Autor: Dörte Gebhard

18. Juli

Gottes unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft
und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt,
wenn man es wahrnimmt, ersehen an seinen Werken.

Römer 1,20

Gott ist da und nah und unsichtbar. Alles Unsichtbare
erkenne ich an seinen Spuren. Wo die Liebe hinfällt, ist meist
nicht zu übersehen. Aber noch nie habe ich die Liebe an sich
in Augenschein nehmen können. Wir merken, wenn jemand
etwas Neues anfängt auf Hoffnung hin, aber die Hoffnung
als solche habe ich noch nie in der Hand gehabt. Wir spüren,
wenn jemand Vertrauen gefasst hat, ohne dass ich es
aus der Tasche ziehen und auf Verlangen vorzeigen könnte.
Unsere Zeit ist Teil der Ewigkeit – andernfalls wäre die Ewigkeit
nicht ganz ewig –, aber beweisen kann diese Gewissheit
auch Paulus nicht.
Gottes Wirken erkennen wir Menschen nur an seinen Werken.
Aber nur, wenn wir nicht nur kurz gucken, sondern
wirklich hinschauen, aufmerksam beobachten. Wenn wir
nicht nur mit halbem Ohr etwas aufschnappen, sondern
horchen und genau hinhören. Wenn wir uns nicht nur kurz
rühren lassen, sondern mit dem Herzen bei der Sache sind,
mit Geduld für eine kleine Ewigkeit.
Wenn ich mit Kopf, Herz und Hand dem Geheimnis Gottes
auf der Spur bin und eben nicht «verstockt», wie das schon
die Propheten wenig schmeichelhaft nannten, dann habe ich
nicht plötzlich Antworten auf alle Fragen, aber ich sehe die
sichtbare Welt mit anderen Augen.

Von: Dörte Gebhard

19. Mai

Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst:
Friede sei diesem Hause!
Lukas 10,5


Draussen vor der Tür halte ich inne. Manchmal ahne ich
ungefähr, wer und was mich erwartet, oft aber weiss ich
nichts, ehe ich klingle oder klopfe. Im Spital habe ich eine
kürzere oder längere Liste mit Namen, Jahrgängen und Zimmernummern.
Mache ich als Pfarrerin Hausbesuche, hat
mich jemand telefonisch um ein Gespräch gebeten, z. B.
darüber, wie Gott es zulassen kann … Oder ich treffe im
Pfarrhausbüro auf eine junge Person in grossen finanziellen
Nöten oder ich trete ein und stehe unmittelbar an einem
Sterbebett.
Draussen vor der Tür halte ich inne und spüre wie selten
sonst, wie wenig ich weiss, wie gut ich zuhören muss, wie
genau ich hinschauen werde.
Keine Begegnung wird je der anderen gleichen. Auf der Türschwelle
ist aber immer der Moment für die Bitte um Frieden
für das ganze Haus. Unsere Begrüssungsformeln tönen viel
profaner, sind es aber nicht. Wenn wir ernst nehmen, was wir
sehr oft und gewohnt dahinsagen, so bitten wir um einen
guten Tag für das Gegenüber, ganz gleich, was geschehen
ist, egal, was erwartet wird, ob gestritten oder gefeiert, ob
geweint oder gelacht wird.
In Gottes Frieden wird zuletzt alles Schlechte aufgehoben;
ist nicht länger herrschend und gültig, wird einmal ganz
weggenommen. In Gottes Frieden wird alles Gute schon
jetzt aufgehoben, geborgen und bewahrt.

Von: Dörte Gebhard

18. Mai

Die nun zusammengekommen waren, fragten Jesus
und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten
das Reich für Israel? Er sprach aber zu ihnen:
Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen,
die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr
werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der
auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein
in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis
an das Ende der Erde.
Apostelgeschichte 1,6–9


Kämen wir so mit Jesus zusammen, wären es immer noch
die ersten Fragen: Wann? Wann hören die Schrecken auf?
Wann hat alles Böse ein Ende? Wie lange noch? Das würde
ich auch gern sofort wissen.
Die Fragerinnen und Frager bekamen und bekommen
bis heute keine Antwort. Das ist sehr gut so, auch wenn
es mir widerstrebt. Die Anwesenden werden mit völliger
Unkenntnis gesegnet. Es ist ein Segen, dass wir leben können,
ohne das Ende kennen zu müssen. Im 21. Jahrhundert und
hierzulande haben wir sogar ein Recht auf Unwissenheit, in
medizinischen Fragen. Niemand kann gezwungen werden,
sich genetisch untersuchen zu lassen, um von unheilbaren
Krankheiten zu erfahren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
auf die Person zukommen, wenn sie nicht jung stirbt. Statt
eines späteren Termins schenkt Gott die Kraft des Heiligen
Geistes sofort, für die Gegenwart. Es ist die einzige Zeit, in
der Menschen Gutes tun und bezeugen können.

