Schlagwort: Sigrun Welke-Holtmann

28. Mai

Ich selbst will, spricht der HERR, eine feurige Mauer
rings um Jerusalem her sein.
Sacharja 2,9


Eine feurige Mauer, über Tag eine Wolkensäule, des Nachts
eine Feuersäule, ein brennender Dornbusch. Sie sind so
gewaltig, naturgewaltig, die Erscheinungen Gottes, von
denen die Texte des Alten Testaments schreiben. Und bei
aller Bedrohlichkeit, die diese Bilder auch enthalten, muss
ich doch sagen, dass ich diese Geschichten liebe, denn sie
erzählen Gott so erlebbar. Erlebbar im Hier und Jetzt. In
aller Gewaltigkeit: Wärme, Schutz und Orientierung gebend.
In Sacharjas dritter Vision von dem Mann mit der Messschnur
ist es ein Versprechen, ein Versprechen Gottes: Ich
will eine feurige Mauer rings um Jerusalem sein.
Ich will dieses Versprechen heute nicht auf dem Hintergrund
der aktuellen politischen Lage in Jerusalem hören, nicht als
Argument in einem nicht enden wollenden Konflikt, nicht
als Grenzziehung, sondern als eine Geschichte, die von der
Sehnsucht nach Gottes Schutz und Beistand spricht. Ein Prophetenwort,
das sich das naturgewaltige Eingreifen Gottes
herbeiwünscht und es seinen Leserinnen und Lesern bereits
vor Augen stellt: Ich hob meine Augen auf und sah …
Eine feurige Mauer, über Tag eine Wolkensäule, des Nachts
eine Feuersäule, ein brennender Dornbusch – manchmal
habe ich auch naturgewaltige Sehnsucht nach Gott.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. Mai

Daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist,
den er uns gegeben hat.
1. Johannes 3,24


Was macht den Unterschied aus? Woran erkennt man Drinnen
und Draussen, Gut und Böse, Wahrheit und Irrtum,
Kinder Gottes und Kinder des Teufels?
Er ringt mit sich und seinen Leserinnen und Lesern und
sieht es doch ganz klar: Ihr Lieben, seht das doch ein, das ist
doch gar nicht schwer!
Ich finde es heute überhaupt nicht mehr so klar. Wie lässt
sich dieser Unterschied fassen? Und sollten wir in einer globalen
Welt nicht eher auf die Gemeinsamkeiten als auf die
Unterschiede schauen?
Was ist das für ein Geist und wie könnte ich ihn heute
beschreiben? Mit welchen Worten, die wir auch noch aktiv
verwenden und die uns ganz konkret etwas sagen? Und wie
haben wir – Sie und ich – ihn bekommen? Mit der Taufe –
o.k., aber wie wird er gespürte Erfahrung und damit Wirklichkeit
für uns?
Können wir den Geist an der entwickelten Haltung erkennen?
Wie lassen sich brüderliche – geschwisterliche – Liebe
und Glaube an den Namen Jesu Christi leben? Sind damit
Toleranz und Akzeptanz gemeint? Empathie oder mehr?
So viele Fragen ergeben sich aus diesem einen Vers, die,
wenn sie nicht dogmatisch beantwortet werden sollen, jeder
und jede nur für sich und aus der eigenen Geschichte heraus
beantworten kann.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

28. April

Wer den Harnisch anlegt, soll sich nicht rühmen
wie der, der ihn abgelegt hat. 1. Könige 20,11

