Schlagwort: Annegret Brauch

1. Juli

HERR, dir habe ich meine Sache befohlen. Jeremia 11,20

Jeremia ist ein unbequemer Zeitgenosse. Er mischt sich lautstark
in die Macht- und Religionspolitik des Reiches ein,
verneint die militärische Option als Weg zu Frieden und
Gerechtigkeit; er stört die öffentliche Ordnung. Kein Wunder,
dass er zum Schweigen gebracht werden soll; einflussreiche
Leute seiner Heimatstadt trachten ihm nach dem Leben.
Im Zentrum seiner Klage darüber (Verse 18–23) steht der
Vers: «Aber du, HERR Zebaoth, du gerechter Richter, der
du Nieren und Herz prüfst, lass mich deine Rache an ihnen
sehen; denn dir habe ich meine Sache befohlen.»

Nieren und Herz sind in biblischer Vorstellung der Sitz von
Fühlen und Denken der Menschen. Bei «Herz und Nieren»
geht es ans «Eingemachte» (vgl. z. B. auch Psalm 26,2). Der
ganze Mensch bis ins geheimste Innerste wird «durchleuchtet
» von Gottes prüfendem Blick. Es ist Gottes Sache, Rache
zu üben, wie immer diese dann aussehen wird. Von Jeremia
ist diese Unterscheidung zu lernen: «Dir, Gott, habe ich
meine Sache befohlen.»

Ich lerne, diesen Satz nachzusprechen – manchmal mit dem
Mut der Verzweiflung, manchmal getröstet … – er stärkt
mein Gottvertrauen.
Wie fühlt es sich für Sie an, diesen Satz nachzusprechen?

Von: Annegret Brauch

26. Juni

Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte
ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken
und Stab trösten mich.
Psalm 23,4

Es sind vertraute Worte; viele von Ihnen werden den 23. Psalm kennen, viele auch auswendig – by heart, wie man
im Englischen sagt. Seine Worte sind wie eingeschrieben in
unsere Herzen. Sie kommen mir in den Sinn, wenn es traurig
und eng um mich wird, wenn Verzagtheit und Furcht
mich bedrängen, wenn Dunkelheit die Hoffnung bedeckt:
am Grab eines geliebten Menschen, am Abend nach einem
Tag voller Schreckensmeldungen, wenn ich mich nach Trost
und Zuversicht sehne.
Vielleicht ist es eine Art Selbstermächtigung, die sich gegen
die düstere Realität stemmt. Aber ihre Kraft kommt nicht aus
mir selbst, sondern aus dem Vertrauen, das in der EWIGEN
verankert ist und mich trägt: Denn DU bist bei mir; die Erfahrung
DEINER Nähe tröstet mich.
Ja, es gibt Feinde, die mir übelwollen; ja, es gibt Dunkelheit,
Angst und Sorge in diesen ungesicherten Zeiten, die uns
umtreiben … – und doch: «Der HERR ist mein Hirte, mir
wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine
Seele, er führet mich auf rechter Strasse …»
Welch ein Trost und Segen, solche Worte im Herzen zu
tragen!

Von: Annegret Brauch

25. Juni

Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu
ihrer Zeit. Wenn sie sich auch hinzieht, so harre ihrer.

Habakuk 2,3

Es ist eines der eindrücklichsten Lieder, die ich bei meinem
ersten Kirchentag 1975 in Frankfurt kennengelernt habe. Mit
der unverwechselbaren Melodie von Peter Janssens begleitet
es mich bis heute. Text und Melodie strahlen unbeirrte
Hoffnung aus, die Kraft und den Mut des langen Atems,
die eigensinnige Beharrlichkeit des Glaubens, das Vertrauen
auf Gottes Verheissung von Frieden und Gerechtigkeit auf
seinem Erdkreis, das ich auch bei Habakuk finde: «Wenn sie
sich auch hinzieht, so harre ihrer.»
Denn:
Es kommt die Zeit, / in der die Träume sich erfüllen,/ wenn
Friede und Freude und Gerechtigkeit / die Kreatur erlöst./
Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand …
Es kommt die Zeit, / in der die Völker sich versöhnen,/ wenn
alle befreit sind und zusammenstehn / im einen Haus der
Welt. / Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand …
Es kommt die Zeit, / da wird der Erdkreis neu ergrünen / mit
Wasser, Luft, Feuer, wenn der Menschen Geist / des Schöpfers
Plan bewahrt. / Dann gehen Gott und die Menschen Hand in
Hand, / dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand.