Von: Dörte Gebhard

19. März

Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch
ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. 1. Petrus 1,15

Man könnte im ersten Moment denken, sonntags fällt das
mit dem heiligen Lebenswandel ein bisschen leichter, weil
man freier ist und Zeit hat. Weit gefehlt. Viel zu viele haben
Dienst am Sonntag, nicht nur in Spitälern mit zu wenig Personal.
Aber der 1. Petrusbrief ist auch nicht nur für Sonntage
geschrieben, also muss er alltagstauglich sein.
Dazu ergründe ich, was «heilig» ist. Auf Wikipedia gibt es
folgende, interessante Definition: «Heilig ist ein religiöser
Ausdruck, der eine Person, einen Gegenstand oder einen
Begriff einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder
Absoluten zuordnet.»
Damit kann ich etwas anfangen, das geht auch wochentags.
Ich ordne eine Person der Sphäre des Göttlichen zu.
Ich fange bei mir selbst an. Kurz gesagt: Ich bete. Natürlich
auch für meinen Lebenswandel. Dann ordne ich zweitens
einen Gegenstand der Sphäre des Vollkommenen zu. Konkret:
Ich spende etwas Geld. Geld ist zwar etwas ganz und
gar Unvollkommenes, die Missbrauchsmöglichkeiten sind
unüberschaubar, aber ich kann es im Moment des Ausgebens
einem guten Zweck zuordnen. Drittens ordne ich einen
Begriff der Sphäre des Absoluten zu. Das heisst für mich
beispielsweise: Gott ist die Liebe. Meine Liebsten unter den
Menschen kann ich dann mit meinen übertriebenen Erwartungen
verschonen und mehr liebhaben.

Von: Dörte Gebhard

18. März

Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben;
da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. Psalm 14,3

Es lohnt sich fast nicht, den ganzen 14. Psalm zu lesen. Nichts
als schlechte Laune und Ärger, Verbitterung und Resignation
schlägt einem entgegen. Es sei denn, der Frust ist gross und
muss raus. Alles auf einmal. Nicht sehr differenziert. Zugegeben,
im Einzelfall sicher ungerecht.
Aber die Wut ist so gross, dass nur noch Gott gross genug
ist, um mit ihr fertigzuwerden. Deshalb lohnt es sich doch,
den ganzen 14. Psalm zu lesen. Denn nur dann liest man
von der Grösse Gottes, der es sich nicht nehmen lässt, vom
Himmel auf seine Menschenkinder zu schauen, auch wenn
sie in ihrem Herzen sprechen «Es ist kein Gott».
Wenn man so sehr schäumt, pauschale Urteile fällt, dass
zuletzt an gar keinem mehr ein gutes Haar ist, hat man, ehe
man sich’s versieht, sich selbst dazugezählt. Keine Ausnahme
gemacht. Selbst schuld! Pech gehabt!
Dann lohnt es sich erst recht, den 14. Psalm bis zum Schluss
zu lesen. Da wird trotz allem wieder damit gerechnet, dass
Jakob fröhlich sein könnte und Israel sich freuen würde.
Heute werden in der ganzen Schweiz in einer ökumenischen
Aktion Rosen verkauft, die HEKS und Fastenopfer
zugutekommen. Sicher kennen Sie einen «Jakob», der nicht
daran denkt, eine Rose geschenkt zu bekommen. Sollte es
schon Abend geworden sein: Morgen ist auch noch ein Tag,
wo man via App «Give a rose» doppelt Gutes tun kann.