Wenn mächtige Männer mit Allmachtsfantasien aneinandergeraten…
Ich lese diese Losung, während ein grausamer Krieg
herrscht. Mitten in Europa. Drohgebärden und Waffenlieferungen
werden tagtäglich medial aufbereitet, damit alle sie
mitbekommen. Ebenso die Bilder von Verbrechen und Tod.
Und jetzt auch noch hier. Ben-Hadad, König von Aram,
belagert Samaria und versucht aus Ahab, dem König von
Israel, auch noch das Letzte herauszuquetschen. Der ist
bereit, sein Silber, sein Gold, seine Frauen und seine Söhne
zu geben, darüber hinaus will er jedoch keine Zugeständnisse
mehr machen. Er lässt die Situation eskalieren und gibt
dem feindlichen König noch einen «guten» Rat mit: Wer
den Harnisch anlegt, soll sich nicht rühmen wie der, der ihn
abgelegt hat.
Vielleicht wäre ich zu einer anderen Zeit bereit gewesen,
mich auf die Geschichte einzulassen und auf den Spruch,
dass man den Sieg nicht vor dem Ende des Kampfes feiern
soll. Vielleicht hätte ich von dem Propheten erzählt, der
eingreift, und von der Wendung, die diese Geschichte durch
Gottes Eingreifen bekommt.
Heute nicht.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. April

Hat denn Gott sein Volk verstossen? Das sei ferne! Römer 11,1

Die schärfste Waffe der Rhetorik ist die Frage. Das wusste
auch Paulus, der in der alten Disziplin sicherlich gut ausgebildet
war. Mit Fragen lenkt man ein Gespräch, kann die
Richtung vorgeben und wechseln. Man kann damit das
Gegenüber herausfordern, zum geistigen Austausch, sich zu
exponieren. Fragen, rhetorische Fragen eignen sich aber auch
gut, um die eigene Sicht darzustellen.
«Hat denn Gott sein Volk verstossen?» Eine Frage, über die
man trefflich diskutieren könnte. Zu der man verschiedener
Meinung sein könnte: Nun, vielleicht ja, es sieht zuweilen so
aus, fühlt sich so an und in den Schriften lesen wir …
Nein! Noch bevor eine Antwort kommen kann, folgt das
im Brustton der Überzeugung gesprochene: Das sei ferne!
Ich kann ihn mir gut vorstellen, Paulus von Tarsus. Im Eifer
des rhetorischen Gefechts. Sich nach vorne beugend. Vielleicht
zieht er eine Augenbraue hoch und fixiert sein Gegenüber
bei der provokanten Frage, die er ihm stellt: «So frage
ich nun: Sind sie gestrauchelt, damit sie fallen?»
Immer wieder dringt er im Römerbrief mit Fragen auf seine
Hörerinnen und Hörer ein, provoziert sie regelrecht, um
ihnen danach die richtige Antwort förmlich entgegenzuschreien.
Denkst du, ich mach das für mich? Das sei ferne!

Von: Sigrun Welke-Holtmann

28. März

Er weiss, was für ein Gebilde wir sind;
er gedenkt daran, dass wir Staub sind. Psalm 103,14

Manchmal glaube ich, dass wir es vergessen haben, oder auf
jeden Fall immer wieder erfolgreich verdrängen. Wir denken
uns, dass das ewige Leben eigentlich eine Versicherungsleistung
sein sollte, und mit der richtigen Tagespflege sollte auch
ewige Jugend drin sein. Da schert uns doch Gott nicht und
woran er sich erinnert.
Einmal im Jahr gehe ich mit meinem Kurs von angehenden
Pfarrerinnen und Pfarrern ins Krematorium. Okay, da geht
das Zu-Staub-Werden innerhalb weniger Stunden und mit
einem hohen Energieaufwand vor sich, aber es stellt uns
immer wieder sehr drastisch vor Augen, woraus wir sind
und zu was wir werden. Was bleibt, ist eine Schale voll grauer
Asche und feuerfester Ersatzteile, wie eine künstliche Hüfte
etwa. Aber auch die wird noch kleingesägt und in die Urne
mit hineingegeben.
Im Angesicht dessen, was übrigbleibt, ist das Leben einfach
wunderbar, bunt und blühend, und dass sich Gott unser
erbarmt, ja selbst Mensch geworden ist, um uns nahe zu
sein, ein einziges Wunder. Etwas, worüber wir den ganzen
Tag singen könnten:
Lobe den Herrn, meine Seele,
und seinen heiligen Namen.
Was er dir Gutes getan hat,
Seele, vergiss es nicht. Amen.
(Lied nach Psalm 103 von Norbert Kissel)

