Monat: August 2023

31. August

Unser tägliches Brot gib uns heute. Matthäus 6,11

Genug zu essen zu haben, ist keine Selbstverständlichkeit.
Daran erinnert mich der Vers gleich doppelt. Die Bitte gilt
es jeden Tag zu erneuern. Allein am heutigen Tag, im Jetzt,
genug zum Leben zu haben, scheint genug. Mein Privileg
ist, dass in meiner Bitte Dankbarkeit liegt, weil das tägliche
Brot mein Alltag ist. Ich muss nicht hungrig schlafen
gehen. Eigentlich müsste ich für das tägliche Brot der Anderen
beten.
Es gibt einen Diskurs, der das tägliche Brot zuoberst auf die
Prioritätenliste setzt und ein Recht auf Nahrung postuliert.
Was einleuchtend klingt, kippt für mich allzu oft in einen
utilitaristischen Zynismus. Autoritäre Regierungsformen, die
wirtschaftlich erfolgreich sind, werden damit gerechtfertigt,
dass sie im Kampf gegen den Hunger halt nicht auch noch
auf Minderheiten und Dissidenten Rücksicht nehmen können.
Das tägliche Brot sei wichtiger als die Meinungsfreiheit,
die Menschenrechte werden relativiert.
Ich bin überzeugt, dass sich das Evangelium gegen eine Hitparade
der Menschenrechte wendet. Beim Brot, von dem
das Unservater spricht, denke ich nicht allein ans Essen. Mir
kommt das Brot des Lebens in den Sinn, das beim Abendmahl
geteilt wird. Es umfasst für mich all das, was der Mensch
braucht. Dazu gehört Nahrung, ja, aber ebenso zählen dazu
die Würde und die Freiheit.

Von: Felix Reich

30. August

HERR, verdirb dein Volk und dein Erbe nicht,
das du durch deine grosse Kraft erlöst hast!
5. Mose 9,26

Von der Masse ist nichts zu erwarten. Keine Einsicht, keine
Reue, keine Umkehr. Gott muss feststellen, «dass dieses Volk
ein halsstarriges Volk ist» (5. Mose 9,13). Von der verdienten
Strafe kann es nur verschont werden, wenn Mose sich vor
Gott niederwirft wie vor einem König und in der Demutsgeste
vierzig Tage ohne Essen und Trinken verharrt, um Gottes
«Zorn und Grimm» (5. Mose 9,19) zu besänftigen.
Halsstarrig ist die Menschheit geblieben. Obwohl die Zeichen
der Zerstörung sichtbar sind, Gletscher sich zurückziehen
und Extremwettersituationen zunehmen, ist die grüne
Wende kaum mehr als ein Wahlkampfslogan. Ungerechtigkeiten,
die zum Himmel schreien, scheinen zementiert.
Regimes bauen auf Repression, obschon klar ist, dass Angst
eine so schlechte wie fragile Regierungsform ist. Der Mensch
braucht keinen Gott, der ihn zerstört. Das erledigt er selbst.
In Christus ist Gott selbst zum Fürbitter geworden, der die
Spirale der Gewalt durchbrochen hat. Er wollte den Zorn
und Grimm der Menschen besänftigen, blieb hartnäckig
in seiner Liebe. Ich fürchte nicht die Strafe Gottes. Angst
machen mir die Menschen. Und so bete ich, dass Gott den
Willen stärkt, von der Selbstzerstörung abzulassen, und die
Kraft verleiht für das trotzige Festhalten an der Hoffnung.

Von: Felix Reich

29. August

Ich bin der HERR, dein Gott, der dich lehrt,
was dir hilft, und dich leitet auf dem Wege, den
du gehst.
Jesaja 48,17