Von: Dörte Gebhard

1. März

Paulus sprach: Glaubst du, König Agrippa, den
Propheten? Ich weiss, dass du glaubst. Agrippa aber
sprach zu Paulus: Es fehlt nicht viel, so wirst du mich
noch überreden und einen Christen aus mir machen.
Apostelgeschichte 26,27–28

Friedrich Schleiermacher, Professor für alle neuen Fächer
im 19. Jahrhundert in Berlin, hat einmal sinngemäss gesagt:
Manchmal kommt genau dadurch etwas zustande, dass
man es voraussetzt. Paulus kannte Schleiermacher nicht,
wendete aber seine Taktik bereits bei König Agrippa an, der
ihn verhörte, weil der Apostel auf Leben und Tod angeklagt
war. Paulus traute diesem König nach seiner Predigt zu, dass
er – den Propheten – glaubt. König Agrippa antwortete
ihm eigenwillig darauf. Die Gelehrten streiten, wie es sich
für sie gehört, ob Paulus es ehrlich oder ironisch gemeint
hat, dass Agrippa nicht viel zum Christsein fehle. Ich will es
nicht entscheiden. Aber zweierlei erkenne ich: Paulus konnte
niemanden zum Christen «machen». Das muss der Heilige
Geist bewirken. Paulus‘ Predigt war persönlich-biografisch,
dem Hörer zugewandt und aktuell, aber «machen» konnte
er nichts. Menschliche Möglichkeiten haben Grenzen.
Aber es fehlt nur wenig. Diese Sicht der Dinge will ich mir
angewöhnen, auch wenn ich hoffentlich nie verhört werde
wie Paulus. Oft erwische ich mich dabei, zu sehen, was fehlt,
was nicht geht, nicht passt, nichts wird. Aber das berühmte
Glas ist nicht halb leer, es ist beinahe voll. Wollte ich noch
mehr hinein giessen, liefe es sofort über.

Von: Dörte Gebhard

19. Januar

Es ist nicht der Wille eures Vaters im Himmel, dass auch
nur eins dieser Geringen verloren gehe.
Matthäus 18,14

Es sind nur noch 99 Schafe … Wer ist so ein 100. Schaf, so ein
fehlendes, verirrtes, jedoch gerade nicht verlorenes, wie es
fälschlicherweise genannt wird? Wer gehört für Sie zu den
«Geringen», wie Matthäus solche Schafe nennt? Zu den
Marginalisierten? Die Ärmsten oder allgemein Benachteiligten,
Menschen ohne Lobby oder vor allem Kinder, die vielen
Flüchtlinge im Nirgendwo oder überhaupt alle Heimatlosen,
alle von Krieg und Krisen Betroffenen, insgesamt Menschen
mit Beeinträchtigungen oder schon solche ohne bestimmte
Privilegien, ohne das Glück, in einem reichen und toleranten
Land geboren zu sein, queere Personen und Sans-papiers,
Sozialhilfeempfängerinnen, Untergetauchte, Prostituierte,
Sklavinnen, Schwarze, …?
Durch die Jahrhunderte haben sich vorwiegend studierte
Leute Gedanken gemacht, wer da gemeint sein könnte: die
Neugetauften, die Ungebildeten oder gar Schmied und
Schuster, Bauer und Tölpel, wie Johannes Chrysostomus
(† 407) vermutete und predigte? Er hielt sich selbst für besser.
Wer so fragt und so sagt, denkt, dass er oder sie selbst
jedenfalls nicht dazugehört. Aber in diesen wenigen Zeilen
über das wiedergefundene Schaf sind wir alle gemeint. Martin
Luther bringt es auf den Punkt: «Das … Schaf sind wir …
Das Schaf kann sich nicht selber helfen … Das Schaf sucht
nicht den Herrn, sondern der Herr sucht das Schaf.»

Von: Dörte Gebhard

18. Januar

Du hast geleitet durch deine Barmherzigkeit dein Volk,
das du erlöst hast.
2. Mose 15,13