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. März

Geht und predigt und sprecht:
Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Matthäus 10,7

«Geh nicht über Los (nach Schweizer Spielregeln «Geh nicht
über Start»), ziehe nicht 200 Euro ein.» Seit langem spielten
wir als Familie mal wieder Monopoly. Ich wusste gar nicht,
dass wir ein Spiel mit Euro-Spielgeld haben, es muss also neueren
Datums sein. Ereigniskarten und Gemeinschaftskarten
machen dieses Spiel abwechslungsreich, neben all dem Strassenkaufen
und Häuserbauen. «Geh zurück zur Badstrasse!»
Er spielt kein Spiel mit seinen Jüngerinnen und Jüngern,
und doch klingen die Aufforderungen in der Aussendungsrede
des Matthäusevangeliums ähnlich. «Geht nicht den
Weg zu den Heiden … Ihr sollt weder Gold noch Silber noch
Kupfer in euren Gürteln haben.»
Sehr konkret wird ihr Auftrag beschrieben, werden die
Zwölf ausgesendet in viele fremde Städte. Durch fremde
Strassen werden sie gehen und nicht immer willkommen
sein. Aber eines soll überall gleich sein: ihre Rede vom kommenden,
ja nahe herbeigekommenen Himmelreich.
Aber sie sollen nicht nur davon reden, sondern es auch
sichtbar machen: «Macht Kranke gesund, weckt Tote auf,
macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.»
Ob die Jüngerinnen und Jünger wohl auf solche Anforderungen
vorbereitet waren?
Hätten sie sich dem Nazarener auch angeschlossen, wenn
sie die Spielanleitung vorher gelesen hätten?

Von: Sigrun Welke-Holtmann

28. Februar

Der Blinde rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme
dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an,
er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr:
Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Lukas 18,38–39

Woher weiss er das eigentlich, dass Jesus in der Nähe ist? Hat
man es ihm gesagt? Oder spürt er gar seine Nähe? Hat er die
Unruhe der anderen wahrgenommen, dass alle in Aufregung
sind wegen ihm?
Auch wenn der Blinde ihn nicht sehen kann, so sieht er ihn
doch, und er sieht nicht nur, was den anderen vor Augen
ist, sondern er sieht Jesus in seiner wahren Bedeutung: Sohn
Davids – so ruft er ihn an, schreit nach ihm. Damit spricht der
Blinde Jesus in seiner Königswürde an, in seiner messianischen
Bedeutung. Denn gesalbt (Messias) wurden eben nur Könige.
Und wie äussert sich Jesu Davidsohnschaft? Dadurch, dass
er sich vom Geschrei eines Blinden anrühren lässt, ihm Aufmerksamkeit
schenkt und sich zu ihm wendet, sich seiner
erbarmt und ihn (körperlich) heilt.
Er schenkt ihm das Augenlicht, obwohl dieser doch schon
alles gesehen hat, was wirklich wichtig ist.
Der unbekannte Blinde sieht in Jesus, wer Jesus wirklich ist,
im Gegensatz zu anderen, die sehen können und doch nicht
sehen, nicht erkennen.
Statt sich durch das Geschrei die Augen öffnen zu lassen,
wollen sie zum Schweigen bringen.
Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. Februar

Der HERR kommt, das Erdreich zu richten.
Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit
und die Völker, wie es recht ist.
Psalm 98,9

