricht Gott. Keine Details, kein Versprechen, dass alles besser wird. Vor allen Dingen wird es anders. Ganz anders.

Was erlebt Abram? Gott kommt mit.  Immer.  Sogar als er wegen einer Hungersnot ein Wirtschaftsflüchtling wird. Überall unterwegs kann er ihm sein Leid klagen, ihm danken. Was erlebt eine uralte Frau im Altersheim? Gott kommt mit. Egal, wie plötzlich der Abschied vom Bisherigen ist oder ob man ihn überhaupt noch richtig begreifen kann. Ganz gleich, wie es einem alten Menschen im Pflegeheim ergeht: Gott ist mit seinem Segen da. Zuletzt sind wir dann alle unterwegs wie Abram, weg von allem, durch Sterben und Tod hindurch, zu Gott, «in das Land, das er uns zeigen will».

Von Dörte Gebhard

17. Oktober

Das ist die Liebe, dass wir unser Leben führen nach seinen Geboten. 2. Johannes 6

«Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.» Christian Morgenstern, Dichter des Komischen und ernster Übersetzer, hat dabei sicher nicht an die biblischen Gebote gedacht. Aber ob es auch bei ihnen klappt? Anweisungen, Gesetze betrachtet man mit vielem, mit Angst vor der Polizei oder mit Ärger wegen Juristen, mit mehr oder weniger Gewissensbissen, mit festen Vorurteilen oder vornehmer Überheblichkeit, dass sie für andere vielleicht gelten mögen, aber nicht für einen selbst. Betrachten wir die Gebote von vornherein mit Liebe, wird es besser als erwartet. Dann ist nicht gleich alles zu viel, zu schwer oder zu kompliziert. Für das, was ich liebe, nehme ich eine Menge auf mich, sogar richtige Strapazen. Für den, den ich liebe, kann ich sehr gut auf andere verzichten. Aber vor allem fällt auf, dass nichts anderes als Liebe geboten ist.
Die gebotene Liebe hat drei Dimensionen. Manchmal gehen eine bis zwei davon vergessen. Geboten ist zum einen die Liebe zum Nächsten. Gott liebt alle Menschen; unser Auftrag ist liebevoll ermässigt. Geboten ist sodann die Liebe zu sich selbst, wenn nötig von vorn und wieder neu. Geboten ist die Liebe zu Gott, der uns immer schon zuvorkommend liebt. Wer damit jeweils am frühen Nachmittag fertig ist, fängt am besten mit der Zusatzaufgabe, mit der Feindesliebe, an. Wie? Natürlich, indem man einen Feind probeweise mit Liebe betrachtet.

Von Dörte Gebhard

19. September

Ich bin als Licht in die Welt gekommen, auf dass, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Johannes 12,46

Für Dauerbeleuchtete und Durchleuchtete, die im 21. Jahrhundert leben, muss dieses Wort erhellt werden. Sonst bleibt das Gemeinte im Dunkeln.
Wir haben die Nacht zum Tag gemacht. Das geschah so gründlich, dass wir allmählich beginnen, gegen die Lichtverschmutzung zu kämpfen, die sehr schädlich ist für Pflanzen, Tiere und Menschen. Sie stört Schlafrhythmen, irritiert Zugvögel und vieles mehr. Dark Sky Switzerland, ein gemeinnütziger Verein, extra gegründet zum Schutz der Nacht, schreibt: «In den Bergen ist der Sternenhimmel zwar wesentlich besser zu sehen als im Mittelland und in der Agglomeration der Städte. Dennoch gibt es in der ganzen Schweiz keinen Ort mehr, wo in der Nacht natürliche Dunkelheit erreicht wird.»
Für unsere Vorfahren war der Sternenhimmel etwas ganz Allnächtliches. Er wurde von kleinen Öllampen oder ein paar lodernden Fackeln nicht beeinträchtigt. Es war wirklich dunkel. Mit allen Konsequenzen, auch den kriminellen.
Zur Zeit Jesu war nachts nichts möglich. Das Notwendige, das Überlebenswichtige konnte nur bei Tageslicht getan werden. Hilfe nahte erst, wenn es wieder hell wurde.
In totaler Finsternis bleiben zu müssen, das wäre trotz Sternenpracht das schlimmste anzunehmende Dauerunglück. So leuchtet uns Jesus als Licht bis heute ein.