Der Prophet Habakuk verkörpert diesen langen Atem.
Trotz und in all dem Schweren, das er erleben musste, kann
er singen: «Aber ich will mich freuen des HERRN und fröhlich
sein in Gott, meinem Heil. Denn der HERR ist meine Kraft …»

(Kapitel 3,18 f.)

Von: Annegret Brauch

26. April

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Titus 2,11

Nach all den Ermahnungen zu einem ordentlichen und
anständigen Lebenswandel in den christlichen Gemeinden,
die einen Grossteil des Titusbriefes ausmachen, ist dieser Vers
ein helles, leuchtendes Licht, dass einem ganz warm ums
Herz wird. Sicher gab es gute Gründe für diese vielen Ermahnungen
an die Christenmenschen auf Kreta (Kapitel 1+2)
zu Besonnenheit und Geduld, zu Keuschheit und Nüchternheit,
zu Ehrbarkeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit – und es
gibt sie bis heute. Denn bis heute bemisst sich die Glaubwürdigkeit
der Christenmenschen und ihrer Botschaft in ihrer
jeweiligen Umwelt auch an ihrer eigenen Lebensweise (vgl.
auch Matthäus 7,16 ff.).
Aber die heilsame Gnade Gottes, die allen Menschen
erschienen ist, stellt unsere Bemühungen in den Schatten –
oder bringt sie zum Leuchten. Ich glaube, es leuchtet umso
heller, je mehr wir die heilsam-heilende Gottesgnade für alle
Menschen denken und glauben: Sie ist dem unfreundlichen
Zeitgenossen auf der Strasse genauso erschienen wie den
mir Fernen und Unbekannten; den Menschen, die anders
glauben als ich ebenso wie meinen Lieben; und wohl auch
den Verblendeten und Machtgierigen, was für mich schwer
ist zu glauben…
Aber sie, die heilsame Gnade Gottes (er-)zieht uns dazu,
besonnen, gerecht und fromm zu leben in dieser Weltzeit
(Vers 12) – und das Schwierige Gott zu überlassen.

Von: Annegret Brauch

25. April

In der Finsternis erstrahlt den Aufrichtigen ein Licht,
gnädig, barmherzig und gerecht. Psalm 112,4

Diese Woche, vom Sonntag Misericordias Domini herkommend,
steht unter dem Wort: «Die Erde ist voll der
Güte des HERRN.» (Psalm 33,5) In dieser Linie steht auch
die heutige Tageslosung: «In der Finsternis erstrahlt den
Aufrichtigen ein Licht, gnädig, barmherzig und gerecht.»
Es ist die präsentische Aussageform, die beide Worte so
kraftvoll macht. Kein Fragezeichen, kein Konjunktiv, kein
Futur, kein Wenn-dann – einfach: Indikativ Präsens, Punkt.
Es sind Worte, an denen ich mich festhalte, gerade in den
Finsternissen dieser Zeit. Sie sind klar, sie fühlen sich warm
an und auch kühn; sie stärken mein Vertrauen in die verändernde
Macht der Liebe.
In einem Brief aus dem Gefängnis schreibt Rosa Luxemburg,
dass es gegen die Dunkelheit darauf ankomme, «Augen
und Ohren zu gebrauchen, um sich mit der Heiterkeit und
der Schönheit des Lebens zu verknüpfen, die überall um
uns sind.»
«In der Finsternis erstrahlt den Aufrichtigen ein Licht…»;
sie verstehen, ihre Augen, Ohren und Herzen zu gebrauchen;
sie sehen und erkennen, was andere kaum glauben können:
dass die Erde voll ist der Güte Gottes.
Ich wage und übe den kühnen Blick, der mein Angesicht
zum Leuchten bringt im Glanz der EWIGEN, die gnädig,
barmherzig und gerecht sich den Menschen zuwendet.