Lese ich diese zwei Sätze aus dem Zusammenhang gerissen,
so kommen sie mir fast wie eine Drohung vor. Gericht
klingt in meinen Ohren eher nach Strafe, auch wenn von
Gerechtigkeit die Rede ist. Doch wer kann von sich schon
behaupten, gerecht zu sein?! Und was ist das Gericht, wie es
recht ist? Was habe ich eigentlich verdient?
Sie schmeckt mir bitter, die Losung des heutigen Tages.
Doch dann lese ich sie im Zusammenhang. Im Zusammenhang
des ganzen Psalms wird sie regelrecht zu einer
Geschmacksexplosion. Denn sie ist der Höhepunkt, der
Endpunkt, das grosse Finale. Verheissung und Versprechen.
Keine schale Drohung, sondern das ersehnte Ende. Und es
kommt nicht einfach so nebenbei, sondern mit Pauken und
Trompeten, mit aller Macht und Gewalt – Naturgewalt.
«Die Ströme sollen in die Hände klatschen und alle Berge
seien fröhlich.» Dieser Psalm reisst auch mich mit: Singt dem
Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder! Schon klingen
Lieder in mir und ich möchte einstimmen. Einstimmen in
den Jubel, in das Klatschen, in die Freude.
Und ganz tief in mir drin spüre ich, dass es genau das ist,
was wir brauchen: Gottes Gerechtigkeit.
Und dass es auch das Einzige ist, worauf wir uns wirklich
verlassen können. Er kommt.

Von: Sigrun Welke-Holtmann

28. Januar

Passt euch nicht den Massstäben dieser Welt an.
Römer 12,2

Manchmal sagt Paulus es so deutlich und präzise, besser
kann man es gar nicht ausdrücken. Und manchmal sind diese
Sätze heute noch genauso aktuell wie damals. «Schwimmt
nicht mit dem Strom.» (BigS)
Einfach aussteigen aus dem Irrglauben, dass alles immer
noch wachsen muss und auch wird. Höher, grösser, mehr.
Immer alles noch singulärer und einzigartiger. Dass jede/r
ein Anrecht auf alles hat und dieses Recht auch gnadenlos
durchsetzt. Rücksichtslos auf Kosten von anderen Menschen,
von Tieren und der Natur sowieso.
Oder wenn man sich einsetzt, dann soll es auf jeden Fall
medial gross herauskommen – dann soll es auch jede/r wissen,
dann wird der Kopf an einen alten Meister geklebt, ohne
Rücksicht auf Verluste. Auch die Aktionen dagegen folgen
dem altbekannten Schema: höher, grösser, mehr.
Die Massstäbe der Welt mit den Massstäben der Welt
bekämpfen? Gewalt mit Gewalt? Vermessenheit mit Vermessenheit?
Dummheit mit Dummheit?
Ich glaube, das hat noch nie funktioniert.
Doch wie kann es dann gehen?
«Schwimmt nicht mit dem Strom, sondern macht euch
von den Strukturen dieser Zeit frei, indem ihr euer Denken
erneuert. Dann wird euch deutlich, was Gott will: das Gute,
das, was Gott Freude macht, das Vollkommene.»

Von: Sigrun Welke-Holtmann

27. Januar

Der Gerechte ist wie ein Baum, gepflanzt an den
Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit,
und seine Blätter verwelken nicht.
Psalm 1,3

Welch ein Auftakt, der erste Psalm, Eröffnung im wahren
Sinne des Wortes. Er eröffnet eine anthropologische Weite:
«Glücklich sind die Frau, der Mann, die nicht nach den
Machenschaften der Mächtigen gehen, nicht auf dem Weg
der Gottlosen stehen.» (Psalm 1,1 nach BigS)
Aber nicht nur, was der Glückliche nicht macht, wird
beschrieben, sondern auch ganz positiv, wo ihre Lust Erfüllung
findet: an der Weisung Gottes. Und der Beter /die Beterin
hat auch ein Bild für diese Menschen vor Augen. Das Bild
eines Baums, kräftig und grün, im Saft stehend und Frucht
bringend zu seiner Zeit.
Ein starkes Bild: der mit dem Wasserbach verbundene
Baum, der seine Wurzeln alle Zeit an der Quelle hat. Und
wenn man genau hinhört, hört man vielleicht auch das Murmeln
der Weisung Tag und Nacht.
Welch ein Auftakt, und das Lied, das erklingt, ruft Resonanz
in mir hervor und Fragen beginnen zu klingen:
Wo stehe ich?
Was nährt meine Wurzeln?
Was erfüllt mich?
Welche Früchte füllen sich durch mich?
Und –
bin ich glücklich?

Von: Sigrun Welke-Holtmann