Ein schöner Satz. Vielleicht der Inbegriff dessen, was es
bedeutet, behütet zu sein und getrost durch das Leben zu
gehen. Da ist eine unsichtbare Kraft, die mich spüren lässt,
was ich brauche, und mir den Weg leuchtet, wenn ich nicht
mehr weiterweiss.
Im Kontext des prophetischen Textes lesen sich die Zeilen
allerdings weniger als Zuspruch denn als Mahnung. Es ist
nicht so, dass Gott auf dem Weg beschützend und unterstützend
hinterhergeht. Er gibt die Richtung vor und hat
den Anspruch voranzugehen. Ausserdem wimmelt es in der
Folge von Menschen, denen der Prophet vorwirft, die falsche
Abzweigung genommen zu haben. Sie werden «keinen
Frieden» (Jesaja 48,22) finden. Nun kippt der Satz vom Trost
in die Bevormundung. Warum brauche ich einen Gott, der
mich lehrt, was mir hilft? Muss ich das nicht selbst wissen?
Es sind die falschen Fragen.
Die Mahnung richtet sich nicht an ein Individuum, in den
Blick nimmt der Prophet ein Kollektiv. Und eine Gemeinschaft
muss sich tatsächlich auf eine Lehre einigen, welche
die Richtung vorgibt. Wer auf Gott hört, findet einen Weg,
auf dem die Schwachen gestützt werden und niemand unter
die Räder kommt.

Von: Felix Reich

28. August

Jesus spricht: Nehmt auf euch mein Joch und lernt von
mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Matthäus 11,29

Eigentlich habe ich immer gehadert mit diesem Joch, das so
zwingend und schwer auf einem liegt und das ich dennoch
fast freudig auf mich nehmen soll. Als Lernprojekt sozusagen.
Thema: Sanftmut und Demut üben.
Und ich konnte diesem Bild lange nichts abgewinnen.
Also lieber die Losung statt den Lehrtext dieses Tages nehmen?
Nein! Stattdessen den ungeliebten Text mitnehmen in
meinen Alltag – und ihn immer mal wieder anderen anbieten.
Was meinst du?
«Unter ein Joch passen immer zwei Ochsen und zu zweit
ist man weniger allein!» Und: «Unter einem Joch bist du nach
vorne ausgerichtet, du kannst dich gar nicht umdrehen, du
hast also eine Orientierung.» Die Antworten eines Freundes
faszinieren mich und erschliessen mir dieses Bild neu, geben
ihm eine neue Farbe. Ich muss schmunzeln, weil ich merke,
wie auf einmal meine Abwehr gegen das Joch schmilzt und
es zu einer wirklichen Alternative wird zu den Lasten, die ich
mit mir herumtrage, unter denen ich mich ganz allein und
auch orientierungslos fühle und es vielleicht auch bin. Mein
Joch, unter das ich mich oft sogar freiwillig begebe, das mir –
mühselig und beladen – eben keine Möglichkeit zur Ruhe für
meine Seele bietet. Sanftmut und Demut könnten vielleicht
doch noch ein Thema für mich sein.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. August

Der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen
Werken deiner Hände.
5. Mose 2,7

Eine grosse Rückschau steht am Anfang des 5. Buches Mose.
Mose selbst werden diese Worte in den Mund gelegt am
Scheidepunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen
Wüste und gelobtem Land. Und dann dieser Satz.
Nicht nur die grossen Taten sind Gottes Werk, nicht nur das
Wunder am Schilfmeer, Manna und Wachteln, die selbstgeschriebenen
Steintafeln, sein Segen liegt nicht nur auf Mose,
Aaron, Mirijam oder den grossen und einflussreichen Führerinnen
und Führern, er liegt in allen Werken deiner Hände.
Deiner Hände!
Und auch meiner.
Gott mitten unter uns, in uns wirksam, handfühlig.
Und der Satz ist noch nicht zu Ende, Mose legt noch nach:
«Er hat dein Wandern durch diese grosse Wüste auf sein
Herz genommen.» (5. Mose 2,7)
Am Scheidepunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft
und nach dem Durchqueren der Wüsten und Durststrecken
unserer Zeit – und wir haben wahrlich genug davon – brauchen
wir genau solchen Zuspruch, ist es wichtig, Vergangenheit
aus Gottes Sicht auf uns zu deuten und damit Zukunft
zu eröffnen.
Der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner
Hände. Er hat dein Wandern durch diese grosse Wüste
auf sein Herz genommen.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

26. August

Gutes zu tun und mit anderen zu teilen vergesst nicht;
denn solche Opfer gefallen Gott.
Hebräer 13,16