Von: Annegret Brauch

26. Februar

Jesus betet für seine Jüngerinnen und Jünger: Ich bitte
nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du
sie bewahrst vor dem Bösen.
Johannes 17,15

«Nicht aus der Welt» (griech: ex tou kosmou) hat im Deutschen
eine doppelte Bedeutung. Wenn ich sage: «Ich bin
doch nicht aus der Welt!» meine ich: «Ich bin in der Nähe,
bin ansprechbar und greifbar.» Wenn Jesus sagt: «Nicht aus
der Welt sind sie (= die Seinen)…» (Vers 16), bringt er zum
Ausdruck, dass die Seinen, die sich an ihn, an Gottes Wort
halten, sich nicht (mehr) nach der Art der Welt verhalten,
sich nicht (mehr) von «deren Logik» bestimmen lassen.
Für die, die sich auf Christus beziehen, gelten beide Bedeutungen.
Sie sollen der Welt nah, in der Welt präsent sein –
das ist Jesu Bitte (Vers 15); – und sie sollen sich nicht der
Welt gleichstellen, sondern nach Gottes Willen das Gute,
Wohlgefällige und Vollkommene tun (vgl. Römer 12,2).
Was bedeutet das angesichts der drängenden Fragen, die
der Krieg in der Ukraine, die Kriege im Jemen, in Syrien, am
Horn von Afrika an uns stellen?
Wir sind doch nicht aus der Welt!
In den Streit der Welt hast du uns gestellt, deinen Frieden zu
verkünden, der nur dort beginnt, wo man wie ein Kind deinem
Wort Vertrauen schenkt. Herr, wir bitten: Komm und
segne uns; lege auf uns deinen Frieden … (EG 610).

Von: Annegret Brauch

25. Februar

Höret des HERRN Wort! Der HERR rechtet mit denen,
die im Lande wohnen; denn es gibt keine Treue, keine
Liebe und keine Erkenntnis Gottes im Lande.
Hosea 4,1

Gott führt einen Rechtsstreit mit seinem Volk. In einer Zeit
des Wohlstands und einer prosperierenden Wirtschaft fordert
Gott Rechenschaft von denen, die im Land wohnen.
Hosea kritisiert wie Amos die soziale Ungerechtigkeit, das
Lügen, Betrügen und Morden um des eigenen Vorteils willen
und auf Kosten derer, die nicht genug zum Leben haben. Er
prangert die Verkommenheit an, in der sich König, Priesterschaft,
die Wohlhabenden und Einflusseichen eingerichtet
haben. «Es gibt keine Treue, keine Liebe und keine Erkenntnis
Gottes im Land», klagt er an.
Treue und Wahrhaftigkeit, Liebe und Barmherzigkeit,
Erkenntnis und Einsicht sind die Koordinaten, an denen sich
die Menschen nach Gottes Willen ausrichten sollen, damit
das Leben gut ist, damit alle genug haben. Eine Logik der
Suffizienz, eine Ökonomie des Genug/der Genüge dient dem
Leben. Es braucht Menschen, die es (sich) genug sein lassen –
in ihrem persönlichen Lebensstil; dort, wo sie Einfluss haben
und nehmen können. Jede und jeder kann etwas bewegen
und in Bewegung bringen.
«Auf dich kommt es an. Leiste dir eine Utopie. Lass dir nicht
einreden, das sei wirklichkeitsfremd. Wirklichkeitsfremd handeln
vielmehr die, die meinen, dass an dieser Welt nichts
mehr zu ändern ist.»
(Reinhild Traitler)

Von: Annegret Brauch

26. Oktober

Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Johannes 3,17

Das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus, in dessen Schlussteil unser Vers gehört, ist und bleibt (mir) rätselhaft. Da ist der gelehrte und geachtete Pharisäer Nikodemus, der in der Nacht zu Jesus kommt, um mit ihm über Fragen des Glaubens und des Lebens zu sprechen. Und da ist Jesus, der antwortet und doch nicht wirklich verstanden wird. Nikodemus’ vernünftige Einwände verfangen nicht vor der Botschaft, die Jesus verkündigt: dass Gottes Liebe der Welt Grund und Ziel gibt, dass Gottes Geistkraft in ihr wirksam ist und die Menschen verändert, dass Gott will, dass die Welt gerettet werde …

Die Frage drängt sich auf: Wie ist das zu glauben angesichts von Krieg und Zerstörung, von Hunger und Gewalt, von so viel Lüge und Ungerechtigkeit vor unseren Augen?

Was Nikodemus aus dem Gespräch mitnimmt, bleibt offen. Wie sähe Ihre Antwort aus? – Mein Versuch einer Antwort lautet:
Es ist leicht und schwer zu glauben und zu vertrauen; es ist ein Weg, ein Prozess; es ist ein Gehaltenwerden und ein Festhalten, es ist ein «sich dem Leben in die Arme Werfen».

Von Annegret Brauch