Von Dörte Gebhard

18. September

Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Kolosser 3,17

Manche Worte sollten wir nicht in den Mund nehmen. Nein, ich meine nicht nur Schimpfworte oder sinnloses Gefluche. Es gibt kleine Wörter mit grossen Erwartungen, die besser Gott allein vorbehalten bleiben. Kein Mensch kann von irgendetwas «alles». Niemand schafft es «immer», dazu bräuchte man auch Gottes Ewigkeit. Die Liste der harmlosen Wörtchen, für die mindestens Allmacht und Allwissenheit nötig sind, ist leicht zu verlängern: nie, ganz, absolut, völlig. Die Kolosser werden trotzdem mit einer totalen Herausforderung konfrontiert und sollen alles im Namen Jesu reden und bewirken. Ich bin nicht mehr die erste Leserin dieser Post, daher übersetze ich diesen Auftrag für uns: Fangt wenigstens an, auch wenn niemand fertig werden und aus eigener Kraft vollkommen werden kann.
Ob man dann auf der richtigen Spur ist, ist zeitnah und unkompliziert zu prüfen. Verwandelt sich mein Meinen und Sagen, mein Versuchen und Tun in etwas, das jemanden zum Danken bringt? Auch mich selbst? Gedeiht Dankbarkeit zwischen den Zeilen, beim Luftholen, spriesst ein
«Dankeschön» nach getaner Arbeit? Wird Gewöhnliches weniger selbstverständlich?
Vera Schindler-Wunderlich schreibt in einem ihrer Gedichte:

Als ich im Gerangel sass, geriet ich in Dank. … Fiel mir Dank in die Finger, die Nieren …

Von Dörte Gebhard

19. Juli

Der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stiess Petrus in die Seite  und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.           Apostelgeschichte 12,7

Seit Frühling dieses Jahres gibt es in Zürich ein neues Gefängnis. Derzeit hat es 124 Plätze für vorläufig Festgenommene. Während der Polizeihaft treffen die Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz während höchstens 48 Stunden die notwendigen Abklärungen, um den Tatverdacht und die weiteren Haftgründe zu erhärten oder zu entkräften. Ergibt sich dann, dass die Haftgründe nicht oder nicht mehr bestehen, so wird die betreffende Person freigelassen. Auch in diesem System passieren Fehler, aber es herrschen Recht und Gesetz. Gewürdigt wird diese menschliche Errungenschaft sehr selten.

Sie ist aber so gross, dass Petrus nicht einmal davon träumte. Er war auch vorläufig festgenommen worden. Alsbald sollte er dem Volk vorgeführt werden. Ihn erwartete kein korrektes und gerechtes Verfahren, sondern nach den unmenschlichen und willkürlich-populistischen Massstäben des Herodes die Todesstrafe. Aber Petrus ist in Gottes Hand, schon bevor der lichtvolle Engel kommt. Denn als unschuldig Eingekerkerter und Angeketteter kann er tief und fest schlafen. Jedenfalls muss er zu seiner Befreiung erst gerüttelt und geweckt werden. Dieses Vertrauen schenke Gott uns allen, ob wir gefangen sind oder frei.

Von Dörte Gebhard

18. Juli

Jeremia sprach: Mich jammert von Herzen, dass die Tochter meines Volkes so zerschlagen ist. Ist denn keine Salbe in Gilead oder ist kein Arzt  da? Jeremia 8, 21.22

Um Jeremia und die Seinen herrschen Elend und Verzweiflung. Er hat nicht genug Tränen, um alle Erschlagenen zu beweinen. Der Prophet braucht keinen Fernseher und keinen Liveticker für die Bilder von Leid und Not. Er sieht alles mit dem Herzen. Er würde wohl sagen: leider sehr gut. Aber er verzweifelt in diesem Moment nicht, obwohl gerade er dafür anfällig ist. Er ruft gegen seine Hoffnungslosigkeit Gott an – als Arzt und Apotheker.

Die «Salbe von Gilead» ist seit Jahrtausenden berühmt und war damals wohl jedem Kind bekannt. Sie wurde und wird aus dem Baumharz der Balsampappel hergestellt und hilft gegen Ekzeme, Sonnenbrände, Arthritis, Sehnenscheidenentzündungen und viele weitere Leiden. Die Knospen enthalten Salicin, das auch «organisches Aspirin» genannt wird.

Es braucht ein Heilmittel und einen, der es bringt. Zuerst denkt Jeremia an Symptombekämpfung, an Schmerzlinderung. Im zweiten Schritt braucht es einen Arzt, der die weitere Therapie übernimmt. Im grossen, geschichtlichen Rückblick erkennt man, dass Gott als Arzt und Apotheker bis heute gefragt und gebraucht wird, jedoch nicht wegen der zu befürchtenden Risiken und Nebenwirkungen, sondern damit Glaube, Liebe und Hoffnung unter uns nicht sterben.

Von Dörte Gebhard

19. Mai

Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.        Römer 5,20

Wo die Sünde mächtig geworden ist, da fallen Menschen auf ihre Macht herein. Daraus folgt nichts Gutes. Also kann das Böse sich entfalten, mächtig und gewaltig.

Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist zwar immer noch von Gerechtigkeit die Rede, aber sie wird regelmässig mit Gewalt durchgesetzt und dadurch zerstört. Die Weltgeschichte lässt wenig Zweifel: Keiner gewinnt dabei.

Paulus bekennt das Gegenteil. Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist mit Gottes Hilfe noch viel mehr Gutes möglich. Ist Paulus also ein total gutmütiger Trottel? Nein, der Apostel fällt nie durch Naivität auf. Zu oft war sein Leben bedroht. Aber er hat am eigenen Leib und an der eigenen Seele erlebt, dass Gottes Gnade sogar mächtiger ist als die Sünde eines tatkräftigen Christenverfolgers. Den sogenannten Gesichtsverlust überlebt er, weil er drei Tage lang nichts sieht und dann plötzlich so viel Erfreuliches vor seinen Augen auftaucht, dass er die Sünde nicht vermisst.

Wir kennen es hoffentlich nicht nur von «Romeo und Julia» aus der Schule: Plötzlich lieben sich solche, die sich mindestens ignorieren, wenn nicht hassen müssten. Denn Gott fällt auf uns Menschen und unser Machtgebaren nicht herein. Gott ist nicht naiv, sondern er kommt mit seiner grösseren Gnade dazwischen, zwischen das Böse und uns. Daraus folgt Gutes, kann sich entfalten, geduldig und hoffnungsvoll.

Von Dörte Gebhard

18. Mai

Der Welt Grundfesten sind des HERRN, und er hat die Erde darauf gesetzt. 1. Samuel 2,8

Wer hätte nicht gern «Grundfesten»? In unruhigen Zeiten erst recht, wenn der Terminkalender viele Fragezeichen hat, wenn die allgemeinen Aussichten mehr als ungewiss sind. Dann ertappe ich mich dabei, dass ich die Grundfesten mit dem verwechsle, was ich schon lange gewohnt bin. Aber auch die bewährtesten Gewohnheiten taugen nicht als Grundfesten. Heute hilft mir die Prophetenmutter Hanna, von dieser Überzeugung abzusehen. Nein, nicht mit spektakulären Vorhersagen oder Prognosen. Die Propheten Israels waren keine Vorhersager, sondern «Hervorsager». Hanna hilft mir, das Selbstverständliche und Gewöhnliche einmal sein zu lassen, und sie «sagt mir hervor», dass die Grundfesten nicht meine sind, sondern dass sie Gott gehören.

Josua Boesch hat es früher «hervorgesagt». Er wäre im November hundert Jahre alt geworden; seine Gedichte werden nun viel, viel älter. Er dichtete nur wenige Worte über die Grundfesten, auf die Verlass ist, in barmherziger Ergänzung zu allerlei menschlichen Gewohnheiten:

Gott / isch grooss / gröösser / als ales wo grooss isch / mächtiger / als ales wo mächtig isch / … gott / isch daa / nööcher / als ales won eim nööch gaat / wiiter / als ales won eim z wiit gaat … / das isch waar / vil waarer als ales / won au waar isch / vil würklicher als ales / won au würkli isch …

Von Dörte Gebhard

19. März

Du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott!
Jona 2,7

Dieser Lobpreis Jonas stammt aus dem schleimigen Dunkel des Fischbauchs. Nicht zu glauben, in dieser Situation! Sicher hat man erst später das Bekenntnis der Rettung so in den vier Kapitelchen des kleinen Prophetenbuches aufgeschrieben und angeordnet. Erst hinterher, wenn die Katastrophe, das Leiden überstanden ist, kann man so denken und danken, sogar dann, wenn man ein berühmter Prophet ist und immer «Vor-sicht» walten lässt. Fast alle Geschichten unserer Dankbarkeit sind «Nach-erzählungen», kommen aus unserem Nachdenken. Erst nach Ostern erschliesst sich, was vor und an Karfreitag geschah.

Søren Kierkegaard, der dänische Theologe, hat beim Aufschreiben beide Momente, den im Fischbauch und den späteren, genau ins Blickfeld gerück: Es ist wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz: dass vorwärts gelebt werden muss. Wenn  es gerade besonders hart, leidvoll und quälend ist, vorwärts zu leben, ist die Hoffnung zu pflegen. Dann kann man oder frau schon prophetisch das Nachher  vor  dem  inneren  Auge  auftauchen lassen. Dann wird das Fischbauchgebet der heutigen Losung so klingen: «Du wirst mein Leben aus dem Verderben führen, Herr, mein Gott. Denn du hast mein Leben schon früher aus dem Verderben geführt.»

Von Dörte Gebhard