Vor einem Jahr begann die 11. Vollversammlung des Ökumenischen
Rates der Kirchen. «A Call to Act Together» ist
die Botschaft überschrieben, die von Karlsruhe aus in die
Welt ging. Prof. Dr. Ioan Sauca, damals amtierender Generalsekretär,
hat sie hier vor wenigen Tagen mit eindringlichen
Worten erneut vor Augen gestellt: Es genügt nicht, als
Kirchen und Christenmenschen (nur) zusammenzubleiben,
gemeinsam zu beten und miteinander unterwegs zu sein:
Now it’s time to act together! «Gutes zu tun und mit anderen
zu teilen vergesst nicht» ermahnt und ermutigt der Schluss
des Hebräerbriefes. Darin konkretisiert sich der Dreiklang
Glaube – Hoffnung – Liebe, der in den vorangehenden Kapiteln
entfaltet wird. «Denn wir haben hier keine bleibende
Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.» (Vers 14). Es ist
ein Pilgerweg der Gerechtigkeit, der Versöhnung und der
Einheit, auf den der Hebräerbrief uns sendet.
Wir bitten Gott, uns bei der Umwandlung unserer Bekenntnisse
und Verpflichtungen in Taten zu unterstützen. Wir verpflichten
uns, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten
… Denn in Christus wird alles neu werden. Seine
Liebe, die allen Menschen gilt, auch den schwächsten, den
geringsten und den verloren gegangenen, und die für alle
Menschen offen ist, drängt uns (2. Korinther 5,14) und stärkt
uns auf diesem Weg. (aus der Botschaft der 11. VV des ÖRK)

Von: Annegret Brauch

25. August

Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte
meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht
ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott.

Jesaja 49,4

Bei dem Vers denke ich an die Friedensfrauen von «Unterwegs
für das Leben». Ihren Mut, ihre Beharrlichkeit, ihre
Kreativität, ihren Eigen-Sinn bewundere ich ebenso wie ihre
in einem tiefen Gottvertrauen gründende Zuversicht. Seit
40 Jahren engagieren sie sich mit jährlichen «Bittgängen für
das Leben» für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der
Schöpfung. Durch Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern
der Regierung, der Waffen- und Atomindustrie, bei
Initiativen, die sich in der Arbeit mit Flüchtlingen und sozial
Benachteiligten engagieren, haben sie vieles angestossen und
auf den Weg gebracht. Sie haben Samen der Versöhnung und
der Hoffnung in die Herzen vieler Menschen gelegt.
Und jetzt? Einige sind inzwischen in ihren 80ern und fragen
mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre: Haben
wir vergeblich gearbeitet, unsere Kraft umsonst und unnütz
verzehrt? Die Frage ist mir – wie vielleicht Ihnen auch? –
nicht fremd. Aber die Spannung zum «doch», von dem
Jesaja so getrost und vertrauensvoll spricht, ist mir manchmal
zu gross. Dann überbrücke ich sie mit dem Leitspruch
der «Unterwegsfrauen»: «Gott hat uns nicht gegeben den
Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
» (2. Timotheus 1,7)

Von: Annegret Brauch

24. August

Gott hat das Wort dem Volk Israel gesandt und
Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist
Herr über alles.
Apostelgeschichte 10,36

Apostelgeschichte, Kapitel 10: Der gottesfürchtige Centurio
Cornelius empfängt durch einen Engel die Aufforderung,
nach Simon, genannt Petrus, zu suchen und ihn herbeiholen
zu lassen. Simon Petrus hat fast gleichzeitig einen merkwürdigen
Traum, in dem ihm gezeigt wird, dass es keine Tiere
gibt, die man nicht essen dürfe – und das überträgt er auf die
Völker: Es gibt kein Volk, das nicht der Bekehrung zu Christus
würdig ist. Als er dann zu Cornelius gerufen wird, eilt er zu
ihm – und es gelingt ihm schnell, Cornelius zu überzeugen,
dass es in Christus keinen Unterschied macht, ob jemand
Jude ist oder einem anderen Volk angehört: Jeder und jede
kann zum Glauben an Jesus Christus kommen, «durch
den Gott Frieden verkündigt hat und der der Herr ist über
alles …» Die Botschaft ist: Der Friede, den Christus bringt,
ist ein Friede für alle Völker und zwischen allen Völkern. Legt
die Feindschaft ab! Das geht uns in diesen Kriegszeiten sehr
nah, vor allem da in den vergangenen grossen Kriegen, die
unseren Kontinent heimgesucht haben, wie in dem gegenwärtigen
Krieg Russlands gegen die Ukraine, auf allen Seiten
Christen leben und Kirchen den Krieg unterstützen, damals
und jetzt. Kann sie Jesu Botschaft vom Frieden umstimmen?
Die Hoffnung darauf sollte uns nie verlassen!