Es ist gar nicht so schwer, Gott zu erkennen. Er managt
schwierige Passagen der Seinen mit seiner grossen Barmherzigkeit.
Sie unterscheidet ihn von Sektenführern und Verschwörungstheoretikerinnen,
Diktatoren und Spinnerinnen,
die sich in der Welt und im Internet tummeln. Jene reden
und schreiben womöglich sogar das Wort Barmherzigkeit,
wenn es ihnen denn nicht zu altmodisch vorkommt. Aber sie
lassen ganz anderes walten. Sie schüren Angst und streuen
Gerüchte, munkeln Ungewisses, säen Hass und schwören
Rache. Sie haben keine Ahnung und verlangen obendrein
viel Energie und Lebenszeit fürs Dabeisein und Mitmachen.
Lässt man Kopf und Herz zusammenwirken, werden die
Unterschiede zwischen «nur so gesagt», «bloss gemeint»
und «wirklich gemacht» deutlicher. Zwei kleine Testfragen
sind oft schon genug. Könnte ich mit Barmherzigkeit
rechnen, wenn ich? Dann, wenn Erlösung versprochen wird:
Wovon werde ich genau befreit? Nur von meinem Geld?
Gott breitet seine Barmherzigkeit ungefragt aus: Er gibt
Menschen Mut, um Vergebung zu bitten. Er schenkt sogar
die grosse Kraft, Hilfe anzunehmen, obwohl man von Kindesbeinen
an gelernt hat, alles selbst schaffen und leisten zu
müssen. Seine guten Ideen haben noch kein Ende. Er lässt
z. B. Menschen gegen alle Widerstände Bäume am Wüstenrand
pflanzen und so ein zu lobendes Land finden.

Von: Dörte Gebhard

8. Dezember

Erbaut auch ihr euch als lebendige Steine zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.          1. Petrus 2,5

Eine Kirchgemeinde ist eigentlich ein «Unding». Denn lebendige Steine gibt es nicht. Entweder sind es Pflanzen, die bloss wie Steine aussehen, oder es ist wirklich Granit. Der ist und bleibt leblos, seit Jahrtausenden.

Eine Kirchgemeinde ist trotzdem genau das: ein Haus aus lebendigen Steinen. Denn will man etwas ändern, wird es hart. Wer frisch und freiwillig da ist, findet es eventuell leichter, den berühmten Unspunnenstein, der immerhin 83,5 kg wiegt, richtig weit zu werfen, als irgendeine kleinere Neuerung durchzusetzen. 4,11 m ist übrigens der schwer zu brechende Rekord von Markus Maire aus dem Jahr 2004.

Hartnäckig muss man sein. Beim Steinstossen ist es ganz offensichtlich, in der Kirche bleibt es auch nicht lange verborgen.

Aber diese geistlich-lebenstüchtigen Steine sind zugleich toll und unberechenbar. Sagenhaft viele Einfälle, fixe und Schnapsideen kullern und bollern, rollen und rumpeln durch die Gegend und die Gemüter, durch Presse und Internet. Man holt sich womöglich schnell blaue Flecken, geistliche, versteht sich, wenn man nur schon von weitem zuschaut.

Eine Kirchgemeinde erbaut sich am besten, wenn sie ziemlich regelmässig prüft, ob alles Unverrückbare und alles Wilde Gott gefällt. Dieses «Opfer» ist gemeint.

Von Dörte Gebhard

7. Dezember

Weh denen, die den Schuldigen gerecht sprechen für Geschenke und das Recht nehmen denen, die im Recht sind.                                                     Jesaja 5, 22.23

Haben Sie schon alle Geschenke für Ihre Lieben beieinander? Schon seit Ostern oder erst seit dem Erntedankfest? Oder müssen Sie jetzt bald noch los, etwas genau Passendes oder etwas Ungewöhnliches, etwas lang Gewünschtes oder komplett Überraschendes zu finden?

Manchmal wird über Weihnachtsgeschenke geschimpft und gewettert, über die Menge und/oder die Preise, über die totale Kommerzialisierung des Festes. Aber gute Gaben sind und bleiben eine gute Erfindung der Menschheit. Gern lasse ich mich anstecken von der Begeisterung der Kinder; gerade davon, wie sie es vor Weihnachten kaum erwarten können, jemandem ein besonderes Geschenk von sich selbst zu überreichen. Es ist längst gebastelt, verpackt und versteckt, aber bis Heiligabend muss man noch siebzehnmal schlafen!

Jede noch so gute Idee kann man dennoch verderben. Wer nur etwas gibt, um noch mehr zu bekommen, wer das Recht beugt zu seinen Gunsten, der bringt Leid und Weh über andere. Korruption nützt niemandem und schadet allen. Jesaja bringt es auf den Punkt. Die Schweiz ist auf dem internationalen Korruptionsindex 2022 auf den 7. Platz abgerutscht, wegen Vetterliwirtschaft und teilweise intransparentem Umgang mit Geld. Üben wir am besten mit den Kindern zusammen, wie man von Herzen gern und vor allem ohne störende Hintergedanken schenkt.

Von Dörte Gebhard