Von: Elisabeth Raiser

23. August

Ihr habt schon geschmeckt, dass der Herr freundlich ist. 1. Petrus 2,3

Ihr habt schon geschmeckt! Das ist ein schönes, sinnliches
Bild, und wenn es sich auf die Freundlichkeit Gottes bezieht,
lässt man es sich auf der Zunge zergehen! Mir fällt dabei der
schöne, wahrscheinlich bekannteste Text von Marcel Proust
aus seinem Buch «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit»
ein. Er beschreibt dort auf zwei Seiten, wie der Verzehr einer
Madeleine (ein in Frankreich verbreitetes Teegebäck), die er
in den Tee tunkt, plötzlich die Erinnerung an ein tiefes Erlebnis
in seiner Kindheit wachruft, in dem Proust den wahren
Sinn des Lebens zu erhaschen meint. Auch damals tauchte
er, als er krank war, eine Madeleine in eine Tasse Tee und
schmeckte sie – und das erfüllte ihn mit dem Empfinden,
eine in ihm verborgene Wahrheit zu schmecken, ohne sie
fassen zu können. Die Sinne, hier der Geschmackssinn, wissen
oft mehr als unser Geist!
Und so ist es mit der Freundlichkeit Gottes. Wir schmecken
sie – wie könnten wir sie mit dem Verstand fassen? Mit
Hilfe der Theologie? Mit unseren ethischen Überzeugungen?
Sie helfen uns, uns dieser Wahrheit anzunähern. Aber das
Geheimnis der Freundlichkeit Gottes, seiner immerwährenden
Gegenwart in uns – das ist eine innere Erfahrung, die uns
immer, auch entgegen allem Augenschein, hoffen lässt und
die wir mit dem Verstand nicht fassen, die wir aber fühlen,
vielleicht schmecken können. Gott sei Dank!

Von: Elisabeth Raiser

22. August

Der HERR, euer Gott, versucht euch, um zu erfahren,
ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele
lieb habt.
5. Mose 13,4

Die Zürcher Bibel übersetzt anders: «Denn du sollst nicht auf
die Worte jenes Propheten oder auf jenen Träumer hören,
denn der HERR, euer Gott, stellt euch auf die Probe.» In Chiapas,
Mexiko, wurde ich jeden Tag gefragt, was ich geträumt
habe. Immer wieder durfte ich zu verstehen versuchen, was
dies bedeutet. Ganz habe ich es nie verstanden, aber gespürt,
dass die Dimension des Traums ernst genommen wird bei
der Gestaltung des Tages. Nun sagt uns der heutige Text,
dass sogenannte Träumer uns von der Lebendigen wegbringen
können. Auch Propheten sind gefährlich. Träume sollen
uns auf die Probe stellen. Ich bin der Überzeugung, dass es
Träume und Träume gibt. Ich will nicht aufhören, die Träume
zu leben, die mein Leben prägen, wie etwa das Einstehen
für Gerechtigkeit, gegen die Unterdrückung von Frauen, für
eine inklusive Gesellschaft. Sie entsprechen meinem Glauben
an die Lebendige. Aber ich werde durch Träumer auf
die Probe gestellt, etwa dann, wenn mich die viel zu vielen
Informationen erdrücken wollen. Der heutige Text ermutigt
mich, immer wieder zu unterscheiden zwischen dem, was in
meinen Augen dem Leben dient, und dem, was der Gerechtigkeit
im Wege steht. Die Lebendige hilft dabei!

Von: Madeleine Strub-Jaccoud